VwGH Ra 2019/03/0083

VwGHRa 2019/03/008324.9.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revisionen 1. der Jagdgenossenschaft L I und 2. des J W junior, beide in L, beide vertreten durch die Sutterlüty Klagian Brändle Gisinger Rechtsanwälte GmbH in 6850 Dornbirn, Marktstraße 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 30. April 2019, Zl. LVwG-310-4/2016-R15, betreffend eine Angelegenheit nach dem Vorarlberger Jagdgesetz 1988 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz), zu Recht erkannt:

Normen

JagdG Vlbg 1988 §41
JagdG Vlbg 1988 §41 Abs4
JagdG Vlbg 1988 §41 Abs5
JagdG Vlbg 1988 §43 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019030083.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von Euro 1.346,40 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 29. September 2016 hatte die Bezirkshauptmannschaft Bludenz (iF auch: BH) gemäß § 41 Abs. 2 lit. b und Abs. 4 Vorarlberger Jagdgesetz 1988, LGBl. Nr. 32/1988 (in der Fassung LGBl. Nr. 70/2016; im Folgenden:

JG), für den auf einem dem Bescheid angeschlossenen Lageplan ausgewiesenen Revierteil "E-Wald" des Genossenschaftsjagdrevieres L die Freihaltung von Rot- und Rehwild unter Ausnahme beschlagener weiblicher Stücke in der Zeit vom 15. April bis zum 15. Dezember eines jeden Jagdjahres bis zum 15. Dezember 2022 angeordnet. 2 Über die gegen diesen Bescheid seitens der nunmehrigen Revisionswerber erhobene Beschwerde entschied das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (VwG) - im ersten Rechtsgang - mit Erkenntnis vom 4. Jänner 2018 dahin, dass den Beschwerden mit einer Modifikation des Spruchs teilweise ("insoweit") Folge gegeben wurde; der Spruch dieses Erkenntnisses lautete:

"Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (V wGVG) wird der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als der Spruch wie folgt ergänzt wird:

‚Diese Freihaltung wird so lange ausgesetzt, als die von der Behörde verordneten Mindestabschüsse hinsichtlich Rot- und Rehwild im Genossenschaftsjagdgebiet L im jeweiligen Jagdjahr erfüllt werden. Werden diese Mindestabschüsse in einem Jagdjahr nicht erfüllt, so tritt die angeordnete Freihaltung unmittelbar mit Beginn des darauf folgenden Jagdjahres in Kraft.'"

3 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die nunmehrigen Revisionswerber wie auch die BH Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben (VwGH 29.5.2018, Ra 2018/03/0018, 0019, 0020). Maßgebend für diese Aufhebung war im Wesentlichen (neben dem Tätigwerden eines befangenen Amtssachverständigen), dass das JG keine Grundlage für die vom Verwaltungsgericht vorgenommene bedingte Aussetzung der Anordnung zur Freihaltung eines Gebietes von Wild (durch Verknüpfung mit der Erfüllung des Mindestabschusses) bietet. Könne schon durch Maßnahmen der Abschussplanung eine Gefährdung des forstlichen Bewuchses effektiv verhindert werden, so fehle es an den Voraussetzungen für die Anordnung der Freihaltung. Sei dies aber nicht der Fall und könne der Gefährdung des forstlichen Bewuchses auch nicht etwa durch Flächen- oder Einzelschutz begegnet werden, sei die Freihaltung im erforderlichen Ausmaß unbedingt anzuordnen. 4 Im zweiten Rechtsgang wurde vom Verwaltungsgericht das Beweisverfahren (insbesondere durch Beiziehung eines neuen forsttechnischen Amtssachverständigen) ergänzt.

