VwGH Ra 2018/20/0514

VwGHRa 2018/20/051412.8.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen Spruchpunkt A) 1. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. September 2018, Zlen. L523 2144581-2/5EL523 2144643-2/5E, L523 2144584-2/5E, betreffend Erlassung eines Einreiseverbotes nach dem FPG (mitbeteiligte Partei: B P in W), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs2 Z6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018200514.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchumfang A) 1. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte ist Staatsangehörige Georgiens und stellte am 10. August 2017 einen (Folge‑)Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 12. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Unter einem sprach das BFA aus, dass der Mitbeteiligten kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt werde, gegen sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei. Weiters sprach es aus, dass nach § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und erließ gegen die Mitbeteiligte gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

3 Begründend führte das BFA - soweit für das Revisionsverfahren betreffend die Erlassung des Einreiseverbotes von Interesse - aus, dass gegen die Mitbeteiligte bereits eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei. Sie sei aber ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. In diesem Fall könne nicht mehr von einer nur geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung gesprochen werden. Auch falle die Mitbeteiligte unter den Anwendungsbereich des Art. 11 der Rückführungsrichtlinie, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einherzugehen hätten, wenn der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen worden sei. 4 Auch wenn dieses Fehlverhalten der Mitbeteiligten unter keine der Ziffern des § 53 Abs. 2 FPG subsumiert werden könne, sei aufgrund ihres Verhaltens davon auszugehen, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sei und es auch den in Art. 8 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufe. Umgehungen und Missachtungen der Vorschriften des FPG und der darauf gestützten Bescheide seien keinesfalls als minderes oder geringfügiges Fehlverhalten einzustufen.

5 Bei einem Fremden, dem bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt zur Last zu legen sei, könne die Erlassung eines Einreiseverbotes im Einzelfall unterbleiben. Im vorliegenden Fall liege allerdings nicht bloß ein illegaler Aufenthalt vor, sondern es sei der Ausreisebefehl nach Abschluss des (ersten) Asylverfahrens missachtet worden. Dies könne "in Zeiten eines Migrationsstromes nach Mitteleuropa unter Missbrauch des Asylrechts als Einwanderungsrecht niemals als nur geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen gewertet" werden. Die Mitbeteiligte sei offensichtlich nicht bereit, die österreichische Rechtsordnung und die nach den Gesetzen ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen zu beachten. Da sie schon bisher gezeigt habe, dass sie sich nicht rechtskonform verhalte, lasse dies "für die Zukunft nichts Gutes vermuten". Es könne somit betreffend die Mitbeteiligte nur eine "negative Zukunftsprognose" erfolgen. 6 Zudem sei auch der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt. Die Mitbeteiligte sei nicht in der Lage, die Mittel für ihren Unterhalt aus Eigenem nachzuweisen. Ihr Unterhalt werde nur durch staatliche Unterstützung, nämlich durch Leistungen aus der Grundversorgung, gewährleistet. Somit dürfe vom Fehlen der Selbsterhaltungsfähigkeit ausgegangen werden. Die Mittellosigkeit eines Fremden rechtfertige wegen der daraus resultierenden Gefahr der illegalen Beschaffung von Unterhaltsmitteln die Annahme, dass der weitere Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Die Mitbeteiligte werde auch künftig nicht in der Lage sein, die Mittel für ihren Unterhalt aus Eigenem aufzubringen. Das ergebe sich schon daraus, dass sie in Österreich über kein Aufenthaltsrecht verfüge und keiner legalen Beschäftigung nachgehen könne. Sie habe auch nichts vorgebracht, was zur Annahme führen könnte, sie werde künftig die Mittel für ihren Unterhalt selbst erwirtschaften können.

7 Im Weiteren legte das BFA noch dar, weshalb auch Art. 8 EMRK der Erlassung des Einreiseverbotes nicht entgegenstehe. 8 Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Soweit es die Erlassung des Einreiseverbotes betrifft, brachte sie vor, keine wie immer geartete Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darzustellen. Allein die Umstände, dass sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei und keine Mittel zum Unterhalt nachweisen könne, seien keine Gründe für die Erlassung eines Einreiseverbotes.

9 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis hob das BVwG den behördlichen Ausspruch über die Erlassung eines Einreiseverbotes ersatzlos auf. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Die in der Beschwerde beantragte Verhandlung führte es, gestützt darauf, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG für die Abstandnahme von der Verhandlung gegeben gewesen seien, nicht durch. Weiters sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 10 Das BVwG traf keine Feststellungen zu jenem Verhalten der Mitbeteiligten, das das BFA seiner Beurteilung, ein Einreiseverbot sei zu erlassen, zugrunde gelegt hat.

