VwGH Ra 2018/16/0045

VwGHRa 2018/16/004515.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision des Zollamtes Feldkirch Wolfurt in 6960 Wolfurt, Senderstraße 30, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 9. Jänner 2018, RV/1200089/2015, betreffend Erstattung von Eingangsabgaben (mitbeteiligte Partei:

RJG in R, Schweiz, vertreten durch die Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, Schloßgraben 10), zu Recht erkannt:

Normen

31992R2913 ZK 1992 Art236;
31992R2913 ZK 1992 Art239;
BAO 279 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018160045.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Begründung

1 Am 27. Mai 2014 lenkte der Mitbeteiligte einen auf die - in der Schweiz ansässige - C. Autotransport AG zugelassenen geschlossenen Sattelzug zum Grenzübergang Hohenems. Gegenüber dem dort stehenden Zollbeamten führte er mehrmals die Hände vor dem Körper über Kreuz, öffnete die Arme und drehte die Handflächen nach außen. Der Beamte forderte den Mitbeteiligten auf, anzuhalten und fragte diesen, ob er anmeldepflichtige Waren dabei habe oder "leer" sei. Der Mitbeteiligte antwortete, dass es sich um eine Leerfahrt handle. Nachdem der Beamte den Mitbeteiligten aufgefordert hatte, an den Fahrbahnrand zu fahren, erklärte dieser, dass er ein Fahrzeug geladen habe. Auf dem Sattelauflieger war der auf die in der Schweiz ansässige A. Services Ltd. zugelassene Bugatti Veyron geladen. Das Fahrzeug sollte im Auftrag der Firma BGeneve nach München überstellt und dort dem Concierge des Hotels Charles übergeben werden, der dieses für einen Hotelgast M. K., einen russischen Staatsbürger, in Empfang nehmen sollte. Das Fahrzeug war zur Teilnahme an einer in München beginnenden Ralley ("Grand Tour Elysee 2014") bestimmt.

2 Mit Bescheid vom 2. Juni 2014 teilte das Zollamt Feldkirch Wolfurt dem Mitbeteiligten die buchmäßige Erfassung gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK iVm Art. 234 Abs. 1 ZK-DVO entstandener Eingangsabgaben in der Höhe von EUR 224.000,-- (EUR 70.000,-- Zoll und EUR 154.000,-- Einfuhrumsatzsteuer) mit: Der Mitbeteiligte habe am 27. Mai 2014 das genannte Fahrzeug auf Befragen des Zollbeamten nach mitgeführten Waren nicht erklärt und es daher vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

3 In seiner Eingabe vom 16. Juni 2014, tituliert mit "Anträge auf: Erstattung/Erlass gemäß § 236 BAO - Aussetzung gemäß Art. 876a ZK-DVO - Fristverlängerung gemäß § 110 Abs. 2 BAO" brachte der Mitbeteiligte vor, das angemeldete und mit Kennzeichen versehene Fahrzeug sei deshalb nicht gestellt oder zu einem Zollverfahren angemeldet worden, weil der Mitbeteiligte irrtümlich der Ansicht gewesen sei, dass dies nicht notwendig sei. Er sei davon ausgegangen, dass keine Abgaben irgendwelcher Art zu entrichten seien. Er habe weder in betrügerischer Absicht noch fahrlässig gehandelt. Notwendige Unterlagen für den Antrag nach § 236 BAO würden nachgereicht. Der Mitbeteiligte sei von Beruf Chauffeur. Die Einhebung der geforderten Eingangsabgabenschuld in Höhe von EUR 224.000,-- würde aufgrund der Lage des Abgabenschuldners zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher und sozialer Art führen. Es lägen sämtliche Voraussetzungen für die Aussetzung der Zahlungspflicht nach "§ 876a ZK-DVO" vor. In der Eingabe wiederholte der Mitbeteiligte abschließend, die festgesetzte Eingangsabgabenschuld im Gesamtausmaß von EUR 224.000,-- "gemäß § 236 BAO" bzw. anderen anzuwendenden Gesetzesbestimmungen zur Gänze zu erlassen und die Zahlungsverpflichtung auszusetzen.