5 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis entschied das Verwaltungsgericht über die Beschwerde gegen den behördlichen Bescheid dahin, dass dessen Spruch wie folgt abgeändert wurde:

"Gemäß § 41 Abs. 2 lit. b in Verbindung mit § 41 Abs. 4 des (JG) wird für den Revierteil E des Genossenschaftsjagdrevieres L nach Maßgabe des in den Begründungspunkten 3.1. bis 3.4. festgestellten Sachverhaltes und des dem angefochtenen Bescheid angeschlossenen Lageplanes vom 26.08.2016, die ganzjährige Freihaltung von Rotwild angeordnet, wobei beschlagene weibliche Stücke ausgenommen sind. Die Anordnung der Freihaltung beginnt am 01.06.2019 erstreckt sich bis zum 31.05.2025."

6 Die Revision gegen dieses Erkenntnis wurde nicht zugelassen. 7 In der Begründung legte das Verwaltungsgericht - auf das für den Revisionsfall Wesentliche zusammengefasst - Folgendes dar:

8 Das Genossenschaftsjagdrevier L weise eine Gesamtfläche von 566 ha auf, befinde sich in der Rotwildkernzone und sei in der Wildregion 2.3 (L) situiert. Abgesehen von der gegenständlichen Freihaltung seien im Jagdgebiet keine Schalenwildfreihaltungen angeordnet. Das nunmehr vorgeschriebene Gebiet der Freihaltung im Revierteil E-Wald (rot schraffierte Fläche laut dem dem angefochtenen Bescheid angeschlossenen Lageplan vom 26. August 2016) der Genossenschaftsjagd befinde sich mittig im südlichen Bereich des Genossenschaftsjagdreviers und umfasse mit einer Fläche von ca. 132 ha knapp ein Viertel der Gesamtfläche der Genossenschaftsjagd.

9 Im unteren Bereich des E-Waldes werde am westlichen Rand der Alpfläche eine Rotwildfütterung betrieben, an der im Winter 2018/2019 50 Stück Rotwild gefüttert worden seien. Dieses Rotwild habe fütterungsbedingt seinen Wintereinstand bergseits der Fütterung im E-Wald. Im unmittelbaren Fütterungsbereich weise starker Brennesselbewuchs auf Überdüngung durch Rotwildlosung hin. 10 Beim E-Wald handle es sich um einen hochmontanen - subalpinen Kalkfichtenwald mit trockener bzw. mäßig saurer Ausbildung, in den tieferen Lagen um einen Hochstauden - Fichtenwald. Die Waldstandorte seien aufgrund der Höhenlage mit kurzer Vegetationszeit und langer Schneedeckendauer, der Seichtgründigkeit, der Hangneigung und der klimatischen Verhältnisse den abtragenden Kräften von Wasser, Schnee sowie Schwerkraft ausgesetzt. Auf der gesamten Talflanke seien zahlreiche Lawinengassen bzw. Lawinenstriche und auch einige wasserführende Gräben vorhanden. Einige Lawinenzüge wüchsen schon seit mehreren Jahrzehnten mit Fichte zu; die Bestockung habe sich in diesen Bereichen zu Stangenhölzern und Dickungen, teilweise in Form von Rotten (Stabilitätszellen) entwickelt. Die Waldbestände (Alt- und Jungbestände) schützten Wanderwege und die talseits befindliche Straße nach Z, den Schwimmbadbereich und die Alpe vor Lawinen, Steinschlag, Rutschungen und Wildbachgeschiebe. 11 Im Hauptschadensgebiet des E-Waldes, bei dem es sich um einen Standortschutzwald mit Objektschutzfunktion handle, liege wegen ausgedehnter, vom Rotwild verursachter (näher konkretisierter) Schäl- und Schlagschäden eine flächenhafte Gefährdung des Bewuchses iSd § 16 Abs. 4 ForstG vor. 12 In den letzten Jahren von der BH vorgeschriebene (im Einzelnen dargelegte) Maßnahmen hätten ebensowenig das Ziel (Hintanhaltung der Gefährdung des Bewuchses) erreicht wie die Abschussplanung. Hinsichtlich der genannten Fütterung stellte das Verwaltungsgericht Folgendes fest:

"Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 26.05.2010, Zl BHBL-VIII-8500.13/0007, idF des Erkenntnisses des Unabhängigen Verwaltungssenates vom 06.12.2010, Zl UVS-310-005/E5- 2010, wurde der Hegegemeinschaft 2.3 (L) die Rotwildfütterung im Bereich ‚Ewald' aufgrund des § 43 Abs 2 Jagdgesetz iVm § 34 der Jagdverordnung aufgrund von Wildschäden ab dem 30.06.2015 ersatzlos untersagt; dies, sofern bis zum 30.06.2015 eine Reduktion des Rotwildbestandes an der Fütterung im Bereich Ewald bis maximal 15 Stück erfolgt ist. Der Beginn der Untersagung der Rotwildfütterung wurde, solange die Reduktion des Rotwild-Winterbestandes nicht erfüllt ist, jeweils um ein weiteres Jahr aufgeschoben. Dieser Bescheid ist rechtskräftig."

13 Es sei deshalb eine - ganzjährige - Freihaltung von Rotwild erforderlich und geeignet, den gefährdeten Bewuchs vor weiteren Schäl- und Schlagschäden zu schützen. Um den Schutzzweck nicht zu vereiteln, sei eine weitere Unterscheidung des Rotwilds nach Geschlecht und Altersklassen nicht zielführend; die Ausnahme von trächtigen Stücken sei vertretbar. Entscheidend sei, dass in den gefährdeten Stangenhölzern und Dickungen insbesondere in den schälanfälligen Zeiten im Winterhalbjahr kein Rotwild mehr einsteht. Rehwild (das nur in sehr geringer Anzahl vorkomme) sei an den Schälschäden nicht beteiligt; lediglich einzelne Fegeschäden an kleineren Pflanzen könnten ihm zugeschrieben werden. Es sei daher nicht notwendig, dass diese Wildart in die Freihaltungsanordnung aufgenommen werde.

14 Dieser Sachverhalt werde aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere auf Grund der beiden

mündlichen Verhandlungen im ersten Rechtsgang und der weiteren

mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtsgang, als erwiesen angenommen. In den Verhandlungen im ersten Rechtsgang habe der wildökologische Amtssachverständige ebenso wie der von den erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien beauftragte Privatsachverständige für Jagd- und Wildschäden sein Gutachten vorgetragen und ergänzt. Daneben seien zahlreiche in den Verhandlungsschriften angeführte Zeugen einvernommen worden. In der Verhandlung im zweiten Rechtsgang sei insbesondere das vom neu bestellten forsttechnischen Amtssachverständigen (DI K) erstattete Gutachten erörtert und ergänzt worden; auch der wildökologische Amtssachverständige habe ergänzend Stellung genommen. 15 Hinsichtlich der waldgefährdenden Wildschäden verwies das Verwaltungsgericht auf das - im Erkenntnis wiedergegebene - Gutachten des forsttechnischen Amtssachverständigen (DI K). In diesem wird u.a. Folgendes ausgeführt:

"Ist die behördlich angeordnete Freihaltung von Reh- und Rotwild, ausgenommen beschlagene weibliche Stücke, in der Zeit vom 15.04. bis zum 15.12. eines jeden Jagdjahres im planmäßig ausgewiesenen Revierteil E-Wald der Genossenschaftsjagd L I sowohl im örtlichen als auch im zeitlichen Ausmaß zum Schutz des gefährdeten Bewuchses erforderlich und geeignet?

Durch den Betrieb der Rotwildfütterung steht im Winter das Rotwild im E-Wald ein (Wintereinstandsgebiet) und verursacht dort die waldgefährdenden Schälschäden (Winterschäle). Zum Schutz der gefährdeten Bestände ist es daher notwendig, dass im E-Wald der Wintereinstand für Rotwild aufgegeben wird und dort im Winterhalbjahr kein Rotwild mehr einsteht. Dies ist jedoch nur möglich, wenn gleichzeitig die Rotwildfütterung aufgelassen wird und somit die fütterungsbedingte Bindung und der fütterungsbedingte Zuzug des Rotwildes in den E-Waldeinstand nicht mehr gegeben sind.

