Normen
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210320.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind miteinander verheiratet und serbische Staatsangehörige. Sie haben zwei gemeinsame volljährige Kinder, eine 1997 geborene Tochter sowie einen 2001 geborenen Sohn.
2 Der Erstrevisionswerber reiste im Jahr 2008 im Zuge seiner damaligen Erwerbstätigkeit als Berufskraftfahrer für ein ungarisches Unternehmen mit einem ungarischen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet ein. Er meldete mit 18. September 2008 erstmals einen Hauptwohnsitz in Österreich an und stellte am 25. November 2008 einen Antrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung‑Angehöriger“ (der Aufenthaltstitel sollte von seinem angeblichen Bruder abgeleitet werden). Dieser Antrag wurde letztlich ‑ nach mehreren Rechtsgängen und zwischenzeitiger Abänderung in einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus Gründen des Art. 8 EMRK ‑ mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. Dezember 2014, bestätigt mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Wien vom 8. Juni 2015, abgewiesen.
3 Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. April 2010 war gegen den Erstrevisionswerber infolge der Betretung bei einer illegalen Beschäftigung auf einer Baustelle am 2. Juli 2009 und seines unrechtmäßigen Aufenthaltes ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Der dagegen erhobenen Berufung war mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 29. Februar 2012 insoweit stattgegeben worden, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf 18 Monate herabgesetzt wurde.
4 Der Erstrevisionswerber war am 1. Juli 2011 aus dem Bundesgebiet nach Serbien ausgereist, wo er seinen Familiennamen ändern ließ und unter dem geänderten Namen neuerlich die Zweitrevisionswerberin, von der er seit dem Jahr 2009 geschieden war, heiratete. In der Folge reiste er zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt mit dem geänderten Familiennamen wieder in das Bundesgebiet ein.
5 Mit Bescheid vom 16. November 2017 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Erstrevisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde. Unter einem wurde gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
6 Die Zweitrevisionswerberin hält sich zumindest seit 1. Jänner 2010 mit den beiden gemeinsamen Kindern im Bundesgebiet auf.
7 Am 12. November 2015 stellten die Zweitrevisionswerberin und die beiden Kinder Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005.
8 Der Antrag der Zweitrevisionswerberin wurde mit Bescheid des BFA vom 16. November 2017 abgewiesen; unter einem wurde gegen sie gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.
9 Auch die Anträge der Kinder wurden vom BFA zunächst mit Bescheiden vom 16. November 2017 abgewiesen; deren dagegen erhobenen Beschwerden wurde jedoch mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2019 stattgegeben, indem jeweils ausgesprochen wurde, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 BFA‑VG auf Dauer unzulässig sei und ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 erteilt werde.
10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Erstrevisionswerbers vom 15. Dezember 2017 und jene der Zweitrevisionswerberin vom 20. Dezember 2017 gegen die sie betreffenden, bereits dargestellten Bescheide (siehe Rn. 5 und Rn. 8), als unbegründet ab.
11 Bezüglich der Integration des Erstrevisionswerber berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere den vorgelegten, mit 11. Februar 2019 datierten Arbeitsvorvertrag eines Kleintransportunternehmens für eine unbefristete Beschäftigung als Fahrer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einem Netto-Lohn in der Höhe von € 1.200,‑ ‑ (14 Mal jährlich). Der Erstrevisionswerber habe Deutschzertifikate auf dem Niveau A1 und A2 vorlegen können, er sei in der mündlichen Verhandlung jedoch nur in der Lage gewesen, die an ihn auf Deutsch gerichteten Fragen zu verstehen, nicht aber auf Deutsch zu beantworten. Er habe sich zumindest seit 18. September 2008 überwiegend, mit nicht näher feststellbaren Unterbrechungen, im Bundesgebiet aufgehalten und sich dazwischen jeweils nur kurze Zeit in Serbien befunden. Ein Aufenthaltstitel sei dem Erstrevisionswerber in Österreich nie zugekommen. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Erstrevisionswerber zwischenzeitig aufgrund der Bestimmungen zur sichtvermerkfreien Einreise für kurze Zeiträume legal in Österreich aufgehalten habe. Zudem sei der Erstrevisionswerber bei einer dem Ausländerbeschäftigungsgesetz widersprechenden Beschäftigung betreten worden, woraufhin über ihn ein mit 18 Monaten befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Aus dem Sozialversicherungsdatenauszug des Erstrevisionswerbers gehe auch eine weitere, mehr als einjährige zur Sozialversicherung gemeldete Erwerbstätigkeit zwischen 2016 und 2017 hervor, obwohl der Erstrevisionswerber über keine Beschäftigungsbewilligung verfügt habe.
12 Auch bezüglich der Zweitrevisionswerberin verneinte das Bundesverwaltungsgericht maßgebliche Deutschkenntnisse, weil sie die an sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gerichteten Fragen zwar verstehen, jedoch nur einfache Fragen auf Deutsch beantworten habe können. Bis auf Besuche in Serbien in den Schulferien habe sie sich nach eigenen Angaben seit Jänner 2010 durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten. Der gegenständliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei jedoch erst am 12. November 2015 und somit fünfeinhalb Jahre nach ihrer Niederlassung in Österreich gestellt worden. Mangels Aufenthaltstitels komme der Zweitrevisionswerberin auch keine Beschäftigungsbewilligung zu. Dennoch habe sie seit 1. Jänner 2014 bis zumindest 27. Februar 2019 eine geringfügige, zwar zur Sozialversicherung gemeldete, jedoch unerlaubte Erwerbstätigkeit als Reinigungskraft ausgeübt. Weiters habe sie die durch diese Beschäftigung günstige Versicherungsmöglichkeit in der Krankenversicherung im Rahmen der Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG für sich, den Erstrevisionswerber und die beiden erwachsenen Kinder genützt.
13 Zum Familienleben mit den in Österreich inzwischen aufenthaltsberechtigten Kindern führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Familie bisher im gemeinsamen Haushalt gelebt habe und ein schützenswertes Familienleben zu bejahen sei. Den Kindern bliebe es jedoch bei Rückkehr der revisionswerbenden Parteien nach Serbien unbenommen, sich selbst eine Wohnung oder eine Unterkunft bei den zahlreichen in Österreich lebenden Verwandten zu suchen, eine mit den ihnen zuerkannten Aufenthaltstiteln nunmehr erlaubte Beschäftigung im Bundesgebiet aufzunehmen oder ihre Eltern nach Serbien zu begleiten. Die revisionswerbenden Parteien hätten ihren Unterhalt in Österreich beinahe ausschließlich von den finanziellen Zuwendungen des serbischen Großvaters der Zweitrevisionswerberin finanziert und es könne nicht erkannt werden, dass diese finanzielle Unterstützung für die beiden in Österreich aufenthaltsberechtigten Kinder nicht mehr ausreichen würde. Zudem könnten sich die revisionswerbenden Parteien in Serbien um eine Beschäftigung bemühen und ihre erwachsenen Kinder von dort aus zusätzlich unterstützen.
14 Zusammengefasst stünden dem damit erheblich zu relativierenden Privat- und Familienleben der revisionswerbenden Parteien der langjährige unrechtmäßige Aufenthalt und das dennoch beharrliche Verbleiben im Bundesgebiet, die Betretung bei bzw. die Ausübung von Erwerbstätigkeiten ohne Beschäftigungsbewilligungen über mehrere Jahre sowie beim Erstrevisionswerber auch der Versuch der Umgehung des Aufenthaltsverbotes durch Änderung seines Nachnamens gegenüber. Das Bundesverwaltungsgericht komme daher trotz der langen Aufenthaltsdauer und der familiären Bindungen zu den beiden in Österreich nunmehr aufenthaltsberechtigten, erwachsenen Kindern im Ergebnis zu dem Schluss, dass die öffentliche Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die persönlichen Interessen der revisionswerbenden Parteien an einem Verbleib im Bundesgebiet überwögen.
15 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
16 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
17 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
18 Die Revision bringt unter diesem Gesichtspunkt vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Aufenthaltsverfestigung im Inland abgewichen sei, indem es der langen Aufenthaltsdauer der revisionswerbenden Parteien und den familiären Bindungen im Bundesgebiet zu den beiden in Österreich nunmehr aufenthaltsberechtigten Kindern nicht die gebotene Bedeutung zugemessen und damit die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK falsch vorgenommen habe.
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat aber schon vielfach ausgesprochen, dass die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK iVm § 9 BFA‑VG dann nicht revisibel ist, wenn sie im Ergebnis vertretbar ist und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt (vgl. etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0264, Rn. 9, mwN).
20 Weder eine derartige Unvertretbarkeit des Ergebnisses noch ein maßgeblicher Begründungsmangel sind im vorliegenden Fall, in dem sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung auch einen persönlichen Eindruck von den revisionswerbenden Parteien gemacht hat, zu sehen.
21 Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen; nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ausnahmsweise auch nach so langem Inhaltsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete aber auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte ein Überwiegen des persönlichen Interesses eines Fremden an einem Verbleib im Inland dann nicht als zwingend, wenn dem Umstände entgegen stehen, die das gegen diesen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. aus jüngerer Zeit etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243, Rn. 9, mwN).
22 Im vorliegenden Fall kann dem Bundesverwaltungsgericht nicht entgegen getreten werden, wenn es den Inlandsaufenthalt des Erstrevisionswerbers insbesondere durch das verhängte Aufenthaltsverbot und die Namensänderung zu dessen Umgehung als relativiert angesehen hat. Zwar wurde nicht festgestellt, dass der Erstrevisionswerber nicht ohnedies die gesamte Dauer des Aufenthaltsverbots in Serbien verbracht hat, allerdings könnte diesfalls auch nicht von einem mehr als zehnjährigen durchgehenden Inlandsaufenthalt ausgegangen werden. Die lange Dauer des Aufenthaltstitelverfahrens war zwar überwiegend auf behördliche Verzögerungen zurückzuführen, was aber nicht maßgeblich zu Gunsten des Revisionswerbers ins Gewicht fällt, weil das nur die erste Phase seines Aufenthalts betraf und weil er im Übrigen auch während des Verfahrens niemals über ein (wenn auch nur vorläufiges) Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt hat. Auch der Aufenthalt der Zweitrevisionswerberin war zu keinem Zeitpunkt rechtmäßig; er hatte außerdem zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht die Dauer von zehn Jahren noch nicht erreicht.
23 Was die Beziehung der revisionswerbenden Parteien zu ihren volljährigen, in Österreich aufenthaltsberechtigten Kindern betrifft, so wurde sie vom Bundesverwaltungsgericht ohnedies unter dem Aspekt des Familienlebens berücksichtigt. Dass das Bundesverwaltungsgericht ‑ vor allem vor dem Hintergrund der unbestrittenen Möglichkeit des Sohnes und der Tochter, in Österreich Unterstützung durch Verwandte zu erfahren oder aber die Eltern nach Serbien zu begleiten ‑ dennoch zum Ergebnis kam, dass die persönlichen Interessen der revisionswerbenden Parteien an einem Verbleib im Bundesgebiet nicht die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden, ist nicht als unvertretbar zu erkennen.
24 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ‑ nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde ‑ gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 28. Mai 2020
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