VwGH Ra 2018/13/0024

VwGHRa 2018/13/002427.3.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs sowie Senatspräsident Dr. Nowakowski, die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak und die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamts Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 2. November 2017, Zl. RV/7104175/2015, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2013 (mitbeteiligte Partei: H in W), zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §3 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018130024.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte war während des Streitjahres 2013 stets Dienstnehmer der X GmbH, bezog vom 22. April 2013 bis zum 8. Juli 2013 aber Weiterbildungsgeld gemäß § 26 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) vom Arbeitsmarktservice. Bei der X GmbH war er in dieser Zeit geringfügig und während des restlichen Jahres vollbeschäftigt.

2 Streitpunkt des Beschwerdeverfahrens im Anschluss an den Einkommensteuerbescheid (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2013 war - abgesehen von Problemen mit Lohnzetteln der X GmbH, in denen Einkommensteile mehrfach ausgewiesen wurden - ein vom Mitbeteiligten in Anspruch genommenes Werbungskostenpauschale. Diese Streitfrage konnte in der Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht geklärt werden. Im Vorfeld der Verhandlung hatte das Finanzamt aber darauf hingewiesen, dass der zeitweise Bezug des steuerfreien Weiterbildungsgeldes gemäß § 3 Abs. 2 EStG 1988 zu einer Hochrechnung der Bezüge während der Zeit der Vollbeschäftigung zu führen habe.

3 Diesem vom Finanzamt auch in der Verhandlung vertretenen Standpunkt folgte das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis nicht.

4 Das Bundesfinanzgericht hielt zu diesem Thema zunächst fest, gemäß § 3 Abs. 1 Z 5 lit. a EStG 1988 seien das versicherungsmäßige Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe "oder an deren Stelle tretende Ersatzleistungen" von der Einkommensteuer befreit. Das Weiterbildungsgeld gelte gemäß § 26 Abs. 8 AlVG "als Ersatzleistung gemäß § 3 Abs. 1 Z 5 lit. a" EStG 1988.

5 Erhalte der Steuerpflichtige steuerfreie Bezüge im Sinne (u.a.) des § 3 Abs. 1 Z 5 lit. a EStG 1988 nur für einen Teil des Kalenderjahres, so seien nach § 3 Abs. 2 erster Satz EStG 1988 "die für das restliche Kalenderjahr bezogenen laufenden Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 und die zum laufenden Tarif zu versteuernden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 41 Abs. 4) für Zwecke der Ermittlung des Steuersatzes (§ 33 Abs. 10) auf einen Jahresbetrag umzurechnen".

6 Nach Meinung des Bundesfinanzgerichtes habe dies im vorliegenden Fall aber zu unterbleiben, weil ganzjährig vereinnahmte Bezüge nicht hochzurechnen seien (Hinweis auf VwGH 22.11.2006, 2006/15/0084, VwSlg 8181/F) und der Mitbeteiligte "die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit während des gesamten streitgegenständlichen Jahres" bezogen habe. "Demnach" seien diese "nicht in die Hochrechnung einzubeziehen, weil diese eben nicht für das restliche Kalenderjahr bezogen wurden".

7 Eine Revision gegen diese Entscheidung sei nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die dort normierten Kriterien "im gegenständlichen Fall allesamt nicht" vorlägen.

8 In der vorliegenden außerordentlichen Revision führt das Finanzamt für deren Zulässigkeit ins Treffen, die Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes weiche in Bezug auf das Unterbleiben einer Hochrechnung gemäß § 3 Abs. 2 EStG 1988 von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (Hinweis auf VwGH 20.7.1999, 94/13/0024, VwSlg 7426/F; 26.3.2003, 97/13/0118). Das Erkenntnis vom 22. November 2006, 2006/15/0084, VwSlg 8181/F, auf das sich das Bundesfinanzgericht berufen habe, sei nicht einschlägig.

9 Der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

 

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet, weil das Bundesfinanzgericht aus schon vorliegender, nicht ganz gleichartige Fälle betreffender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für den zu entscheidenden Fall nicht die richtigen Schlüsse gezogen hat.

12 § 3 Abs. 2 EStG 1988 lautet, soweit für den Revisionsfall wesentlich:

"(2) Erhält der Steuerpflichtige steuerfreie Bezüge im Sinne des Abs. 1 Z 5 lit. a (...) nur für einen Teil des Kalenderjahres, so sind die für das restliche Kalenderjahr bezogenen laufenden Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 und die zum laufenden Tarif zu versteuernden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 41 Abs. 4) für Zwecke der Ermittlung des Steuersatzes (§ 33 Abs. 10) auf einen Jahresbetrag umzurechnen. Dabei ist das Werbungskostenpauschale noch nicht zu berücksichtigen. Das Einkommen ist mit jenem Steuersatz zu besteuern, der sich unter Berücksichtigung der umgerechneten Einkünfte ergibt; die festzusetzende Steuer darf jedoch nicht höher sein als jene, die sich bei Besteuerung sämtlicher Bezüge ergeben würde. (...)"

