Normen
AVG §68 Abs1;
AVG §68;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ZustG §26 Abs2;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170620.L00
Spruch:
Die angefochtene Entscheidung wird wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Am 25. Mai 2016 führten Organe der Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark unter Beiziehung eines Sachverständigen sowie Organen der Polizeiinspektion eine Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz in einem näher bezeichneten Lokal durch. Im Zuge dieser Kontrolle wurde von der belangten Behörde vor Ort ein an die revisionswerbenden Parteien gerichteter Bescheid über die Beschlagnahme von zehn näher bezeichneten Glücksspielgeräten verfasst. Während der Kontrolle haben sämtliche für das Lokal verantwortliche Personen dieses ohne weitere Mitteilung unbemerkt verlassen und sind bis zum Ende der Amtshandlung nicht wieder erschienen. Der Beschlagnahmebescheid wurde daraufhin "an der Theke hinterlegt".
2 Die rechtsfreundliche Vertreterin der erstrevisionswerbenden Partei ersuchte mit Eingabe vom 10. Juni 2016 um Zustellung sämtlicher Schriftstücke zu ihren Handen. Bislang sei weder ein Bescheid noch eine Bescheinigung über die erfolgte Beschlagnahme zugestellt worden.
3 In der Folge erließ die belangte Behörde einen inhaltlich gleichlautenden, mit 1. Juli 2016 datierten Bescheid gegenüber einer näher bezeichneten - nicht mit der zweitrevisionswerbenden Partei identen - GmbH als Inhaberin der Geräte.
4 In weiterer Folge erließ die belangte Behörde gegenüber der erstrevisionswerbenden Partei einen inhaltsgleichen, mit 15. Juli 2016 datierten Beschlagnahmebescheid durch Zustellung an deren rechtsfreundliche Vertreterin. Dieser Bescheid wurde darüber hinaus an der Amtstafel gegenüber der "unbekannten Eigentümerin" der Geräte öffentlich bekannt gemacht.
5 Mit der angefochtenen, in Erkenntnisform ergangenen Entscheidung wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die gegen die Bescheide vom 1. Juli 2016 und 15. Juli 2016 u.a. von den revisionswerbenden Parteien erhobene Beschwerde zurück und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
6 Das Landesverwaltungsgericht führte aus, von der belangten Behörde sei anlässlich der Kontrolle am 25. Mai 2016 noch vor Ort ein an die revisionswerbenden Parteien gerichteter, mit den bekämpften Bescheiden inhaltsgleicher Beschlagnahmebescheid verfasst und an der Theke "hinterlegt" worden, weil zu diesem Zeitpunkt sämtliche für das Lokal verantwortliche Personen das Lokal unbemerkt verlassen gehabt hätten und bis zum Ende der Amtshandlung nicht mehr erschienen seien. Weiters hielt es in seiner rechtlichen Beurteilung fest, dass der von der belangten Behörde anlässlich der Kontrolle vom 25. Mai 2016 vor Ort verfasste und an der Theke zurückgelassene Beschlagnahmebescheid gemäß § 26 Zustellgesetz als rechtswirksam zugestellt gelte. Mangels Beschwerdeerhebung sei dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen. Durch den inhaltlich gleichlautenden Bescheid vom 15. Juli 2016 könnten die revisionswerbenden Parteien nicht mehr beschwert sein. Die Beschwerde sei daher zurückzuweisen.
7 Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der revisionswerbenden Parteien, mit dem Antrag, sie gemäß § 42 Abs. 2 VwGG aufzuheben. Die belangte Behörde erstattet keine Revisionsbeantwortung.
8 Die revisionswerbenden Parteien brachten zur Zulässigkeit der Revision vor, das Landesverwaltungsgericht sei von näher wiedergegebener Judikatur zur Zustellung ohne Zustellversuch gemäß § 26 Abs. 2 ZustG abgewichen. Schon damit wird die Zulässigkeit der Revision aufgezeigt. Sie ist auch berechtigt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.
9 Vorausgeschickt wird, dass die Zurückweisung der Beschwerde in Beschlussform zu ergehen gehabt hätte (§ 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG). Das Treffen der Entscheidung in Form eines Erkenntnisses bewirkt keine aufzugreifende Rechtswidrigkeit.
10 Wurde die Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument gemäß § 26 Abs. 1 ZustG zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird. Die Zustellung gilt nach § 26 Abs. 2 ZustG als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen.
11 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 26 Abs. 2 ZustG hat die Behörde bei Zustellungen ohne Zustellnachweis die Folge zu tragen, dass der Behauptung der Partei, sie habe ein Schriftstück nicht empfangen, nicht wirksam entgegengetreten werden kann. Bei bestrittenen Zustellungen ohne Zustellnachweis hat die Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen. In diesem Fall muss - mangels Zustellnachweises - der Beweis der erfolgten Zustellung auf andere Weise von der Behörde erbracht werden. Gelingt dies nicht, muss die Behauptung der Partei über die nicht erfolgte Zustellung als richtig angenommen werden. (vgl. VwGH 15.5.2013, 2013/08/0032; VwGH 20.9.2012, 2011/10/0146; VwGH 29.3.2012, 2011/12/0179).
12 Die rechtsfreundliche Vertreterin der revisionswerbenden Parteien hat bereits mit Eingabe vom 10. Juni 2016 die Zustellung eines Beschlagnahmebescheides bestritten. Das Landesverwaltungsgericht hätte im Sinne der wiedergegebenen Rechtsprechung Feststellungen zur erfolgten Zustellung des mit 25. Mai 2016 datierten Beschlagnahmebescheides treffen müssen, um beurteilen zu können, ob dieser wegen Nichterhebung einer Beschwerde in Rechtskraft erwachsen ist.
13 Dadurch, dass das Landesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat, belastete es die angefochtene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts.
14 Bei Eintritt der Rechtskraft eines Bescheides gegenüber einer Partei ist zu beachten, dass aus § 68 AVG abzuleiten ist, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden darf (Wiederholungsverbot bzw. ne bis in idem). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen (vgl. VwGH 28.4.2017, Ra 2017/03/0027; 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mwN).
15 Verletzt die Behörde den Grundsatz der Unwiederholbarkeit (ne bis in idem), so belastet sie nach herrschender Rechtsprechung den Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts. Ein hervorkommendes Prozesshindernis ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. VwGH 24.4.2015, 2011/17/0244, mwN).
16 Sollte der Beschlagnahmebescheid vom 25. Mai 2016 gegenüber einer Partei des Verfahrens in Rechtskraft erwachsen sein und wurde in der Folge ein inhaltsgleicher Beschlagnahmebescheid ein weiteres Mal gegenüber dieser Partei erlassen, so wäre der weitere Bescheid über Beschwerde dieser Partei von Amts wegen aufzuheben.
17 Auch durch das Vertreten der Rechtsansicht, dass bei Verstoß gegen den Grundsatz der Unwiederholbarkeit (ne bis in idem) mit Zurückweisung der Beschwerde mangels Beschwer vorzugehen sei, belastete das Landesverwaltungsgericht die angefochtene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts.
18 Die angefochtene Entscheidung war im Sinne obiger Ausführungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff. VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
20 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 12. September 2018
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