VwGH Ra 2017/18/0372

VwGHRa 2017/18/037221.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des S N in M, vertreten durch Mag. Maximilian Lohsmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 2017, Zl. W257 2144235- 1/35E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017180372.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, aus einer näher genannten Ortschaft in der Provinz Parwan, stellte am 5. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er kurz zusammengefasst damit, dass sein Vater, Kommandant der Provinz Parwan, für die Geheimpolizei gearbeitet habe und nach seiner Weigerung, entweder mit den Taliban zusammenzuarbeiten oder seine Tätigkeit aufzugeben, bedroht und misshandelt worden sei. Er sei auch gefährdet gewesen bzw. sei auch bedroht worden. Sein Vater, seine Mutter und seine neun Geschwister seien ebenso geflohen und befänden sich in der Türkei auf dem Weg nach Europa. Seine zwei Onkel väterlicherseits sowie zwei Onkel mütterlicherseits wohnten nach wie vor im Heimatdorf. In Afghanistan sei er fünf Jahre in die Schule gegangen und habe in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet.

2 Mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei und sprach aus, dass eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise bestehe.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. August 2017 als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Begründend führte es - zusammengefasst - aus, der Revisionswerber stamme aus der Provinz Parwan, sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Aus näher genannten Gründen erweise sich das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers - auch unter Berücksichtigung seiner Minderjährigkeit zur Zeit des vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignisses - nicht als glaubwürdig; es sei daher nicht anzunehmen, dass der Revisionswerber in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten habe. Auch subsidiärer Schutz sei dem Revisionswerber nicht zuzuerkennen, weil ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehe. Er sei ein junger, arbeitsfähiger Mann, verfüge über eine fünfjährige Schulbildung, spreche die Landessprache Dari und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut. Eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben könne demnach vorausgesetzt werden. Im Übrigen könne er Unterstützung durch seine in der Nähe von Kabul bzw. in seinem eine Autostunde von Kabul entfernt liegenden Heimatdorf lebenden näher konkretisierten Verwandten annehmen.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit insbesondere geltend macht, dass sich das angefochtene Erkenntnis im Wesentlichen auf ein länderkundliches Sachverständigengutachten stütze, welches nicht den in der höchstgerichtlichen Judikatur an ein Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen entspreche. Vor dem Hintergrund der Mangelhaftigkeit dieses Gutachtens hätte das BVwG die vom Revisionswerber in das Verfahren eingebrachten - näher bezeichneten - Länderberichte in seiner Beurteilung berücksichtigen müssen.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird. Das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0325).

11 Soweit sich der Revisionswerber gegen das länderkundliche Gutachten wendet, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, dass sich die im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen nicht ausschließlich auf dieses Gutachten, sondern auch auf aktuelle Länderberichte stützen (in diesem Sinn VwGH 8.1.2018, Ra 2017/01/0432).

12 Darüber hinaus vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das BVwG bei Berücksichtigung der näher genannten Länderberichte bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber finde aufgrund der aufgezeigten Umstände im Einzelfall - fünfjährige Schulbildung, Arbeitsfähigkeit, Vertrautheit mit Sprache und Kultur, Unterstützungsmöglichkeit durch seine in der Nähe von Kabul lebenden Verwandten - in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor, im Ergebnis keinen Bedenken begegnet (vgl. zur insoweit einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes etwa VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001 und VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).

13 Dem Revisionsvorbringen, das BVwG habe gegen das Überraschungsverbot verstoßen, weil für den Revisionswerber nicht ersichtlich gewesen sei, dass das BVwG von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul ausging, ist zu entgegnen, dass sich das Überraschungsverbot und das damit in Beziehung gesetzte Parteiengehör nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes, nicht aber auf die von der Behörde vorzunehmende rechtliche Beurteilung - wie in diesem Fall die Beurteilung der Zumutbarkeit einer konkreten innerstaatlichen Fluchtalternative - erstreckt (vgl. VwGH 27.6.2017, Ra 2016/18/0277).

14 Darüber hinaus wendet sich die Revision zwar gegen die mangelnde Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Revisionswerbers bei Erleben der vorgebrachten Fluchtgründe, tritt jedoch der ausführlichen Beweiswürdigung des BVwG nicht konkret entgegen und zeigt auch nicht auf, welche konkreten Erwägungen vor dem Hintergrund der Minderjährigkeit des Revisionswerbers anders zu treffen gewesen wären. Somit legt die Revision nicht dar, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise vorgenommen habe (VwGH 2.8.2016, Ra 2016/20/0054).

15 Schließlich ist der Revision zwar zuzustimmen, dass das BVwG hinsichtlich des vom Revisionswerber in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vorgelegten Drohbriefes auf das Neuerungsverbot verwies, ohne sich mit der in der hg. Judikatur erforderlichen Voraussetzung der missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens auseinanderzusetzen (VwGH 29.7.2015, Ra 2015/18/0036). Allerdings führte das BVwG das Neuerungsverbot nur als Alternativbegründung an und berücksichtigte den Drohbrief in weiterer Folge sehr wohl im Rahmen seiner beweiswürdigenden Überlegungen.

16 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war somit gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 21. März 2018

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