4 In einem weiteren Schriftsatz vom 16. Juli 2014 brachte der Mitbeteiligte ergänzend vor, von seinem Arbeitgeber würden durch den hauseigenen zentralen Kundendienst jeweils für den Transport sämtliche dafür vorgesehene Zollformalitäten für den Chauffeur vorbereitet und mit Auftragsinstruktionen übergeben, wie es auch hier der Fall gewesen sei. Vom zentralen Kundendienst habe es keine Anweisungen dahingehend gegeben, dass das gegenständliche Fahrzeug zu verzollen und entsprechend zu deklarieren wäre. Der Arbeitgeber des Mitbeteiligten habe in der Vergangenheit auch noch nie irgendwelche Fahrzeuge in das Ausland verbracht, die zu verzollen gewesen wären. Der Mitbeteiligte habe von seinem Arbeitgeber die Anweisung erhalten, genau darauf zu achten, dass der originale Fahrzeugausweis und die Vollmacht (Autorisation de Transport) im Fahrzeug und die amtlichen Kontrollschilder am Fahrzeug angebracht seien. Dem Mitbeteiligten sei mitgeteilt worden, dass es weiterer Papiere, mit Ausnahme jener, die er bei sich führe, nicht bedürfe, da das Fahrzeug im "Touristenverkehr" transportiert werde. Der Mitbeteiligte selbst sei im Gütergrenzverkehr unerfahren. Da er fest der Überzeugung gewesen sei, nichts verzollen zu müssen, und keine dahingehenden Anweisungen von seinem Arbeitgeber erhalten habe, habe er die Frage des Zollbeamten bejaht, ob er eine Leerfahrt durchführe. Da er keine zu verzollenden Waren mit sich geführt habe, sei er im Glauben gewesen, dass seine Deklaration als Leerfahrt rechtmäßig sei. Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben nach den Bestimmungen des Art. 239 ZK iVm Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO liege ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweise oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet sei. Der Mitbeteiligte habe durch die Nichtdeklaration überhaupt keine Vorteile erlangt. Er sei nach wie vor der Überzeugung, dass hier keine Eingangsabgaben zu erheben gewesen wären. Selbst wenn derartige Eingangsabgaben zu erheben gewesen wären, hätte dies nicht ihn persönlich, sondern seine Transportfirma getroffen. Die Abgabenbelastung sei nach Lage der Sache unbillig. Darüber hinaus sei auch die zweiter Antragsalternative gegeben: Durch die Abgabenbelastung wäre die Existenz des Mitbeteiligten ernsthaft gefährdet. Mit seinem Einkommen als Chauffeur wäre dieser nicht in der Lage, jemals die Abgabenschuld zu bezahlen. Nennenswerte Vermögenswerte besitze er keine.

5 Mit Bescheid vom 3. Juni 2015 wies das Zollamt Feldkirch Wolfurt den Antrag auf Erlass nach Art. 239 ZK als unbegründet ab. Eine Zollbefreiung für Rückwaren iSd Art. 185 ZK komme deshalb nicht in Betracht, weil der Mitbeteiligte die Ware nicht zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet habe. Gleiches gelte für die Abgabenbefreiung nach Art. 212a ZK, weil der Mitbeteiligte offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Es liege auch keine Unbilligkeit nach Lage der Sache vor.

6 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde, die das Zollamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 28. September 2015 als unbegründet abwies, worauf der Mitbeteiligte die Vorlage an das Bundesfinanzgericht und die Entscheidung durch den Senat beantragte.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundefinanzgericht den Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend ab, dass dem Antrag auf Erstattung der mit Bescheid vom 2. Juni 2014 mitgeteilten Eingangsabgaben gemäß Art. 236 ZK stattgegeben werde.

