VwGH Ra 2018/08/0189

VwGHRa 2018/08/018910.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Mag. phil. L R in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Mai 2018, Zl. W238 2161589- 2/7E, betreffend Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz in 1030 Wien, Esteplatz 2), zu Recht erkannt:

Normen

32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art5;
ABGB §7;
AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4;
AlVG 1977 §15 Abs1 Z4;
AlVG 1977 §15 Abs2 Z1;
AlVG 1977 §15 Abs2;
AlVG 1977 §15 Abs4;
AlVG 1977 §15 Abs8;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080189.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der belangten Behörde Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Revisionswerberin auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 6. Februar 2017 gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit abgewiesen.

2 Die Revisionswerberin habe im Oktober 2009 in Österreich das Diplomstudium der klassischen Archäologie beendet. Seit dem 22. März 2012 sei sie als ordentliche Hörerin an der Universität Salzburg zum Doktoratsstudium der Philosophie gemeldet. Vom 2. Februar 2015 bis zum 1. Februar 2016 (365 Tage) sei sie beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

3 Nachdem sie am 25. August 2015 vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung ein Marietta Blau-Stipendium (von EUR 1.200,-- pro Monat) erhalten habe, habe sie vom 1. Februar 2016 bis 27. Jänner 2017 im Rahmen des Doktoratsstudiums an der Boston University (USA) im Ausmaß von ca. 8 Stunden pro Tag an ihrer Dissertation gearbeitet. Sie habe den dortigen Aufenthalt genützt, um mit einer an der Fakultät auf ihrem Forschungsgebiet tätigen Spezialistin regelmäßig den Vorgang, die Arbeitsweise und den Fortschritt ihrer Dissertation zu erörtern. Sie habe keine Lehrveranstaltungen oder Seminare besucht und sei dort nicht berufstätig gewesen. Sie sei während des Auslandsaufenthalts weiterhin an der Universität Salzburg inskribiert, jedoch von der Entrichtung der Studiengebühren befreit gewesen.

4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der in § 12 Abs. 3 lit. f AlVG genannten Personengruppe der Studierenden gebühre grundsätzlich kein Arbeitslosengeld, es sei denn, es bestehe eine Ausnahme gemäß § 12 Abs. 4 AlVG (Erfüllung der "großen Anwartschaft"). Es sei strittig, ob bei der Beurteilung der Anwartschaft die Zeiten des Doktoratsstudiums im Ausland gemäß § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG als rahmenfristerstreckend zu berücksichtigen seien. Nach Auffassung des VwG sei dies zu verneinen. Die Revisionswerberin habe während der Ausbildung (und im Anschluss an ihren Studienaufenthalt in den USA) erstmals am 6. Februar 2017 Arbeitslosengeld beantragt. Innerhalb der Rahmenfrist von 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (6. Februar 2015 bis 6. Februar 2017) lägen nur 361 anwartschaftsbegründende Tage.

