VwGH Ro 2021/15/0002

VwGHRo 2021/15/000229.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der D GmbH in W, vertreten durch die N & N Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 8010 Graz, Schubertstraße 68, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 24. November 2020, Zl. RV/2101256/2018, betreffend Wiederaufnahme der Umsatzsteuerverfahren 2011 bis 2015 sowie Umsatzsteuer 2011 bis 2015,

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Wiederaufnahme der Umsatzsteuerverfahren 2011 bis 2015 richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Normen

BAO
BAO §198 Abs1
BAO §243
BAO §279 Abs1
BAO §280 Abs1 lite
BAO §303 Abs1
BAO §93 Abs3 lita
EURallg
UStG 1994
UStG 1994 Art25
UStG 1994 Art3 Abs8
VwGG §28 Abs1 Z4
VwGG §28 Abs1 Z5
VwGG §34 Abs1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art40
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art41
62008CJ0536 X und fiscale eenheid Facet / Facet Trading VORAB
62016CJ0580 Firma Hans Bühler VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021150002.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es die Umsatzsteuer 2011 bis 2015 betrifft, wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Aufgrund einer abgabenbehördlichen Prüfung wurden bei der Revisionswerberin die Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2011 bis 2015 wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht den Beschwerden der Revisionswerberin gegen den Umsatzsteuerbescheid 2012 teilweise Folge und wies die Beschwerde hinsichtlich der Wiederaufnahme der Umsatzsteuerverfahren 2011 bis 2015 und der Umsatzsteuerbescheide 2011 und 2013 bis 2015 als unbegründet ab.

3 Das Bundesfinanzgericht führte aus, im Betriebsprüfungsbericht sei festgehalten worden, dass im Prüfungs- und Nachschauzeitraum von verschiedenen Lieferanten Rechnungen an die Revisionswerberin für grenzüberschreitende Lieferungen in andere Mitgliedstaaten der EU ohne Angabe der ausländischen UID‑Nummer der Revisionswerberin bzw. unter Angabe der österreichischen UID‑Nummer der Revisionswerberin ausgestellt worden seien. Teilweise seien solche Rechnungen auch mit österreichischer Umsatzsteuer ausgestellt worden. Der innergemeinschaftliche Erwerb werde gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befinde. Verwende der Erwerber gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, so gelte der Erwerb solange in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates als bewirkt, bis der Erwerber nachweise, dass der Erwerb durch den im ersten Satz bezeichneten Mitgliedstaat besteuert worden sei. Auch die Verwendung einer österreichischen UID gegenüber einem österreichischen Lieferanten verursache einen Doppelerwerb, wenn die Ware in andere Mitgliedstaaten der EU gehe. Die Vorsteuer auf die betreffenden Erwerbe bzw. die Vorsteuer aus der an die Revisionswerberin verrechneten österreichischen Umsatzsteuer für Lieferungen in andere Mitgliedstaaten der EU werde nicht anerkannt.

4 Zur Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2011 bis 2015 legte das Bundesfinanzgericht dar, dass diese zu Recht erfolgt und ausreichend begründet worden sei. Hinsichtlich der strittigen Umsatzsteuerfälle seien fünf Sachverhaltskonstellationen zu unterscheiden, wobei nur die Fälle 1 und 2 für das Revisionsverfahren aus inhaltlicher Sicht noch relevant sind.

5 Fall 1 beinhalte die Lieferung von Waren durch einen Unternehmer in Deutschland an die unter ihrer österreichischen UID‑Nummer auftretende Revisionswerberin in einen anderen Mitgliedstaat der EU. Die Revisionswerberin habe im Rahmen der vorgenommenen Erwerbsbesteuerung gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 gleichzeitig den Vorsteuerabzug aus der entsprechenden Erwerbsteuer geltend gemacht. Das Bundesfinanzgericht führte dazu in seiner rechtlichen Würdigung aus, die inländische Erwerbsteuer sei bei innergemeinschaftlichen Erwerben iSd zweiten Satzes des Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 nicht als Vorsteuer abzugsfähig.