Weiters sprach das Gericht aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Nach Darstellung des Verfahrensganges und Feststellung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes erwog das Gericht unter Zitierung der angewendeten Bestimmungen aus dem ZK sowie aus der ZK-DVO:

"Beim verfahrensgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich entgegen der vom Vertreter des Zollamtes in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht nicht um eine Ware zu Sportzwecken, sondern um ein Beförderungsmittel auf welches die Bestimmungen der Art. 555 bis 562 ZK-DVO anzuwenden sind. Das Fahrzeug kann aufgrund seiner amtlichen Zulassung normal im Straßenverkehr verwendet werden. Das Bestreiten einer Straßen-(Rallye) ändert daran nichts.

Das Fahrzeug erfüllt grundsätzlich die Voraussetzungen für die Bewilligung der vorübergehenden Verwendung mit vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben nach Art. 558 Abs. 1 ZK-DVO.

Es ist außerhalb des Zollgebiets der Union auf den Namen einer außerhalb dieses Gebiets ansässigen Person, nämlich auf die A., amtlich zugelassen und war dazu bestimmt von einer außerhalb der Union ansässigen Person benutzt zu werden (dass M. K. seinen Wohnsitz in der Union hat, wurde weder festgestellt, noch ergeben sich Hinweise darauf aus dem vorgelegten Zollakt).

Umstände, die darauf schließen lassen, dass bereits im Zeitpunkt des Verbringens feststand, dass der PKW entgegen den Bestimmungen der vorübergehenden Verwendung unter vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben verwendet werden soll, liegen nicht vor.

Selbst wenn, was hier mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht bezweifelt wird, M. K., der das Fahrzeug bei der Rallye fahren sollte, diese Voraussetzungen nicht erfüllt, würde eine allfällige Zollschuld erst im Zeitpunkt der Überlassung an einen (allenfalls) Nichtberechtigten entstehen (vgl. Art. 90 ZK).

Unstrittig ist, dass der (Mitbeteiligte), der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, die Voraussetzungen für die Verwendung des Fahrzeuges im Rahmen des Art. 558 Abs. 1 Buchstabe b) ZK-DVO erfüllt. Die Bewilligung, das geladene Fahrzeug vorübergehend im Gebiet der Union zu verwenden oder verwenden lassen, konnte ihm daher konkludent erteilt werden.

Das Zollamt ist der Ansicht, dass für das Fahrzeug die Zollschuld nach Art. 202 ZK durch vorschriftswidriges Verbringen entstanden ist. Der (Mitbeteiligte) habe durch Handzeichen und der Aussage ‚ich bin leer' eine unrichtige Anmeldung für das verfahrensgegenständliche Fahrzeug abgegeben. Er hätte den PKW konkludent anmelden können, da er aber bei der Kontrolle eine unrichtige Anmeldung mündlich abgegeben habe, könne das Fahrzeug nicht mehr in das zulässige Zollverfahren übergeführt werden.

Das Bundes?nanzgericht vermag sich dieser Rechtsansicht nicht anzuschließen. Voraussetzung für die Abgabe einer Zollanmeldung zur vorübergehenden Verwendung gemäß Art. 233 ZK ist es, dass es sich um eine in Artikel 232 ZK angeführte Ware handelt. Eine Ware, die diese Voraussetzung erfüllt, gilt gemäß Art. 234 (1) ZK-DVO als gestellt (Art. 40 ZK), die Zollanmeldung als angenommen (Art. 63 ZK) und die Ware als überlassen (Art. 73 ZK).

Nur wenn eine Kontrolle ergibt, dass die Willensäußerung im Sinne des Art. 233 erfolgt ist, ohne dass die verbrachten oder ausgeführten Waren die Voraussetzungen des Artikels 232 erfüllen, gelten diese Waren als vorschriftswidrig verbracht. Die noch an der Zollstelle durchgeführte Kontrolle hätte jedoch richtigerweise ergeben müssen, dass die Voraussetzungen für die konkludente Anmeldung erfüllt sind.

