VwGH Ra 2021/19/0043

VwGHRa 2021/19/00432.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des R G in B, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2020, W150 2197003‑1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190043.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Daikundi, stellte am 11. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit einer Verfolgung durch die Taliban begründete.

2 Mit Bescheid vom 19. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 22. Juni 2020 ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG ‑ soweit für das Revisionsverfahren relevant ‑ aus, dem Revisionswerber sei es weder hinsichtlich der behaupteten Bedrohung durch die Taliban noch zur behaupteten Verfolgung der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft gelungen, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen, auch nicht im Zusammenhang mit dem in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgebrachten „Abfall vom Islam“. Dieses Vorbringen sei nicht glaubwürdig. Dem Revisionswerber stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen. Im Rahmen der Interessenabwägung hielt das BVwG zur Integration des Revisionswerbers fest, er halte sich seit Februar 2016 in Österreich auf, verfüge über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2, treibe regelmäßig Sport, habe Kontakt zu Personen aus unterschiedlichen Nationen im „Weltcafé“, arbeite stundenweise im Altersheim und sei dem ‑ pandemiebedingt ausgesetzten ‑ Ausbildungsprogramm der Freiwilligen Feuerwehr beigetreten. Darin sei keine außergewöhnliche Integration im Sinne der Rechtsprechung zu erkennen. Der Revisionswerber habe enge Bindungen zu seinem Herkunftsstaat und familiäre Anknüpfungspunkte vor Ort. Die privaten Interessen des Revisionswerbers würden gegenüber den öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften in den Hintergrund treten.

5 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 26. November 2020, E 2421/2020‑14, ab und trat diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 23. Dezember 2020, E 2421/2020‑16, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen gegen das vom BVwG geführte Ermittlungsverfahren sowie die rechtliche Beurteilung des BVwG hinsichtlich des vorgebrachten Abfalls des Revisionswerbers vom Islam und die im Rahmen der Rückkehrentscheidung durchgeführte Interessenabwägung.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Soweit sich die Revision gegen die Begründung des BVwG zur behaupteten Apostasie wendet und dazu Ermittlungsmängel vorbringt, ist Folgendes festzuhalten:

Das BVwG legt in seiner Begründung offen, aus welchen Gründen es dieses, erstmals in der mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen für nicht glaubwürdig hielt. Dazu führt es aus, dass die Zugehörigkeit zum Islam nicht abhängig sei von der Mitgliedschaft bei einer in Österreich gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft. Das BVwG wies dabei auch darauf hin, dass die Urkunde den Austritt des Revisionswerbers, der dem schiitischen Zweig des Islam angehörte, aus der sunnitisch‑hanefitisch dominierten Islamischen Glaubensgemeinschaft beinhaltete. Der Austritt habe bestenfalls eine lokale Bedeutung und werde auch nicht an andere Länder weitergeleitet. Der Revisionswerber habe auch selbst angegeben, weder seine Angehörigen noch Repräsentanten seines Heimatlandes von seinem Sinneswandel informiert zu haben. Die Gebetstätigkeit finde nicht im öffentlichen Rahmen statt, ebenso wenig das Fasten. Mangels objektiver Überprüfbarkeit der Einhaltung religiöser Vorschriften liege kein gesteigertes Gefahrenpotential für den Revisionswerber vor. Selbst bei Wahrunterstellung erwüchse in casu somit für den Revisionswerber keinerlei Nachteil oder erhöhtes Gefährdungspotential, weil dieser im Gegensatz zu Angehörigen anderer, offiziell unerwünschter oder gar verbotener Konfessionen keinerlei Rituale oder Verhaltensregeln zu befolgen habe, welche ihn tatsächlich als nach außen hin konfessionslos erkennbar machen würden. Auch sei in großen Städten eine lückenlose Kontrolle in den Moscheen nicht gegeben. Ein Abfall vom Islam sei auch angesichts des Umstandes, dass der Revisionswerber weiterhin seinen in höchstem Maße islamisch‑religiös konnotierten Vornamen („Geist Gottes“ ein Begriff, der zB eulogisch dem im Islam als Propheten anerkannten „Jesus“ beigegeben werde) führe, nicht erkennbar.

12 Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre (zum Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. VwGH 3.3.2020, Ra 2019/18/0447, mwN).

13 Werden Verfahrensmängel ‑ wie Ermittlungs- und Begründungsmängel zu den Länderfeststellungen zur Apostasie ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0170, mwN). Dies setzt voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Verweise auf Berichte und Wiedergaben aus derartigen Berichten ohne konkreten Bezug zum vorliegenden Fall sowie die bloße Behauptung, es hätte sich die Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner Apostasie herausgestellt, genügen dem nicht.

14 Wenn die Revision dazu auch erstmals ins Treffen führt, dass der Revisionswerber sich bereits mehrere Jahre in einer römisch-katholischen Pfarrgemeinde sehr engagiere, ist dem entgegenzuhalten, dass der Berücksichtigung dieses Vorbringens das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegensteht und dieses Vorbringen schon deswegen im Revisionsverfahren keine Beachtung finden kann (vgl. VwGH 6.5.2020, Ra 2020/20/0093, mwN).

15 Wenn in der Revision schließlich betreffend die Rückkehrentscheidung die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK gerügt wird, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/19/0304, mwN). Zudem ist der Revision entgegenzuhalten, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 14.9.2020, Ra 2020/18/0357, mwN). Liegt ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig vorausgesetzt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246, mwN). Dass eine derartige außergewöhnliche Integration im vorliegenden Fall gegeben wäre, wird von der Revision nicht dargelegt und lässt sich den Feststellungen des BVwG auch nicht entnehmen.

16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 2. März 2021

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