Normen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190411.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken, stellte am 7. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, von den Taliban bedroht worden zu sein.
2 Mit Bescheid vom 6. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkte I. bis VI.). Unter einem erließ das BFA gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab, gab der Beschwerde gegen den Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides statt und hob die Verhängung des Einreiseverbotes (ersatzlos) auf. Das BVwG sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers erachtete das BVwG nicht als glaubhaft. Ausgehend von Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan führte es aus, dem Revisionswerber drohe auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Usbeken keine Verfolgung. Die Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Revisionswerbers sei so angespannt, dass bei einer Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK bestünde. Dem gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber, der Usbekisch und Dari spreche, Berufserfahrung in Afghanistan habe und über ein familiäres Netzwerk im Land verfüge, stehe jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar‑e‑Sharif und Herat offen.
5 Mit Beschluss vom 22. September 2020, E 1131/2020‑7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 In der Revision wird unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit zunächst geltend gemacht, das BVwG habe dem Revisionswerber im angefochtenen Erkenntnis diverse Widersprüche in seinen Angaben vorgehalten, es aber unterlassen, den Revisionswerber zur Aufklärung dieser Widersprüche anzuleiten. Diesem Vorbringen ist zunächst entgegen zu halten, dass das Recht auf Parteiengehör sich nur auf den festzustellenden maßgeblichen Sachverhalt bezieht. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG zählt nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens. Es besteht keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, dem Asylwerber im Weg eines Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grunde eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0012, mwN). Die Revision unterlässt es im Übrigen auch darzulegen, welche ergänzenden Angaben der Revisionswerber konkret hätte machen können, sodass auch eine Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargelegt wird (vgl. zum Erfordernis Darstellung der Relevanz eines Verfahrensmangels etwa VwGH 1.12.2020, Ra 2020/19/0377).
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 30.7.2020, Ra 2019/20/0383, mwN). Die Revision vermag nicht darzutun, dass die Beweiswürdigung des BVwG im Sinn dieser Rechtsprechung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet. Entgegen den Ausführungen in der Revision hat das BVwG seine Beweiswürdigung umfassend begründet. Dies betrifft insbesondere auch die in der Revision angesprochenen Feststellungen zu den Sprachkenntnissen des Revisionswerbers, wonach er neben Usbekisch auch Dari beherrsche, und zur Familie des Revisionswerbers in Afghanistan bzw. zum weiterhin bestehenden Kontakt zwischen dem Revisionswerber und seinen Familienangehörigen, von denen er bei einer Rückkehr Unterstützung erwarten könne. Das BVwG konnte sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die eigenen vom Revisionswerber im Laufe des Verfahrens gemachten Angaben stützen. Es kann fallbezogen nicht als unvertretbar angesehen werden, dass das BVwG gegenteiligen Aussagen, die der Revisionswerber im späteren Verfahrensverlauf gemacht hat, nicht gefolgt ist.
11 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit weiters gegen die Annahme, dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar‑e‑Sharif und Herat offen. Das BVwG habe sich dabei über die Richtlinien des UNHCR hinweggesetzt und dem Antrag auf Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens nicht entsprochen, sodass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend erhoben worden sei.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach dargestellt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine ‑ von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende ‑ Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 5.10.2020, Ra 2020/19/0314, mwN). Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. etwa VwGH 1.10.2020, Ra 2020/19/0196, mwN).
13 Das BVwG hat im vorliegenden Fall Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Revisionswerbers und ‑ auf der Grundlage einschlägiger Länderberichte ‑ zur Sicherheits- und zur Versorgungslage in Herat‑Stadt und Mazar‑e Sharif getroffen. Dazu hat es sich sowohl mit den UNHCR‑Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 als auch mit dem EASO‑Leitfaden zu Afghanistan vom Juni 2018 bzw. vom Juni 2019 auseinandergesetzt. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber stehe ausgehend von diesen Feststellungen in den Städten Mazar‑e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre (vgl. etwa den auf im Wesentlichen gleicher Sachverhaltsgrundlage ergangenen Beschluss VwGH 3.12.2020, Ra 2020/19/0108, mwN).
14 Gemäß § 52 Abs. 1 AVG sind Sachverständige beizuziehen, wenn die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig ist. Die Beiziehung eines Sachverständigen ist regelmäßig dann als „notwendig“ im Sinn dieser Bestimmung anzusehen, wenn zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts besonderes Fachwissen erforderlich ist, über das das entscheidende Organ selbst nicht verfügt (vgl. VwGH 24.1.2020, Ra 2020/18/0008, mwN). Dass fallbezogen hinsichtlich der Lage in Afghanistan ‑ insbesondere auch betreffend die Volksgruppe der Usbeken ‑ in diesem Sinn die Beiziehung eines länderkundlichen Sachverständigen notwendig gewesen wäre, zeigt die Revision nicht auf.
15 Soweit in der Revision schließlich noch gerügt wird, es wären weitere Erhebungen zur persönlichen Beziehung zwischen dem Revisionswerber und Mag. K anzustellen gewesen, wird auch insofern die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargelegt. Das BVwG hat bei seiner nach Art. 8 EMRK durchgeführten Interessenabwägung berücksichtigt, dass Mag. K und der Revisionswerber in Freundschaft verbunden sind, sich gegenseitig unterstützen und ein Verfahren betreffend die Bewilligung der Adoption des Revisionswerbers durch Mag. K anhängig ist. Dass sich durch weitere Erhebungen in diesem Zusammenhang darüber hinaus Umstände, die für die Entscheidung von Bedeutung gewesen wären, ergeben hätten, wird in der Revision nicht aufgezeigt.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 2. Februar 2021
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