Normen
AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §52
AVG §58 Abs2
AVG §60
DPL NÖ 1972 §76 Abs10
DPL NÖ 1972 §76 Abs9 Z3
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019120084.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der revisionswerbenden Partei € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin stand in einem öffentlich‑rechtlichen Aktivdienstverhältnis zum Land Niederösterreich. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. Juni 2017 wurde sie gemäß § 21 Abs. 2 lit. b der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972 (DPL 1972) mit Ablauf des 30. Juni 2017 in den dauernden Ruhestand versetzt.
2 Im Rahmen des Ruhestandsversetzungsverfahrens war ein psychiatrisch‑neurologisches Gutachten des Sachverständigen Dr. B vom 20. März 2017 eingeholt worden, das zu dem Ergebnis gelangt war, die Revisionsweberin sei derzeit dienstunfähig. Zu den möglichen aktuellen Tätigkeiten war ausgeführt worden, körperlich seien alle Tätigkeiten möglich. Die emotionale Belastbarkeit sei nur sehr gering und nur für sehr einfache anspruchslose manuelle Tätigkeiten gegeben, wobei der Zeitdruck nicht mehr als durchschnittlich sein dürfe. Eine darüber hinausgehende wesentliche Besserung sei wenig wahrscheinlich.
3 Im Ergänzungsgutachten vom 14. April 2017 war Dr. B zum Ergebnis gelangt, dass die Revisionswerberin dauernd dienstunfähig sei.
4 In dem im Rahmen des Verfahrens zur Bemessung der Gesamtpension eingeholten Gutachten vom 25. Juli 2017 gelangte der berufskundliche Sachverständige Dr. E zu dem Ergebnis, dass folgende körperbetonte Hilfs‑ und Handlanger‑Berufstätigkeiten (Arbeiterberufe) am allgemeinen Arbeitsmarkt der gesundheitlichen (psychischen) Leistungsfähigkeit der Revisionswerberin laut den vorliegenden neurologisch‑psychiatrischen Begutachtungsergebnissen Dris. B vom 20. Märzund vom 14. April 2017 der Leistungsfähigkeit der Revisionswerberin entsprächen: Gärtnerische‑Hilfskraft‑Berufstätigkeiten, eingesetzt für z.B. Säuberung und Reinhaltung von Garten‑ und Parkanlagen, für friedhofsgärtnerische Tätigkeiten oder für Gartenpflegearbeiten in Wohnhausanlagen; Reinigungsarbeitskraft‑Berufstätigkeiten, eingesetzt für Wohnhausanlagen‑Reinigungstätigkeiten, Säuberung von Straßen‑ und Gehsteigflächen (Straßenkehrer‑Berufstätigkeiten); HandelsarbeiterInnen‑Berufstätigkeiten, eingesetzt für Regalbetreuungsarbeiten, Preisetikettierarbeiten, Warenzubringung, Warenaussortiertätigkeiten (z.B. bei Überschreitung des Haltbarkeitsdatums, Änderungen des Warensortiments).
5 In ihrer Stellungnahme vom 1. Juni 2017 führte die Revisionswerberin unter anderem aus, entgegen den Ausführungen im Gutachten Dris. B sei aus den vorliegenden ärztlichen Attesten (DDris. L, Dris. P, diverser Therapiezentren) eindeutig abzuleiten, dass die psychisch bedingten Umstände weit gravierendere Folgen hätten, als eine Herabsetzung der emotionalen Belastbarkeit der Revisionswerberin. Vor allem aus den fachärztlichen Bestätigungen DDris. L könne einzig und allein abgeleitet werden, dass überhaupt keine Belastbarkeit bei welcher Art von Tätigkeit auch immer vorhanden sei. Dies gelte ebenso für sogenannte anspruchslose manuelle Tätigkeiten. Darüber hinaus sei auf Grund der bereits vorliegenden Krankenstandsdauer jede Verweisbarkeit auf irgendeine andere Tätigkeit, auch auf eine anspruchslose manuelle Tätigkeit ausgeschlossen, weil viel zu hohe Krankenstandszeiten auch in Zukunft erwartet werden müssten. In sachlicher Hinsicht wäre der gutachterliche Schluss nicht nur zulässig, sondern notwendig, dass die Revisionswerberin alleine auf Grund der vorliegenden psychischen Beeinträchtigungen überhaupt keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen könne.