5 Unterziehe sich ein Arbeitsloser im Inland einer Ausbildung, durch die er überwiegend in Anspruch genommen werde, so sei die an sich für einen solchen Fall vorgesehene Rahmenfristerstreckung iSd § 15 Abs. 1 Z 4 AlVG bei der Beurteilung des Vorliegens der Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 4 erster Satz AlVG nicht zu berücksichtigen. Soweit die Revisionswerberin indes eine Rahmenfristerstreckung gemäß § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG geltend mache, die für Arbeitslose vorgesehen sei, die sich im Ausland einer Ausbildung unterziehen würden, liege bei ihrem Studienaufenthalt in den USA keine eigenständige Ausbildung im Ausland iS der genannten Gesetzesstelle vor. Die "primäre Ausbildungsstätte", an der die Revisionswerberin ihr Doktoratsstudium betreibe, liege in Österreich. Das Curriculum werde von einer österreichischen Universität unter Berücksichtigung der studienrechtlichen Regelungen auf Gesetzesebene festgelegt. Der Forschungsaufenthalt im Ausland könne nicht losgelöst von dem in Österreich betriebenen Doktoratsstudium betrachtet werden. Der Aufenthalt der Revisionswerberin im Ausland setze das Bestehen des in Österreich durchgeführten Doktoratsstudiums voraus. Gegen das Vorliegen einer "Ausbildung im Ausland" spreche auch der Umstand, dass die Revisionswerberin an der Boston University ausschließlich an ihrer Dissertation gearbeitet habe, dort jedoch keine Vermittlung von Fertigkeiten und Wissen etwa im Wege des Besuchs von Lehrveranstaltungen oder Seminaren erfolgt sei. Daran ändere nichts, dass sie ihren Forschungsaufenthalt dazu habe nützen können, ihre Dissertation mit einer vor Ort tätigen Professorin zu erörtern, zumal auch dies ausschließlich der Optimierung der im Rahmen des österreichischen Doktoratsstudiums zu verfassenden Qualifikationsarbeit gedient habe. Der Rahmenfristerstreckungstatbestand des § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG komme nicht zum Tragen. Angesichts dessen erübrige sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Hinblick auf den ausdrücklichen Verweis des § 12 Abs. 4 AlVG auf "Ausbildungszeiten gemäß § 15 Abs. 1 Z 4" (und nicht auch auf Ausbildungszeiten im Ausland gemäß § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG) eine planwidrige - im Wege der Analogie zu schließende - Gesetzeslücke bestehe. Da in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld nicht 52 Anwartschaftswochen lägen, sei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 AlVG für den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu verneinen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG erblickt die Revisionswerberin - entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des VwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG - in der Frage, ob ihr Forschungsaufenthalt im Ausland bei Anwendung des § 12 Abs. 4 AlVG rahmenfristerstreckend iSd § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG zu berücksichtigen sei. Im Erkenntnis vom 22. Jänner 2016, W 121 2114514-1/9E, habe das Bundesverwaltungsgericht die Frage verneint, ob ein Zusammenhang mit einer inländischen Ausbildung dazu führen würde, dass es sich (trotz Auslandsaufenthalts) nicht mehr um eine "Ausbildung im Ausland" handeln würde. Der Frage komme Relevanz zu, weil bei Bejahung einer "Ausbildung im Ausland" iSd § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG gemäß § 12 Abs. 4 AlVG eine Rahmenfristerstreckung zu berücksichtigen wäre und die Revisionswerberin die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erfüllen würde. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage fehle.

8 Die Revision ist aus den von der Revisionswerberin genannten Gründen zulässig. Sie ist jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.

9 § 12 Abs. 4 AlVG lautet:

"(4) Abweichend von Abs. 3 lit. f gilt während einer Ausbildung als arbeitslos, wer eine die Gesamtdauer von drei Monaten innerhalb eines Zeitraumes von zwölf Monaten nicht überschreitende Ausbildung macht oder die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 erster Satz mit der Maßgabe erfüllt, dass diese ohne Rahmenfristerstreckung durch die Heranziehung von Ausbildungszeiten gemäß § 15 Abs. 1 Z 4 erfüllt werden und für die erstmalige Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes während der Ausbildung gelten. Bei wiederholter Inanspruchnahme während einer Ausbildung genügt die Erfüllung der Voraussetzungen des § 14."

10 § 14 Abs. 1 AlVG lautet:

"(1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Handelt es sich jedoch um einen Arbeitslosen, der das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragt, ist die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war."

11 § 15 Abs. 1 und 2 AlVG lautet auszugsweise:

"§ 15. (1) Die Rahmenfrist (§ 14 Abs. 1 bis 3) verlängert

sich um höchstens fünf Jahre um Zeiträume, in denen der

Arbeitslose im Inland

1. ...;

4. Umschulungsgeld bezogen hat oder sich einer Ausbildung

oder einer beruflichen Maßnahme der Rehabilitation aus der

gesetzlichen Sozialversicherung unterzogen hat, durch die er

überwiegend in Anspruch genommen wurde;

(...)

(2) Die Rahmenfrist verlängert sich um höchstens fünf Jahre

um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Ausland

1. sich einer Ausbildung unterzogen hat, durch die er

überwiegend in Anspruch genommen wurde;

2. (...)."

12 Gemäß § 15 Abs. 1 AlVG müssen die dort genannten Rahmenfristerstreckungstatbestände im Inland verwirklicht werden. Bei der Gleichstellung bestimmter im Ausland verwirklichter Rahmenfristerstreckungstatbestände iSd § 15 Abs. 2 AlVG handelt es sich (ebenso wie bei § 15 Abs. 4 und 8 AlVG) um Durchbrechungen des das Sozialversicherungsrecht an sich prägenden Territorialitätsprinzips. Diese Durchbrechungen gehen überwiegend auf unions- bzw. völkerrechtliche Verpflichtungen zurück (vgl. Art. 5 der Verordnung (EG) 883/2004). Eine (über die genannten Verpflichtungen hinaus gehende) Ausnahme stellt lediglich § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG dar, nach dem jede Ausbildung im Ausland eine Rahmenfristerstreckung bewirkt, sofern diese den Arbeitslosen überwiegend in Anspruch genommen hat. Damit gelten hier im Übrigen die gleichen Voraussetzungen wie beim zweiten Tatbestand im § 15 Abs. 1 Z 4 AlVG. Der dort geforderten tatsächlichen Inanspruchnahme des Arbeitslosen durch die Ausbildung, der er sich im Ausland unterzogen hat, wird sogar besondere Bedeutung zukommen (Pfeil im AlV-Komm, § 15, Rz 29 f).