Wenn also Waren, die die Voraussetzungen erfüllen, ohne Mitwirkung des Zollamtes beim Passieren mittels Fiktion in das Verfahren übergeführt werden können, muss dies im Umkehrschluss auch für jene Waren gelten, die nicht ausdrücklich angemeldet werden, also auch für versteckte und verheimlichte Waren. Erfüllen sie die Voraussetzungen, sind sie auch dann abgabenfrei zu belassen oder in die vorübergehende Verwendung zu überführen, wenn sie trotz ausdrücklichem Befragen nicht angemeldet werden (Witte, Zollkodex6, Rz 21 zu Art. 202).

Eine widerrechtliche Verwendung des Fahrzeugs durch den (Mitbeteiligten) liegt nicht vor. Die beabsichtigte Verwendung durch den nicht in der Union ansässigen russischen Staatsbürger wäre im Rahmen des Art. 558 Abs. 1 Buchst. b ZK-DVO ebenfalls zulässig gewesen.

Es handelte sich deshalb um kein vorschriftswidriges Verbringen, sodass keine Zollschuld entstanden ist.

Gemäß Art. 236 Abs. 1 ZK werden Einfuhrabgaben insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Art. 220 Abs. 2 ZK buchmäßig erfasst worden ist. Die Erstattung bzw. der Erlass erfolgt auf Antrag (innerhalb einer Frist von drei Jahren) oder von Amts wegen, wenn die Zollbehörden innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.

Gemäß Art. 239 Abs. 1 ZK können Einfuhrabgaben in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden, wenn diese Fälle nach dem Ausschussverfahren festgelegt wurden und sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

Der (Mitbeteiligte) hat im Schriftsatz vom 16. Juni 2014 beantragt, die mit Bescheid des Zollamtes vom 2. Juni 2014 (...) festgesetzte Eingangsabgabenschuld im Gesamtausmaß von EUR 224.000,00 gemäß Art. § 236 BAO bzw. ‚anderen anzuwendenden Gesetzesbestimmungen' zur Gänze zu erlassen.

Da der Zollkodex eigene Erstattungs- bzw. Erlassvorschriften kennt, werden die Bestimmungen der BAO überlagert. Allfällige Anträge sind sinngemäß als Anträge auf Erstattung/Erlass zu behandeln. Über Anregung des Zollamtes hat der (Mitbeteiligte) ergänzend einen Antrag auf Erlass nach Art. 239 ZK eingebracht.

Stellt der Zollschuldner einen Erlass- oder Erstattungsantrag, sind die Zollbehörden verpflichtet, den Antrag im Hinblick auf alle in Betracht kommenden Erlass/Erstattungsvorschriften des Art. 236 ZK einerseits und des Art. 239 ZK andererseits nicht in unterschiedlichen Verfahren zu behandeln, sondern hat die Behörde den Antrag umfassend auf alle Erlass-/ Erstattungsgründe hin, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein können, zu prüfen (BFH vom 27.6.2006, VII R 43/05, BFH vom 20.7.2004, VII R 99/00, BFHE 206,495). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller nur eine dieser Vorschriften genannt hat. Es genügt, wenn die Antragsfristen eingehalten wurden (Alexander in Witte6, Zollkodex, Vor Art. 235, Rz 2, mit weiteren Nachweisen).

