VwGH Ra 2021/14/0231

VwGHRa 2021/14/023119.7.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache der X Y, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf‑Dietrich‑Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2021, W212 2202484‑1/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140231.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist eine serbische Staatsangehörige und der Volksgruppe der Roma zugehörig. Sie stellte am 17. Jänner 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie damit begründete, sie sei in Deutschland aufgewachsen und dann von Deutschland in den Kosovo abgeschoben worden. Sie habe dort zwei Jahre gelebt und sei dann nach Serbien gegangen. Sie habe dort kein Zuhause und sie befürchte im Falle der Rückkehr „auf der Straße schlafen zu müssen“.

2 Mit Bescheid vom 22. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) die aufschiebende Wirkung aberkannt.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Mai 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Soweit sich die Revision ‑ die sich ausdrücklich nicht gegen die Versagung des Status der Asylberechtigten wendet ‑ gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten richtet und vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht hätte ‑ die näher dargelegten ‑ Aspekte, wie die Volksgruppenzugehörigkeit der Revisionswerberin, ihr Aufwachsen in Deutschland, ihre psychische Erkrankung und die allgemeine Lage in Serbien, entsprechend berücksichtigen müssen und wäre dann zum Ergebnis gelangt, dass die Revisionswerberin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Lebensgrundlage in Serbien vorfinden könnte, zeigt sie keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

8 Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Gewährung von subsidiärem Schutz die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 28.12.2020, Ra 2020/14/0554, mwN).

9 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. etwa VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0287 bis 0288, mwN).

10 Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236, mwN).

11 Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2020/14/0553, mwN).

12 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich auch einen persönlichen Eindruck von der Revisionswerberin verschaffen konnte, ausführlich mit den einschlägigen Länderinformationen auseinandergesetzt und hat konkrete, sowohl die persönliche Situation der Revisionswerberin als auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat betreffende Feststellungen getroffen. Es kam zum Ergebnis, dass die grundlegende Versorgung der Revisionswerberin sowohl in wirtschaftlicher als auch in medizinischer Hinsicht bei einer Rückkehr nach Serbien gewährleistet sei. Die Revisionswerberin habe sich im Vorfeld ihrer Einreise nach Österreich selbständig in Serbien aufgehalten, wodurch sie mit den Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut sei. Sie sei arbeitsfähig, habe zahlreiche Angehörige, die sie unterstützen könnten, sie könne aber auch ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit und den allfälligen Bezug von Sozialleistungen finanzieren. Sie leide aktuell an keiner schwerwiegenden Erkrankung. Psychische Erkrankungen seien auch in Serbien einer Behandlung zugänglich.

13 Diesen Feststellungen wird in der Revision nicht substantiiert entgegengetreten, sondern auf allfällige Schwierigkeiten und Erschwernisse bei der zu erwartenden Lebensführung in Serbien hingewiesen, die das Verwaltungsgericht ohnehin einer Überprüfung unterzog. Wenn die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zur Unterstützungsfähigkeit ihrer Angehörigen und der sozio‑ökonomischen Lage von Angehörigen der Roma als aktenwidrig rügt, wendet sie sich der Sache nach gegen die diesbezügliche Beweiswürdigung, ohne die Unvertretbarkeit der beweiswürdigenden Überlegungen darzulegen (vgl. zum insoweit im Revisionsverfahren maßgeblichen Prüfkalkül etwa VwGH 15.6.2021, Ra 2020/14/00454, mwN).

14 Die Revision legt mit ihren Ausführungen somit nicht dar, dass im Fall der Revisionswerberin in Serbien solche exzeptionellen Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten.

15 Die Revision macht weiters einen Verfahrensmangel geltend und bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht sei dem Beweisantrag auf Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur „Abklärung der gesundheitlichen Verfassung der Revisionswerberin“ nicht nachgekommen.

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 26.8.2019, Ra 2019/20/0375, mwN).

17 Das Bundesverwaltungsgericht ist dem Beweisantrag der Revisionswerberin mit der Begründung nicht nachgekommen, dass zur Begründung dieses Antrages lediglich in allgemeiner Weise darauf verwiesen werde, dass dem gesundheitlichen Zustand der Revisionswerberin sowohl im Hinblick auf Art. 3 EMRK als auch Art. 8 EMRK Relevanz beizumessen sei, ohne darzulegen, welcher Sachverhalt durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens zusätzlich hätte festgestellt werden können. Die Revisionswerberin zeigte in ihrem Beweisantrag tatsächlich nicht auf, zum Beweis welcher konkreten Tatsachen das Gutachten dienen hätte sollen. Ein bloß allgemeines Vorbringen läuft nach der Rechtsprechung in der Regel auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet ist (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0332, mwN).

18 Vor diesem Hintergrund ist die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, den beantragten Beweis nicht aufnehmen zu müssen, somit nicht zu beanstanden.

19 Wenn sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung schließlich gegen die im Rahmen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA‑Verfahrensgesetz vorgenommene Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts wendet, ist anzumerken, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. VwGH 19.5.2021, Ra 2021/14/0039, mwN).

20 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen der Interessenabwägung alle fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände. Es bezog entgegen dem Revisionsvorbringen die psychische Erkrankung der Revisionswerberin und die Behandlungsmöglichkeiten in Serbien als auch ihre Bindung zum Herkunftsstaat in gebotener Weise mit ein, setzte sich aber auch mit dem kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet und den bis dato gesetzten Integrationsschritten auseinander.

21 Dass das Bundesverwaltungsgericht die Interessenabwägung in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte oder die Gewichtung der einbezogenen Umstände den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien widerspräche, zeigt die Revision indes nicht auf, zumal sie nicht von den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis ausgeht. Dem auf der eigenen Prämisse ‑ nämlich der Richtigkeit ihrer Angaben ‑ beruhenden Vorbringen in der Revision ist somit der Boden entzogen. Entfernt sich ‑ wie hier ‑ die Revision von den Feststellungen, ist das diesbezügliche Vorbringen nicht geeignet, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

22 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Juli 2021

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