Normen
AVG §56
AVG §59 Abs1
AVG §79a
AVG §79a Abs4 Z1
BFA-VG 2014 §22a Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs1 Z1
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §76 Abs3
FrPolG 2005 §76 Abs3 Z9
VwGG §24a
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §48 Abs1 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §35
VwGVG 2014 §35 Abs4
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210336.L00
Spruch:
1. Der Revision wird Folge gegeben und das bekämpfte Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in seinen angefochtenen Spruchpunkten A.II. und A.III. dahin abgeändert, dass diese nunmehr wie folgt zu lauten haben:
„A.II.: Es wird festgestellt, dass auch die weitere Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft vom 13. Mai bis zum 23. Mai 2019 rechtswidrig war.
A.III.: Gemäß § 35 VwGVG hat der Bund dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.689,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.“
2. Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen betreffend das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist georgischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Herbst 2016, im Besitz eines griechischen „Schengenvisums“, nach Österreich, wo er in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das darüber geführte Verfahren wurde am 22. Dezember 2016 wegen unbekannten Aufenthalts des Revisionswerbers eingestellt [er hatte kurz davor die Betreuungsstelle Fieberbrunn verlassen, weil er ‑ so der Revisionswerber später ‑ der einzige Christ unter jungen muslimischen Männern gewesen sei], nach Begründung einer „Obdachlosenmeldung“ durch den Revisionswerber (mit 5. Jänner 2017) spätestens mit 12. Jänner 2017 aber wieder fortgesetzt. Ab 10. Februar 2017 verfügte der Revisionswerber in W über eine Hauptwohnsitzmeldung bei seiner österreichischen Lebensgefährtin, die er Ende 2016 kennengelernt habe.
2 Mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 12. Mai 2017 wurde der genannte Antrag des Revisionswerbers vollinhaltlich abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen erlassen. Mittlerweile war der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. April 2017 wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls, teilweise als Beteiligter, rechtskräftig zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe, davon sechs Monate bedingt nachgesehen, verurteilt worden, deren unbedingten Teil er unter Anrechnung der Vorhaft bis 24. Mai 2017 verbüßte. Im Anschluss an die Entlassung aus der Strafhaft verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber (insbesondere) zur Sicherung seiner Abschiebung das gelindere Mittel, an der Adresse seiner Lebensgefährtin in W Unterkunft zu nehmen und sich beginnend mit 25. Mai 2017 jeden zweiten Tag bei einer näher bezeichneten Polizeiinspektion zu melden.
3 Am 1. August 2017 kehrte der Revisionswerber dann unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig nach Georgien zurück. Dort wurde ihm mit 3. August 2017 ein biometrischer Reisepass ausgestellt, mit dem er in der Folge bereits am 11. August 2017 nach Italien einreiste.
4 In Österreich war der Revisionswerber bis 6. November 2017 weiterhin mit Hauptwohnsitz an der Adresse seiner Lebensgefährtin in W gemeldet. Für die Zeit bis 8. Juni 2018 scheint dann keine Meldung in Österreich auf, beginnend mit 8. Juni 2018 liegt allerdings wieder eine Meldung bei der Lebensgefährtin vor, und zwar zunächst bis 22. August 2018 mit Hauptwohnsitz, im Anschluss daran mit Nebenwohnsitz.
5 Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 5. September 2018 wurde der ‑ in der Hauptverhandlung anwesende ‑ Revisionswerber von dem Vorwurf, er habe am 18. März 2018 in Wien ein gefundenes Handy unterschlagen, freigesprochen. Aufgrund einer Meldung der Landespolizeidirektion Wien ging das BFA in der Folge davon aus, dass sich der Revisionswerber nicht an seiner Meldeadresse in W aufhalte (Scheinmeldung) und erließ mit 15. November 2018 einen Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 2 Z 2 BFA‑VG.