13 § 15 Abs. 1 Z 4 und § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG unterscheiden sich im vorliegenden Zusammenhang darin, dass die geforderte überwiegende Inanspruchnahme des Arbeitslosen durch eine Ausbildung beim erstgenannten Tatbild im Inland und beim zweitgenannten Tatbild im Ausland erfolgt. Eine Inanspruchnahme kann nur dort verwirklicht werden, wo sich der Arbeitslose während seiner Ausbildung tatsächlich aufhält. Wo sich der Arbeitslose iS der genannten Gesetzesstellen einer Ausbildung unterzieht, ist daher - in Übereinstimmung mit dem Territorialitätsprinzip - nach dem Aufenthaltsort des Arbeitslosen während seiner Ausbildung und nicht nach dem Sitz des Organs zu beurteilen, dessen Regelungen die betreffende Ausbildung unterliegt.

14 Es ist nicht strittig, dass die Revisionswerberin durch die Ausbildung in den USA überwiegend in Anspruch genommen wurde. Der Tatbestand des § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG ist daher erfüllt.

15 Gemäß § 12 Abs. 3 lit. f AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos, wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang ausgebildet wird. Abweichend davon gilt gemäß § 12 Abs. 4 AlVG während einer Ausbildung ua als arbeitslos, wer die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG mit der Maßgabe erfüllt, dass diese ohne Rahmenfristerstreckung durch die Heranziehung von Ausbildungszeiten gemäß § 15 Abs. 1 Z 4 AlVG erfüllt werden und für die erstmalige Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes während der Ausbildung gelten. Gemäß § 14 Abs. 1 AlVG ist bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

16 Während ihrer Ausbildung hat die Revisionswerberin bisher kein Arbeitslosengeld in Anspruch genommen, sodass es sich um eine erstmalige Inanspruchnahme während der Ausbildung handelt. Die Revisionswerberin gilt daher nur dann als arbeitslos, wenn sie die lange Anwartschaft - ohne Rahmenfristerstreckung durch bestimmte Ausbildungszeiten - erfüllt (VwGH 22.3.2010, 2008/08/0150).

17 Es trifft zu, dass § 12 Abs. 4 erster Satz zweite Alternative AlVG bei der Prüfung, ob die "lange Anwartschaft" erfüllt ist, nur die Nichtberücksichtigung jener Rahmenfristerstreckung vorsieht, die auf der "Heranziehung von Ausbildungszeiten gemäß § 15 Abs. 1 Z 4" AlVG (Ausbildung im Inland) beruht.

18 Es stellt sich die Frage, ob das Fehlen einer Klausel in § 12 Abs. 4 AlVG, die auch bei einer Ausbildung im Ausland iSd § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG die Nichtberücksichtigung der Rahmenfristerstreckung vorsieht, eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke darstellt.

19 Die Zulässigkeit der Schließung einer Regelungslücke im Wege einer Analogie setzt das Bestehen einer echten bzw. planwidrigen Rechtslücke voraus. Eine solche ist dort anzunehmen, wo das Gesetz - gemessen an der eigenen Absicht und immanenten Teleologie - unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo die Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Da das öffentliche Recht, im Besonderen das Verwaltungsrecht, schon von der Zielsetzung her nur einzelne Rechtsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses zu regeln bestimmt ist, muss eine auftretende Rechtslücke im Zweifel als beabsichtigt angesehen werden. Eine durch Analogie zu schließende echte Lücke ist nur dann gegeben, wenn das Gesetz anders nicht vollziehbar ist oder wenn es in eine Regelung einen Sachverhalt nicht einbezieht, auf den - unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes und gemessen an den mit der Regelung verfolgten Absichten des Gesetzgebers - dieselben Wertungsgesichtspunkte zutreffen wie auf die im Gesetz geregelten Fälle und auf den daher - schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung - auch dieselben Rechtsfolgen angewendet werden müssen (VwGH 4.5.2017, Ro 2014/08/0060, mwN).

