Normen
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §35
AsylG 2005 §35 Abs4
AsylG 2005 §35 Abs4 Z3
AsylG 2005 §60 Abs2
AsylG 2005 §60 Abs2 Z1
AsylG 2005 §60 Abs2 Z2
AsylG 2005 §60 Abs2 Z3
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
MRK Art8
MRK Art8 Abs1
NAG 2005 §46
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180016.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers. Sie beantragten am 4. September 2019 die Erteilung von Einreisetiteln gemäß § 35 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) bei der Österreichischen Botschaft Islamabad und gaben an, die Ehefrau beziehungsweise das minderjährige Kind eines in Österreich subsidiär schutzberechtigten afghanischen Staatsangehörigen zu sein.
2 Diese Anträge wurden dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zugeleitet, das nach Prüfung mitteilte, die Gewährung des Status der Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens sei nicht wahrscheinlich. Es legte dar, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 nicht erfüllt seien, weil die Bezugsperson keine ausreichenden Einkünfte aufweisen könne sowie keine adäquate Unterkunft nachgewiesen worden sei. Es stehe fest, dass der Zweitrevisionswerber der Sohn der Bezugsperson sei. Bei der Prüfung der Familienangehörigeneigenschaft der Erstrevisionswerberin ergebe sich, dass eine ordre‑public‑widrige Stellvertreterehe vorliege; das Vorliegen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sei jedoch zu bejahen.
3 Die revisionswerbenden Parteien übermittelten zu dieser Mitteilung eine Stellungnahme, in der sie ausführten, dass bei der Eheschließung beide Ehepartner anwesend gewesen seien. Die Einreise der revisionswerbenden Parteien sei zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.
4 Das BFA teilte im Hinblick auf diese Stellungnahme der Österreichischen Botschaft Islamabad mit, dass die negative Wahrscheinlichkeitsprognose aufrechterhalten werde.
5 Mit Bescheid vom 2. Juli 2020 wies die Österreichische Botschaft Islamabad daraufhin den Antrag der revisionswerbenden Parteien ab und verwies in ihrer Begründung auf die Stellungnahme des BFA vom 19. Februar 2020.
6 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 35 AsylG 2005 als unbegründet ab. Die Revision erklärte es nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
7 Begründend führte das BVwG aus, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 und 3 AsylG 2005 seien nicht erfüllt. Betreffend den Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 erwog das BVwG, dass die öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie an der Vermeidung finanzieller Belastungen der Gebietskörperschaft gegenüber den persönlichen Interessen der revisionswerbenden Parteien an der Fortsetzung des Familienlebens überwögen. Es lasse sich aus der Bestimmung des § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 nicht ableiten, dass die Voraussetzungen für einen Einreisetitel immer schon dann erfüllt seien, wenn überhaupt der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK eröffnet sei. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er die Erfüllung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 nur für jene seltenen Fälle vorsehen habe wollen, in denen trotz Familienangehörigeneigenschaft kein Familienleben vorliege. Die unter Gesetzesvorbehalt stehende Regelung des Art. 8 EMRK schreibe auch nicht vor, dass in Fällen der Familienzusammenführung jedenfalls der Status von Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit und in der Sache geltend macht, das BVwG habe im Hinblick auf das Erfordernis des Nachweises einer ortsüblichen Unterkunft die Rechtslage verkannt, weil nicht der Nachweis über die tatsächliche Verfügbarkeit einer Unterkunft zu erbringen sei, sondern lediglich der Rechtsanspruch auf eine solche nachgewiesen werden müsse. Des Weiteren sei einem Fremden ein „Aufenthaltstitel“ (gemeint wohl: Einreisetitel) zu erteilen, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten sei. Im vorliegenden Fall bestehe zwischen der Bezugsperson und den revisionswerbenden Parteien eine enge familiäre Beziehung. Die Erstrevisionswerberin sei die Ehefrau und der Zweitrevisionswerber das eheliche Kind der Bezugsperson. Schließlich sei das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, der Grad der Integration der Bezugsperson sowie dessen Unbescholtenheit nicht überprüft worden.
9 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 § 35 Abs. 2, 4 und 5 Asylgesetz 2005, https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/I/2005/100 in der Fassung https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/I/2018/56 , lauten:
„(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.
[...]
