VwGH Ra 2020/02/0192

VwGHRa 2020/02/019219.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des K in S, vertreten durch Mag. Maximilian Kocher, Rechtsanwalt in 2345 Brunn/Gebirge, Bahnstraße 43, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 6. Juli 2020, LVwG‑S‑874/001‑2019, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in eine Einspruchsfrist iA Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332
AVG §71 Abs1
VwGVG 2014 §33 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020192.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 27. Dezember 2018 wurde über den Revisionswerber wegen einer Übertretung der §§ 4 Abs. 2, 99 Abs. 2 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 220,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 108 Stunden) verhängt. Diese Strafverfügung wurde von einem Mitbewohner des Revisionswerbers am 2. Jänner 2019 an der Abgabestelle übernommen.

2 Am 31. Jänner 2019 stellte der Rechtsvertreter des Revisionswerbers bei der Bezirkshauptmannschaft einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte gleichzeitig den Einspruch gegen die Strafverfügung nach.

3 Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete der Rechtsvertreter des Revisionswerbers mit einem Versehen der für den Posteingang und Fristvormerk zuständigen Rechtsanwaltsassistentin, die irrtümlich die Einspruchsfrist analog zur Beschwerdefrist gegen ein Straferkenntnis von vier Wochen eingetragen habe. Entgegen der generellen Anweisung des Rechtsanwalts, ihm fristauslösende Poststücke zur Überprüfung des Fristvormerks noch am Tag des Einlangens vorzulegen, habe sie dies unterlassen und versehentlich den Akt abgelegt. Routinemäßig wäre er am Freitag, den 18. Jänner 2019, mit den anderen Fristakten der Folgewoche dem Rechtsanwalt vorgelegt worden. Erst am 17. Jänner 2019 sei der falsche Fristvormerk bemerkt worden.

4 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 26. Februar 2019 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen.

5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit gegenständlich angefochtenem Erkenntnis als unbegründet ab. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig.

6 Das Verwaltungsgericht begründete im Wesentlichen, dass die Einspruchsfrist am 16. Jänner 2019 geendet habe. Die S OG habe die erste Seite der Strafverfügung an den Rechtsanwalt des Revisionswerbers per E‑Mail versandt. Die Rechtsanwaltsassistentin habe daraufhin die Rechtsmittelfrist mit 24. Jänner 2019 vorgemerkt und gleichzeitig die Eingabe abgelegt, ohne das Schriftstück dem Rechtsanwalt vereinbarungsgemäß vorzulegen. Mit Verweis auf nähere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Wiedereinsetzungsgründen sowie zu Kontroll- und Überwachungspflichten eines Rechtsanwalts führte das Verwaltungsgericht aus, dass im gegenständlich geschilderten Vorfall in der Kanzlei des Rechtsanwalts von einem das Vorliegen eines den Grad minderen Versehens übersteigenden Verschulden auszugehen und damit der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen gewesen sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Die Revision bringt zur Zulässigkeit zunächst vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht ein Verschulden des Rechtsvertreters angenommen und sei damit von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Gegenständlich habe die Assistentin des Rechtsanwalts entgegen seiner generellen Anweisung, ihm fristauslösende Poststücke nach Eintragung des Fristvermerks zu dessen Überprüfung noch am Tag des Einlangens vorzulegen, den Akt abgelegt. Mit Blick auf das vorangegangene dienstliche Verhalten der Mitarbeiterin habe der Rechtsanwalt mit der Befolgung seiner Weisung rechnen dürfen. Aus der einmaligen Missachtung einer solchen Weisung (die als manipulative Tätigkeit wie etwa die Kuvertierung, Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe anzusehen gewesen wäre) durch eine sonst verlässliche Kanzleiangestellte könne nach der Rechtsprechung kein Verschulden des Vertreters folgen.

12 Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das Versehen einer Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwalts ist dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber den Kanzleiangestellten verletzt hat (vgl. VwGH 30.3.2020, Ra 2019/05/0076, mwN).

