VwGH Ra 2017/17/0015

VwGHRa 2017/17/001526.9.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Baumann, über die Revision der GZ in S, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 23. November 2016, LVwG-S-1321/001-2016, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg), zu Recht erkannt:

Normen

AVG 1991 §6;
VwGVG 2014 §11;
VwGVG 2014 §12;
VwGVG 2014 §13;
VwGVG 2014 §14;
VwGVG 2014 §15;
VwGVG 2014 §16;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §20;
VwGVG 2014 §33 Abs3;
VwGVG 2014 §33 Abs4;
VwGVG 2014 §33;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170015.L00

 

Spruch:

Spruchpunkt I. der angefochtenen Entscheidung wird wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Spruchpunkt II. der angefochtenen Entscheidung wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Aufforderung zur Rechtfertigung der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg (BH) vom 4. August 2015 wurde der Revisionswerberin die zweifache Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 5 iVm. § 50 Abs. 4 Glücksspielgesetz (GSpG) zur Last gelegt und eine Frist für die Rechtfertigung bis 18. August 2015 gesetzt. Die Zustellung erfolgte durch Hinterlegung. Das Schriftstück wurde als nicht behoben an die Behörde zurückgestellt. Eine fristgerechte Rechtfertigung langte nicht bei der BH ein.

2 Mit Straferkenntnis der BH vom 27. Oktober 2015 wurde die Revisionswerberin der zweifachen Übertretung des§ 52 Abs. 1 Z 5 iVm. § 50 Abs. 4 GSpG schuldig erkannt. Über sie wurden zwei Geldstrafen in Höhe von jeweils EUR 2.500,- (sowie Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde der Revisionswerberin am 29. Oktober 2015 zugestellt.

3 Mit Mahnung vom 12. Jänner 2016 wurde die Revisionswerberin aufgefordert, die Geldstrafen des nunmehr rechtskräftig gewordenen Straferkenntnisses zu begleichen.

4 In der Rechtfertigung vom 28. Jänner 2016 führte die - rechtsfreundlich vertretene - Revisionswerberin näher aus, die Tat nicht begangen zu haben.

5 Mit Schreiben vom 1. Februar 2016 legte die BH dem Verwaltungsgericht den Verwaltungsstrafakt mit dem Ersuchen um Entscheidung über die "Beschwerde" vor.

6 Mit Schreiben vom 16. Februar 2016 stellte das Verwaltungsgericht an die Revisionswerberin die Anfrage, ob Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 27. Oktober 2015 erhoben wurde und wenn ja mit welchem Schreiben. Weiters wurde vom Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass - falls die Revisionswerberin mit ihrem als "Rechtfertigung" titulierten Schreiben Beschwerde erhoben haben sollte -, diese verspätet sei.

7 Mit Schreiben vom 3. März 2016 gab die rechtsfreundlich vertretene Revisionswerberin dem Verwaltungsgericht daraufhin bekannt, dass sie noch am Tag der Zustellung des gegenständlichen Straferkenntnisses (29. Oktober 2015) ein handschriftlich verfasstes Schreiben, welches als Beschwerde qualifiziert werden könne, an die belangte Behörde verfasst und somit fristgerecht Beschwerde erhoben habe. Da der Anfrage des Landesverwaltungsgerichts zu entnehmen sei, dass sich diese Beschwerde nicht beim Verwaltungsakt befinde, werde aus advokatorischer Vorsicht mit Schriftsatz vom selben Tag ein Antrag auf Wiedereinsetzung bei der BH eingebracht werden. Diesem Schreiben lag eine Kopie des handschriftlich verfassten, mit 29. Oktober 2015 datierten Schreibens bei.