6 In ihrer Stellungnahme vom 16. Oktober 2017 brachte die Revisionswerberin unter anderem vor, es liege bei ihr Erwerbsunfähigkeit vor. Sie legte zum Beweis dafür das psychiatrisch‑neurologische Gutachten Dris. J vor, das zu dem Ergebnis gelangte, es liege bei der Revisionswerberin eine nur kurzfristig aufrecht erhaltbare Konzentrations‑ und Aufmerksamkeitsleistung vor, sodass die Integration in einen neuen Aufgabenbereich auszuschließen sei. Es sei von einer völligen Unfähigkeit einer beruflichen Tätigkeit zur Erlangung eines Erwerbseinkommens auszugehen, sodass im Gesamten eine Erwerbsunfähigkeit vorliege. Diesem Gutachten lag der psychologische Befund der Psychologin Mag.a P zugrunde.
7 Im hierauf eingeholten Ergänzungsgutachten vom 8. November 2017 gelangte Dr. B zu dem Ergebnis, es gebe aktuell kein schlüssiges Substrat, welches zu einer Änderung des von ihm skizzierten sehr geringen Leistungskalküls einer Restarbeitsfähigkeit führen sollte. Die Ansicht Dris. J, dass völlige Unfähigkeit zu einer beruflichen Tätigkeit zur Erlangung eines Erwerbseinkommens bestehe, könne er nicht teilen.
8 In ihrer Stellungnahme vom 3. Jänner 2018 führte die Revisionswerberin unter anderem aus, durch die Aussage Dris. B in seinem Ergänzungsgutachten, wonach er der Ansicht des Sachverständigen Dr. J nicht beitreten könne bzw. diese nicht teile, ohne dass eine korrekte Begründung oder Gegenargumentation erfolgt sei, erweise sich das Ergänzungsgutachten Dris. B als ungeeignet und unbegründet. Es wurde beantragt, ein „Übergutachten“ eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und weiters ein Gutachten eines anderen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Berufskunde einzuholen.
9 Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. März 2018 wurde festgestellt, dass der Revisionswerberin gemäß § 80a iVm §§ 76, 76a, 76b und 76c sowie Art. XXII und Art. XXX Abs. 10 der Anlage B der DPL 1972 eine Gesamtpension in der Höhe von monatlich brutto € 1.809,06 gebühre. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin zur Durchführung der im berufskundlichen Sachverständigengutachten Dris. E vom 25. Juli 2017 angeführten Tätigkeiten in der Lage sei, sodass eine Erwerbsunfähigkeit nicht vorliege und mit einer Kürzung gemäß § 76 Abs. 8 DPL 1972 vorzugehen gewesen sei.
10 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin die Beschwerde vom 23. Mai 2018, in der sie ausführlich argumentierte, weshalb ihrer Ansicht nach von einer Erwerbsunfähigkeit auszugehen sei. Sie brachte vor, weshalb sie das vorliegende berufskundliche Gutachten als unschlüssig sowie die Gutachten Dris. B als unschlüssig und nicht nachvollziehbar erachte. Die belangte Behörde wäre deshalb verpflichtet gewesen, ein weiteres Gutachten im Sinne eines Übergutachtens einzuholen. Eine Auseinandersetzung mit den vorliegenden widersprüchlichen psychiatrischen Gutachten sei durch die Dienstbehörde nicht erfolgt. Es wurde unter anderem auf das Attest vom 14. Mai 2018 verwiesen, in dem DDr. L zur Diagnose „Cerebrovask. Insuff., Zustand der totalen Erschöpfung“ gelangt sei, und wonach die Revisionswerberin psychisch nachvollziehbar absolut nicht belastbar sei.
