VwGH Ra 2017/20/0406

VwGHRa 2017/20/040630.1.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des A S in B, vertreten durch Dr. Josef Sailer und Dr. Romana Schön, Rechtsanwälte in 2460 Bruck/Leitha, Schloßmühlgasse 14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2017, Zl. W102 2132555- 1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art2;
MRK Art3;
MRK Art8;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 25. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20. Juli 2016 hinsichtlich Asyls und subsidiären Schutzes abgewiesen. Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zuerkannt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit Erkenntnis vom 5. September 2017 als unbegründet ab. Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, dass ihm in Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohe. Weiters drohe ihm auch keine Verletzung in seinen nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechten: Zwar sei dem Revisionswerber eine Rückkehr in seinen Herkunftsort Sar-e Pul nicht zumutbar, es stünde ihm aber die ihm zumutbare Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul und Mazar-e Sharif offen, weshalb auch subsidiärer Schutz nicht zuzuerkennen gewesen sei. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe in Österreich keine Verwandten, weshalb kein unzulässiger Eingriff in sein Recht auf Schutz des Familienlebens vorliege. Hinsichtlich des Privatlebens des Revisionswerbers sei festzuhalten, dass dieser einen Deutschkurs besucht und eine Prüfung auf dem Niveau A2 bestanden habe. Zudem verfüge der Revisionswerber in Österreich über "einen Bekanntenkreis" und gehe einer Erwerbstätigkeit nach. Jedoch könne angesichts der erst relativ kurzen Aufenthaltsdauer von nicht ganz zwei Jahren nicht von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung des Revisionswerbers in die österreichische Gesellschaft ausgegangen werden. Auch sei angesichts der in Afghanistan lebenden Verwandten, insbesondere der Ehefrau und der Tochter des Revisionswerbers, von einer deutlich stärkeren Bindung an Afghanistan auszugehen. Die vom Revisionswerber geltend gemachten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet reichten daher für die Abstandnahme von einer "Ausweisung" nicht aus.

3 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe unzureichende und unvollständige Feststellungen getroffen und sei zu Unrecht zum Ergebnis gekommen, dass die "Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Herkunftsregion" nicht die Schwelle des Art. 3 EMRK erreiche, ohne auf die konkrete Situation des Revisionswerbers einzugehen. Weiters werde die Beweiswürdigung bemängelt, zumal das BVwG unrichtig von widersprüchlichen Aussagen des Revisionswerbers ausgegangen sei, obwohl sich diese in Wahrheit nur ergänzt hätten. Hinsichtlich der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK habe das BVwG gegen die Verhandlungspflicht verstoßen und überdies nicht alle Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG in seine Interessenabwägung einbezogen: So fehlten Feststellungen zur sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und sprachlichen Integration völlig. Überdies müsse das von einem hohen Integrationswillen geprägte Privatleben des Revisionswerbers bei einer Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu einem Überwiegen des Interesses des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich führen.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0482, mwN).

8 Entgegen den Ausführungen in der Revision ging das BVwG im angefochtenen Erkenntnis auf die persönliche Situation des Revisionswerbers bei seiner Rückkehr nach Afghanistan ein; dabei befasste es sich auch mit der Herkunftsregion des Revisionswerbers und kam - anders als im Revisionsvorbringen dargestellt - zu dem Schluss, dass ihm eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz nicht möglich sei, ihm jedoch die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif offenstehe und zumutbar sei. So führte das BVwG aus, der Revisionswerber sei jung, gesund und im erwerbsfähigen Alter, verfüge über Berufserfahrung als Bauarbeiter und Polizist, spreche Dari und habe die Möglichkeit sich allenfalls durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG auf dieser Grundlage unvertretbar erfolgt wäre.

9 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 18.2.2015, Ra 2015/08/0008). Wenn die Revision - auf nicht weiter nachvollziehbare Weise - darlegt, bei den vom BVwG angenommenen Widersprüchen im Vorbringen des Revisionswerbers handle es sich in Wahrheit um Ergänzungen, zeigt sie eine solch unvertretbare Beweiswürdigung nicht auf.

10 Eine einzelfallbezogene Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig oder unzulässig ist, ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/22/0210, mwN). Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG die soziale, wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Integration sehr wohl miteinbezogen; ausgehend davon hielt das BVwG fest, der Revisionswerber habe "kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan."

Schließlich erweist sich das Vorbringen in der Revision, das BVwG habe hinsichtlich der Interessenabwägung gegen die Verhandlungspflicht verstoßen, als falsch, zumal eine mündliche Verhandlung - wie sich sowohl aus der angefochtenen Entscheidung als auch anhand der vorgelegten Verfahrensakten ergibt - durchgeführt worden ist.

11 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 30. Jänner 2018

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