Die Anordnung einer Freihaltung ist daher erforderlich und geeignet, die gefährdeten Stangenholz- und ausgehenden Dickungsbereiche vor weiteren Schäl- und Schlagschäden zu schützen. Durch die Bindungswirkung des Rotwildes bzw. durch Rotwildzuzug infolge der Fütterung muss mit der Anordnung einer Freihaltung auch eine gleichzeitige Fütterungsauflösung erfolgen. Hiezu sollte ein jagdliches Ausstiegskonzept mit erforderlichen Begleitmaßnahmen und einer Übergangsfrist von ca. 2 Jahren erarbeitet und verbindlich vorgeschrieben werden (siehe hiezu auch § 34 Jagdverordnung).

Die Schälschäden werden im Winter verursacht. Es ist daher nicht zielführend, dass gerade in dieser Zeit die Freihaltungsanordnung ausgesetzt wird. Zum Schutz des gefährdeten Bewuchses und zur möglichst raschen Absenkung des Rotwildbestandes und Fütterungsauflösung ist eine ganzjährige Rotwildfreihaltungsanordnung erforderlich. Die Ausnahme von trächtigen Stücken ist vertretbar.

...

Die massiven Schäl- und Schlagschäden werden durch Rotwild - unabhängig vom Geschlecht und Alter - verursacht. Um den Schutzzweck nicht zu vereiteln ist daher eine Unterscheidung des Rotwildes nach Geschlecht und Altersklasse nicht zielführend. Entscheidend ist, dass in den gefährdeten Stangenhölzern und Dickungen insbesondere in der schälanfälligen Zeit (Winterhalbjahr) kein Rotwild mehr einsteht.

...

Solange Rotwild bei der E-Waldfütterung gefüttert wird, wird es in schälgefährdeten Bereichen des E-Waldes einstehen und dort Schaden (Winterschäle) verursachen. Es sind daher Maßnahmen notwendig, die dazu führen, dass sich im Winter im E-Wald kein Rotwild mehr aufhält. Dies kann nur erreicht werden, wenn einerseits eine Rotwildfreihaltung umgesetzt und andererseits auch die Rotwildfütterung aufgelassen wird. Gerade die Fütterung bewirkt, dass das Rotwild im Winter im E-Wald einsteht und dort in den schälgefährdeten Bereichen zu Schaden geht.

Ad) 7) Kann der Schutzzweck insbesondere auch durch Maßnahmen der Abschussplanung erreicht und damit einer Gefährdung der von der Freihaltung betroffenen Grundflächen effektiv begegnet werden?

Aus den vorliegenden Aktenunterlagen ergibt sich, dass bis dato durch Maßnahmen der Abschussplanung der Gefährdung des Bewuchses nicht wirksam entgegen getreten werden konnte (weitere Schälschäden). Zum Schutz von gefährdeten schälschadensanfälligen Bereichen im E-Wald ist es notwendig, dass dort im Winter kein Rotwild mehr einsteht. Daher ist eine Rotwildfreihaltung und Rotwildfütterungsauflösung unumgänglich.

...

Die Auflassung der Fütterung und die Anordnung einer Freihaltung (in Verbindung mit einem jagdlichen Konzept für eine Übergangsphase der Fütterungsauflassung von ca. 2 Jahren) wird einerseits zur Verhinderung weiterer waldgefährdender Wildschäden und andererseits als Voraussetzung für eine dringend notwendige Waldsanierung (Schutzwaldsanierungsprojekt mit waldbaulichen Maßnahmen, technischen Maßnahmen, Trennung Wald-Weide) für notwendig erachtet. (S. 30)."