6 Bei Fall 2 habe ein Unternehmer aus Österreich Waren in einen anderen Mitgliedstaat an die unter ihrer österreichischen UID‑Nummer auftretende Revisionswerberin geliefert. Die Revisionswerberin habe aus der Rechnung des österreichischen Unternehmers einen Vorsteuerabzug vorgenommen. Ein innergemeinschaftlicher Erwerb kraft UID‑Nummer nach Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 sei nicht erklärt worden. Auch in diesem Fall finde grundsätzlich ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Bestimmungsland statt, da die Ware in den anderen Mitgliedstaat gelange. Da die Revisionswerberin jedoch die österreichische UID verwendet habe, finde gleichzeitig ein innergemeinschaftlicher Erwerb in Österreich kraft UID‑Verwendung statt. Daher falle sowohl im anderen Mitgliedstaat als auch in Österreich Erwerbsteuer an. Die inländische Erwerbsteuer sei nicht als Vorsteuer abzugsfähig. Da es sich bei der Lieferung in Österreich um einen steuerfreien innergemeinschaftlichen Umsatz handle, sei die österreichische Umsatzsteuer auf der Rechnung zu Unrecht ausgewiesen und berechtige nicht zum Vorsteuerabzug.

7 Gemäß Art. 3 Abs. 8 letzter Satz UStG 1994 finde im Falle eines Nachweises der Besteuerung im anderen Mitgliedstaat eine entsprechende Berichtigung nach § 16 UStG 1994 (ex nunc) statt. Eine Erwerbsbesteuerung kraft Verwendung der UID‑Nummer könne nachträglich nicht durch eine bloß ergänzte (berichtigte) Rechnung, sondern nur durch den Nachweis der tatsächlichen Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat in Wegfall gebracht werden. Nach der Verwaltungspraxis gelte Art. 3 Abs. 8 Satz 2 UStG 1994 auch dann, wenn der Erwerber die UID des Ausgangsmitgliedstaates der Warenbewegung bekannt gebe.

8 Die Revision wurde für zulässig erklärt, weil es keine gesicherte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage gebe, ob gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 bei einer Lieferung aus Österreich in einen anderen Mitgliedstaat die Verwendung einer österreichischen UID durch den Warenempfänger die Vorschreibung einer Erwerbsteuer in Österreich auslöse, bis der tatsächliche Erwerb im Bestimmungsstaat nachweislich besteuert/erklärt worden sei.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2015 zulässig. Sie ist auch begründet.

Zu I.:

12 Hinsichtlich der Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2011 bis 2015 macht die Revision als Revisionspunkt die Verletzung in einem subjektiven Recht wie folgt geltend: Die Revisionswerberin wurde durch die Abweisung ihrer Beschwerden „in ihren ihr gem §§ 20, 93, 303 und 307 BAO zustehenden Rechten massiv beeinträchtigt“, konkret durch „die Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen“ des § 20 BAO iVm § 307 BAO und des § 93 BAO.

13 Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision (u.a.) die Bezeichnung der Rechte, in denen der Revisionswerber verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte) zu enthalten. Durch die vom Revisionswerber vorgenommene Bezeichnung der Revisionspunkte wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 41 Abs. 1 VwGG gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. etwa VwGH 12.5.2021, Ra 2021/16/0030, mwN; 30.4.2019, Ro 2018/15/0001).

14 Mit dem wiedergegebenen Vorbringen macht die Revisionswerberin keinen tauglichen Revisionspunkt geltend.

15 Ein abstraktes Recht auf (richtige) Anwendung von durch Paragraphenzahlen bezeichnete Bestimmungen besteht nicht. Bei der behaupteten Verletzung des Rechts auf (richtige) Anwendung einzelner Bestimmungen der BAO handelt es sich nicht um Revisionspunkte, sondern um Revisionsgründe iSd § 28 Abs. 1 Z 5 VwGG, welche nur in Verbindung mit der Verletzung eines aus einer materiell‑rechtlichen Vorschrift ableitbaren subjektiven Rechts zielführend vorgebracht werden können (vgl. VwGH 12.6.2020, Ra 2019/15/0098, mwN).

16 Da die Revisionswerberin somit keinen tauglichen Revisionspunkt geltend gemacht hat, erweist sich die Revision im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Umsatzsteuer 2011 bis 2015 als unzulässig und war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Zu II.:

17 Die Revision wendet sich zunächst mit weitwendigen und redundanten Ausführungen gegen die (mangelnde) Begründung der Umsatzsteuerbescheide und der Beschwerdevorentscheidung. Hier genügt der Hinweis, dass die am selben Tag erlassenen Wiederaufnahmebescheide durch Verweis auf den Betriebsprüfungsbericht eine Begründung enthalten und es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausreicht, wenn aus einer Zusammenschau der Begründung der beiden zugleich erlassenen Bescheide (Wiederaufnahmebescheid und Sachbescheid) nachvollziehbar ist, worauf sich das Finanzamt gestützt hat (vgl. VwGH 24.9.2007, 2005/15/0041, mwN). Zudem ist eine mangelnde Begründung eines Abgabenbescheides im Rechtsmittelverfahren sanierbar (vgl. VwGH 30.6.2016, 2012/15/0045; 26.4.2012, 2009/15/0119, mwN). Im Erkenntnis des BFG wird ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen wurden.

