Normen
AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §12a Abs2 Z2
AsylG 2005 §12a Abs2 Z3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140230.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Er stellte am 18. März 2003 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG). Mit Bescheid vom 17. November 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab, erkannte dem Revisionswerber gemäß § 8 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde aufgrund der in der Folge gestellten Anträge des Revisionswerbers verlängert.
2 Der Revisionswerber wurde in Österreich mehrfach straffällig und wurde vor allem wegen Vermögens‑ und Aggressionsdelikten siebenmal strafgerichtlich verurteilt.
3 Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 23. März 2012 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) von Amts wegen aberkannt, ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen und es wurde die Ausweisung in die Russische Föderation ausgesprochen.
4 Eine vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofs vom 30. Mai 2012 als verspätet zurückgewiesen.
5 Von 27. Februar 2018 bis 24. Juli 2020 befand sich der Revisionswerber in Strafhaft.
6 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 23. Juli 2020 wurde dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei. Unter einem wurde ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid wurde rechtskräftig.
7 Anlässlich einer Polizeikontrolle am 9. April 2021 stellte der Revisionswerber einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hob nach Einvernahme des Revisionswerbers mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 4. Mai 2021 den faktischen Abschiebeschutz des Revisionswerbers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. Die Behörde begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen sei, weil der entscheidungswesentliche Sachverhalt unverändert geblieben und kein neuer Sachverhalt vorgebracht worden sei.
9 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss sprach das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf § 12a Abs. 2 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA-VG) aus, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig sei und erklärte die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, der Revisionswerber habe im nunmehrigen Verfahren vorgebracht, dass er sich derzeit in Substitutionstherapie befinde. Das Bundesverwaltungsgericht habe im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand nicht ermittelt, welche Medikamente für die Substitutionsbehandlung des Revisionswerbers im Herkunftsstaat überhaupt in Frage kämen, ob eine solche Behandlung tatsächlich gewährleistet wäre und welche Folgen der Abbruch oder der Wechsel der Therapie zur Folge hätte. Das Bundesverwaltungsgericht habe den entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch Heranziehung veralteter und unvollständiger Berichte zur Verfügbarkeit der Substitution und durch Unterlassung der Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Ergebnissen der von ihm zitierten Accord‑Anfragebeantwotung vom 2. März 2017 nicht festgestellt. Bei Führung eines ordentlichen Verfahrens hätte das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass eine lückenlose und adäquate Substitutionstherapie für den Revisionswerber im Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation nicht tatsächlich verfügbar wäre und ihm aus diesem Grund eine massive Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und erhebliche Leiden, sohin eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe, und daher den faktischen Abschiebeschutz nicht aufgehoben. Der Revisionswerber habe hinsichtlich seines Gesundheitszustandes und der notwendigen Therapie einen neuen Sachverhalt vorgebracht, der im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz einer inhaltlichen Überprüfung auf die dargelegte mögliche Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte zu unterziehen sein werde. Es fehlten somit für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes zwei der drei in § 12a Abs. 2 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2017/18/0008). Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 26.1.2021, Ra 2020/14/0587, mwN; 23.9.2020, Ra 2020/01/0146, jeweils mit Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und 189 ff).
15 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Feststellungs-, Begründungs- und Ermittlungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2021/14/0057, mwN).
16 Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung lässt die Revision vermissen.
17 Das Bundesverwaltungsgericht legte seiner Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 und Z 3 AsylG 2005 zu Grunde, dass der Revisionswerber abgesehen von einer medikamentösen Substitutionstherapie gesund sei und an keiner lebensbedrohenden schweren Erkrankung leide, die durch die Überstellung in den Herkunftsstaat eine massive Verschlechterung erfahren würde. Dabei stützte sich das Gericht ‑ wie auch schon die Behörde ‑ auf Länderberichte zu Behandlungsmöglichkeiten der Drogensucht in der Russischen Föderation („letzte Änderung: 9.4.2020“) unter anderem auch aus dem Jahr 2019, wonach es im Herkunftsstaat ein Drogenersatzprogramm und Reha‑Kliniken für Drogenabhängigkeit gäbe. Soweit die Revision andere Quellen zur Verfügbarkeit einer Substitutionstherapie zitiert, führt sie jedoch nicht aus, welche weiteren oder sonstigen entscheidungswesentlichen Feststellungen fallbezogen in Bezug auf die persönliche Situation des Revisionswerbers und seine individuellen Umstände zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu einer abweichenden Entscheidung hätten führen können. Die Revision zeigt mit dem bloßen Hinweis auf eine „massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes und erhebliche Leiden“ zudem nicht auf, dass die vorgebrachte Krankheit jene vom EGMR in der Rechtssache Paposhvili gegen Belgien beschriebene Schwere und Intensität aufweist, welche dazu führen könnte, dass bei einer Abschiebung die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten würde (vgl. dazu erneut VwGH 26.1.2021, Ra 2020/14/0587, mwN).
18 Unter dieser Prämisse ist auch der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen zu treten, dass hinsichtlich der ‑ nun vorgebrachten ‑ Drogensucht und der damit verbundenen Substitutionstherapie schon die Grobprüfung ergebe, dass keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts im Vergleich zum Vorverfahren hervorgetreten sei und der Folgeantrag des Revisionswerbers deshalb voraussichtlich zurückzuweisen sein wird.
19 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 19. Juli 2021
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)