16 In der mündlichen Verhandlung am 13. November 2018 habe der forsttechnische Amtssachverständige DI K ergänzend u.a. dargelegt, eine Wildfütterung und eine Freihaltung gingen "nicht konform". 17 Der wildökologische Amtssachverständige habe u.a. Folgendes ausgeführt:

18 Die von ihm vorgenommene Begehung habe gezeigt, dass vor allem die Waldbestände im E-Wald, der dem Rotwild seit den 1950er Jahren als Fütterungseinstandsbereich diene, einen - über Jahrzehnte entstandenen - massiven, nahezu flächigen Einfluss von Rotwild durch Verbiss, Schälen, Schlagen und Fegen aufwiesen. Im Gegensatz dazu habe sich im benachbarten Z-Wald ein stabiler Fichtenwald entwickeln können.

19 In zeitlicher Hinsicht wäre es ausreichend, die Maßnahmen "jeweils vom 01.07 starten zu lassen". Ein Jagen in der Zeit zwischen April und Juni wäre nicht schadensvermeidend, sondern schadensfördernd, wenn es zu einem späten Wintereinbruch komme. 20 Unter der Voraussetzung, dass sich der Rotwildbestand im Wintereinstandsgebiet weiter reduziere und der Bestand durch eine ordnungsgemäße Rotwildfütterung überwintere, sei nicht von der Entstehung untragbarer Wildschäden auszugehen. Als jagdliche Maßnahmen seien weitere Abschüsse vorzusehen sowie die Errichtung einer weiteren Fütterung im Bereich des Z-Waldes, als Auffangfütterung für Rotwild, das ansonsten zur Fütterung im E-Wald weiterziehen würde. Sollte diese Auffangfütterung errichtet werden, wäre es wesentlich leichter, die E-Fütterung aufzulassen, wenngleich auch die Beibehaltung der E-Fütterung möglich wäre mit einer verringerten Anzahl an Rotwild an der Fütterung. 21 Nach einer zusammenfassenden Wiedergabe des Privatsachverständigengutachtens und der Aussagen des Forstfachmanns der Wildbach- und Lawinenverbauung sowie des zuständigen Waldaufsehers legte das Verwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung einleitend dar, dem festgestellten Sachverhalt liege das umfassende Gutachten des forsttechnischen Amtssachverständigen zu Grunde, der auf Basis eigener Begehungen und Erhebungen einen ausführlichen Befund erstattet und auf dieser Grundlage seine Schlussfolgerungen gezogen habe. Diese seien schlüssig und widerspruchsfrei; sie entsprächen den Erfahrungen des täglichen Lebens und den Denkgesetzen.

22 Das Bestehen von durch Rotwild verursachten Wildschäden im Freihaltegebiet im E-Wald könne auf sämtliche - diesbezüglich übereinstimmende - Beweisergebnisse gestützt werden. Sie seien (was näher, insbesondere unter Verweis auf die Ausführungen des forsttechnischen Amtssachverständigen begründet wurde) als waldgefährdend iSd § 49 Abs. 4 lit. a JG zu qualifizieren. 23 Gelindere Mittel (als die angeordnete Freihaltung) seien entgegen der Auffassung der Revisionswerber und des von ihnen bestellten Privatsachverständigen nicht geeignet, rotwildbedingte Wildschäden zu verhindern: So habe der forsttechnische Amtssachverständige hinsichtlich der angebrachten Schutzkörbe aufgezeigt, dass Leit- und Seitentriebe komplett verbissen würden, sobald sie aus dem Schutzkorb reichten. Im Vergleich dazu bringe das Aufbringen von Schafwolle, Streichmittel und Verbissschutzklemmen einen noch geringeren Schutz für die Pflanzen. Kleinflächige Zäunungen schieden deshalb aus, weil die schutzbedürftigen Einzelflächen Ausmaße von bis zu mehreren Hektar aufwiesen und über den gesamten E-Wald verteilt seien. Auch großflächige Zäunungen seien, wie vom Amtssachverständigen eingehend und nachvollziehbar dargelegt, keine realistische Variante; zudem hätten die Revisionswerber auch nicht vorgebracht, großflächige Zäunungen zum Schutz des E-Waldes errichten zu wollen.

