VwGH Ra 2019/14/0030

VwGHRa 2019/14/003027.6.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. November 2018, I421 2194808- 1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: X Y, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs2
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z6
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140030.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) II. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der aus Nigeria stammende Mitbeteiligte stellte am 5. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 6. Oktober 2016 ab und verband dies (u.a.) mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG). Die Frist für die freiwillige Ausreise des Mitbeteiligten wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Mangels Erhebung einer Beschwerde erwuchs der Bescheid in Rechtskraft.

3 Am 28. Februar 2018 stellte der Mitbeteiligte einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag (nachdem der Mitbeteiligte mehrfach vernommen und ihm Gelegenheit zu einer Stellungnahme eingeräumt worden war) mit Bescheid vom 9. April 2018 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Unter einem sprach die Behörde aus, dass dem Mitbeteiligten kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Weiters erließ die Behörde gegen den Mitbeteiligten gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot und sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

5 Begründend stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Revisionsverfahren betreffend die Erlassung des Einreiseverbotes von Interesse - darauf ab, dass der Mitbeteiligte die ihm bei Abschluss seines ersten Asylverfahrens gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise in sein Heimatland nicht eingehalten habe. Er habe somit einer behördlichen Anordnung nicht Folge geleistet und diese gröblich missachtet. Fest stehe, dass der Revisionswerber seine Anträge offensichtlich unbegründet und rechtsmissbräuchlich gestellt habe. Zudem habe er Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachweisen können.

6 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Bezug auf die Erlassung des Einreiseverbotes im Wesentlichen aus, gegen den Mitbeteiligten sei bereits rechtskräftig eine Rückkehrentscheidung erlassen worden. Er habe aber die Anweisung, innerhalb der gesetzten Frist das Bundesgebiet bzw. das Schengengebiet zu verlassen, nicht befolgt. Dieses Fehlverhalten könne keineswegs als minderes oder geringfügiges Fehlverhalten eingestuft werden. Im konkreten Fall liege neben dem illegalen Aufenthalt des Revisionswerbers auch der Umstand vor, dass er den Ausreisebefehl nach einem negativen Asylverfahren missachtet habe. Von einer geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung könne hier nicht mehr gesprochen werden.

7 Auch wenn das Fehlverhalten des Mitbeteiligten unter keine der Ziffern des § 53 Abs. 2 FPG subsumiert werden könne, sei aufgrund seines Verhaltens davon auszugehen, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sei und es den in Art. 8 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufe. Umgehungen und Missachtungen der Vorschriften des FPG und der darauf gestützten Bescheide seien keinesfalls als minderes oder geringfügiges Fehlverhalten einzustufen.

8 Bei einem Fremden, dem bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt zur Last zu legen sei, könne die Erlassung eines Einreiseverbotes im Einzelfall unterbleiben. Das sei aber gegenständlich nicht der Fall, zumal der Ausreisebefehl nach Abschluss des (ersten) Asylverfahrens missachtet worden sei. Dies könne in Zeiten eines Migrationsstromes nach Mitteleuropa unter Missbrauch des Asylrechts als Einwanderungsrecht niemals als nur geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen gewertet werden. Der Mitbeteiligte sei offenkundig nicht bereit, die österreichische Rechtsordnung und die nach den Gesetzen ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen zu beachten.

9 Es sei aber auch der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt. Die Mittellosigkeit eines Fremden sei im Hinblick auf die daraus resultierende Gefahr der illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt eine ausreichende Grundlage für die gerechtfertigte Annahme, dass der Aufenthalt dieses Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Hingegen sei es für diese Annahme nicht erforderlich, dass ein Fremder bereits strafbare Handlungen begangen habe. Schon die Gefahr der finanziellen Belastung der öffentlichen Hand rechtfertige diese Annahme. Stamme der Unterhalt eines Fremden ausschließlich aus Mitteln der Grundversorgung, dürfe die Behörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Fehlen der Selbsterhaltungsfähigkeit ausgehen. Der Mitbeteiligte sei nicht in der Lage, seinen Unterhalt aus eigenem nachzuweisen. Dieser werde nur durch staatliche Leistungen gewährleistet, im vorliegenden Fall durch die Grundversorgung. Der Mitbeteiligte werde auch künftig nicht in der Lage sein, selbst die Mittel für seinen Unterhalt aufzubringen. Das ergebe sich schon daraus, dass er in Österreich über kein Aufenthaltsrecht verfüge und keiner legalen Beschäftigung nachgehen könne. Er habe auch nichts vorgebracht, was zur Annahme führen könnte, er werde künftig die Mittel für seinen Unterhalt selbst erwirtschaften können.

