European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080035.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Kostenersatzbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 7. November 2011 stellte die revisionswerbende Gebietskrankenkasse fest, dass die in Anhang I dieses Bescheides genannten Personen in den dort genannten Zeiträumen auf Grund ihrer Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegen (Spruchpunkt I), und dass die im Anhang II des Bescheides genannten Personen in den dort angeführten Zeiträumen auf Grund ihrer Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2, § 5 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 sowie § 7 Z 3 lit. a ASVG der Teilversicherung in der Unfallversicherung unterliegen (Spruchpunkt II). Zudem wurde ausgesprochen, dass die erstmitbeteiligte Partei Beiträge von insgesamt EUR 529.804,50 nachzuentrichten habe (Spruchpunkt III).
2 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht diesen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Gebietskrankenkasse zurückverwiesen. Vom erstinstanzlichen Bescheid seien in der Steiermark 626 Mitarbeiter der erstmitbeteiligten Partei im Zeitraum vom 1. Jänner 2002 bis 31. Dezember 2008 betroffen. Die belangte Behörde habe 33 Mitarbeiter (5,27 %) niederschriftlich einvernommen. Österreichweit seien 3104 Mitarbeiter der erstmitbeteiligten Partei betroffen. Die einvernommenen Mitarbeiter würden verschiedenen Tätigkeitsgruppen angehören. Der erstinstanzliche Bescheid habe verabsäumt, jeden der 626 Mitarbeiter einer bestimmten Tätigkeitsgruppe zuzuordnen. Die niederschriftlichen Einvernahmen seien in zusammenfassender Form protokolliert worden, ohne die Angabe der konkret gestellten Fragen oder der konkret gegebenen Antworten zu dokumentieren. Dem Verwaltungsgericht sei es nicht möglich festzustellen, ob die einvernommenen Mitarbeiter in freier Erzählung oder von sich aus die protokollierten Angaben getätigt hätten. Ein allfälliges Vertretungsrecht sei nur oberflächlich behandelt worden. Ein etwaiges Ablehnungsrecht bzw. eine tatsächlich bestehende Arbeitspflicht sei überhaupt nicht behandelt worden. Die einvernommenen Mitarbeiter seien nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes in Anbetracht der Gesamtzahl der Mitarbeiter nicht repräsentativ. Der Sachverhalt sei nicht hinreichend geklärt. Die Begründung des Bescheides sei "als mangelhaft zu bewerten". In Anbetracht des Umfanges der noch ausstehenden Ermittlungen würde deren Nachholung durch das Verwaltungsgericht "ein Unterlaufen der vorgesehenen Konzeption des Bundesverwaltungsgerichtes als gerichtliche Rechtsmittelinstanz bedeuten".
3 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. 4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die Revision. Die erstmitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht den Inhalt des § 28 Abs. 3 VwGVG verkannt hat.
7 In Anbetracht der ausführlichen und aussagekräftigen Feststellungen der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse lagen dem Verwaltungsgericht brauchbare Ermittlungsergebnisse vor, die von ihm ausgehend vom Beschwerdevorbringen mit den Parteien zu erörtern und allenfalls zu vervollständigen gewesen wären (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Dezember 2018, Ra 2015/08/0095). Das Verwaltungsgericht lässt bei seiner Kritik an den angeblich unzureichenden Zeugenbefragungen außer Acht, dass eine den Anforderungen des Art. 6 EMRK entsprechende Sachverhaltsermittlung, insbesondere die (nochmalige) Vernehmung von Zeugen über umstritten gebliebene Beweisthemen, nur von ihm selbst gewährleistet werden kann.
8 Die entscheidungswesentliche Rechtsfrage, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, stellt sich hier für eine Vielzahl von Personen, die sich womöglich alle oder zumindest gruppenweise bei Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit in der gleichen Situation befunden haben. In solchen Fällen können die prozessökonomischen Zielsetzungen des § 39 AVG iVm § 17 VwGVG zB durch die Ermittlung der Sachverhaltselemente, die bei allen Dienstnehmern oder zumindest bei bestimmten Gruppen von ihnen gleichermaßen vorliegen, erreicht werden. Das Verwaltungsgericht kann sich auf die Klärung der in einem oder mehreren Beispielsfällen gegebenen, repräsentativen Sachverhaltskonstellationen beschränken - ähnlich wie es die Gebietskrankenkasse im erstinstanzlichen Verfahren gemacht hat - und bei entsprechendem Stand der Ermittlungen und der Vorbringen in freier Beweiswürdigung von weiteren Zeugenvernehmungen Abstand nehmen (VwGH 1.6.2017, Ra 2017/08/0022, mwN).
9 Der angefochtene Beschluss war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
10 Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse hat keinen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen, weil sie Rechtsträgerin im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG ist.
Wien, am 25. April 2019
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