24 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung stellte das Verwaltungsgericht zunächst die maßgebenden Bestimmungen des JG dar und fasste die Vorgaben im Vorerkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 2018 (VwGH Ra 2018/03/0018- 0020) zusammen. Es lägen waldgefährdende Wildschäden iSd § 49 Abs. 4 lit a JG vor; um weitere Schäden hintanzuhalten, sei - zwecks Schutz des gefährdeten Bewuchses und zur möglichst raschen Absenkung des Rotwildbestandes - die Anordnung einer Freihaltung erforderlich und geeignet. Hingegen seien andere Vorkehrungen (gelindere Mittel) ungeeignet, das gesteckte Ziel zu erreichen. In diesem Zusammenhang beurteilte das Verwaltungsgericht die vom wildökologischen Amtssachverständigen vorgeschlagenen jagdlichen Maßnahmen wie Abschussplanung und jagdbetriebliche Schwerpunktaktionen als ungeeignet zur Hintanhaltung von Wildschäden, zumal "eine drastische Wildreduktion im Sommer" keine Besserung der Situation bewirken könne, "wenn in den Wintermonaten - bedingt auch durch die nach wie vor betriebene Fütterung des Rotwildes im E-Wald - das Rotwild zum Einstand in die sensiblen Schutzbereiche des E-Waldes hingezogen" werde. Es seien sich "sämtliche Sachverständige einig darüber, dass der Betrieb einer Fütterung mit einer gleichzeitig angeordneten Freihaltung nicht vereinbar" sei. So habe der wildökologische Amtssachverständige die Schaffung einer Auffangfütterung bzw. eine Verlegung der Fütterung in Richtung Z-Wald vorgeschlagen, sei aber dennoch davon ausgegangen, dass trotz einer solchen Maßnahme das Rotwild auch weiterhin im E-Wald einstehen und dort Schäden verursachen werde. Es sei somit "eine Freihaltung in Kombination mit der - hier nicht gegenständlichen - Auflassung der bestehenden Rotwildfütterung" unumgänglich.

25 Betreffend den Umfang der Freihaltung sei festzuhalten, dass zum Schutz des E-Waldes eine ganzjährige Freihaltung von Rotwild, ausgenommen beschlagene weibliche Stücke, erforderlich sei. Da die Schälschäden vorwiegend im Winter verursacht würden, sei eine Aussetzung der Freihaltungsanordnung gerade in dieser Zeit nicht zielführend.

26 Zum Beginn der Freihaltung sei "anzumerken, dass die derzeit noch betriebene Rotwildfütterung insoweit berücksichtigt wurde, als der Beginn der Freihaltung mit 01.06.2019 festgesetzt wurde, um mit der Freihaltung nicht während der noch laufenden bzw. auslaufenden Fütterungsperiode beginnen zu müssen." Damit würde den diesbezüglichen Bedenken des wildökologischen Amtssachverständigen Rechnung getragen. Da die Schusszeit wie schon in den vergangenen Jahren auf den 1. Mai vorverlegt worden sei, könne der Beginn der Freihaltung erst im Juni nicht als jahreszeitlich zu früh angesehen werden.

27 Durch Befristung der Anordnung würde die Möglichkeit eröffnet, nach Ablauf der Frist zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Freihaltung noch immer vorlägen. 28 Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig, zumal der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. Mai 2018 die maßgebenden Leitlinien vorgegeben habe und die nunmehrige Entscheidung dem entspreche.

29 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die zusammen mit den Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision. 30 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht, zu der die Revisionswerber eine Stellungnahme erstattet haben.

31 Die ebenfalls zur Erstattung einer Revisionsbeantwortung eingeladene Vorarlberger Landesregierung hat eine solche nicht erstattet.

 

32 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revisionen erwogen:

33 Hinsichtlich der maßgebenden Rechtslage wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 2018, Ra 2018/03/0018, verwiesen.

