Normen
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190284.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 23. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er sei an einen „Dealer“ verkauft worden, bei dem er acht Jahre als Sklave gearbeitet habe, und müsse im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat zu dem „Dealer“ zurück, der ihn umbringen würde. Zudem habe er keine Dokumente und dadurch Probleme gehabt.
2 Mit Bescheid vom 13. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Weiters legte es die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Erledigung der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde den Bescheid, verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Begründend stellte es fest, dass die Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens im gegenständlichen Fall unterblieben und das BFA seiner Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst liege nicht im Interesse der Raschheit und sei auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Neben einer mündlichen Verhandlung müsse das BFA weitere Ermittlungsschritte setzen, die es als Spezialbehörde rascher und effizienter durchführen könne. Das BFA habe sich weder mit der Volksgruppenzugehörigkeit (oder der Religionszugehörigkeit) des Mitbeteiligten im Detail auseinandergesetzt und hätte hinsichtlich der iranisch‑afghanischen Mischehe der Eltern des Mitbeteiligten Informationen über die Situation von Kindern aus derartigen Ehen einholen müssen. Da der „Verkauf“ der mitbeteiligten Partei im Kindesalter durchaus einen Fluchtgrund darstellen könne, hätte das BFA zusätzlich Feststellungen zur Schutzfähigkeit des iranischen Staates sowie zur Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative treffen müssen. Darüber hinaus habe sich das BFA nicht mit dem Gesundheitszustand des an Epilepsie erkrankten Mitbeteiligten auseinandergesetzt und müsse daher im Ergebnis eine ergänzende Einvernahme sowie ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchführen.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0556, mwN).
10 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 14.12.2016, Ro 2016/19/0005, mwN).
11 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, mwN).
12 Im vorliegenden Fall ergeben sich keine krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken, die im Sinn der dargestellten Rechtsprechung eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten.
13 Wie die Amtsrevision zutreffend vorbringt, hat der Mitbeteiligte selbst angegeben, weder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch seiner Religion Probleme gehabt zu haben. Entgegen der Annahme des BVwG hat sich das BFA mit der Frage der Staatsbürgerschaft der mitbeteiligten Partei unter Einbeziehung des iranischen und afghanischen Staatsbürgerschaftsrechts auseinandergesetzt. Mit dem Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten hat sich das BFA ebenfalls beschäftigt und dazu festgestellt, dass der vorgebrachte Verkauf an die Familie im Kindesalter zwar glaubwürdig sei, aber eine vom besagten Käufer ausgehende Gefahr im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht angenommen werde. In den Länderberichten finden sich Feststellungen zur Situation von Afghanen im Iran, zur Sicherheits- und Versorgungslage sowie zur medizinischen Versorgung und zur Religionsfreiheit. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Mitbeteiligten liegen ebenso Ermittlungsergebnisse vor.
14 Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, wenn das BVwG vermeint, das BFA habe jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen. Wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa VwGH 20.6.2017, Ra 2017/18/0103, mwN). Auch Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Aufhebung und Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch der Umstand, dass weitere Vernehmungen erforderlich sind, rechtfertigt für sich genommen eine Aufhebung und Zurückverweisung nicht (vgl. VwGH 24.6.2020, Ra 2020/19/0074, mwN).
15 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 30. November 2020
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