Wie der BFH in der Entscheidung vom 20.7.2004, VII R 99/00 ausführt, ist der Antragsteller nicht verpflichtet, die konkrete Verordnungsbestimmung zu benennen, auf die er seinen Erstattungsantrag stützt (vgl. EuGH vom 11. November 1999 Rs. C- 48/98 - Söhl & Söhlke, EuGHE 1999, I-7877 Rdnr.89). Zum anderen hat der EuGH bereits zur Vorgängervorschrift des Art. 239 ZK entschieden, dass die Zollbehörde nicht gehindert ist, sich in allen Fällen zu vergewissern, ob die für den Erstattungsantrag geltend gemachten Umstände nicht unter irgendeinen der von der Erstattungsregelung erfassten Tatbestände fallen (EuGH-Urteil vom 18. Jänner 1996 Rs. C-446/93 - SEIM, EuGHE 1996, I-73 Rdnr. 52 f.). Der EuGH sieht die verschiedenen Erstattungstatbestände wohl als einheitliche Regelung an, nämlich neben der Nacherhebung als einen der beiden besonderen Ausnahmetatbestände im Hinblick auf die Zahlung der Zollschuld (vgl. EuGH-Urteil vom 14. November 2002 Rs. C-251/00 - Ilumitronica, EuGHE 2002, I-10433, Rdnr. 34 f.).

Die zur Entscheidung über einen Erstattungsantrag berufenen Zollbehörden und mithin auch die Gerichte sind daher nicht nur berechtigt, sondern sogar von Amts wegen verpflichtet, einen Erstattungsantrag umfassend auf alle Erstattungsgründe hin zu überprüfen, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein könnten.

Der ursprünglich auf ‚§ 236 BAO und anderen anzuwendenden Gesetzesbestimmungen' gestützte Antrag wäre nicht nur in Richtung des Art. 239 ZK umzudeuten und der Partei eine dahingehende Änderung vorzuschlagen, sondern auch auf Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 236 ZK zu prüfen gewesen, zumal der (Mitbeteiligte) dem Inhalt nach auf die seiner Meinung nach nicht bestehende Eingangsabgabenschuld hingewiesen und die Formulierung ‚nach anderen anzuwendenden Gesetzesbestimmungen' dem Antrag hinzugefügt hatte. Auch in der mündlichen Verhandlung wurde vom (Mitbeteiligten) nochmals darauf verwiesen.

Beim (Mitbeteiligten), der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, lagen die Voraussetzungen für die Verwendung des Fahrzeuges im Rahmen des Art. 558 Abs. 1 Buchstabe b) ZK-DVO vor. Die Bewilligung, das geladene Fahrzeug vorübergehend im Gebiet der Union zu verwenden oder verwenden lassen, konnte ihm daher konkludent erteilt werden.

Das Bundesfinanzgericht sieht es als erwiesen an, dass die mit Bescheid vom 2. Juni 2014 (...) vorgeschriebene Zollschuld im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Die Voraussetzungen für die Erstattung der nicht gesetzlich geschuldeten Zollschuld nach Art. 236 ZK lagen vor, sodass dem Antrag auf Erstattung der nicht gesetzlich geschuldeten Abgaben stattzugeben war.

Auf das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Erstattung der Eingangsabgaben nach Art. 239 ZK war daher nicht weiter einzugehen."

8 Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision begründete das Bundesfinanzgericht damit, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liege nicht vor. Das Gericht habe sich auf die in der Entscheidung zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Bundesfinanzhofes berufen.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision des Zollamtes Feldkirch Wolfurt, in der die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes beantragt wird. Die Zulässigkeit der Revision begründet das Zollamt damit, Inhalt des vor dem Bundesfinanzgericht angefochtenen Bescheides über die Abweisung des Antrages gemäß Art. 239 ZK. Das Bundesfinanzgericht begründe seine Entscheidung, die Erstattung nach Art. 236 ZK zu gewähren, mit einem Urteil des (deutschen) Bundesfinanzhofes, der sich seinerseits auf Urteile des EuGH stütze. Dies erweise sich jedoch als nicht tragfähig. Weder in zitierten Urteilen des EuGH sowie des deutschen Bundesfinanzhofes noch in gesetzlichen Bestimmungen sei von einer Verpflichtung die Rede, im Fall eines Antrages auf Erstattung/Erlass nach Art. 239 ZK zu prüfen, ob auch ein Fall nach den Art. 236 bis 238 ZK vorliegen könnte. Dies finde sich erst im nunmehr geltenden Art. 121 Abs. 2 UZK.