34 Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, seine nunmehrige Entscheidung entspreche den diesbezüglichen Vorgaben. 35 Demgegenüber machen die Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision geltend, dies treffe nicht zu, und bringen dazu u.a. (mit näherer Begründung) vor, auf Basis der Ausführungen der beigezogenen Sachverständigen fehle es insbesondere an einer schlüssigen Begründung für die Anordnung der ganzjährigen Freihaltung trotz gleichzeitigen Betriebs der Rotwildfütterung in der Freihaltungszone.

36 Die Revision ist zulässig und begründet.

37 Auch Rechtsfragen des Verfahrensrechts können solche von

grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sein. Wenngleich der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist, liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 24.9.2014, Ra 2014/03/0012, 2.9.2015, Ra 2015/19/0091, 22.11.2016, Ra 2016/03/0058). 38 Das Verwaltungsgericht hat mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis - anders als im ersten Rechtsgang - die Freihaltungsanordnung unbedingt getroffen. Es ist dabei über den zeitlichen Umfang der im behördlichen Bescheid getroffenen Anordnung insofern hinausgegangen, als die Freihaltung nicht bloß jeweils vom 15. April bis 15. Dezember eines jeden Jagdjahres, sondern ganzjährig gelten solle, also auch in den Wintermonaten und damit in dem Zeitraum, in dem bei Bestand einer Wildfütterung zu füttern ist (vgl. § 43 Abs. 3 lit. b JG iVm § 35 der Vorarlberger Jagdverordnung).

39 Die Revision rügt, dass sich das Verwaltungsgericht diesbezüglich nicht auf das Gutachten des Amtssachverständigen DI K stützen könne, weil dieser - im Gegenteil - wiederholt hervorgehoben habe, dass der Betrieb einer Fütterung nicht mit der gleichzeitigen Anordnung einer Freihaltung vereinbar sei; die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, das sich auf dieses Gutachten gestützt habe, sei daher unschlüssig.

40 Dieser Vorwurf ist berechtigt:

41 Im revisionsgegenständlichen Verfahren zur Anordnung einer Freihaltung nach § 41 Abs. 4 JG war im Wesentlichen zu prüfen, ob forstlicher Bewuchs, der eine wichtige Schutzfunktion hat oder erlangen soll, durch Wild in seinem Bestand gefährdet wird, wenn ja, welche Wildart den Schaden verursacht, sowie gegebenenfalls, ob durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass das Wild keine untragbaren Schäden verursacht. Durch § 41 Abs. 4 dritter Satz und Abs. 5 JG wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit derart konkretisiert, dass die Freihaltung nur dann und nur insoweit anzuordnen ist, als andere Vorkehrungen nicht ausreichen, um die Gefährdung abzustellen (vgl. - erneut - VwGH Ra 2018/03/0018).

42 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Fütterungsverpflichtung für Rotwild liegt auch dem § 43 Abs. 2 JG insoweit zu Grunde, als die Fütterungsverpflichtung nach dieser Bestimmung nur dann und insoweit greift, als gerade durch die Fütterung untragbare Schäden hintangehalten werden. Ist die Wildfütterung nicht geeignet, befürchtete untragbare Schäden zu vermeiden, ist die Wildfütterung nach § 43 Abs. 2 letzter Satz JG zu untersagen. Für eine Wildfütterung ist daher schon dann kein Raum, wenn - durch sie hintanzuhaltende - untragbare Schäden gar nicht vorliegen, aber auch dann, wenn eine bestehende Fütterung sich als ungeeignet erweist, derartige Schäden zu verhindern. Diesfalls besteht die Verpflichtung der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts, gemäß § 43 Abs. 2 letzter Satz JG die Untersagung der Fütterung anzuordnen (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/03/0014).

43 Dem - nach dem oben Gesagten auch einer Freihaltungsanordnung nach § 41 JG zu Grunde liegenden - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist immanent, dass zu prüfen ist, welche nach dem Gesetz grundsätzlich in Betracht kommenden Maßnahmen zur Erreichung des Ziels geeignet und erforderlich sind; stehen mehrere geeignete Verpflichtungen zur Auswahl, ist die am wenigsten belastende zu wählen. Nicht zulässig wäre es allerdings, unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Maßnahme auszuwählen, deren Effektivität in Zweifel steht (vgl. nur etwa VwGH 26.6.2019, Ro 2019/03/0019, mwN).

