VwGH Ra 2020/18/0507

VwGHRa 2020/18/050712.1.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des J Z, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2020, W103 2227059‑1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
FrPolG 2005 §52
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180507.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Februar 2004 gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 Asyl durch Erstreckung von seinem Vater gewährt und unter einem festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2 Der Revisionswerber wurde zwischen 2010 und 2016 insgesamt sechsmal strafgerichtlich verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 20. August 2019 wurde der Revisionswerber wegen mehrerer Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und Z 3 und Abs. 2 Z 1 StGB, § 12 3. Fall StGB, des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 StGB, des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauches nach § 148a Abs. 1 StGB, des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15269 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Jahren verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 26. Mai 2020 wurde der Berufung des Revisionswerbers dahingehend Folge gegeben, dass über ihn eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verhängt wurde. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 12. November 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der Beleidigung nach § 115 Abs. 1 und § 117 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

3 Mit Bescheid vom 2. Dezember 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Das BFA erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise fest. Zudem erließ das BFA ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

5 Das BVwG schloss sich den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA an und hielt fest, dass die Umstände, auf Grund deren der Vater des Revisionswerbers, von welchem dieser seinen Asylstatus abgeleitet habe, als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestünden und im Falle des Revisionswerbers eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht gegeben sei. Zur Rückkehrentscheidung führte das BVwG unter anderem aus, der ledige und kinderlose Revisionswerber habe durch die kontinuierliche Begehung vorsätzlicher Straftaten im Bereich der Suchtgift‑, Vermögens‑ und Gewaltdelikte eine Trennung von seinen Angehörigen, zu denen kein besonderes Nahe‑ oder Abhängigkeitsverhältnis bestehe, bereits ob der damit verbundenen Strafdrohungen bewusst in Kauf genommen. Es stehe ihm offen, den Kontakt zu seinen in Österreich lebenden Angehörigen auch nach einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat telefonisch, über das Internet oder durch Besuche in Drittstaaten aufrechtzuerhalten. Der Revisionswerber verfüge auf Grund seiner verwandtschaftlichen Bindungen sowie seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet zweifellos über hohe persönliche Interessen an einem Verbleib in Österreich. Er habe die deutsche Sprache erlernt und sich in unterschiedlichen kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen befunden. Das BFA habe jedoch zu Recht zu Lasten des Revisionswerbers gewertet, dass der mittlerweile 29‑jährige Revisionswerber sich lediglich für einen Zeitraum von insgesamt rund 20 Monaten in Beschäftigungsverhältnissen befunden habe, von denen das längste sechs Monate angedauert habe. Der Revisionswerber habe sein strafrechtswidriges Verhalten über einen Zeitraum von annähernd einem Jahrzehnt kontinuierlich fortgesetzt, wobei ihn erfolgte Verurteilungen, verbüßte Haftstrafen sowie offene Probezeiten nicht davon abhalten hätten können, neuerliche Straftaten zu begehen. Davon ausgehend kam das BVwG zum Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen gegenüber den persönlichen Interessen des Revisionswerbers überwögen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG für die Erlassung eines höchstens mit zehn Jahren zu befristenden Einreiseverbotes seien erfüllt, weshalb der Bescheid auch in diesem Punkt zu bestätigen gewesen sei. Das BFA habe zutreffend festgehalten, dass der Revisionswerber durch sein strafbares Verhalten in hohem Maße den Unwillen zur Befolgung der österreichischen Gesetze zum Ausdruck gebracht habe. Eine positive Zukunftsprognose könne nicht getroffen werden, da auf Grund der Persönlichkeitsstruktur des Revisionswerbers weiterhin davon auszugehen sei, dass von ihm eine große Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe und er ‑ angesichts seiner in der Vergangenheit gezeigten Bereitschaft zu Gewalt und Einkommenserwerb durch kriminelle Handlungen ‑ weiterhin solche Straftaten begehen werde. Der Revisionswerber habe sein kontinuierlich straffälliges Verhalten zuletzt in seinem Schweregrad massiv gesteigert. Der Beobachtungszeitraum seit der letzten Tatbegehung sei auch nicht geeignet, einen Wegfall der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung annehmen zu können.

6 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG unter Hinweis auf § 21 Abs. 7 BFA‑VG. Der Sachverhalt sei durch die belangte Behörde vollständig erhoben worden und weise nach wie vor die gebotene Aktualität auf. Es sei fallbezogen auch im Hinblick auf die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht erforderlich gewesen, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber zu gewinnen, da auch bei Berücksichtigung aller zu seinen Gunsten vorgebrachten Umstände auf Grund der kontinuierlichen Straffälligkeit sowie der auch sonst nur vergleichsweise schwach ausgeprägten Integration in die österreichische Gesellschaft die öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthaltes überwögen.