Mit der Feststellung, der Mitbeteiligte erfülle die Voraussetzungen, um das gegenständliche Fahrzeug konkludent in das Verfahren der vorübergehenden Verwendung überführen zu können, übersehe das Bundesfinanzgericht die tragenden Gründe des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2016, Ro 2016/16/0010, die auch auf den vorliegenden Fall übertragbar seien.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in der er die Zurückweisung der Revision als unzulässig, in eventu deren Abweisung unter Zuerkennung von Aufwandersatz, beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die vorliegende Amtsrevision erweist sich aus folgenden Gründen als zulässig und auch als berechtigt:

Das Bundesfinanzgericht sah sich im angefochtenen Erkenntnis einerseits dazu berechtigt, das Begehren auf Erstattung nach Art. 239 ZK auch im Grunde des Art. 236 ZK zu überprüfen, und befand in der Sache, dass die Einfuhrabgaben gar nicht gesetzlich geschuldet gewesen seien, womit die Voraussetzung für deren Erstattung nach Art. 236 K vorlägen, sodass auf die Voraussetzungen nach Art. 239 nicht weiter einzugehen gewesen sei.

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 24. Jänner 2001, 99/16/0530, ausgesprochen hat, normieren die Art. 236 und 239 ZK unterschiedliche Tatbestandselemente als Voraussetzungen für eine Erstattung oder einen Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben. Es liegen unterschiedliche Fälle von Erstattungsverfahren vor, was sich insbesondere daraus ergibt, dass nach Art. 239 Abs. 1 ZK eine Erstattung oder ein Erlass nur dann in Frage kommt, wenn die Voraussetzungen des Art. 236 ZK nicht vorliegen und die besonderen Vorschriften der Art. 899 ff ZK-DVO erfüllt sind. Wurde über eine beantragte Erstattung nach dem Inhalt des Spruchs der Behörde erster Instanz abgesprochen, dann ist diese Angelegenheit Gegenstand des Verfahrens und dieser Gegenstand des Verfahrens darf im Rechtsbehelfsverfahren nicht ausgetauscht werden, weil damit - was nach Art. 245 ZK nach den nationalen Bestimmungen zu beurteilen ist - ein unzulässiger Eingriff in die Zuständigkeit der Behörde erster Instanz gegeben wäre.

13 Soweit von einer Verpflichtung der Zollbehörden (bzw. der Gerichte) zu einer umfassenden Prüfung der Erlassgründe gesprochen wird (vgl. Alexander in Witte, Kommentar zum Zollkodex6, Rz 43 zu Art. 239 ZK mwN), ist auch eine solche Prüfung auf das Vorbringens des Antragstellers (und auf die "Sache" des Beschwerdeverfahrens) zu beziehen. Der Mitbeteiligte hatte sein Begehren auf Erstattung nicht darauf gegründet, dass er die Eingangsabgaben gar nicht schulde, sondern - im Einklang mit seinem Antrag nach Art. 239 ZK - auf sein mangelndes Verschulden und die Unbilligkeit der Abgabenbelastung. Unter Würdigung des gesamten Vorbringens war daher der Antrag auf Erstattung nur als solcher im Grunde des Art. 239 ZK zu verstehen und hat das Zollamt mit seinem Bescheid vom 3. Juni 2015 darüber abgesprochen, wodurch auch die Sache des Beschwerdeverfahrens (§ 279 Abs. 1 BAO) darauf beschränkt ist.

14 Dadurch, dass das Bundesfinanzgericht über ein Begehren auf Erstattung im Grunde des Art. 236 ZK entschied, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben ist.

15 Auf die inhaltliche Beurteilung nach Art. 236 ZK ist nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens nicht einzugehen.

Wien, am 15. Mai 2018

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