18 Zu den materiell‑rechtlichen Fragen betreffend die Umsatzsteuer führt die Revision zunächst aus, für den Fall, dass eine inländische Erwerbsteuer in Österreich vorgeschrieben werde, müsse diese auch als Vorsteuer abzugsfähig sein.

19 Gemäß Art. 3 Abs. 8 erster Satz UStG 1994 wird der innergemeinschaftliche Erwerb in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet.

20 Verwendet der Erwerber gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer‑Identifikationsnummer, so gilt der Erwerb gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 solange (auch) in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates als bewirkt, bis der Erwerber nachweist, dass der Erwerb durch den im ersten Satz bezeichneten Mitgliedstaat besteuert worden ist. Durch diese Bestimmung wird Art. 41 der MwSt‑RL, 2006/112/EG , umgesetzt.

21 Der EuGH hat in seinem Urteil vom 22. April 2010, X und fiscale eenheid FacetFacet Trading, C‑536/08 und C‑539/08 , dargelegt, dass in Fällen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs im Sinne des Art. 41 der MwSt‑RL kein Vorsteuerabzug zusteht. Der EuGH hat dies u.a. damit begründet, dass die Gewährung des Vorsteuerabzugs in einem solchen Fall die praktische Wirkung des Art. 40 MwSt‑RL (früher 28b Teil A Abs. 2 der Sechsten Richtlinie) beeinträchtigen würde, weil für den Steuerpflichtigen, der im Mitgliedstaat der verwendeten UID zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, kein Anreiz mehr bestünde, die Besteuerung des fraglichen innergemeinschaftlichen Erwerbs im Mitgliedstaat der Beendigung des Versands oder der Beförderung nachzuweisen. Eine solche Lösung könnte letztlich die Anwendung der Grundregel gefährden, nach der bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb davon auszugehen ist, dass der Ort der Besteuerung im Mitgliedstaat der Beendigung des Versands oder der Beförderung, d. h. im Endverbrauchsmitgliedstaat, liegt, was das Ziel der Übergangsregelung ist (vgl. Rn 44 des Urteils).

22 Im Gegensatz zum Revisionsvorbringen steht somit der Vorsteuerabzug bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb iSd Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 nicht zu.

23 Zur in der Zulässigkeitsbegründung des Bundesfinanzgerichts aufgeworfenen Frage, ob gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 die Verwendung einer österreichischen UID im Abgangsstaat Österreich die Vorschreibung einer Erwerbsteuer auslöse, bis der tatsächliche Erwerb im Bestimmungsstaat nachweislich besteuert/erklärt worden sei, moniert die Revision die Rechtswidrigkeit der vorgeschriebenen Erwerbsteuer.

24 Damit ist die Revision im Recht.

25 Der EuGH hat im (die Regelungen für Dreiecksgeschäfte iSd Art 25 UStG 1994 betreffenden) Urteil vom 19. April 2018, C‑580/16 , Firma Hans Bühler KG, in Rn 36 zum Ausdruck gebracht, wenn bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung „der Mitgliedstaat des Beginnes der Beförderung zugleich derjenige wäre, in dem der Erwerber für den Erwerb der beförderten Gegenstände für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist“, bedeute dies, dass der Umsatz in diesem Mitgliedstaat stattgefunden hat und (dort) nicht als innergemeinschaftlicher Erwerb eingestuft werden kann. Somit wird ein innergemeinschaftlicher Erwerb iSd Art. 41 MwSt‑RL nicht dadurch bewirkt, dass der Erwerber die UID des Ausgangsmitgliedstaates der Warenbewegung verwendet (siehe auch Ruppe/Achatz, UStG4, Art. 3 BMR Rz 35/1).

26 Daraus ergibt sich bereits, dass die Verwendung der UID des Ausgangmitgliedstaates der innergemeinschaftlichen Lieferung durch den Erwerber zu keinem innergemeinschaftlichen Erwerb iSd Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 in diesem Staat führen kann. Die Revisionswerberin hat daher in jenen Fällen, in denen die Ware von einem Unternehmen aus Österreich in ein anderes EU‑Mitgliedsland an die Revisionswerberin versendet oder befördert wurde, durch die Verwendung der österreichischen UID keinen innergemeinschaftlichen Erwerb in Österreich verwirklicht.

27 Nachdem das Bundesfinanzgericht dies verkannt hat, hat es sein Erkenntnis mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

28 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

29 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. Juni 2022

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte