VwGH Ra 2021/18/0219

VwGHRa 2021/18/021923.6.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S K, vertreten durch Mag.a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2020, W104 2195248‑1/26E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §52
BFA-VG 2014 §33 Abs4
BFA-VG 2014 §33 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180219.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Ghazni, beantragte am 19. Oktober 2015 internationalen Schutz. Er brachte zusammengefasst vor, von der afghanischen Polizei mit dem Tode bedroht zu werden, weil er in seiner Buchhandlung christliche Bücher verkauft habe.

2 Mit Bescheid vom 4. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, es sei zwar glaubhaft, dass der Revisionswerber in seiner Heimat eine Buchhandlung geführt habe, nicht jedoch, dass er dort christliche Bücher verkauft habe und deshalb von der afghanischen Polizei verfolgt werde. Er benötige deshalb keinen asylrechtlichen Schutz. Auch subsidiärer Schutz sei ihm nicht zu gewähren, weil ihm ungeachtet der volatilen Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den afghanischen Städten Herat oder Mazar‑e Sharif zur Verfügung stehe. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine Abwägung der für und gegen den Verbleib des Revisionswerbers im Bundesgebiet sprechenden Umstände nach Art. 8 EMRK vor und kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 24. Februar 2021, E 4310/2020‑7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 6. April 2021, E 4310/2020-9, zur Entscheidung abtrat.

6 Die vorliegende Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen, vom Revisionswerber vorgelegte Unterlagen keiner näheren Prüfung unterzogen und sich beweiswürdigend maßgeblich auf ein länderkundliches Sachverständigengutachten gestützt, das den von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen aber nicht entsprochen habe. Im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung habe das BVwG bei seiner Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK relevante - näher bezeichnete -Aspekte nicht einbezogen bzw. diese falsch gewichtet.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8 Das BVwG hat das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nach mündlicher Verhandlung für nicht glaubhaft erachtet. Im Beschwerdeverfahren wurden von Hilfspersonen des länderkundlichen Sachverständigen im Auftrag des BVwG auch Ermittlungen vor Ort durchgeführt, um einzelne Angaben des Revisionswerbers zu überprüfen. Soweit die Revision die dabei erzielten Beweisergebnisse in Frage stellt, ist ihr zuzugeben, dass der Verwaltungsgerichtshof solche Beweisergebnisse regelmäßig nicht als Sachverständigengutachten im Sinn des § 52 AVG, sondern als Beweismittel eigener Art angesehen hat, die auf Grund der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf asylrechtlich relevante Sachverhalte im Heimatland des Asylwerbers im Sinn des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein können. Bei deren Würdigung ist aber stets zu berücksichtigen, dass die Qualifikation und die Vorgangsweise der ermittelnden Privatpersonen sich einer Kontrolle weitgehend entziehen und sie im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinn des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden können. Den von diesen Privatpersonen mit Auskunftspersonen im Herkunftsstaat des Asylwerbers geführten Gesprächen kommt nicht die Qualität von Zeugeneinvernahmen zu. Es werden darüber regelmäßig auch keine Protokolle erstellt, die den Asylbehörden oder dem Asylwerber zur Verfügung gestellt werden könnten. Darauf ist in der Beweiswürdigung entsprechend Bedacht zu nehmen (vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, mwN).

9 Der Revision gelingt es nicht darzutun, dass das BVwG diesen Anforderungen nicht entsprochen hätte. Entgegen dem Revisionsvorbringen stützte sich das BVwG auch nicht tragend auf die Ergebnisse der Vor‑Ort‑Recherchen des Sachverständigen, sondern auf eine eingehende Überprüfung von Ungereimtheiten in den Angaben des Revisionswerbers, die durch die Rechercheergebnisse lediglich bestätigt worden seien. Die beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG wurden in der angefochtenen Entscheidung im Einzelnen dargestellt; sämtliche Beweisergebnisse wurden in diese Erwägungen einbezogen. Die Revision vermag unter Bedachtnahme auf alle diese Gesichtspunkte keine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des BVwG (und nur eine solche wäre im Revisionsverfahren aufzugreifen; vgl. dazu etwa VwGH 18.1.2021, Ra 2020/18/0521, mwN) aufzuzeigen.

10 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung und die dabei vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK wendet, ist festzuhalten, dass diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 12.5.2021, Ra 2020/18/0260, mwN).

11 Die Revision vermag nicht darzulegen, dass das BVwG bei seiner Interessenabwägung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wäre. Das BVwG führte an, dass der Revisionswerber gemessen an seiner fünfjährigen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet zwar beachtliche Integrationserfolge erzielt habe (ehrenamtliche Tätigkeiten, sportliche Erfolge, Beziehung zu einer österreichischen Freundin, mit der allerdings keine Lebensgemeinschaft bestehe), diese aber dadurch relativiert würden, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Es bezog in seine Abwägung auch ein, dass der Revisionswerber den Großteil seines bisherigen Lebens in Afghanistan verbracht habe, sich dort noch zahlreiche Verwandte befänden und er weiterhin eine ausgeprägte Bindung zum Herkunftsstaat habe. Im Folgenden stellte es den privaten Interessen des Revisionswerbers das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber, das es ‑ näher begründet ‑ höher gewichtete.

12 Die Revision argumentiert, das BVwG habe die für die Interessenabwägung relevanten Aspekte falsch gewichtet und verweist dazu insbesondere auf die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich, auf dessen ehrenamtliche Tätigkeiten, auf die sportlichen Erfolge als Kickboxer und die strafrechtliche Unbescholtenheit des Revisionswerbers. Alle diese Umstände wurden vom BVwG jedoch in seine Erwägungen einbezogen; das erzielte Ergebnis war nach dem Maßstab der höchstgerichtlichen Judikatur zumindest vertretbar.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. Juni 2021

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