11 Mit der über Aufforderung des Landesverwaltungsgerichts erstatteten Äußerung vom 8. November 2018 legte die Revisionswerberin den psychologischen Befund der Mag.a P vom 19. Juli 2017, der dem Gutachten Dris. J zu Grunde lag, vor, der zu dem Ergebnis gelangte, dass Durchhaltevermögen und Daueraufmerksamkeit für die berufliche Reintegration der Revisionswerberin in der Verhaltensbeobachtung und auf Grund der testpsychologischen Ergebnisse zur Zeit weder psychisch noch physisch zur Verfügung stünden. Es wurde in der Äußerung wiederum argumentiert, das Gutachten Dris. B sei unvollständig und unschlüssig und der Antrag gestellt, ein psychiatrisches Übergutachten einzuholen. Weiters wurde die neuerliche Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens nach dem Vorliegen der Beurteilung der zu erwartenden Krankenstände durch den medizinischen Sachverständigen beantragt.
12 Im eingeholten Ergänzungsgutachten vom 22. Februar 2019 führte Dr. B aus, die Restarbeitsfähigkeit der Revisionswerberin sei seit seiner Letztbegutachtung keinesfalls schlechter geworden. Das von ihm skizzierte Leistungskalkül bleibe unverändert aufrecht.
13 In der am 6. Mai 2019 vor dem Landesverwaltungsgericht durchgeführten Verhandlung beantwortete der Sachverständige Dr. B Fragen des Rechtsvertreters der Revisionswerberin.
14 In dem vom Verwaltungsgericht eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachten vom 22. Juli 2019 gelangte Dr. W zu dem Ergebnis, der Revisionswerberin seien aus orthopädischer Sicht leichte, sowie halbzeitig mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, im Freien und in geschlossenen Räumen im Verlauf einer normalen Arbeitszeit unter Einhaltung der gesetzlichen Pausen zumutbar. Die Arbeiten könnten in Kälte und Nässe bei Tragen entsprechender Kleidung ausgeübt werden. Gehäuftes Bücken (mehr als acht‑ bis zehnmal pro Stunde) sei auszuschließen. Arbeiten in vorgebeugter Körperhaltung und im Knien und Hocken seien drittelzeitig über den Tag verteilt möglich. Die Fingerfertigkeit der Revisionswerberin sei kalkülsrelevant nicht eingeschränkt. Der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sei nicht eingeschränkt, öffentliche Verkehrsmittel könnten verwendet werden. Unter Einhaltung des oben angeführten Leistungskalküls seien Krankenstände aus dem orthopädischen Fachgebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.
15 Mit Schriftsatz vom 9. September 2019 ergänzte die Revisionswerberin ihre Beschwerde und stellte Anträge auf 1. Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens unter Bedachtnahme auf gleichzeitig vorgelegte Urkunden, 2. Einvernahme der Psychologin Mag.a B zu einem konkret angeführten Beweisthema sowie 3. die Einholung eines neuerlichen psychologischen Befundes und danach die Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens und daraufhin die neuerliche Einholung eines berufskundlichen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Revisionswerberin nicht geeignet sei, Berufstätigkeiten im Sinne von Hilfs‑ und Handlangertätigkeiten (Arbeiterberufe) auszuführen und daher überhaupt nicht auf andere Berufe verweisbar sei.
16 Im daraufhin eingeholten orthopädischen Ergänzungsgutachten vom 30. September 2019 gelangte Dr. W zu dem Ergebnis, dass sich keinerlei Änderung des Leistungskalküls zum Gutachten vom 22. Juli 2019 ergebe.
17 In der Stellungnahme vom 22. Oktober 2019 wurde unter anderem wieder der Antrag gestellt, ein neues berufskundliches Sachverständigengutachten einzuholen.
18 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.
19 Nach Darstellung des Verfahrensganges führte das Landesverwaltungsgericht Folgendes aus:
„3. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin war am 1. Juli 2017 gesundheitlich geeignet, Berufstätigkeiten gemäß dem Gutachten aus dem Bereich der Berufskunde vom 25. Juli 2017 (als gärtnerische Hilfskraft, als Reinigungsarbeitskraft oder als Handelsarbeiterin) in der normalen Arbeitszeit und mit den üblichen Arbeitspausen auszuüben.
4. Beweiswürdigung:
Die Feststellung beruht auf dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten aus dem Bereich der Berufskunde vom 25. Juli 2017 sowie auf den im Beschwerdeverfahren eingeholten fachmedizinischen Gutachten aus dem Bereich Psychiatrie und Neurologie sowie aus dem Bereich Orthopädie. Das Gutachten aus dem Bereich Orthopädie blieb nach antragsgemäßer Ergänzung zuletzt unbestritten. Soweit die Beschwerdeführerin das Gutachten aus dem Bereich Psychiatrie und Neurologie mit dem Privatgutachten des Dr. J. und des Univ.Doz.DDr. L. bestreitet, hat der nichtamtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung seine Beurteilung nachvollziehbar und schlüssig dargelegt und alle Fragen der Beschwerdeführerin zu den genannten Privatgutachten beantwortet. Soweit die Beschwerdeführerin das Gutachten aus dem Bereich der Berufskunde mit der Begründung als unschlüssig bestreitet, dass die dort aufgezeigten Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar seien, ist sie auf die Rechtsprechung zu verweisen, der zufolge es nicht entscheidend ist, ob die in Frage kommenden Tätigkeiten am Arbeitsmarkt verfügbar sind oder nicht (VwGH/2000/12/0079). Ob dem Beamten eine solche Beschäftigung, die an sich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist, tatsächlich vermittelt werden kann, ist für die abstrakt vorzunehmende Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ohne Bedeutung (VwGH/2009/12/0078).
Soweit die Beschwerdeführerin zuletzt neuerliche Gutachten auf allen genannten Bereichen und zusätzlich auf dem ‑ nicht medizinischen ‑ Bereich Psychologie beantragt hat, erscheint dies vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses nicht begründet, zumal sie die Schlüssigkeit der Gutachten weder auf gleicher fachlicher Ebene noch aus Sicht der allgemeinen Lebenserfahrung nachvollziehbar in Zweifel ziehen konnte (VwGH 2007/12/0197). Von der gebotenen Möglichkeit der Beteiligung des Privatgutachters Dr. J. hat die Beschwerdeführerin keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr erweckte die Beschwerdeführerin am Ende des Ermittlungsverfahrens ‑ insbesondere durch ihre von dessen Ergebnissen unbeirrte Aufrechterhaltung aller Anträge vom 22. Oktober 2019 ‑ den Eindruck, dass sie die Gutachtenslage nicht wahrhaben will.“
20 Nach teilweiser Wiedergabe des § 76 DPL 1972 führte das Landesverwaltungsgericht Folgendes aus:
„6. Erwägungen:
Soweit die gegenständliche Beschwerde die Rechtsfrage aufwirft, ob die belangte Behörde oder der Gutachter aus dem Bereich der Berufskunde die Begriffe der Dienstunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit in dem Sinne nicht gesetzeskonform angewandt habe, als die Beschwerdeführerin im Fall eines für Hilfstätigkeiten ausreichenden Restkalküls infolge zustimmungsfähiger Überstellbarkeit nicht dienstunfähig wäre, und andererseits eine solche Überstellung gemäß § 18 Abs. 3 DPL 1972 ohne ihre schriftliche Zustimmung unzulässig wäre, kann sie insoweit weder den damit begründeten Einwand gegen das berufskundliche Gutachten noch den behaupteten Widerspruch zwischen § 18 Abs. 3 DPL 1972 und den hier relevanten Bestimmungen zur Bedeutung der Erwerbsfähigkeit aufzeigen, als dauernde Dienstunfähigkeit und die (weit darüber hinausgehende) Erwerbsunfähigkeit völlig verschiedene Kriterien darstellen, von denen zur Ruhestandsversetzung die dauernde Dienstunfähigkeit im Dienstzweig grundsätzlich ausreicht ‑ und im vorliegenden Fall auch ausgereicht hat. Vor diesem Hintergrund kann keine gesetzwidrige Anwendung des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit erkennt werden (VwGH 2002/12/0292).