6 Auf Basis dieses Festnahmeauftrages wurde der Revisionswerber nach einer Lenker‑ und Fahrzeugkontrolle ‑ er war mit dem auf seine Lebensgefährtin zugelassenen PKW unterwegs ‑ in Wien festgenommen. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 1. Mai 2019 gab er u.a. an, „grundsätzlich“ in Polen zu leben und dort auch zu arbeiten; er habe seit 22. März 2018 für ein Jahr ein polnisches Visum gehabt und am 22. März 2019 um ein dreijähriges Visum angesucht. Nach Österreich sei er gereist, um „[seine] Familie zu besuchen“; er habe auch eine Adresse in W, falls ihm Post zugestellt werden sollte, sei vor vier Monaten wegen einer „Gerichtsverhandlung“ in St. Pölten gewesen und dann wieder nach Polen arbeiten gefahren. [In den Verwaltungsakten erliegt eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft St. Pölten vom 10. Dezember 2018, wonach gegen den Revisionswerber wegen §§ 127, 130 Abs. 1 erster Fall StGB, § 12 dritter Fall StGB Anklage erhoben worden sei.]
7 Mit Mandatsbescheid vom 1. Mai 2019 verhängte das BFA hierauf über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung. Mit weiterem Bescheid vom 3. Mai 2019 sprach es aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, und erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein vierjähriges Einreiseverbot. Außerdem stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Georgien zulässig sei, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung ab.
8 Bereits am 2. Mai 2019 war die österreichische Lebensgefährtin des Revisionswerbers vernommen worden. Sie gab an, er lebe und arbeite „grundsätzlich“ in Polen, und legte zum Nachweis dafür in polnischer Sprache verfasste Schriftstücke vor, welche ‑ so das Protokoll über die niederschriftliche Einvernahme ‑ „in Kopie zum Akt genommen werden“. Auf die Frage nach dem Inhalt der vorgelegten Schreiben gab sie an, es handle sich um eine Bestätigung der arbeitsrechtlichen Anmeldung „bei der polnischen Firma“ sowie um die Bestätigung der dortigen Fremdenbehörden, dass ein Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels des Revisionswerbers für Polen im Laufen sei.
9 Am 7. Mai 2019 erhob der Revisionswerber Schubhaftbeschwerde nach § 22a BFA‑VG, in der er insbesondere behauptete, über einen gültigen polnischen Aufenthaltstitel zu verfügen.
10 Mit dem nach mündlicher Verhandlung am 13. Mai 2019 mündlich verkündeten und per 16. September 2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das BVwG der erwähnten Beschwerde statt, hob den Schubhaftbescheid vom 1. Mai 2019 auf und stellte fest, dass die Anhaltung des Revisionswerbers vom 1. Mai bis zum 13. Mai 2019 rechtswidrig gewesen sei (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA‑VG stellte das BVwG jedoch fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.) und wies (demzufolge) den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG (Spruchpunkt A.III.) ‑ ebenso den Kostenersatzantrag des BFA (Spruchpunkt A.IV.) ‑ ab. Außerdem erklärte es eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).
11 Die Beschwerdestattgebung begründete das BVwG im Ergebnis damit, dass die Begründung des Schubhaftbescheides die Annahme von Fluchtgefahr ‑ diese war auf den Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG gegründet worden ‑ nicht zu tragen vermöge. Hingegen ging das BVwG dann in Bezug auf den Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA‑VG davon aus, dass Fluchtgefahr nach § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG vorliege, weshalb die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Revisionswerbers, dessen Abschiebung nach Georgien bereits für den 23. Mai 2019 organisiert sei [und dann auch durchgeführt wurde], vorlägen.
12 Über die erkennbar nur gegen die Spruchpunkte A.II. und A.III. dieses Erkenntnisses erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, erwogen:
13 Die Revision erweist sich ‑ wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt ‑ entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG nach § 25a Abs. 1 VwGG im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
14 Das BVwG hat den Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA‑VG erkennbar ‑ so wie schon das BFA den Schubhaftbescheid ‑ auf den Schubhafttatbestand nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt. Demnach darf Schubhaft angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück des FPG oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.
15 Die Fluchtgefahr wird dann in § 76 Abs. 3 FPG definiert. Dieser Absatz lautet ‑ auszugsweise ‑ wie folgt:
„Eine Fluchtgefahr ... liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
...
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
...
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.“
16 Das BVwG ging (siehe Rn.11) davon aus, dass die eben zitierten Tatbestände nach § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG verwirklicht seien, weshalb es zu dem Ergebnis gelangte, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
17 Das steht allerdings zunächst offenkundig, soweit es den Tatbestand der Z 9 anlangt, in einem Widerspruch zu der unter Spruchpunkt A.I. erfolgten Beschwerdestattgebung, beruhte diese doch darauf, dass der vom BFA allein herangezogene Fluchtgefahrtatbestand nach der genannten Ziffer nicht ausreichend begründet worden sei. Letzterem ist insoweit zuzustimmen, als der Revisionswerber eine österreichische Lebensgefährtin hat, in deren Wohnung er auch nach den Annahmen des BVwG leben könne. Von daher lag aber eine nicht unbeachtliche soziale Integration in Österreich vor, was der Annahme, es sei § 76 Abs. 3 Z 9 FPG verwirklicht, entgegensteht. Dass das vorhandene soziale (familiäre) Netz auch einen Aufenthalt im Verborgenen ermögliche, wovon das BVwG ausging (siehe dazu aber unten Rn. 22 bis 24), verwirklicht, anders als das BVwG offenbar meint, den Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG nicht (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, Rn. 31).
18 Das Vorliegen des Fluchtgefahrtatbestandes nach § 76 Abs. 3 Z 3 FPG begründete das BVwG damit, dass der Revisionswerber im Dezember 2016 das Quartier der Grundversorgung in Fieberbrunn verlassen habe und danach unbekannten Aufenthalts gewesen sei, weshalb das Verfahren über den von ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz habe eingestellt werden müssen; er habe sich also diesem Verfahren entzogen.
19 Dieser Annahme steht allerdings entgegen, dass der Revisionswerber nur etwa zwei Wochen nach Einstellung des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz eine Obdachlosenmeldung vornahm, die zur umgehenden Verfahrensfortsetzung führte. Von daher durfte, wenn überhaupt, nur von einem nicht ins Gewicht fallenden „Entziehen“ ausgegangen werden, was dann offenbar auch das BFA im Mai 2017 veranlasste, gegenüber dem Revisionswerber nach dessen Entlassung aus der Strafhaft (bloß) mit der Verhängung eines gelinderen Mittels vorzugehen. Im Übrigen vermochte das BVwG zwar nicht festzustellen, dass der Revisionswerber der dabei angeordneten Meldeverpflichtung nachgekommen wäre; fest steht aber, dass der Revisionswerber am 1. August 2017 freiwillig seiner Ausreiseverpflichtung nachgekommen ist, sodass der Zweck des gelinderen Mittels jedenfalls erreicht wurde und der Revisionswerber zumindest auf dieser Ebene Kooperationsbereitschaft gezeigt hat.
20 Das leitet zum Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG über, den das BVwG ungeachtet des eben Gesagten insoweit als erfüllt erachtete, als der Revisionswerber den österreichischen Behörden gegenüber seinen dauernden Aufenthalt in Österreich verschleiert habe.
21 Dem liegt in sachverhaltsmäßiger Hinsicht die Annahme zugrunde, der Revisionswerber habe sich nach seiner Wiedereinreise in den Schengenraum ab 11. August 2017 im Wesentlichen in Österreich aufgehalten; dass er über ein Aufenthaltsrecht in Polen verfüge, sei nicht glaubhaft, seine Angaben zu Wohnort und Arbeit in Polen [und zu bloß besuchsweisen Aufenthalten in Österreich] seien mit seinen aktenkundigen Aufenthalten in Österreich (konkret verwies das BVwG auf den 18. März 2018, den 22. August 2018, den 5. September 2018, den 11., 17. und 22. Oktober 2018 sowie den 9. November 2018) nicht in Einklang zu bringen. Auch die Aussagen der in der Beschwerdeverhandlung am 13. Mai 2019 neuerlich vernommenen Lebensgefährtin des Revisionswerbers und seines Stiefsohnes [über bloß besuchsweise Anwesenheiten des Revisionswerbers] seien nicht glaubhaft.
22 Die zu diesem Ergebnis führende Beweiswürdigung des BVwG hat einige Argumente für sich. Sie ist aber nicht durchgehend überzeugend (so wurde etwa nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber in der Beschwerdeverhandlung angegeben hatte, in Polen „dann“ drei ganze Tage wöchentlich gearbeitet zu haben, was mehrfache Fahrten nach Österreich trotz dieser Erwerbstätigkeit entgegen der Annahme des BVwG nicht unmöglich erscheinen lässt). Vor allem hat es das BVwG ‑ wie die Revision zutreffend geltend macht ‑ verabsäumt, die im Verfahren vorgelegten Urkunden einer ausreichenden Behandlung bzw. Beurteilung zu unterziehen.
23 Dabei geht es im Einzelnen um drei vom Vertreter des Revisionswerbers in der Beschwerdeverhandlung vorgelegte Schreiben in polnischer Sprache, wobei es sich ‑ so das Vorbringen des Vertreters ‑ um ein Schreiben „wegen der Arbeitserlaubnis“, um eine „Anmeldung von der Arbeitgeberin“ sowie um ein Schreiben „wegen der Abholung des Aufenthaltstitels oder ein weiterer Termin im Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels“ handeln „dürfte“.
24 Dem BVwG ist zuzugestehen, dass diese Schreiben nicht ad hoc verlässlich übersetzt werden konnten. Abgesehen davon, dass für erste Anhaltspunkte in der Beschwerdeverhandlung eine Russisch‑Dolmetscherin zur Verfügung gestanden wäre und im Übrigen die anwesende Lebensgefährtin des Revisionswerbers behauptetermaßen (ebenso wie möglicherweise auch der Revisionswerber) über Polnischkenntnisse verfügte, ist aber darauf hinzuweisen, dass es sich bei den erwähnten Unterlagen offenkundig um jene handelt, die von der Lebensgefährtin des Revisionswerbers aus Anlass ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 2. Mai 2019 ‑ so das über diese Niederschrift aufgenommene Protokoll ‑ in Kopie zum Akt genommen wurden (siehe oben Rn. 8). Mögen diese Kopien auch nicht übersetzt und für das BVwG auch nicht greifbar gewesen sein, so kann das umgekehrt auch dem Revisionswerber nicht zum Nachteil gereichen. Jedenfalls vor diesem Hintergrund hätten vor der Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses demnach Schritte unternommen werden müssen, zumindest eine oberflächliche Übersetzung der vorgelegten Unterlagen innerhalb der dem BVwG zur Verfügung stehenden einwöchigen Entscheidungsfrist herzustellen (zur grundsätzlichen Pflicht, fremdsprachige Unterlagen in Ausübung der amtswegigen Ermittlungspflicht übersetzen zu lassen, vgl. etwa VwGH 11.8.2011, 2008/23/0702, VwGH 25.6.2013, 2011/17/0257, oder VwGH 29.1.2020, Ra 2016/08/0040, Punkt 9.2. der Entscheidungsgründe). Anstelle dessen hat sich das BVwG mit Hypothesen zum potentiellen Inhalt von einzelnen vorgelegten Urkunden begnügt und dabei insbesondere jenes Schreiben außer Acht gelassen, das offenkundig, datiert mit 28. Jänner 2019, von einer polnischen Behörde stammt.
25 Dieser Verfahrensfehler ist relevant, weil auch noch in der Revision behauptet wird, es habe sich bei den vorgelegten Unterlagen u.a. um „Dokumente der polnischen Behörde betreffend die Verlängerung des polnischen Aufenthaltstitels“ gehandelt. Hätte der Revisionswerber aber über einen polnischen Aufenthaltstitel verfügt, so fehlt der Argumentation des BVwG über einen im Wesentlichen durchgehenden (verborgenen) Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich ein essentieller Baustein und es könnte nicht ‑ ohne dass auf die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen eines derartigen Titels eingegangen werden müsste ‑ ohne weitergehende Überlegungen im Sinn des BVwG gesagt werden, er habe seinen dauerhaften Aufenthalt in Österreich gegenüber den Behörden verschleiert.