7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung eine Verletzung der Verhandlungspflicht moniert wird. Bei Durchführung einer Beschwerdeverhandlung hätte das BVwG im Sinne des notwendigen Verschaffens eines persönlichen Eindrucks feststellen können, ob es zum Entscheidungszeitpunkt weiterhin eines auf die Dauer von zehn Jahren befristeten Einreiseverbotes bedürfe, um eine nachhaltige Änderung des Verhaltens und der Einstellung des Revisionswerbers zu bewirken. Hätte sich das BVwG einen persönlichen Eindruck verschafft, hätte es feststellen müssen, dass zum Entscheidungszeitpunkt keine Gefahr vom Revisionswerber ausgehe und ihm sein mehrfaches, strafrechtlich relevantes Verhalten zutiefst leid tue.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Der Revisionswerber rügt das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks zu einer allfälligen von ihm ausgehenden Gefährlichkeit. Ihm ist dabei insoweit zuzustimmen, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0418, mwN).

13 Um einen solchen eindeutigen Fall hat es sich hier gehandelt. Zum einen stellt der Aufenthalt des Revisionswerbers durch die hohe Zahl der Straftaten über einen mehrjährigen Zeitraum in Zusammenschau mit der vom BFA und BVwG beschriebenen Persönlichkeitsstruktur sowie der wiederholten raschen Rückfälligkeit des Revisionswerbers ‑ auch nach mehrfachen Verurteilungen sowie verbüßten Haftstrafen und selbst nach Einleitung des Aberkennungsverfahrens ‑ fallbezogen bereits eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Der Einwand, die vom Revisionswerber ausgehende Gefährlichkeit, sein Verhalten und seine Einstellung hätten nur dann mängelfrei festgestellt werden können, wenn sich das BVwG zuvor einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft hätte, trifft daher im Revisionsfall nicht zu. Zum anderen stand den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung und der Verhängung des Einreiseverbotes ein nur schwach ausgeprägtes Privat‑ und Familienleben des Revisionswerbers gegenüber. Im Übrigen zeigt die Revision nicht substantiiert auf, was das BVwG bei der Zukunftsprognose konkret zu berücksichtigen gehabt hätte, das zu einer anderen Prognoseentscheidung hätte führen können.

14 Wenn in der Revision vorgebracht wird, das BVwG hätte bei Durchführung einer Verhandlung feststellen müssen, dass dem Revisionswerber sein unbestrittenes mehrfaches strafrechtliches Verhalten zutiefst leid tue, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hinzuweisen, wonach ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich ‑ nach dem Vollzug einer Haftstrafe ‑ in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dieser Zeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden, etwa im Hinblick auf einen raschen Rückfall, was im gegenständlichen Fall gegeben ist, manifestiert hat (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0184, mwN).

15 Weshalb das BVwG vor dem Hintergrund der raschen Rückfälligkeit und der Tatbegehungen während anhängiger Verfahren und offener Probezeiten sowie während seiner Anhaltung in Untersuchungshaft fallgegenständlich nicht von einer negativen Zukunftsprognose hätte ausgehen dürfen, wird mit dem bloßen Hinweis, dem Revisionswerber tue sein strafrechtliches Verhalten leid, im Lichte der oben genannten Rechtsprechung nicht dargelegt.

16 Soweit die Revision rügt, der Begründung des BVwG zur Unterlassung der mündlichen Verhandlung lasse sich keine Abwägung im Sinne aller zu Gunsten des Revisionswerbers zu berücksichtigenden Umstände entnehmen, stellt sie nicht dar, welche zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände das BVwG hätte ergänzend feststellen müssen, zumal dessen Privat‑ und Familienleben vom BVwG bereits berücksichtigt wurde.

17 Wenn die Revision schließlich vorbringt, die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks hätte auch im Hinblick auf die erfolgte Aberkennung stattfinden müssen, lässt sie damit nicht erkennen, aus welchem Grund die Einschätzung des BVwG, es lägen fallbezogen die Voraussetzungen für den Entfall einer mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA‑VG vor, von den diesbezüglich in der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Kriterien abweichen würde (vgl. etwa VwGH 16.6.2020, Ra 2020/19/0064, mwN).

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. Jänner 2021

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