10 Im Weiteren legte die Behörde noch dar, weshalb mit Blick auf Art. 11 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie nicht von der Verhängung des Einreiseverbots abzusehen gewesen sei. Abschließend führte die Behörde an, weshalb das ausgesprochene Einreiseverbot auch zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele geboten sei.

11 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Soweit es die Erlassung des Einreiseverbotes betrifft, brachte er vor, allein die Tatsache, dass er die vierzehntägige Ausreisfrist nicht genutzt habe, sei nicht ausreichend, um ein Einreiseverbot in der Höhe von zwei Jahren zu verhängen, da sich der Mitbeteiligte ansonsten in Österreich immer wohl verhalten habe.

12 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis hob das Bundesverwaltungsgericht den behördlichen Ausspruch über die Erlassung des Einreiseverbotes ersatzlos auf (Spruchpunkt A) II.). Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt A) I.). Eine Verhandlung führte es gestützt darauf, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG für die Abstandnahme von der Verhandlung gegeben gewesen seien, nicht durch. Die Erhebung einer Revision wurde vom Verwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. 13 Das Bundesverwaltungsgericht traf keine Feststellungen zu jenem Verhalten des Mitbeteiligten, welches das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seiner Beurteilung, ein Einreiseverbot sei zu erlassen, zugrunde gelegt hatte. Es stellte jedoch zur Person des Mitbeteiligten u.a. fest, dass er eine Straßenzeitung verkaufe und gemeinnützig tätig gewesen sei.

14 In seiner rechtlichen Beurteilung betreffend die Behebung des Einreiseverbotes führte das Verwaltungsgericht aus, die Behörde habe das Einreiseverbot maßgeblich auf § 53 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 FPG gestützt und im Wesentlichen damit begründet, dass der Mitbeteiligte derzeit nicht die Mittel besäße, um seinen Lebensunterhalt in Österreich finanzieren zu können. 15 Der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG werfe allerdings prinzipiell Fragen hinsichtlich der sachlichen Rechtfertigung und eigenständigen Relevanz seines Regelungsgehaltes auf, zumal in der bloßen zum Zeitpunkt der Erlassung einer Rückkehrentscheidung bestehenden Mittellosigkeit eines Fremden kein Grund erblickt werden könne, diesem eine künftige legale Wiedereinreise unter Berufung auf eine Gefährdung öffentlicher Interessen zu verunmöglichen.

16 Im Übrigen könne es dem Mitbeteiligten nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er als Asylwerber Leistungen aus der Grundversorgung beziehe, weil ihm diese gesetzlich zustünden. Dass er von der Grundversorgung lebe, unterscheide ihn nicht von anderen Asylwerbern. Daher sei es rechtswidrig, gegen den Mitbeteiligten wegen Mittellosigkeit ein Einreiseverbot zu erlassen. Außerdem bestünden über die Grundversorgung hinaus durchaus gewisse Mittel, zumal der Mitbeteiligte eine Straßenzeitung verkaufe.

17 Wenn die Behörde darauf abstelle, dass der Mitbeteiligte seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei, sei ihr entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung kein Einreiseverbot zu verhängen sei, wenn sich das Fehlverhalten bloß auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt beschränke und fallbezogen ausnahmsweise, etwa wegen der kurzen Dauer oder der dafür maßgeblichen Gründe, nur eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstelle. Der Mitbeteiligte sei strafrechtlich unbescholten.