26 Damit bleibt, dass gegen den Revisionswerber im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme (Bescheid des BFA vom 3. Mai 2019 betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot unter Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde) bestand, worauf das BVwG im Zusammenhang mit seinen Ausführungen dazu, weshalb im vorliegenden Fall nicht mit der Verhängung eines gelinderen Mittels das Auslangen gefunden werden könne, ergänzend Bezug genommen hat. Das reicht indes nicht, um Fluchtgefahr zu begründen (VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, Rn. 30), wozu kommt, dass die vom BVwG auch erwähnte Sicherstellung des Reisepasses des Revisionswerbers, anders als das BVwG zum Ausdruck bringt, ein weitergehendes Sicherungsbedürfnis eher verminderte als erhöhte.
27 Damit ist das bekämpfte Erkenntnis in Bezug auf den angefochtenen Fortsetzungsausspruch mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, was auch auf die Abweisung des Kostenersatzantrages des Revisionswerbers durchschlägt.
28 Erweist sich der Fortsetzungsausspruch als rechtswidrig, so hat die darauf gegründete Fortsetzung der Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft bis zu seiner Abschiebung am 23. Mai 2019 keine ordnungsgemäße Grundlage, was nachträglich nicht mehr saniert werden kann (VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0161, 0162, Rn. 10). Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG war daher diese weitere Anhaltung (vom 13. Mai bis zum 23. Mai 2019) für rechtswidrig zu erklären (Abänderung von Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses) und infolge nunmehr vollständigen Obsiegens des Revisionswerbers mit seiner Schubhaftbeschwerde diesem gemäß § 35 VwGVG antragsgemäß Aufwandersatz zuzuerkennen (Abänderung von Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses). Dieser umfasst einerseits die Pauschalbeträge nach der VwG‑Aufwandersatzverordnung (insgesamt € 1.659,60) und andererseits die entrichtete Eingabengebühr nach § 2 Abs. 1 der BuLVwG‑Eingabengebührverordnung (€ 30,‑ ‑), somit in Summe € 1.689,60.
29 In Bezug auf die Eingabengebühr ist noch anzumerken, dass im Katalog der ersatzfähigen Aufwendungen (§ 35 Abs. 4 VwGVG) diese Gebühr ‑ anders als in dem mit 31. Dezember 2013 außer Kraft getretenen § 79a AVG, der den Aufwandersatz bei Maßnahmenbeschwerden im Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten regelte, und anders als in § 48 Abs. 1 Z 1 VwGG die vergleichbare Gebühr nach § 24a VwGG ‑ zwar nicht ausdrücklich angeführt wird. Einerseits zeigen die angesprochenen Parallelregelungen jedoch, dass der Ersatz einer von der obsiegenden Partei im betreffenden Verfahren entrichteten Gebühr dem Kostenrecht immanent ist, und andererseits bringen die ErläutRV zu § 35 VwGVG (2009 BlgNR 24. GP 8) deutlich zum Ausdruck, dass von den bisherigen Anordnungen des § 79a AVG im Ergebnis nicht abgewichen werden sollte („Die Bestimmung über die Kosten bei Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt entspricht § 79a AVG.“). Das gebietet es, die Eingabengebühr nach wie vor als ersatzfähig anzusehen, zumal es sich dabei letztlich im Sinn des § 35 Abs. 4 Z 1 VwGVG auch nur um besondere „Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat“ ‑ und die nicht mehr in Form von Stempelmarken, auf die § 79a Abs. 4 Z 1 AVG erkennbar Bezug genommen hatte, zu entrichten sind ‑ handelt (so jedenfalls im Ergebnis auch D. Ennöckl, in Raschauer/Wessely [Hrsg], VwGVG2 § 35 Rz 5, und darauf verweisend Reisner, in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 [2017], § 35 VwGVG Rz 20).
30 Der Spruch über den Aufwandersatz im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. Mai 2020
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