VwGH Ra 2021/18/0050

VwGHRa 2021/18/00505.5.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. I A, 2. R O, 3. M A und 4. K A, alle vertreten durch Mag. Manuel Dietrich, Rechtsanwalt in 6971 Hard, In der Wirke 3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. November 2020, L507 2151199‑1/17E, L507 2151207‑1/17E, L507 2151205‑1/8E, L507 2151203‑1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180050.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien, alle libanesische Staatsangehörige, sind Mitglieder einer Familie (der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Ehegatten, die Drittrevisionswerberin und der in Österreich geborene Viertrevisionswerber sind ihre gemeinsamen Kinder).

2 Sie beantragten im Oktober 2015 bzw. im Dezember 2016 (nach der Geburt des Viertrevisionswerbers) internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen gaben sie an, aufgrund einer Auseinandersetzung mit Mitgliedern der Hisbollah und darauffolgenden Drohungen aus dem Libanon geflüchtet zu sein.

3 Mit Bescheiden vom 8. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diese Anträge zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Libanon zulässig sei, und setzte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

5 Begründend kam das BVwG in einer ausführlichen Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin die behaupteten Bedrohungen im Libanon nicht glaubhaft gemacht hätten. Andere Asylgründe seien für alle revisionswerbenden Parteien nicht hervorgekommen. Auch subsidiärer Schutz sei ihnen ‑ nicht zuletzt wegen ihrer noch vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte in der Heimat, die sie bei Rückkehr unterstützen könnten ‑ nicht zu gewähren. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine Abwägung der für den Verbleib bzw. die Rückkehr der revisionswerbenden Parteien sprechenden Interessen vor, bei der es insbesondere die Frage des Kindeswohls der Drittrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers thematisierte und näher darlegte, weshalb es davon ausgehe, dass den Kindern eine Übersiedlung in den Libanon (gemeinsam mit den Eltern) zumutbar sei und sie sich dort aufgrund ihres anpassungsfähigen Alters integrieren könnten.

6 Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 18. Jänner 2021, E 4582‑4585/2020‑5, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.

7 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zur Zulässigkeit geltend, das BVwG habe sich weder mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien noch mit ihrer Herkunft und ihrer Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft auseinandergesetzt. Es habe unterlassen, zur Gefahrenlage im Libanon ausreichende Recherchen anzustellen und (aktuelle) Länderfeststellungen zu treffen. Zudem stehe der angefochtenen Entscheidung die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Kindeswohl entgegen. Die Drittrevisionswerberin sei nämlich im zweiten Lebensjahr nach Österreich gekommen, der Viertrevisionswerber sei hier geboren worden. Das BVwG habe es unterlassen, eine Abwägung des Kindeswohls vorzunehmen.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

9 Das Vorbringen der Revision, das BVwG habe sich mit dem Fluchtvorbringen der revisionswerbenden Parteien, ihrer Herkunft und ihrer Religionszugehörigkeit nicht auseinandergesetzt, trifft nicht zu. Auch die Behauptung der Revision, die Länderfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis wären nicht (mehr) aktuell, wird nicht näher begründet. Der Revision gelingt es somit nicht, in Bezug auf die Nichtgewährung von internationalem Schutz einen relevanten Verfahrensmangel darzutun, der im Revisionsverfahren aufzugreifen wäre.

10 Zur Rückkehrentscheidung verweist die Revision zwar grundsätzlich zutreffend auf die Notwendigkeit, bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFA‑VG vorzunehmenden Abwägung auch das Kindeswohl der minderjährigen Drittrevisionswerberin bzw. des Viertrevisionswerbers in Betracht zu ziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind dabei insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen die Kinder im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. etwa VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, mwN).

11 Das BVwG hat diese höchstgerichtlichen Leitlinien im angefochtenen Erkenntnis zitiert und sich anschließend mit der Situation der revisionswerbenden Kinder, sowohl in Bezug auf die Verhältnisse in Österreich, als auch bei einer Rückkehr in den Libanon befasst. Das dabei erzielte Ergebnis, ihre gemeinsame Ausreise mit den Eltern stelle keine unverhältnismäßige Härte dar, ist vor allem angesichts ihres anpassungsfähigen Alters und der vorhandenen familiären Bezüge im Libanon, die ihre dortige Ansiedlung unterstützen können, nicht als unvertretbar anzusehen.

12 Die Revision beschränkt sich auf das unstrittige Vorbringen, dass die Drittrevisionswerberin in sehr jungem Alter (mit zwei Jahren) nach Österreich gekommen und der Viertrevisionswerber sogar erst hier geboren worden seien. Das allein führt nach dem bisher Gesagten aber nicht dazu, dass die (im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG sieben‑ und knapp vierjährigen) Kinder unter dem Blickwinkel des Kindeswohls in Österreich verbleiben dürften. Weitere konkrete Umstände, die vom BVwG in diesem Zusammenhang nicht beachtet oder unrichtig beurteilt worden wären, führt die Revision hingegen nicht an.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Mai 2021

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