18 Dass in der Gesamtbetrachtung aller Umstände nicht von einer nur geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auszugehen wäre, habe weder die Behörde dargelegt, noch sei dies zu erkennen.

19 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass gegenständlich kein Fall des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliege.

20 Allein gegen jenen Spruchpunkt, mit dem der Beschwerde gegen die Erlassung des Einreiseverbotes stattgegeben wurde, richtet sich die vorliegende Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

22 Die Revision, die in der Begründung für ihre Zulässigkeit u. a. geltend macht, das Bundesverwaltungsgericht sei im Rahmen der Aufhebung des Einreiseverbotes von der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, ist zulässig. Sie ist auch begründet.

23 Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich in jüngerer Zeit bereits mehrfach mit Fällen zu befassen, in denen die entscheidungsmaßgeblichen Umstände in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar sind. In diesen Fällen hatte das Bundesverwaltungsgericht für die Behebung des Einreiseverbotes eine im Wesentlichen idente Begründung verwendet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in all diesen Fällen des Näheren dargelegt, weshalb die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung nicht dem Gesetz entspricht (und infolge dessen für die abschließende rechtliche Beurteilung maßgebliche Feststellungen nicht getroffen wurden). Es wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe der Erkenntnisse vom 31. Jänner 2019, Ra 2018/14/0197, vom 24. Mai 2018, Ra 2018/19/0125, und vom 20. September 2018, Ra 2018/20/0349, verwiesen.

24 Aus den dort jeweils angeführten Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht auch im vorliegenden Fall die Rechtslage verkannt. Anders als das Bundesverwaltungsgericht meint, lässt sich auch im gegenständlichen Fall das dem Mitbeteiligten von der Behörde für die Begründung des Einreiseverbotes vorgeworfene Fehlverhalten ohne nähere Feststellungen nicht bloß auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt reduzieren.

25 Zudem ist der in § 53 Abs. 2 Z 6 FPG enthaltene Tatbestand durch die bisherige Judikatur seit längerem klargestellt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung auch keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass diese Bestimmung als verfassungsrechtlich bedenklich einzustufen wäre. Die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Auffassung, gegen den Mitbeteiligten dürfe schon deswegen kein auf § 53 Abs. 2 Z 6 FPG gestütztes Einreiseverbot erlassen werden, weil er als Asylwerber einen Anspruch auf Leistungen aus der Grundversorgung (gehabt) habe, entspricht nicht der hier maßgeblichen Rechtslage (siehe dazu ausführlich das Erkenntnis VwGH 20.9.2018, Ra 2018/20/0349, auf dessen Begründung nach § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auch insoweit bereits oben verwiesen wurde).

26 In Zusammenhang mit dem Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen ist, dass der Umstand, dass einem Fremden Grundversorgung gewährt wird, Mittellosigkeit geradezu bestätigt (vgl. etwa VwGH 25.10.2018, Ra 2018/20/0318, sowie wiederum VwGH 20.9.2018, Ra 2018/20/0349, mwN). Soweit das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen ins Treffen führte, beim Mitbeteiligten bestünden über die Grundversorgung hinaus "durchaus gewisse Mittel", zumal er eine Straßenzeitung verkaufe, lässt das Gericht nähere Feststellungen dazu, etwa zur konkreten Höhe dieser Mittel, zur Gänze vermissen.

27 Aufgrund dessen, dass das Bundesverwaltungsgericht eine nicht dem Gesetz entsprechende Ansicht vertreten hat, hat dieses Gericht es in der Folge (auch hier) unterlassen, sämtliche für eine auf die Umstände des Einzelfalls abstellende einwandfreie rechtliche Beurteilung maßgebliche Feststellungen zu treffen. 28 Vor diesem Hintergrund war das angefochtene Erkenntnis im angefochtenen Umfang - also in seinem Spruchpunkt A) II., mit dem der von der Behörde getätigte Ausspruch über die Erlassung eines Einreiseverbotes ersatzlos behoben wurde - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 27. Juni 2019

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