European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180028.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 26. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte zusammengefasst vor, sich zum christlichen Glauben zu bekennen, in Edo State im Süden Nigerias geboren worden zu sein und dort die Schule besucht zu haben. Im Jahr 2008 seien er und seine Eltern in den Norden Nigerias in die Provinz Gombe gezogen und hätten sich dort niedergelassen. Im Dezember 2015 sei die Familie in Gombe von der islamistischen Gruppierung Boko Haram überfallen und die Eltern getötet worden; der Revisionswerber habe daraufhin die Flucht ergriffen.
2 Mit Bescheid vom 14. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dass dem Vorbringen des Revisionswerbers, wonach ein Anschlag auf sein Elternhaus stattgefunden habe, bei dem seine Eltern getötet worden seien, zwar Glauben geschenkt werde, der Revisionswerber jedoch keine konkret gegen ihn gerichtete, individuelle Verfolgung glaubhaft gemacht habe. Selbst bei Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung im Norden des Landes stünde dem Revisionswerber aber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative im Süden Nigerias offen, wo er auch geboren worden sei und die ersten Lebensjahre verbracht habe. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine Interessenabwägung durch, in der es die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet von über vier Jahren, seine Deutschkenntnisse, den absolvierten Pflichtschulabschluss sowie seine ehrenamtliche Tätigkeit berücksichtigte und zu dem Ergebnis kam, dass trotz der zugestandenen Integrationserfolge die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 9. Dezember 2020, E 4095/2020‑5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, das BVwG habe sich nicht mit den EASO‑Richtlinien zu Nigeria vom Februar 2019 auseinandergesetzt, die gebotenen Prüfschritte zur Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht eingehalten und im Rahmen der Interessenabwägung im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung die vorgelegte Einstellungszusage nicht berücksichtigt.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Soweit der Revisionswerber EASO‑Richtlinien zu Nigeria vom Februar 2019 ins Treffen führt, wonach eine Verfolgung durch die Gruppierung Boko Haram in der Regel asylrelevant sei und Christen in Gebieten, in denen Boko Haram aktiv sei, einem besonderen Risiko ausgesetzt seien, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG hilfsweise auch auf das Vorhandensein einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Süden Nigerias verwiesen hat. Dass dem Revisionswerber, der in diesem Landesteil geboren wurde und dort zur Schule gegangen ist, eine Wiederansiedlung im christlichen Süden nicht möglich und zumutbar wäre, vermag die Revision nicht darzulegen. Soweit sie auf die aktuelle COVID‑19 Pandemie verweist, zeigt sie nicht hinreichend auf, dass allein diese einer Wiederansiedlung in dieser Region entgegenstünde.
12 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung richtet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie, wie vorliegend der Fall, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt ist und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/18/0466, mwN).
13 Das Vorbringen, wonach sich das BVwG im Rahmen der Rückkehrentscheidung nicht mit der vorgelegten Einstellungszusage auseinandergesetzt habe, trifft nicht zu. Das BVwG hat festgehalten, dass zwar eine Einstellungszusage vorliege, diese vermöge jedoch nichts daran zu ändern, dass der Revisionswerber zum Entscheidungszeitpunkt Leistungen aus der Grundversorgung beziehe und nicht selbsterhaltungsfähig sei. Zudem ist fallbezogen nicht ersichtlich, dass selbst bei Bejahung der Selbsterhaltungsfähigkeit zwingend vom Überwiegen der privaten Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich auszugehen gewesen wäre (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/18/0457 und 0458, mwN). Der Revision gelingt es daher nicht, eine Unvertretbarkeit der Interessenabwägung im oben genannten Sinn aufzuzeigen.
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 22. Februar 2021
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