(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn
1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),
2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und
3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA‑VG zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.
Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.
(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.“
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt erkannt, dass die Vertretungsbehörde im Ausland an die Mitteilung des BFA über die Prognose einer Asylgewährung gebunden ist, und zwar sowohl an eine negative als auch an eine positive Mitteilung. Allerdings steht es dem BVwG offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an die antragstellende Partei auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Gegenstand der Überprüfung durch das BVwG ist dabei, ob die Prognose des BFA hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an die antragstellende Partei im Rahmen eines (späteren) Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 zutreffend erfolgt ist und ob die sonstigen Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 AsylG 2005 erfüllt sind (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0124 bis 0128, mwN).
14 Vorauszuschicken ist, dass das BVwG im angefochtenen Erkenntnis davon ausging, dass die revisionswerbenden Parteien ‑ ungeachtet der ursprünglichen Zweifel des BFA an der Eheschließung ‑ Familienangehörige der in Österreich aufhältigen Bezugsperson im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 sind (zu den diesbezüglichen Feststellungspflichten vgl. zuletzt VwGH 31.5.2021, Ra 2020/01/0284 bis 0288, mwN).
15 Da die Bezugsperson im vorliegenden Fall subsidiär schutzberechtigt ist, hatten die revisionswerbenden Parteien hinsichtlich der Erteilungsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 die entsprechenden Nachweise zu erbringen. Das BVwG stellte dazu fest, dass es den revisionswerbenden Parteien nicht gelungen sei, nachzuweisen, dass ihr Aufenthalt nicht zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen würde und überdies kein aktueller Nachweis über das Bestehen einer ortsüblichen Unterkunft vorgelegt worden sei.
16 Sofern sich die Revision gegen die Beurteilung des BVwG wendet, wonach es den revisionswerbenden Parteien nicht gelungen sei, eine ortsübliche Unterkunft im Sinne des § 60 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 nachzuweisen, gelingt es ihr nicht, die Zulässigkeit der Revision darzulegen, weil sich das BVwG darüber hinaus darauf stützte, dass der Aufenthalt der revisionswerbenden Parteien auch zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinne des § 60 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 führen würde. Dem hält die Revision jedoch nichts Stichhaltiges entgegen.
17 Der Revision ist jedoch insofern beizupflichten, als das Gericht gemäß § 35 Abs. 4 Z 3 letzter Halbsatz AsylG 2005 überprüfen hätte müssen, ob die Erteilung eines Einreisetitels unabhängig von der Erfüllung dieser Nachweise aus Gründen des Art. 8 EMRK im vorliegenden Fall geboten ist.
18 Das BVwG hielt in diesem Zusammenhang fest, dass die öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie an der Vermeidung finanzieller Belastungen der Gebietskörperschaft gegenüber den persönlichen Interessen der revisionswerbenden Parteien an der Fortsetzung des Familienlebens überwögen. Auch könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er die Erfüllung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 nur für jene seltenen Fälle vorsehen habe wollen, in denen trotz Familienangehörigeneigenschaft kein Familienleben vorliege. Die Verfahren nach dem Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) stellten in Österreich den gesetzlich vorgesehenen Weg für einwanderungswillige Drittstaatsangehörige dar. Nur wenn eine Familienzusammenführung nach dem NAG nicht hinreiche, komme die Regelung des § 35 Abs. 4 Z 3 letzter Halbsatz AsylG 2005 zum Tragen. Die familiäre Situation könne vorliegend nicht so außergewöhnlich angesehen werden, dass § 46 NAG nicht hinreiche.
19 Bei diesen Ausführungen übersieht das Gericht, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, dass die Rechtsauffassung, wonach die Regelung des § 35 Abs. 4 Z 3 letzter Halbsatz AsylG 2005 nur dann zum Tragen komme, wenn ausnahmsweise eine Familienzusammenführung im Grunde von § 46 NAG nicht hinreiche, sondern Art. 8 EMRK die Zuerkennung eines asylrechtlichen Schutzstatus für den Familienangehörigen nach §§ 34 und 35 AsylG 2005 gebiete, unzutreffend ist. Eine Subsidiarität der Bestimmungen des § 35 AsylG 2005 zu den Vorschriften des NAG in dem im angefochtenen Erkenntnis dargestellten Sinn ist nicht gegeben. In den Fällen, in denen § 34 Abs. 2 AsylG 2005 gilt, kommt nur eine Titelerteilung nach § 35 AsylG 2005 und nicht nach dem NAG in Betracht (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0299, 0316 bis 0318; VwGH 31.5.2021, Ra 2020/01/0284 bis 0288).