44 Den sich daraus ergebenden Verpflichtungen ist das Verwaltungsgericht nur unzureichend nachgekommen:

45 Der vom Verwaltungsgericht berufene forsttechnische Amtssachverständige DI K hat den hohen Rotwildbestand im E-Wald als Verursacher der massiven - bestandsgefährdenden - Schäl- und Schlagschäden identifiziert und ausgeführt, zwecks Schadensvermeidung sei zum Schutz der gefährdeten Bestände notwendig, dass im E-Wald der Rotwildbestand möglichst rasch abgesenkt werde und dort im Winterhalbjahr kein Rotwild mehr einsteht. Der Sachverständig hat dazu mehrfach festgehalten, dass dies nicht nur die ganzjährige Freihaltung, sondern auch die gleichzeitige Auflassung der Rotwildfütterung erfordere ("nur möglich, wenn gleichzeitig die Rotwildfütterung aufgelassen wird; ...solange Rotwild bei der E-fütterung gefüttert wird, wird es ...

dort Schaden ... verursachen"). Die Anordnung einer Freihaltung

würde durch eine gleichzeitig bestehende Fütterung konterkariert (Wildfütterung und Freihaltung gingen "nicht konform"). 46 Ausgehend von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts besteht die im E-Wald im Freihaltungsbereich situierte Rotwildfütterung nach wie vor; im Winter 2018/2019 sei dort ein Bestand von 50 Stück Rotwild erhoben worden. Die mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. Mai 2010 angeordnete Untersagung dieser Fütterung sei durch das Erkenntnis des UVS bis zur Erreichung eines Rotwild-Winterbestands von (maximal) 15 Stück sistiert worden. Es ist daher - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde in ihrer Stellungnahme vom 19. August 2019 - der Beurteilung zu Grunde zu legen, dass der Beginn der Untersagung weiterhin aufgeschoben ist.

47 Das Verwaltungsgericht hat zwar dargelegt, sämtliche Sachverständige seien sich einig, "dass der Betrieb einer Fütterung mit einer gleichzeitig angeordneten Freihaltung nicht vereinbar" sei. Es hat der bestehenden Fütterung aber nur insoweit Rechnung getragen, als die Anordnung der Freihaltung erst am 1. Juni 2019 beginnen solle, womit verhindert werde, dass mit der Freihaltung "während der noch laufenden bzw. auslaufenden Fütterungsperiode" begonnen werden müsse, und sich, obwohl die Freihaltung nunmehr ganzjährig gelten solle, nicht mit den Auswirkungen der weiterhin bestehenden Fütterung auseinandergesetzt.

48 Vor dem Hintergrund der Ausführungen des forsttechnischen Amtssachverständigen, der (im Wesentlichen wegen des Lenkungseffekts einer Fütterung) - ebenso wie die weiter beigezogenen Sachverständigen und insoweit auch im Einklang mit der Stellungnahme der belangten Behörde - die gleichzeitige Auflassung der Rotwildfütterung für die Wirksamkeit der Freihaltungsanordnung als erforderlich angesehen hat, kann die bloße Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf dessen Gutachten nicht als schlüssige Begründung für die Wirksamkeit der Anordnung der Freihaltung angesehen werden. Bestehen aber Zweifel an der Wirksamkeit der in Rede stehenden Maßnahme, wären diese, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, auszuräumen gewesen; dies hat das Verwaltungsgericht unterlassen. 49 Das Verwaltungsgericht hat das angefochtene Erkenntnis daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet; es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

50 Gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG konnte von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht, ein Tribunal iSd EMRK bzw. ein Gericht iSd GRC, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat (vgl. VwGH 29. Mai 2018, Ra 2018/03/0018, mwN).

Wien, am 24. September 2019

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