Normen
VStG §45 Abs1
VStG §45 Abs1 Z4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018080241.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Freistadt (im Folgenden: BH) vom 11. September 2015 gemäß § 111 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 1 ASVG mit einer Geldstrafe in Höhe von EUR 730,-- belegt, weil sie es als Dienstgeberin zu verantworten habe, dass der Dienstnehmer D.N. nicht vor Arbeitsantritt am 1. Jänner 2013 beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet worden sei, wobei ein Tatzeitraum bis zum 29. Juli 2013 zugrunde gelegt wurde.
2 Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: LVwG). Das LVwG setzte das Verfahren mit Beschluss vom 20. November 2015 gemäß § 38 VwGVG iVm § 24 VStG iVm § 38 AVG bis zur Beendigung des beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahrens betreffend die Pflichtversicherung des D.N. aus.
3 Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Erkenntnis vom 12. Juni 2018 die Pflichtversicherung des D.N. nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG auf Grund seiner Tätigkeit für die Mitbeteiligte im Zeitraum 1. Jänner 2013 bis 17. Jänner 2014 fest.
4 Das LVwG setzte daraufhin das bei ihm anhängige Verfahren fort und führte am 9. August 2018 eine mündliche Verhandlung durch.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab es der Beschwerde statt, indem es anstelle der verhängten Strafe gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG eine Ermahnung aussprach.
6 Begründend setzte sich das LVwG zunächst umfangreich mit der Frage der Pflichtversicherung des D.N. nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG auseinander und bejahte diese, wobei es darauf verwies, dass die gleichen Erwägungen auch dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde lägen. Es bejahte auch ein Verschulden der Mitbeteiligten an der ihr angelasteten Verwaltungsübertretung. In Zusammenhang mit der Strafbemessung führte das LVwG aus, dass schon die BH die lange Verfahrensdauer zwischen dem Tatzeitrum und der Erlassung des Straferkenntnisses als mildernd berücksichtigt habe. Nun seien aber infolge der Aussetzung des Verfahrens weitere drei Jahre vergangen. Dieser Umstand sei bei der Strafbemessung entsprechend zu werten. Es sei auch als mildernd zu berücksichtigen gewesen, dass die Mitbeteiligte "im Grunde der anhängigen Verfahren" keine selbständigen Zusteller mehr beschäftigt habe, sondern nur mehr angestellte Zusteller in ihrem Betrieb habe. "Im Grunde der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles" habe daher von einer Strafe abgesehen und gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG eine Ermahnung erteilt werden können.
7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das LVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Über die gegen dieses Erkenntnis von der BH erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:
8 Die BH bringt unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision vor, dass die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das kumulative Vorliegen der darin genannten Umstände voraussetze. Von dieser Rechtsprechung sei das LVwG abgewichen, indem es sich mit diesen Umständen nicht auseinandergesetzt habe.
9 Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt.
10 Gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind. Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten in diesem Fall gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG voraus, dass die dort genannten Umstände kumulativ vorliegen. Um daher eine Einstellung des Verfahrens nach dieser Vorschrift oder - wie im vorliegenden Fall - eine Ermahnung im Sinne des § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG vornehmen zu können, müssen erstens die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, zweitens die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und drittens das Verschulden des Beschuldigten gering sein (vgl. etwa VwGH 19.12.2018, Ra 2018/03/0098, mwN).
12 Das LVwG hat sich mit diesen Kriterien überhaupt nicht auseinandergesetzt, sondern die lange Verfahrensdauer in Verbindung mit dem seither gegebenen Wohlverhalten der Mitbeteiligten als ausreichend angesehen, um anstelle einer Strafe bloß eine Ermahnung auszusprechen. Dafür bot § 45 Abs. 1 Z 4 VStG jedoch - unbeschadet dessen, dass es sich bei den genannten Umständen um Strafmilderungsgründe handelt, die im vorliegenden Fall eine außerordentliche Strafmilderung nach § 20 VStG gerechtfertigt hätten - keine gesetzliche Grundlage. Um die überlange Verfahrensdauer zu vermeiden, wäre es geboten gewesen, das Strafverfahren vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Vorfrage der Pflichtversicherung fortzuführen und diese Vorfrage selbst zu beurteilen (wie es das LVwG in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses letztlich ohnedies getan hat, obwohl das nach Ergehen der rechtskräftigen Vorfragenentscheidung nicht mehr erforderlich gewesen wäre).
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Wien, am 3. April 2019
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