20 Der im § 12 Abs. 3 lit. f AlVG genannten Personengruppe gebührt grundsätzlich kein Arbeitslosengeld, es sei denn, es besteht eine Ausnahme gemäß § 12 Abs. 4 AlVG. Der Grund für diese Regelung ist darin zu erblicken, dass der Gesetzgeber - ungeachtet subjektiver Umstände und Erklärungen des Arbeitslosen, insbesondere über seine Arbeitswilligkeit - von der Vermutung der Unvereinbarkeit der Ausbildung mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch von der Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit für eine Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice bzw. des Fehlens der Möglichkeit eines Bemühens um eine neue zumutbare Beschäftigung ausgeht. Dadurch soll verhindert werden, dass das Arbeitslosengeld - systemwidrig - zur Finanzierung einer solchen Ausbildung herangezogen wird, statt dazu zu dienen, nach Maßgabe der Bestimmungen des AlVG den Entgeltausfall nach Verlust der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Wiedererlangung einer neuen abzugelten. Das bedeutet, dass in diesen Fällen von Gesetzes wegen unwiderleglich vermutet wird, dass der Betreffende so lange einer Vermittlung durch das AMS nicht zur Verfügung steht, als er in der Schule oder dem geregelten Lehrgang ausgebildet wird bzw. sich der praktischen Ausbildung unterzieht. Seine allfällig bestehende Arbeitswilligkeit kann der Anspruchswerber daher nicht durch die bloße Erklärung, arbeitswillig zu sein, sondern nur durch die Beendigung der Ausbildung wirksam dokumentieren (VwGH 29.1.2014, 2012/08/0265, mwN).

21 Zu § 12 Abs. 4 AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 wurde im Ausschussbericht (361 BlgNR 23. GP  2) ausgeführt:

"Nachdem bei einem Wegfall des grundsätzlichen Verbotes einer geregelten Ausbildung während des Bezuges von Arbeitslosengeld mit einem wesentlichen Anstieg von Studenten, die ihre Anwartschaft lediglich durch Ferialbeschäftigungen erworben haben, als Beziehern von Arbeitslosengeld zu rechnen ist, ist die bestehende Ausnahme für Werkstudenten neu gefasst worden. Die verwaltungsaufwendige Überprüfung der Parallelität von Arbeit und Ausbildung soll entfallen und durch eine qualifizierte Anwartschaftsregelung ersetzt werden. Diese stellt sicher, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld während einer länger dauernden Ausbildung nur im Falle längerer arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung und nicht bereits durch die Aneinanderreihung von Ferialbeschäftigungen erworben werden kann."

22 Der Gesetzgeber hat die verwaltungsaufwendige Überprüfung der Parallelität von Arbeit und Ausbildung durch die in Rede stehende Anwartschaftsregelung des § 12 Abs. 4 AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 ersetzt. Demnach werden bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen der langen Anwartschaft iSd § 12 Abs. 4 AlVG vorliegen, Ausbildungszeiten im Hinblick auf die Berechnung der Rahmenfrist nicht neutralisiert, damit es nicht zu einer Kumulierung von lange auseinander liegenden - insbesondere Ferial-Beschäftigungszeiten kommt.

23 Berücksichtigt man, dass die Gleichstellung von im Ausland absolvierten Ausbildungen als Rahmenfristerstreckungstatbestand durch § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG wie erwähnt eine den Arbeitslosen privilegierende Ausnahme vom Territorialitätsprinzip darstellt, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, die im Ausland absolvierten Ausbildungen nicht nur den im Inland absolvierten Ausbildungen gleich zu stellen, sondern iZm § 12 Abs. 1 lit. f iVm § 12 Abs. 4 AlVG sogar besser zu behandeln. Dies würde einen tiefgreifenden Wertungswiderspruch darstellen. Für eine solche Besserstellung ist eine sachliche Rechtfertigung nicht zu erkennen.

24 Der Verwaltungsgerichtshof gelangt daher - auch unter Berücksichtigung der von Krapf/Keul, Arbeitslosenversicherungsgesetz, Rz 331 zu § 12 AlVG, vertretenen abweichenden Ansicht - zur Auffassung, dass § 12 Abs. 4 AlVG, dessen Wortlaut lediglich auf § 15 Abs. 1 Z 4 AlVG verweist, eine planwidrige Lücke aufweist, die - auch zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung - dadurch zu schließen ist, dass auch die Ausbildungen, denen sich der Arbeitslose iSd § 15 Abs. 2 Z 1 AlVG im Ausland unterzogen hat, bei Anwendung des § 12 Abs. 4 AlVG nicht rahmenfristerstreckend berücksichtigt werden können.

25 Die Revision war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

26 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 10. Oktober 2018

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte