Normen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020150002.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist Rechtsnachfolger nach Dr. H, einer Ärztin, die bis Jänner 2004 eine privatärztliche Praxis im Bereich der hessischen Landesärztekammer geführt und ab Juli 2004 in Österreich (Tirol) als angestellte Ärztin tätig war. Dr. H hat auch ihren Wohnsitz nach Österreich verlegt.
2 In Rahmen von Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2007 bis 2009 machte Dr. H unter anderem Ausgaben für Beitragszahlungen zu einem berufsständischen deutschen Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen von 12.537 € (2007), 12.656,40 € (2008) und 12.895,20 € (2009) geltend. Sie brachte dazu vor, dass sie von der Ärztekammer Tirol mit Schreiben vom 13. September 2004 die Befreiung von der Beitragsentrichtung zum österreichischen Wohlfahrtsfonds erhalten habe, weil sie als angestellte Ärztin weiterhin Pflichtbeiträge an ein gleichwertiges Versorgungswerk in Deutschland bezahle und dadurch ein gleichartiger Anspruch auf Ruhegenuss bzw. Versorgungsgenuss sichergestellt sei (Hinweis auf § 112 Abs. 3 ÄrzteG). Diese Zahlungen seien Pflichtbeiträge iSd § 16 Abs. 1 Z 4 EStG 1988.
3 In den Einkommensteuerbescheiden 2007 bis 2009 anerkannte das Finanzamt die Beiträge an das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen nur mit 4.219,20 € (2007), 4.344 € (2008) und 4.485,60 € (2009). Zur Begründung führte es aus, die Zahlungen seien nur bis zu jener Höhe als Werbungskosten anzuerkennen, die den höchsten Pflichtbeiträgen zu einem österreichischen Wohlfahrtsfonds ‑ im konkreten Fall nach den Satzungen des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer Tirol ‑ entsprächen. Der darüberhinausgehende Teil der von Dr. H bezahlten Beiträge stelle „Topfsonderausgaben“ dar.
4 Der steuerliche Vertreter erhob gegen die Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2009 Berufung (nunmehr: Beschwerde) und brachte vor, wegen des Überschreitens der Altersgrenze sei Dr. H eine Befreiung von der hessischen Wohlfahrtskasse bei der Verlegung der beruflichen Tätigkeit nach Österreich nicht mehr möglich gewesen. Es lägen daher Pflichtbeiträge iSd § 16 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 vor, die der Höhe nach nur mit den deutschen Beitragssätzen begrenzt werden könnten. Die Begrenzung mit der Höhe der österreichischen Pflichtbeiträge sei schon aufgrund des Diskriminierungsverbotes für EU‑Bürger nicht möglich.
5 Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht legte der steuerliche Vertreter den Schriftverkehr von Dr. H mit der Landesärztekammer Hessen vor.
6 Im Schreiben vom 23. Jänner 2004 teilte Dr. H der Kammer mit, sie möchte für die Zeit ab Einstellung ihrer ärztlichen Praxis in Deutschland (Jänner 2004) und dem Beginn des Dienstverhältnisses in Österreich (Juli 2004) beitragsmäßig auf den Mindestsatz gesetzt werden. Sie möchte allerdings im Versorgungswerk der Ärztekammer Hessen bleiben und werde ab Juli 2004 wieder den vollen Beitragssatz leisten. Zur Vorlage bei der Ärztekammer Tirol benötige sie eine Bescheinigung der Ärztekammer Hessen, dass sie deren Versorgungswerk weiter zugehörig bleibe.
7 Mit Schreiben vom 23. April 2004 bestätigte die Ärztekammer Hessen, dass Dr. H nach dem Wegzug aus dem hiesigen Kammerbereich die ordentliche Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen fortsetze. Die Befreiung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 des deutschen Sozialgesetzbuches bleibe somit weiter zugunsten des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen wirksam. Dr. H werde gebeten, ihrem Arbeitgeber eine Kopie der gegenständlichen Bescheinigung mit der „grünen Befreiungskarte der BfA“ auszuhändigen sowie bei dem für sie neu zuständigen Versorgungswerk umgehend die Befreiung von der Mitgliedschaft zu beantragen und diesem die Mitgliedschaftsbestätigung im Original vorzulegen.
8 In einem weiteren Schreiben vom 26. April 2004 teilte die Hessische Ärztekammer u.a. mit, Dr. H könne ihre Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen kündigen oder fortsetzen. Ab dem 1. Juli 2004 könne sie einen Antrag auf Beitragsbefreiung oder Beitragsermäßigung stellen. Sollte sie sich zu einer Beitragszahlung entschließen, so müsste sie wenigstens den derzeit gültigen Mindestbeitrag in Höhe von 100,43 € zahlen. Selbstverständlich könne sie auch einen Beitrag bis zur Höhe ihres zuletzt gezahlten monatlichen Durchschnittsbeitrages entrichten. Antragsgemäß sei sie für die Zeit vom Februar 2004 bis Ende Juni 2004 mit dem Mindestbeitrag von 100,43 € je Monat veranlagt worden, für die Zeit ab 1. Juli 2004 werde der monatliche Beitrag mit 1.004,25 € festgesetzt. Jede Beitragsbefreiung bzw. Beitragsermäßigung führe zu einer Reduzierung der Rentenanwartschaft; bei Eintritt eines Versorgungsfalles seien Beitragsnachzahlungen nicht mehr möglich.
9 Der steuerliche Vertreter gab dem unabhängigen Finanzsenat mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 bekannt, Dr. H habe sich aufgrund der Zugehörigkeit zum Versorgungswerk Hessen in Österreich (Tirol) von der Beitragspflicht befreien lassen, um ihre Pflichtbeiträge weiterhin in Hessen zahlen können. Andernfalls hätte sie in den österreichischen Wohlfahrtsfonds ihre laufenden Beiträge einzahlen und zudem die Beiträge ab Vollendung des 35. Lebensjahres nachzahlen müssen. Da sich Dr. H im Jahr 2004 im 52. Lebensjahr befunden habe, hätte sich eine Nachzahlung von 17 Versicherungsjahren ergeben. Die Beitragsnachzahlung hätte auf Basis der jetzigen Beiträge rund 70.000 € betragen. Dr. H habe sich daher dafür entschieden, ihre Beiträge weiterhin in das Versorgungswerk Hessen einzuzahlen. Die Höhe der Pflichtbeiträge für angestellte Ärzte im Versorgungswerk Hessen sei abhängig davon, ob die Ärzte von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 deutsches Sozialgesetzbuch ‑ Sechstes Buch ‑ befreit seien oder nicht. Dr. H sei von der Versicherungspflicht laut der angeführten Bestimmung von der Beitragspflicht befreit und zahle daher einen Pflichtbeitrag, der über 1.000 € pro Monat liege. Dass es sich um einen Pflichtbeitrag handle, werde vom Versorgungswerk Hessen bestätigt. Laut dem Versorgungswerk Hessen unterlägen Ärztinnen, die von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 deutsches Sozialgesetzbuch ‑ Sechstes Buch ‑ befreit seien, einem Beitragssatz von 19,6 % der maßgebenden Bruttobezüge (höchstens 1.097,60 €). Nachdem Dr. H über einen Jahresbezug von rund 180.000 € verfüge, müsse sie verpflichtend den Höchstbeitrag von rund 1.000 € pro Monat bezahlen.
10 Das Finanzamt habe die Differenz zwischen dem Pflichtbeitrag an die Landesärztekammer Hessen und dem österreichischen Pflichtbeitrag den allgemeinen Sonderausgaben zugerechnet. Wenn eine solche Sichtweise vertreten werde, müsse dieser Betrag als Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung behandelt werden, und nicht als Sonderausgabe gemäß § 18 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 mit betraglicher Beschränkung bzw. Einschleifbestimmung; bei einer solchen Überlegung wären die Beiträge ebenfalls zur Gänze abzugsfähig, aber als Sonderausgaben.
11 In der Stellungnahme vom 20. Februar 2013 führte das Finanzamt u.a. aus, die Differenz zwischen den gesetzlich vorgeschriebenen österreichischen Pflichtbeiträgen und den an das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen abgeführten Beiträgen sei als freiwillige Höherversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 EStG 1988 anzusehen und könne nur im Rahmen der „Topfsonderausgaben“ Berücksichtigung finden. Warum es sich um eine „Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung“ handeln solle, sei für das Finanzamt nicht erkennbar. Eine Weiterversicherung in der Pensionsversicherung liege vor, wenn die betreffende Person aus der Pflicht- oder Selbstversicherung ausscheide, was im vorliegenden Fall nicht gegeben sei.
12 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge. Dr. H sei zunächst aufgrund ihrer in Deutschland ausgeübten freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit beim Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen als Kammermitglied und zufolge Befreiung von der „gesetzlichen deutschen Rentenversicherungspflicht“ beitragspflichtig gewesen. Nach der Verlegung ihrer beruflichen (ärztlichen) Tätigkeit nach Österreich durch Aufnahme eines ärztlichen Dienstverhältnisses habe sie gegenüber der Landesärztekammer Hessen ihren Verbleib als Kammermitglied zum berufsständischen deutschen Versorgungswerk bekanntgegeben. Dr. H habe von der Landeskammer Hessen eine Bestätigung erhalten, dass sie nach dem Wegzug aus dem Kammerbereich ihre „ordentliche Mitgliedschaft“ im Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen fortgesetzt habe und die Befreiung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 deutsches Sozialgesetzbuch (siehe § 13 Abs. 2 der Versorgungsordnung) weiter wirksam zugunsten des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen bestehen bleibe. Sie habe nach § 13 Abs. 1 Versorgungsordnung die Angestelltenversicherungsbeiträge zu leisten. Die Ärztekammer Tirol habe bestätigt, dass in der Sitzung des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Tirol vom 7. September 2004 dem Ansuchen von Dr. H um Befreiung von den Beiträgen zum Wohlfahrtsfonds gemäß § 112 Abs. 3 ÄrzteG mit Wirkung ab 1. Juli 2004 stattgegeben worden sei.
13 Dr. H habe für die Streitjahre 2007 bis 2009 beim hessischen Versorgungswerk keinen Antrag auf eine allfällige Beitragsbefreiung oder Beitragsermäßigung als angestellte Kammerangehörige gestellt, weshalb für sie die Reglements zur Beitragsentrichtung sowie zur Beitragsbemessung nach den Bestimmungen der §§ 12 und 13 der Versorgungsordnung (Punkt II. Beiträge, Berechnung) des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen in Geltung gestanden seien. § 13 der Versorgungsordnung laute auszugsweise:
„§ 13 (1) Der monatliche Beitrag entspricht dem jeweils geltenden Höchstbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des § 161 Abs. 1 und 2 SGB VI der jeweils geltenden Fassung. Eine taggenaue Veranlagung findet nicht statt. Der Beitrag ändert sich bei Änderung des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund einer Änderung des Beitragssatzes oder der Beitragsbemessungsgrenze vom gleichen Zeitpunkt an entsprechend. Der Beitrag kann in Härtefällen reduziert werden. Er beträgt mindestens 1/10 des Höchstbeitrages gemäß Satz 1. [...]
(2) Angestellte Ärztinnen und Ärzte, die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit sind, entrichten Beiträge gemäß Absatz 1. [...]“
14 Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts sei Dr. H durch die fortgesetzte freiwillige Kammermitgliedschaft und Weiterversicherung beim berufsständischen Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen insoweit weiterhin den geltenden deutschen Rechtsvorschriften über die Soziale Sicherheit unterlegen. Nur durch diese freiwillige Weiterversicherung habe sie auch einen weitgehend funktionsgleichen, also annähernd gleichartigen Versorgungsanspruch gegenüber einer EWR‑Wohlfahrtskasse aufrecht erhalten, welcher ihr auch die Befreiungsmöglichkeit von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Tirol eröffnet habe. Durch die verpflichtenden Beitragszahlungen an das berufsständische deutsche Versorgungswerk sei sie zur Gänze von „gesetzlichen Pflichtbeitragsentrichtungen“ gegenüber dem Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Tirol (siehe § 112 Abs. 2 ÄrzteG) befreit worden.
15 Das hessische Versorgungswerk habe die „Angestelltenversicherungsbeiträge“ unter Ansatz der jeweils geltenden Höchstbeiträge in der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung (monatliche Beitragsbemessungsgrundlage für 2007: 5.250 €; 2008: 5.300 €; 2009: 5.400 €) und dem Beitragsprozentsatz des Versorgungswerkes (von 19,9 %) von den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit bemessen und eingehoben.
16 Daraus ergebe sich nach Ansicht des Bundefinanzgerichts, dass die Beitragszahlungen gegenüber dem hessischen Versorgungswerk den Charakter von „geschuldeten Pflichtbeiträgen zu einem deutschen Rentensicherungssystem“ aufwiesen.
17 Entscheidend sei, dass die strittigen Beitragsleistungen an das hessische Versorgungswerk auch der Höhe nach „auf verpflichtenden (gesetzlichen) Rechtsgrundlagen“ beruhten und folglich nicht „aus freien Stücken“ entrichtet worden seien. Die strittigen Beitragszahlungen seien daher sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach „Pflichtbeitragszahlungen“ zum berufsständischen deutschen Versorgungswerk.
18 Gemäß Art. 15 Abs. 7 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl. III Nr. 182/2002 (im Folgenden: DBA‑Deutschland), seien Beiträge, die für eine in einem Vertragsstaat unselbständig tätige Person an eine in dem anderen Vertragsstaat errichtete und dort steuerlich anerkannte Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge geleistet würden, in dem erstgenannten Staat bei der Ermittlung des von der Person zu versteuernden Einkommens in der gleichen Weise, unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen zu behandeln wie Beiträge an in diesem erstgenannten Staat steuerlich anerkannte Einrichtungen der Krankheits- und Altersvorsorge.
19 Nach § 16 Abs. 1 Z 4 lit. e EStG 1988 zählten zu den Werbungskosten Pflichtbeiträge zu Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen, soweit diese Einrichtungen der Kranken-, Unfall-, Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung dienten.
20 Da eine „Pflichtbeitragsleistung“ zur Altersversorgung an das berufsständische deutsche Versorgungswerk vorliege, sei aufgrund des Art. 15 Abs. 7 DBA‑Deutschland die entsprechende Beitragsleistung bei Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des betroffenen Steuerpflichtigen gleich zu behandeln wie eine „Pflichtbeitragsleistung“ an einen Wohlfahrtsfonds der österreichischen Ärztekammer. Im betragsmäßigen Ausmaß von Pflichtbeiträgen zu Kammereinrichtungen lägen nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts daher jedenfalls abzugsfähige Werbungskosten iSd § 16 Abs. 1 Z 4 lit. e EStG 1988 vor. Die betragsmäßige Höhe der Pflichtbeiträge habe sich dabei an der Beitragsordnung der jeweiligen Kammereinrichtung zu orientieren.
21 Subsidiär wären in verfassungsrechtskonformer Interpretation des § 18 Abs. 1 Z 2 und Abs. 3 Z 2 EStG 1988 die strittigen Zahlungen als Beiträge der freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung bzw. vergleichbare Beiträge an Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen anzusehen und insoweit auch zur Gänze unbegrenzt (als Sonderausgaben) abziehbar, soweit diese Beiträge in der Folge zu pensionsartigen Bezügen iSd § 25 Abs. 1 Z 3 lit. b EStG 1988 führten. Entgegen der Ansicht des Finanzamts seien die strittigen Beitragsleistungen zum Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen keine „freiwilligen Höherversicherungsbeiträge“, sondern betragsmäßig unzweifelhaft zur Gänze „gesetzliche Pflichtbeiträge“, die sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach auf Basis der Reglements der Satzung und Versorgungsordnung der Landesärztekammer Hessen bemessen worden seien. Laut Sach- und Aktenlage bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Höhe der in Rede stehenden „Pflichtbeitragsleistungen“ zum ausländischen Versorgungswerk auf einem freien Willensentschluss beruhe.
22 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamtes. Als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wird vorgebracht, es liege noch keine Rechtsprechung dazu vor, ob Beiträge an ein deutsches Versorgungswerk dem Grunde und der Höhe nach unter Anwendung des Art. 15 Abs. 7 DBA‑Deutschland unbegrenzt abzugsfähig seien.
23 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
25 Art. 15 Abs. 7 DBA‑Deutschland lautet:
„(7) Beiträge, die für eine in einem Vertragsstaat unselbständig tätige Person an eine in dem anderen Vertragsstaat errichtete und dort steuerlich anerkannte Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge geleistet werden, sind in dem erstgenannten Staat bei der Ermittlung des von der Person zu versteuernden Einkommens in der gleichen Weise, unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen zu behandeln wie Beiträge an in diesem erstgenannten Staat steuerlich anerkannte Einrichtungen der Krankheits- und Altersvorsorge, sofern
a) die Person unmittelbar vor Aufnahme ihrer Tätigkeit nicht in diesem Staat ansässig war und bereits Beiträge an die Einrichtungen der Krankheits- und Altersvorsorge entrichtete, und
b) die zuständige Behörde dieses Vertragsstaats festgestellt hat, dass die Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge allgemein denjenigen Einrichtungen entspricht, die in diesem Staat als solche für steuerliche Zwecke anerkannt sind.
Für die Zwecke dieses Absatzes
a) bedeutet ‚Einrichtung der Krankheitsvorsorge‘ jede Einrichtung, bei der die unselbständig tätige Person und ihre Angehörigen im Fall einer krankheitsbedingten vorübergehenden Unterbrechung ihrer unselbständigen Arbeit zum Empfang von Leistungen berechtigt sind;
b) bedeutet ‚Einrichtung der Altersvorsorge‘ eine Einrichtung, an der die Person teilnimmt, um sich im Hinblick auf die in diesem Absatz erwähnte unselbständige Arbeit Ruhestandseinkünfte zu sichern;
c) ist eine ‚Einrichtung der Krankheits- und Altersvorsorge‘ in einem Staat für steuerliche Zwecke anerkannt, wenn hinsichtlich der an diese Einrichtungen geleisteten Beiträge Steuerentlastungen zu gewähren sind.“
26 Gemäß § 16 Abs. 1 Z 4 lit. e EStG 1988 zählen zu den Werbungskosten:
„Pflichtbeiträge zu Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen, soweit diese Einrichtungen der Kranken-, Unfall-, Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung dienen; weiters Beiträge zu einer inländischen gesetzlichen Krankenversicherung sowie Beiträge zu einer Krankenversicherung auf Grund einer in- oder ausländischen gesetzlichen Versicherungspflicht. Beiträge zu Einrichtungen, die der Krankenversorgung dienen, Beiträge zu inländischen gesetzlichen Krankenversicherungen sowie Beiträge zu einer Krankenversicherung auf Grund einer in- oder ausländischen gesetzlichen Versicherungspflicht sind nur insoweit abzugsfähig, als sie der Höhe nach insgesamt Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechen.“
27 Gemäß § 18 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 besteht für Ausgaben im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 2 bis 4 EStG 1988 mit Ausnahme der Beiträge für eine freiwillige Weiterversicherung einschließlich des Nachkaufs von Versicherungszeiten in der gesetzlichen Pensionsversicherung und vergleichbarer Beiträge an Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen ein einheitlicher Höchstbetrag von 2.920 € jährlich.
28 Im angefochtenen Erkenntnis wird ausgeführt, dass gemäß der Versorgungsordnung der Landesärztekammer Hessen die monatlichen Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen für angestellte Ärztinnen und Ärzte, die von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 deutsches Sozialgesetzbuch ‑ Sechstes Buch ‑ befreit sind, 19,6 % der Bruttobezüge, höchstens jedoch 1.097,60 € betragen. Der Akt des Bundesfinanzgerichts enthält Unterlagen der Landesärztekammer Hessen, denen zu entnehmen ist, dass die monatlichen Pflichtbeiträge für Ärztinnen und Ärzte, die keinen Befreiungsantrag von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 deutsches Sozialgesetzbuch ‑ Sechstes Buch ‑ gestellt haben und denen eine Beitragsermäßigung gemäß § 9 Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerkes zukommt, 9,8 % der Bruttobezüge, höchstens monatlich 548,80 € betragen.
29 Die angesprochene Bestimmung des § 9 Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen lautet:
„Für angestellte Kammerangehörige, die nicht von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI befreit sind, ermäßigt sich der Pflichtbeitrag auf 50 %. Gleiches gilt für Kammerangehörige, die Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten sind und in einem der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren Alterssicherungssystem pflicht- oder freiwillig versichert sind und entsprechende Beiträge entrichten.“
30 Aus der Aktenlage ergibt sich, das Dr. H aufgrund ihrer in Österreich ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit in den Streitjahren in Österreich Sozialversicherungsbeiträge (auf Basis der Höchstbeitragsgrundlage) entrichtet hat. In den Lohnzetteln ist die Höhe der für die laufenden Bezüge entrichteten Sozialversicherungsbeiträge angeführt (2007: 8.064 €; 2008: 6.881,20 €; 2009: 7.038,52 €).
31 Bei der österreichischen Sozialversicherungspflicht könnte es sich um ein „der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare[s] Alterssicherungssystem“ im Sinn des § 9 Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen handeln.
32 Das Bundesfinanzgericht, das die von Dr. H an das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen entrichteten Beträge als „Pflichtbeiträge“ wertete, hat sich trotz der offenkundig gegebenen österreichischen Sozialversicherungspflicht nicht mit der Bestimmung des § 9 Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen und einer daraus allenfalls resultierenden Verminderung der Beitragspflicht auseinandergesetzt. Damit erweist sich das angefochtene Erkenntnis als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
33 Das Bundesfinanzgericht führt im angefochtenen Erkenntnis weiter aus, die Beiträge könnten gemäß § 18 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 unbegrenzt absetzbare Sonderausgaben in Form der freiwilligen Weiterversicherung (der freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung vergleichbare Beiträge an Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen) darstellen, insoweit diese Beiträge in der Folge zu pensionsartigen Bezügen iSd § 25 Abs. 1 Z 3 lit. b EStG 1988 führten.
34 Diese Alternativbegründung vermag das angefochtene Erkenntnis schon deshalb nicht zu tragen, weil das Bundesfinanzgericht keine Feststellungen darüber trifft, welcher Teil der in Rede stehenden Beitragszahlungen zu solchen pensionsartigen Bezügen führt.
35 Werden Beiträge geleistet, die über die Höhe der Pflichtbeiträge hinausgehen, entspricht der die Pflichtbeiträge übersteigende Teil der Zahlungen nicht einer „Weiterversicherung“, sondern einer „Höherversicherung“, welche nur im Rahmen der Höchstbeträge des § 18 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 21.11.2013, 2010/15/0199).
36 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 29. März 2022
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