VwGH Ra 2021/06/0108

VwGHRa 2021/06/010823.7.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des J L, vertreten durch Dr. Johannes Dörner, Dr. Alexander Singer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Brockmanngasse 91/I, gegen das am 15. September 2020 mündlich verkündete und mit 12. Oktober 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark, 1. LVwG 50.38‑1547/2020‑11 und 2. LVwG 50.38‑1548/2020‑11, betreffend eine baurechtliche Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Rosental an der Kainach, vertreten durch Hohenberg‑Strauss‑Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6; mitbeteiligte Partei: Gemeinde Rosental an der Kainach; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

BauG Stmk 1995 §26 Abs1
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z1
BauG Stmk 1995 §26 Abs4
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021060108.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit Bescheiden jeweils vom 28. Mai 2020 erteilte die Baubehörde erster Instanz der Bauwerberin (Gemeinde R.) einerseits nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Baubewilligung zur Errichtung eines Kindergartens, einer Lärmschutzwand und von PKW‑Abstellplätzen sowie für die Neugestaltung der Freiflächen samt Geländeveränderungen und andererseits die Bewilligung für Zu‑ und Umbauten sowie die Sanierung der bestehenden Volksschule, ebenfalls die Errichtung einer Lärmschutzwand und von PKW‑Abstellplätzen sowie für die Neugestaltung der Freiflächen samt Geländeveränderungen auf näher bezeichneten Grundstücken in R. Beide Bescheide wurden vom Vizebürgermeister der Gemeinde R. unterfertigt. Die vom Revisionswerber in beiden Verfahren ausschließlich erhobene Einwendung betreffend die heranrückende Wohnbebauung wurde in beiden Verfahren als unzulässig zurückgewiesen.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) die Beschwerden des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das LVwG zunächst aus, die Bescheide seien deshalb vom Vizebürgermeister der Gemeinde R. unterfertigt worden, weil der Anschein der Befangenheit des Bürgermeisters vorliegen könnte.

Die fehlende Parteistellung des Revisionswerbers begründete das LVwG damit, dass es sich weder beim Kindergarten noch bei der Volksschule um Wohnbauten handelte, weshalb eine Nachbarparteistellung aus dem Gesichtspunkt der herannahenden Wohnbebauung gemäß § 26 Abs. 4 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) nicht geltend gemacht werden könne. Eine gleichheitskonforme Interpretation dahingehend, dass ein Abwehranspruch auch gegen nicht dem Wohnen dienende Gebäude zulässig sei, sei aufgrund der klaren und nicht interpretationsbedürftigen Regelung des § 26 Abs. 4 Stmk. BauG nicht geboten.

Mangels Parteistellung könne der Revisionswerber auch nicht in einem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt werden.

6 Der Revisionswerber erhob dagegen zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. Februar 2021, E 4124/2020‑16, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Abtretungsantrag mit weiterem Beschluss vom 8. April 2021, E 4124/2020‑18, gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus, dass spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen zu der Frage, ob das LVwG bezüglich des Problems der heranrückenden (Wohn‑)Bebauung die Regelungen der § 27 VwGVG und § 26 Abs. 1 und Abs. 4 Stmk. BauG in jeder Hinsicht richtig ausgelegt und angewendet habe, nicht anzustellen seien.

7 Der Revisionswerber formuliert als grundsätzliche Rechtsfrage, ob ein subjektiv‑öffentliches Nachbarrecht gemäß § 26 Abs. 1 iVm Abs. 4 Stmk. BauG nur geltend gemacht werden könne, wenn auf benachbarten Grundstücken Wohngebäude errichtet würden.

Gemäß § 26 Abs. 4 Stmk. BauG sind bei Neu‑ oder Zubauten sowie Nutzungsänderungen, die dem Wohnen dienen, auch Einwendungen im Sinn des § 26 Abs. 1 Z 1 leg. cit. zu berücksichtigen, mit denen Immissionen geltend gemacht werden, die unter anderem von einer genehmigten benachbarten land‑ oder forstwirtschaftlichen Betriebsanlage ausgehen und auf das geplante Bauvorhaben einwirken (heranrückende Wohnbebauung).

Die in der Zulässigkeitsbegründung formulierte Rechtsfrage lässt sich ‑ wie das LVwG zutreffend ausführte ‑ aus dem eindeutigen Wortlaut des § 26 Abs. 4 Stmk. BauG beantworten (vgl. zum Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bei nach den in Betracht kommenden Normen klarer Rechtslage etwa VwGH 29.12.2020, Ra 2020/06/0315, Rn. 6, mwN). Gemäß dieser Bestimmung kommt Inhabern unter anderem von benachbarten land‑ oder forstwirtschaftlichen Betriebsanlagen das Recht zur Erhebung von Einwendungen auf Basis der Flächenwidmung im Sinn des § 26 Abs. 1 Z 1 iVm § 26 Abs. 4 Stmk. BauG nur in Bezug auf heranrückende Wohnbebauung zu. Diese Regelung basiert ‑ den Erläuternden Bemerkungen zur Novelle LBGl. Nr. 78/2003 zufolge ‑ auf der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. die Ausführungen in Trippl/Schwarzbeck/Freiberger, Steiermärkisches Baurecht5, § 26, Anm. 12, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sowie die dort abgedruckten EB zur Novelle 2003, S. 298). Somit ergibt sich ‑ neben der eindeutigen Wortinterpretation ‑ auch aus der Zielsetzung, dass kein Bedarf für eine Erweiterung des Anwendungsbereiches dieser Bestimmung auf nicht der Wohnbebauung dienende Nutzungen besteht. Dies wird durch den Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes bestätigt. Dass es sich im vorliegenden Fall weder beim Kindergarten noch bei der Volksschule um Wohnbauten handelt, bestreitet der Revisionswerber nicht.

8 Der Revisionswerber macht weiter ein Abweichen von der ständigen hg. Rechtsprechung geltend, weil das LVwG die Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz (in Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Bescheide durch den Vizebürgermeister der Gemeinde R.) nicht aufgegriffen habe. Er geht jedoch mit keinem Wort auf die ‑ zutreffenden ‑ Ausführungen des LVwG ein, wonach er mangels Parteistellung in diesem Recht nicht verletzt sein kann. Der Hinweis auf VwGH 10.6.2015, Ra 2015/11/0005, ist insofern verfehlt, als in diesen Verfahren die Parteistellung unstrittig gegeben war und sich die im vorliegenden Verfahren relevante Rechtsfrage daher gar nicht stellte. Der Revisionswerber zeigt somit keine für das vorliegende Verfahren entscheidungsrelevante Frage auf, der grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte.

9 Gleiches gilt für die ‑ wiederum in Zusammenhang mit der behaupteten Unzuständigkeit der Baubehörde erster Instanz ‑ geltend gemachte Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil die verfahrensmäßigen Rechte der Nachbarn im Bauverfahren nicht weiter als ihre materiellen Rechte reichen (vgl. etwa VwGH 8.9.2014, 2013/06/0016, mwN). Auf dieses Vorbringen war daher nicht weiter einzugehen.

10 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. Juli 2021

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