VwGH Ra 2019/14/0260

VwGHRa 2019/14/026025.6.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y in Z, vertreten durch Rihs Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2019, L524 2139036-1/28E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140260.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger sunnitisch-muslimischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 16. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, er sei als Angestellter eines Damenbekleidungsgeschäfts von Mitgliedern einer schiitischen Miliz bedroht und aufgefordert worden, ihnen Geld zu geben und sich ihnen anzuschließen. Aus Furcht sei er nicht mehr zur Arbeit gegangen, ein paar Tage später sei sein eigenes Geschäft abgebrannt.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 24. Oktober 2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. April 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe lediglich kursorische Feststellungen zur Integration des Revisionswerbers getroffen und in seiner Begründung die Anmeldung eines Gewerbes, die Eintragung ins Gewerberegister und seine berufliche Selbsterhaltungsfähigkeit nicht erwähnt. Auch zur sozialen Integration würden wesentliche Feststellungen fehlen, etwa dass der Revisionswerber für ein älteres Ehepaar "wie ein Sohn" sei. Das Bundesverwaltungsgericht sei damit seiner Ermittlungs- und Begründungspflicht nur unzureichend nachgekommen. 8 Mit ihrem Vorbringen spricht die Revision Ermittlungs- bzw. Begründungsmängel an und macht somit Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulassungsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 28.3.2019, Ra 2018/14/0380; 28.3.2019, Ra 2018/14/0406, mwN).

9 Insofern die Revision im Zusammenhang mit einer (künftigen) Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers das Fehlen von Feststellungen rügt, legt sie nicht konkret dar, dass diese Feststellungen zu einem anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Verfahrensausgang im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK hätten führen können. Sollte die Revision mit ihren Ausführungen das Vorliegen einer schon aktuellen Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers meinen, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach der Lebensunterhalt des Revisionswerbers aus Mitteln der Grundversorgung bestritten wird. Das greift die Revision nicht an. 10 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 5.12.2018, Ra 2018/20/0371, mwN).

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 5.11.2018, Ra 2018/14/0166, mwN).

12 Dem Revisionswerber gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Rückkehrentscheidung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen und die im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat entgegen dem Vorbringen in der Revision die soziale, kulturelle, sprachliche und wirtschaftliche Integration des Revisionswerbers, darunter auch dessen beabsichtigte selbständige Tätigkeit, in seinen Feststellungen berücksichtigt und in seine rechtliche Beurteilung miteinbezogen. Die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der selbständigen Tätigkeit des Revisionswerbers keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, ist nicht zu beanstanden. Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. zuletzt VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049, mwN).

13 Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 2.8.2016, Ra 2016/20/0152, mwN). Mit dem Vorbringen, der Revisionswerber sei für ein älteres Ehepaar "wie ein Sohn", wird nicht dargetan, dass ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne der zitierten Rechtsprechung bestünde.

14 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juni 2019

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