13 Aus der ständigen hg. Rechtsprechung ergibt sich eine Verpflichtung des Wiedereinsetzungswerbers zur Konkretisierung aller Umstände, die es ermöglichen, das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes zu beurteilen. Der Wiedereinsetzungswerber hat von sich aus initiativ alles vorzubringen, was die Annahme eines die Rechtzeitigkeit der Vornahme einer Prozesshandlung hindernden Umstandes begründen kann (VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0209, mwN). Dazu zählt auch die Darstellung des in der Kanzlei des Rechtsvertreters eingerichteten Kontrollsystems zur Sicherstellung, dass dem Vertreter tatsächlich die gesamte eingehende Post rechtzeitig vorgelegt wird. Fehlt es an einer derartigen Darstellung im Wiedereinsetzungsantrag, kann die belangte Behörde bzw. das Verwaltungsgericht vom Fehlen solcher Kontrollmaßnahmen und Anordnungen ausgehen, und es kann am Vorliegen eines (dem Wiedereinsetzungswerber zuzurechnenden) den Grad minderen Versehens übersteigenden Verschuldens des Vertreters kein Zweifel bestehen (vgl. VwGH 27.7.2020, Ra 2020/11/0102, mwN).

14 Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers behauptet in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung zwar ein wirksames Kontrollsystem zu haben, indem eingehende Schriftstücke lückenlos erfasst werden würden und ein Fristvormerk durch eine Rechtsanwaltsassistentin im Kalendersystem der Kanzlei (Outlook) erfolge, jedoch bleibt offen, wie die Einhaltung seiner Weisung, ihm alle fristauslösenden Schriftstücke vorzulegen, jemals überwacht wurde oder welches Kontrollsystem er diesbezüglich eingerichtet hätte. Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. VwGH 4.9.2020, Ra 2020/02/0187, mwN).

15 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision auf das Erkenntnis VwGH 21.1.2004, 2001/16/0479 bis 0480, verwiesen wird, ist dem Revisionswerber entgegenzuhalten, dass im dortigen Verfahren die Einhaltung der auf Grund der konkreten Umstände gebotenen Aufsichts- und Kontrollpflicht als bescheinigt angesehen wurde. Die Beurteilung, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ein grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, unterliegt ‑ als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung ‑ grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 25.7.2019, Ra 2017/22/0161, mwN).

16 Eine derartige Fehlbeurteilung ist im Revisionsfall nicht zu sehen, hat sich das Verwaltungsgericht doch an den ‑ oben in Rz. 12 und 13 dargestellten ‑ vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen orientiert.

17 Die Revision macht in der Zulässigkeitsbegründung darüber hinaus eine Unvollständigkeit der Sachverhaltsfeststellungen (sekundäre Feststellungsmängel) sowie die Verletzung der Begründungspflicht und Aktenwidrigkeit geltend.

18 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 4.3.2019, Ra 2018/20/0540).

19 Die Revision lässt hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensmängel eine ausreichende Relevanzdarlegung vermissen. Für die Beurteilung, ob ein wirksames Kontrollsystem im Sinne der bereits dargelegten Rechtsprechung vorhanden ist, kommt es nämlich auf die Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision zu den Feststellungs- und Begründungsmängeln hinsichtlich der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages nicht an. Aus demselben Grund vermögen die Ausführungen zur Aktenwidrigkeit im Zusammenhang mit dem Übermittlungszeitpunkt der Strafverfügung an den Rechtsanwalt keine Zulässigkeit der Revision zu begründen. Bezüglich des Kontrollsystems ging das Verwaltungsgericht ohnedies von den Tatsachenbehauptungen aus, sah es aber rechtlich als nicht ausreichend wirksam an, sodass es auf die geltend gemachten Feststellungsmängel nicht ankommt.

20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. März 2021

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