13 Es ist unstrittig, dass der Mitbeteiligte Bezüge im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 5 lit. a EStG 1988 (Weiterbildungsgeld) nur für einen Teil des Kalenderjahres (22. April bis 8. Juli) bezogen hat. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist damit "der Tatbestand" des § 3 Abs. 2 EStG 1988 "erfüllt", sodass die in dieser Bestimmung "angeordnete Rechtsfolge einzutreten" hat (vgl. VwGH 26.3.2003, 97/13/0118; 6.7.2006, 2002/15/0202; 22.11.2006, 2006/15/0084, VwSlg 8181/F; vgl. auch VwGH 22.2.2017, Ro 2016/13/0004, Rn. 23).

14 Strittig kann entgegen dem Begründungsduktus des Bundesfinanzgerichtes auch nicht sein, ob die während des steuerfreien Bezuges erhaltenen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit "in die Hochrechnung einzubeziehen" sind. Dass dies nicht der Fall sein soll, ist dem Gesetz (trotz der Wiederholung des Artikels "die") auch für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit deutlich zu entnehmen. Gegenteiliges macht im vorliegenden Fall auch das Finanzamt nicht geltend.

15 Streitpunkt des Verfahrens ist vielmehr - im Rahmen der näheren Bestimmung der in § 3 Abs. 2 EStG 1988 angeordneten "Rechtsfolge" - die Frage, ob eine Hochrechnung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, soweit sie außerhalb des Zeitraums des gleichzeitigen steuerfreien Bezuges erzielt wurden, zu unterbleiben hat, wenn während des ganzen Jahres Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt wurden.

16 Dies ist der Fall, soweit es sich um ganzjährige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit handelt, die mit dem steuerfreien Bezug im Sinne des § 3 Abs. 2 EStG 1988 in keinem Zusammenhang stehen. Insoweit besteht - bei Beachtung des Gesetzeszwecks - so wenig Anlass zur Hochrechnung wie bei ganzjährig bezogenen Einkünften aus selbständiger Arbeit (vgl. zu diesen das vom Bundesfinanzgericht ins Treffen geführte Erkenntnis VwGH 22.11.2006, 2006/15/0084, VwSlg 8181/F).

17 Anders verhält es sich, soweit der steuerfreie Bezug an die Stelle der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit tritt. Dies ist die Situation, in der die Steuerfreiheit im Vergleich zum unveränderten Fortbezug der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit auch eine progressionsmindernde Wirkung hätte, der die Regelung des § 3 Abs. 2 EStG 1988 entgegenwirken soll (vgl. dazu die Wiedergabe der Erläuterungen zur Novelle BGBl. Nr. 606/1987 zuletzt im Erkenntnis VwGH 22.2.2017, Ro 2016/13/0004). Für die heute möglichen Fälle eines steuerfreien Bezuges von Weiterbildungsgeld während einer Bildungskarenz wie im vorliegenden Fall (eingeführt mit dem ASRÄG 1997, BGBl. I Nr. 139) oder von Bildungsteilzeitgeld während einer Bildungsteilzeit (eingeführt mit dem SRÄG 2013, BGBl. I Nr. 67) kann in dieser Hinsicht nichts anderes gelten als für die Fälle einer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, auf die sich die mit BGBl. Nr. 606/1987 ursprünglich in das EStG 1972 eingefügte Regelung damals nur bezog. Eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses oder ein völliges Fehlen von Zuflüssen aus dem noch bestehenden oder schon beendeten Beschäftigungsverhältnis wird in § 3 Abs. 2 EStG 1988 nicht vorausgesetzt.

18 Für den Fall des Bezuges von Leistungen aus einem Sozialplan neben Arbeitslosengeld wurde dies in dem in der Revision ins Treffen geführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. März 2003, 97/13/0118, schon zum Ausdruck gebracht. Für die Fälle des Weiterbildungs- oder Bildungsteilzeitgeldes ist das Bundesfinanzgericht in einer Mehrzahl neuerer Entscheidungen, auf die im vorliegenden Fall nicht eingegangen wurde (vgl. zu einer diesbezüglichen "Änderung der Rspr-Linie des BFG" Jakom/Laudacher EStG, 2018, § 3 Rz 122), unter Hinweis u.a. auf das Erkenntnis vom 26. März 2003 zum gleichen Ergebnis gekommen (vgl. aus der Zeit vor dem hier angefochtenen Erkenntnis etwa BFG 21.5.2014, RV/5100789/2014;

13.10.2016, RV/7104596/2016; 28.10.2016, RV/4100823/2015;

12.12.2016, RV/3100968/2016; 14.12.2016, RV/7102713/2012;

16.2.2017, RV/7100500/2017). Dabei wurde auch schon hervorgehoben, dass die Berechnung des fiktiven Jahresbetrages gemäß § 3 Abs. 2 EStG 1988 nicht so erfolgen darf, dass dies zu einer doppelten Erfassung während des steuerfreien Bezuges weiterlaufender nicht steuerfreier Bezugsteile führt (vgl. dazu etwa BFG 12.12.2016, RV/3100968/2016; 13.12.2017, RV/5101476/2016).

19 Im vorliegenden Fall trat das steuerfreie Weiterbildungsgeld an die Stelle davor und danach erhaltener Bezüge. Die in der angefochtenen Entscheidung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 2006, 2006/15/0084, VwSlg 8181/F, gestützte Ansicht, eine Hochrechnung dieser Bezüge habe zu unterbleiben, trifft aus den dargestellten Gründen nicht zu, weshalb der Revision stattzugeben und das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Wien, am 27. März 2019

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