Normen
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2 impl;
AVG §69 Abs1 Z2;
EURallg;
VwGG §30;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190611.L00
Spruch:
- 1. Die Revision wird zurückgewiesen.
- 2. Der an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 4. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Mai 2017 wurde der Antrag zur Gänze abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan festgestellt und eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 16. August 2018, W248 2136396-2/14E, als unbegründet ab. Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann, der aus der Provinz Helmand stamme. Er habe keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen glaubhaft machen können. Zur Lage in Afghanistan traf das BVwG Feststellungen, die es insbesondere auf das zuletzt am 29. Juni 2018 aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation bzw. die darin zitierten Quellen stützte. Dabei setzte das BVwG sich mit den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 auseinander und gab auch den Bericht der Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) vom Februar 2018 wieder, wonach es in Kabul im Jahr 2017 zu einer gestiegenen Zahl der zivilen Opfer durch Anschläge gekommen sei. Hinsichtlich Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten folgerte das BVwG, aufgrund der angespannten Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Revisionswerbers sei eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar. Dem Revisionswerber stehe jedoch ausgehend von den getroffenen Feststellungen eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen.
3 Am 13. September 2018 beantragte der Revisionswerber die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG. Dazu brachte er vor, nach den (näher wiedergegebenen) UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018) stehe in Kabul aufgrund der dort herrschenden willkürlichen Gewalt bzw. prekären Versorgungslage keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es liege somit ein neues Beweismittel vor, durch das hinsichtlich der Lage in Kabul die Tatsachen in Zweifel gezogen würden, auf die das BVwG seine Entscheidung gegründet habe. Unter Berücksichtigung der Indizwirkung, die UNHCR-Richtlinien nach der Rechtsprechung zukomme, hätte das BVwG, soweit ihm die UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 bei Erlassung seines Erkenntnisses bekannt gewesen wären, eine innerstaatliche Fluchtalternative verneinen und dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 16. August 2018, W248 2136396-2/14E, abgeschlossenen Verfahrens ab. Es führte begründend aus, die UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 seien ein Beweismittel, das erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens entstanden sei und daher grundsätzlich nicht geeignet sei, eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinn der Rechtsprechung zu begründen. Die maßgebliche Sicherheitslage in Afghanistan sei im Entscheidungszeitpunkt bekannt gewesen und festgestellt worden. Durch die UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 seien diesbezüglich auch keine Tatsachen neu hervorgekommen, die im Entscheidungszeitpunkt bereits vorgelegen wären, aber nicht hätten vorgebracht werden können. Die Ansicht des UNHCR, dass in Kabul generell keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, stelle eine rechtliche Beurteilung dar. Im Übrigen könne selbst die Annahme, dass eine Ansiedlung in Kabul nicht zumutbar sei, zu keinem anderen Verfahrensergebnis führen. Dem Revisionswerber stünde nämlich eine innerstaatliche Fluchtalternative auch in anderen Städten Afghanistans offen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht,es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob Richtlinien des UNHCR als neue Tatsachen bzw. Beweismittel im Sinn des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG eine Wiederaufnahme eines Verfahrens rechtfertigen könnten. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Judikatur den Empfehlungen in Richtlinien des UNHCR besonderes Gewicht und Indizwirkung zuerkannt. In den UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 seien Berichte aus verschiedenen Quellen zusammengestellt und auf dieser Grundlage Empfehlungen abgegeben worden. Die Richtlinien ähnelten insofern einem Gutachten. Gutachten könnten aber, soweit in ihnen "neue" Tatsachen "verwertet" würden, nach der Judikatur einen Wiederaufnahmegrund darstellen. Das treffe auch auf die UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 zu, in denen ein Bild von der Lage in Kabul gezeichnet werde, das auch bereits für den Entscheidungszeitpunkt des BVwG im wiederaufzunehmenden Verfahren Gültigkeit habe und das eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht als zumutbar erscheinen lasse. Dazu seien in den UNHCR-Richtlinien die bis August 2018 verfügbaren Länderinformationen zu Afghanistan herangezogen worden. Diese Berichte seien daher "aktueller" als die Quellen, auf die das BVwG seine Feststellungen gegründet habe. Das BVwG habe die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz allein auf die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul gestützt. Soweit das BVwG den UNHCR-Richtlinien die Eignung, zu einem anderen Verfahrensergebnis zu führen, mit dem Hinweis abspreche, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Städten offen stehe, nehme es in Abweichung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine neue Beurteilung vor, die erst im wiederaufgenommenen Verfahren erfolgen könne. Im wiederaufgenommen Verfahren hätte sich aber ergeben, dass eine Rückkehr auch in andere Städte Afghanistans nicht zumutbar sei.