20 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits darauf hingewiesen, dass für die Frage, ob von der Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 aus Gründen des Art. 8 EMRK abzusehen ist, weitere Erwägungen betreffend die Möglichkeiten einer Familienzusammenführung nach dem NAG nicht anzustellen sind. Entscheidend ist vielmehr das Ergebnis einer Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK (vgl. wiederum VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0299, 0316 bis 0318).
21 Entgegen der Rechtsansicht des BVwG hätte es im Lichte dieser Rechtsprechung gemäß § 35 Abs. 4 Z 3 letzter Halbsatz AsylG 2005 einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Erteilung der von den revisionswerbenden Parteien beantragten Einreisetitel zur Aufrechterhaltung des Privat‑ und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, bedurft.
22 Dem angefochtenen Erkenntnis ist allerdings keine den Anforderungen des Art. 8 EMRK entsprechende Abwägung der für und gegen eine Verweigerung des beantragten Einreisetitels sprechenden öffentlichen und familiären Interessen zu entnehmen.
23 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR mit dem Zeitpunkt der Geburt entsteht (vgl. EGMR 21.6.1988, Berrehab, 10730/84; EGMR 26.5.1994, Keegan, 16969/90). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (vgl. EGMR 19.2.1996, Gül, 23218/94). Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und Kindern alleine führt jedenfalls nicht zur Beendigung des Familienlebens im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK, solange nicht jegliche Bindung gelöst ist (vgl. EGMR 24.4.1996, Boughanemi, 22070/93, und wiederum VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0299, 0316 bis 0318, mwN).
24 Es entspricht weiters der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, zu beachten ist, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist und ob auf Grund einer aus Asylgründen bedingten Trennung der Familie der Eingriff in das Familienleben als unzulässig zu werten wäre. Da der Bezugsperson der revisionswerbenden Parteien der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, steht im vorliegenden Fall bereits fest, dass eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsland nicht in Betracht kommt. In einem solchen Fall ist der mit der Verweigerung des Einreisetitels verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0242, mwN); es muss aber entsprechend der hg. Rechtsprechung dem öffentlichen Interesse am Eingriff in die privaten Interessen der Betroffenen ein sehr großes Gewicht beizumessen sein, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“ (vgl. in diesem Sinne etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0242; VwGH 31.5.2021, Ra 2020/01/0284 bis 0288, jeweils mwN).
25 Im vorliegenden Fall hat das BVwG weder aktuelle und konkrete Feststellungen zu Umfang und Intensität des Familienlebens der Bezugsperson zu den revisionswerbenden Parteien vor der Trennung bzw. Ausreise getroffen noch hat es Ermittlungen oder Feststellungen zum seit der Trennung bzw. Ausreise bestehenden Kontakt zwischen den Familienangehörigen und den Gründen der Trennung angestellt (ebenso VwGH 31.5.2021, Ra 2020/01/0284 bis 0288, mwN). Schließlich hat sich das BVwG auch nicht damit auseinandergesetzt, ob im Sinne der dargelegten Rechtsprechung dem öffentlichen Interesse fallgegenständlich ein besonderes Gewicht beikommt.
26 In seiner Abwägung hat sich das BVwG vielmehr darauf beschränkt, das öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften und der Vermeidung finanzieller Belastungen der Gebietskörperschaften (wie es auch in § 60 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 zum Ausdruck kommt) den persönlichen Interessen der revisionswerbenden Parteien an einer Fortsetzung des Familienlebens in Österreich gegenüberzustellen. Das erweist sich nach dem bisher Gesagten als nicht ausreichend, soll doch bei einem schützenswerten Familienleben im soeben dargestellten Sinn gerade eine Ausnahme von den Erfordernissen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 gemacht werden.
27 Aus den dargelegten Erwägungen hat das BVwG das angefochtene Erkenntnis mit (prävalierender) inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
28 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 1 Z 4 und Z 6 VwGG abgesehen werden.
29 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 1. Juli 2021
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