Soweit die Beschwerdeführerin zuletzt die Befangenheit des fachkundigen Laienrichters mit der Begründung behauptet, dieser habe ihre Ruhestandsversetzung unterfertigt und sei wohl auch in das gegenständliche Verwaltungsverfahren verwickelt gewesen, ist ihr dessen dazu eingeholte Stellungnahme entgegenzuhalten, der zufolge Bescheide aus Verfahren der Versetzung in den Ruhestand dem Grunde nach einerseits und aus Verfahren betreffend die Ruhegenussbemessung andererseits seit vielen Jahren des Pensionsrechtsvollzuges in der Abteilung Personalangelegenheiten A beim Amt der NÖ Landesregierung getrennten und insbesondere unterschiedlichen Approbationsverläufen unterliegen. Während Ruhestandsversetzungsbescheide dem Grunde nach durch juristische Sachbearbeiter zu approbieren sind, ist die Approbation von Ruhegenussbemessungsbescheiden (wie auch die Führung der diesbezüglichen Verfahren) vom Aufgabenkreis der zuständigen Fachbereichsleitung umfasst. Im gegenständlichen Verfahren der Ruhegenussbemessung, das letztlich zum nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. März 2018, LAD2‑P‑1455564/108‑2017, geführt hat, ist seitens des fachkundigen Laienrichters keine verfahrensrelevante Mitwirkung erfolgt. Die Beschwerdeführerin kann in ihrer Eingabe vom 22. Oktober 2019 auch keine Anhaltspunkte darlegen, aus denen eine verfahrensrelevante Mitwirkung erkennbar wäre. Die in dieser Eingabe geäußerte Vermutung, jener den Ruhegenussbemessungsbescheid unterfertigende Organwalter hätte seine diesbezügliche Zuständigkeit (offenbar nur in der gegenständlichen Rechtssache) unrechtmäßigerweise wahrgenommen, entbehrt jeder Grundlage.
Die Befangenheitseinrede erweist sich somit als unbegründet.“
21 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, dieser Folge zu geben und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, in eventu dahin abzuändern, dass der belangten Behörde aufgetragen werde, die Gesamtpension so zu bemessen, dass keine Kürzung der Ruhegenussbemessungsgrundlage gemäß § 76 Abs. 8 DPL 1972 erfolgt, in eventu die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragte, die Revision nicht zuzulassen, in eventu als unbegründet abzuweisen.
22 Die Revision erweist sich schon insofern als zulässig, als in der Zulässigkeitsbegründung vorgebracht wird, das Landesverwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 13.8.1991, 90/10/0001) seiner Entscheidung das Gutachten Dris. B zugrunde gelegt, obwohl die Revisionswerberin das auf einem psychologischen Befund gründende, zum gegenteiligen Ergebnis gelangende Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. J vorgelegt habe und sich trotz des ausführlichen Vorbringens der Revisionswerberin bezüglich der unterschiedlichen Gutachtensergebnisse mit dem vorgelegten Gutachten des Sachverständigen Dr. J und dem psychologischen Befund inhaltlich nicht beschäftigt habe. Sie ist auch berechtigt.
23 § 76 DPL 1972, LGBl. 2200 in der Fassung LGBl. 2200‑78 lautet auszugsweise:
„§ 76
Ruhegenuß
(1) Dem in den Ruhestand versetzten Beamten gebührt ein monatlicher Ruhegenuß, wenn seine ruhegenußfähige Gesamtdienstzeit mindestens 15 Jahre beträgt.
...
(8) Für jeden Monat, der zwischen dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Versetzung in den Ruhestand und dem Ablauf des Monates liegt, zu dem der Beamte frühestens gemäß § 21 Abs. 2 lit.d, allenfalls in Verbindung mit Art. XXIII Abs. 2 der Anlage B, in den Ruhestand versetzt hätte werden können, ist das Prozentausmaß der Ruhegenussbemessungsgrundlage um 0,28 Prozentpunkte, höchstens jedoch um 18 Prozentpunkte zu kürzen. Im Falle einer Versetzung in den Ruhestand gemäß § 21 Abs. 2 lit.b ist das Prozentausmaß der Ruhegenussbemessungsgrundlage, läge zum in Artikel XXIX Abs. 1 der Anlage B angeführten Antrittsalter eine beitragsgedeckte Gesamtdienstzeit (Art. XXIX Abs. 2 der Anlage B) von 40 Jahren vor, bis zu dem in Artikel XXIX Abs. 1 der Anlage B angeführten Antrittsalter um 0,28 Prozentpunkte und darüber bis zum Ablauf des Monates, zu dem der Beamte frühestens gemäß § 21 Abs. 2 lit.d, allenfalls in Verbindung mit Artikel XXIII Abs. 2 der Anlage B, in den Ruhestand versetzt hätte werden können, um 0,1667 Prozentpunkte, insgesamt höchstens jedoch um 18 Prozentpunkte zu kürzen. Bruchteile von Monaten gelten dabei als voller Monat. Das sich aus dieser Kürzung ergebende Prozentausmaß der Ruhegenussbemessungsgrundlage ist auf zwei Kommastellen zu runden.
...
(9) Eine Kürzung nach Abs. 8 findet nicht statt
...
3. wenn der Beamte zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Ruhestandsversetzung dauernd erwerbsunfähig ist.
(10) Als dauernd erwerbsunfähig im Sinne des Abs. 9 Z 3 gilt ein Beamter nur dann, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen.
...“
24 Im Erkenntnis vom 29. Februar 2008, 2005/12/0221, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, bei der Auslegung des Begriffes der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 76 Abs. 9 Z 3 iVm Abs. 10 DPL 1972 handelt es sich um eine Rechtsfrage; die Behörde hat auf Grundlage entsprechender Sachverständigengutachten eine Auseinandersetzung mit dem gesamten Leidenszustand im Hinblick auf die abstrakte Eingliederungsmöglichkeit in den Arbeitsprozess vorzunehmen (VwGH 15.10.2003, 2001/12/0236). Die Erwerbsfähigkeit setzt jedenfalls eine im Arbeitsleben grundsätzlich notwendige gesundheitlich durchgehende Einsatzfähigkeit des Beamten voraus. Hiebei ist weiters zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (z.B. Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) noch gegeben ist (VwGH 20.2.2002, 2000/12/0058, und 26.6.2002, 2000/12/0079, mwN). Dabei sind auch die zu erwartenden Krankenstände erheblich.
25 Die einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugängliche Beantwortung der Frage des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit bedarf zunächst der widerspruchsfreien Klärung der Frage des physischen und psychischen Leistungskalküls der Revisionswerberin und sodann ‑ sofern eine Restarbeitsfähigkeit gegeben ist ‑ erforderlichenfalls die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens, in dem auf dem (den) medizinischen Gutachten aufbauend darzulegen ist, ob innerhalb des physischen und psychischen (Rest‑)Leistungsvermögens eine Einsatzfähigkeit in bestimmten Tätigkeiten (Berufen) in Betracht kommt (VwGH 7.9.2004, 2004/12/0056, mwN).
26 Liegen einander widersprechende Gutachten vor, ist es dem Verwaltungsgericht gestattet, sich dem einen oder dem anderen Gutachten anzuschließen, es hat diesfalls jedoch ‑ im Rahmen seiner Beweiswürdigung ‑ seine Gedankengänge darzulegen, die es veranlasst haben, von den an sich gleichwertigen Beweismitteln dem einen einen höheren Beweiswert zuzubilligen als dem anderen. Im Fall des Vorliegens mehrerer Gutachten, die voneinander abweichende Schlussfolgerungen enthalten, ist das Verwaltungsgericht somit gehalten, sich mit den unterschiedlichen Ergebnissen der Gutachten der beteiligten Ärzte beweiswürdigend auseinanderzusetzen. Dabei ist die Schlüssigkeit eines Gutachtens zu prüfen und einer sorgfältigen Beweiswürdigung zu unterziehen (vgl. etwa VwGH 3.10.2018, Ra 2017/12/0088, mwN; sowie das in der Zulässigkeitsbegründung der Revision zitierte Erkenntnis VwGH 13.8.1991, 90/10/0001).
27 Im Revisionsfall liegen einander widersprechende psychiatrische Gutachten von Dr. B und Dr. J vor. Darüber hinaus liegt ein psychologischer Befund vor, der dem Gutachten Dris. J zugrunde lag und dessen Ergebnis die Annahme der Erwerbsunfähigkeit der Revisionswerberin stützt. Das Landesverwaltungsgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der Gutachten Dris. B, der zum Ergebnis gelangte, dass bei der Revisionswerberin eine Restarbeitsfähigkeit vorliege, begründungslos behauptet, ohne sich beweiswürdigend inhaltlich mit den Gutachten Dris. B auseinanderzusetzen; ebenso hat es unterlassen, sich beweiswürdigend inhaltlich mit dem ‑ zu den Gutachten Dris. B widersprüchlichen ‑ Gutachten Dris, J und dem diesem zugrunde liegenden psychologischen Befund auseinanderzusetzen. Schon darin, dass somit eine der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes zugängliche Prüfung der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der genannten Gutachten und des psychologischen Befundes sowie ihres Beweiswertes im Verhältnis zum Gutachten Dris.B nicht stattgefunden hat, liegt ein Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt.
28 Das Landesverwaltungsgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren daher mit der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der psychiatrischen Gutachten Dris. B und Dris. J samt dem psychologischen Befund unter inhaltlicher Prüfung beweiswürdigend auseinanderzusetzen haben, wobei es auch auf das Vorbringen der Revisionswerberin in ihren zahlreichen Schriftsätzen zur Unvollständigkeit und Unschlüssigkeit der Gutachten Dris. B einzugehen haben wird. Die Entscheidung, ob ein weiteres Gutachten einzuholen sein wird, liegt beim Verwaltungsgericht. Ein weiteres Gutachten wird das Landesverwaltungsgericht jedenfalls dann einzuholen haben, wenn sich die vorliegenden psychiatrisch‑neurologischen Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen (vgl. z.B. VwGH 24.4.2014, 2013/09/0119).
29 Sollte das Landesverwaltungsgericht unter Klärung der Frage des psychischen und physischen Leistungskalküls der Revisionswerberin zum Vorliegen einer Restarbeitsfähigkeit gelangen, wäre unter Bekanntgabe dieses Restleistungskalküls ein berufskundliches (Ergänzungs)Gutachten einzuholen. Dabei müssten dem berufskundlichen Sachverständigen auch die orthopädischen Gutachten Dris. W bekanntgegeben werden, weil das dort angeführte Restleistungskalkül der Revisionswerberin dem berufskundlichen Sachverständigen im Zeitpunkt der Erstellung seines Gutachtens noch nicht bekannt war.
30 Angesichts der Tatsache, dass die ‑ im Ruhestandsversetzungsverfahren bejahte ‑ dauernde Dienstunfähigkeit der Revisionswerberin zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur Bemessung der Gesamtpension unstrittig war, begründet auch die Mitwirkung am Ruhestandsversetzungsverfahren keine Befangenheit dieses Laienrichters.
31 Ein Vorbringen zu § 18 Abs. 3 DPL 1972 wurde in der Revision nicht mehr erstattet. Die Anwendung dieser Bestimmung auf die Revisionswerberin käme nach deren Versetzung in den dauernden Ruhestand ohnehin nicht (mehr) in Betracht.
32 Im Sinne obiger Ausführungen war das angefochtene Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
33 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. August 2020
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