11 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, das BFA habe sich im Spruch seiner Entscheidung auf § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG gestützt, ohne eine konkrete Ziffer anzuführen. Das BFA sei davon ausgegangen, dass die Mitbeteiligte ihrer Ausreise- bzw. Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen sei und daher unter den Anwendungsbereich des Art. 11 Rückführungsrichtlinie falle. Dies entbinde das BFA aber nicht davon, eine Interessenabwägung durchzuführen. Das BFA sei zu dem Schluss gekommen, dass der Aufenthalt der Mitbeteiligten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle und begründe dies damit, dass die Mitbeteiligte durch ihren Verbleib in Österreich offensichtlich nicht bereit sei, sich an die österreichische Rechtsordnung und die Entscheidungen der Behörde und Gerichte zu halten, und sie den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachweisen könne. Es sei nach Ansicht des BVwG unbestritten, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstelle. Allerdings stelle der bloße unrechtmäßige Aufenthalt für sich nach dem System der Rückführungsrichtlinie noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar, dass dies zwingend die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde. Vielmehr sei eine Interessenabwägung und Gefährdungsprognose durchzuführen. 12 Aber auch werfe der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG "prinzipiell Fragen hinsichtlich der sachlichen Rechtfertigung und eigenständigen Relevanz seines Regelungsgehaltes auf, zumal in der bloßen zum Zeitpunkt der Erlassung einer Rückkehrentscheidung bestehenden ‚Mittellosigkeit' eines Fremden kein Grund erblickt werden" könne, "diesem eine künftige legale Wiedereinreise unter Berufung auf eine Gefährdung öffentlicher Interessen zu verunmöglichen". Es sei fraglich, "aufgrund welcher Parameter die in diesem Falle durchzuführende Gefährdungsprognose zu erfolgen" habe, "zumal allfällige in Zusammenhang mit einer Mittellosigkeit befürchtete mögliche ‚Gefährdung' öffentlicher Interessen in den in anderen Tatbeständen des § 53 angeführten Verwaltungsübertretungen und strafrechtliche Verurteilungen ihre Abdeckung" fänden. Die Begründung des BFA lasse "jegliche Kriterien" vermissen, die für die Verhängung und die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes herangezogen worden seien. 13 Erkennbar - im Hinblick auf die Erklärung über den Umfang der Anfechtung - allein gegen jenen Spruchpunkt (A). 1.), mit dem der Beschwerde gegen die Erlassung des Einreiseverbotes gegen die Mitbeteiligte stattgegeben wurde, richtet sich die vorliegende Revision des BFA.

 

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens über die Revision - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

15 Die Revision, die (u.a.) in der Begründung für ihre Zulässigkeit geltend macht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil das BFA auf ein Fehlverhalten der Mitbeteiligten abgestellt habe, das nicht zu einer bloß geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führe, ist zulässig. Sie ist auch begründet. 16 Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich in jüngerer Zeit bereits mehrfach mit Fällen zu befassen, in denen die entscheidungsmaßgeblichen Umstände in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar sind. In diesen Fällen hat das Bundesverwaltungsgericht für die Behebung des Einreiseverbotes eine im Wesentlichen idente Begründung verwendet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in all diesen Fällen des Näheren dargelegt, weshalb die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung nicht dem Gesetz entspricht (und infolge dessen für die abschließende rechtliche Beurteilung maßgebliche Feststellungen nicht getroffen wurden). Es wird sohin gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe der Erkenntnisse vom 24. Mai 2018, Ra 2018/19/0125, und vom 20. September 2018, Ra 2018/20/0349, verwiesen (vgl. zu ähnlichen Konstellationen auch VwGH 5.12.2018, Ra 2018/20/0390; 19.12.2018, Ra 2018/20/0309; 31.1.2019, Ra 2018/14/0197).

17 Aus den dort jeweils angeführten Gründen hat das BVwG auch im vorliegenden Fall die Rechtslage verkannt. Anders als das BVwG meint, lässt sich auch im gegenständlichen Fall das der Mitbeteiligten vom BFA für die Begründung des Einreiseverbotes vorgeworfene Fehlverhalten ohne nähere Feststellungen nicht bloß auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt reduzieren. Es trifft aber auch nicht zu, dass dem in § 53 Abs. 2 Z 6 FPG enthaltenen Tatbestand kein eigenständiger Bedeutungsgehalt beizumessen wäre; dieser ist durch die bisherige Judikatur seit längerem klargestellt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung auch keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass diese Bestimmung als verfassungsrechtlich bedenklich einzustufen wäre. Aufgrund dessen, dass das BVwG eine nicht dem Gesetz entsprechende Ansicht vertreten hat, hat es in der Folge es auch hier unterlassen, die für eine auf die Umstände des Einzelfalls abstellende einwandfreie rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen zu treffen.

18 Sohin war das angefochtene Erkenntnis im angefochtenen Umfang - also in seinem Spruchpunkt A) 1., mit dem der vom BFA getätigte Ausspruch über die Erlassung eines Einreiseverbotes ersatzlos behoben wurde - wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 12. August 2019

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