9 Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen. Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (vgl. VwGH 8.9.2015, Ra 2014/18/0089, mwN; vgl. auch zur Eignung eines späteren Sachverständigenbefundes, der sich auf neu hervorgekommene "alte" Tatsachen bezieht, als Wiederaufnahmegrund etwa VwGH 25.7.2013, 2012/07/0131; 20.10.2009, 2009/13/0062).
10 Es trifft zu, dass die UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 Ausführungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul enthalten (vgl. insbesondere Seiten 126 ff der UNHCR-Richtlinien in der deutschsprachigen Fassung). Nach Angaben des UNHCR beruht seine Analyse auf öffentlich verfügbaren Informationen und auf Informationen, die der UNHCR im Rahmen seiner Tätigkeit in Afghanistan und an anderen Orten gesammelt und erhalten hat, sowie auf Informationen von anderen Organisationen der Vereinten Nationen und Partnerorganisationen (vgl. Seite 7). Auf dieser Grundlage gelangt der UNHCR zur Schlussfolgerung, "angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul" sei eine "interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar" (vgl. Seite 129).
11 Die UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 wurden am 30. August 2018 veröffentlicht. Nach den Ausführungen in ihrer einleitenden Zusammenfassung (vgl. Seite 7) "ersetzen" sie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016, wurden vor dem Hintergrund "anhaltender Besorgnis" in Bezug auf die Sicherheitslage und weitreichende Menschenrechtsverletzungen herausgegeben und enthalten Informationen über die besonderen Profile von Personen, für die sich internationaler Schutzbedarf "im derzeitigen Kontext in Afghanistan" ergeben kann. Daraus folgt aber, dass die UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 bzw. die darin enthaltenen Schlussfolgerungen sich auf die Lage in Afghanistan im Zeitpunkt der Publikation der Richtlinien - nicht aber auf den Zeitraum davor - beziehen. Dass sich aus den Richtlinien ergeben würde, dass allenfalls einzelne, näher umschriebene Tatsachen, die der UNHCR bei seiner Beurteilung berücksichtigt hat, bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses im wiederaufzunehmenden Verfahren vorgelegen, aber - aufgrund der damaligen Berichtslage - noch nicht bekannt gewesen wären, wurde durch die revisionswerbende Partei nicht dargetan. Schon aus diesem Grund wird im Sinn der dargestellten Judikatur kein tauglicher Grund für eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG des vor Veröffentlichung der UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2018 abgeschlossenen Verfahrens geltend gemacht, sodass es auf die weiteren Voraussetzungen der Wiederaufnahme nach dieser Bestimmung nicht ankommt. Das rechtliche Schicksal der Revision hängt daher nicht von den in der Revision dargelegten Rechtsfragen ab.
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
13 Mit der Revision verbunden wurde der Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge (nach Vorlage der Revision) zu Gunsten des Revisionswerbers eine einstweilige Anordnung "nach dem Unionrecht für die Gewährung eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts bzw. zur Hintanhaltung einer Abschiebung" erlassen. Der Revisionswerber drohe aufgrund des Erkenntnisses des BVwG im wiederaufzunehmenden Verfahren abgeschoben zu werden. Dem könne auch nicht durch Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der vorliegenden Revision abgeholfen werden. Eine Abschiebung nach Afghanistan bedeute aber einen Eingriff in die Rechte des Revisionswerbers nach Art. 3 EMRK. Es bedürfe daher Vorkehrungen, um die Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache zu sichern.
14 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Zweck der Erlassung unmittelbar auf Unionsrecht gegründeter einstweiliger Anordnungen die Sicherung der vollen Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache ist. Hauptsache ist jene, in der die Entscheidung ergeht, deren volle Wirksamkeit durch eine einstweilige Anordnung gesichert werden soll. Ist die endgültige Entscheidung in der Hauptsache - wie vorliegend - bereits ergangen, so kommt auch deren Sicherung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr in Betracht. Ein solches Verfahren stellt sich als gegenstandslos geworden dar (vgl. VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0139, mwN).
15 Der an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht erweist sich aber auch schon von vornherein im Sinn des § 34 Abs. 1 VwGG als nicht zur Behandlung durch den Verwaltungsgerichtshof geeignet.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 29. Oktober 2014, Ro 2014/04/0069, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG verwiesen wird, festgehalten, dass zur Bestimmung der Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Anordnungen im Revisionsverfahren von der "sachnächsten" Zuständigkeit" auszugehen ist. "Sachnächstes Gericht" für die Prüfung der Erlassung einstweiliger Anordnungen im Revisionsverfahren ist das Verwaltungsgericht. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher für die Erlassung unzuständig, woran auch die Vorlage der Revision durch das Verwaltungsgericht an den Verwaltungsgerichtshof nichts zu ändern vermag.
17 Diese Überlegungen sind auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen und führen dazu, dass der Antrag gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen ist (vgl. in diesem Sinn nochmals VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0139).
Wien, am 25. Februar 2019
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