8 In der weiteren Eingabe an die BH vom 3. März 2016 brachte die Revisionswerberin vor, die Aufforderung zur Rechtfertigung sei ihrem rechtsfreundlichen Vertreter am 26. Jänner 2016 per E-Mail zugestellt worden. Eine Rechtfertigung sei daraufhin am 28. Jänner 2016 eingebracht worden. Die Revisionswerberin habe am Tag der Zustellung des Straferkenntnisses (29. Oktober 2015) ein als Beschwerde zu wertendes handgeschriebenes Schreiben an die BH eingebracht. Sie gehe davon aus, dass dieses Schreiben zum Akt, allenfalls zu einem bestimmt bezeichneten Parallelakt oder auch zum Akt über die Beschlagnahme, genommen worden sei. Aus advokatorischer Vorsicht werde auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass das Schreiben (auf dem Postweg) verloren gegangen sei. Deshalb stellte die Revisionswerberin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte weiters vor, richtig möge sein, dass die Revisionswerberin sich über das Einlangen der Beschwerde bei der BH hätte erkundigen können. Das Unterlassen einer derartigen Erkundigung durch eine Rechtsunkundige ohne einen Anhaltspunkt für ein Nichteinlangen der Beschwerde gehe jedenfalls nicht über einen minderen Grad des Versehens hinaus. Gleichzeitig wurde Beschwerde erhoben und diese inhaltlich ausgeführt.

9 Mit Beschluss vom 10. März 2016 wies das Landesverwaltungsgericht die (handschriftlich verfasste) Beschwerde vom 29. Oktober 2015 gegen das Straferkenntnis als verspätet zurück. Diese Beschwerde sei erstmals am 3. März 2016 dem erkennenden Gericht vorgelegt worden. Sie befinde sich nicht in den Verwaltungsakten. Die Beschwerde vom 29. Oktober 2015 sei daher verspätet eingebracht worden.

10 Mit Bescheid vom 11. April 2016 gab die BH dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit näherer Begründung keine Folge.

11 Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Landesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde dahin Folge, dass es den bekämpften Bescheid der BH aufhob (Spruchpunkt I.). Außerdem wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Zu beiden Spruchpunkten sprach das Landesverwaltungsgericht aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

12 Begründend führte das Landesverwaltungsgericht aus, die belangte Behörde habe über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden, obwohl sie unzuständig gewesen sei. Die Beschwerde sei dem Landesverwaltungsgericht am 3. März 2016 vorgelegt worden. Dieses sei daher zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig gewesen. Der bekämpfte Bescheid sei daher aufzuheben gewesen (Spruchpunkt I.). Zur Rechtzeitigkeit des gestellten Wiedereinsetzungsantrags führte es aus, die Revisionswerberin habe eine mit 12. Jänner 2016 datierte Mahnung erhalten, in welcher eindeutig auf das Straferkenntnis mit Datum und Geschäftszahl hingewiesen worden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe daher die Frist zur Erhebung eines Wiedereinsetzungsantrages zu laufen begonnen, weshalb der Antrag als verspätet zurückzuweisen sei (Spruchpunkt II.).

13 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Aufwandersatz.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Im Zulässigkeitsvorbringen wird zunächst geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach über einen Antrag auf Wiedereinsetzung bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht von der Behörde und nicht vom Verwaltungsgericht zu entscheiden sei (Hinweis auf VwGH 28.9.2016, Ro 2016/16/0013). Das Landesverwaltungsgericht hätte somit über die Beschwerde gegen die "Zurückweisung" des Wiedereinsetzungsantrages inhaltlich zu entscheiden gehabt.

15 Schon mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

16 Im Erkenntnis vom 28. September 2016, Ro 2016/16/0013, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die belangte Behörde durch Vorlage des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Übergang der Entscheidungspflicht auf das Verwaltungsgericht herbeiführen kann. Maßgeblich für die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, ob dieser vor Vorlage der Beschwerde gestellt wurde oder erst danach. Für einen vor Vorlage der Beschwerde gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt die belangte Behörde auch nach Vorlage der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht weiterhin zuständig, zumal es andernfalls vom bloßen Willen der belangten Behörde abhängen würde, sich der sie gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG treffenden Entscheidungspflicht zu entledigen und dem Antragsteller mit dieser Vorgehensweise zugleich eine Rechtsmittelinstanz zu entziehen. Eine andere Auslegung würde bedeuten, dass es unabhängig von einer diesbezüglichen Antragstellung durch den Wiedereinsetzungswerber einzig und allein im Belieben der vor Vorlage der Beschwerde unzweifelhaft zuständigen Behörde stünde, durch Vorlage der Beschwerde einen Übergang der Zuständigkeit für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag auf das Landesverwaltungsgericht herbeizuführen und damit nach Wahl der Behörde, ohne weitere gesetzliche Vorgaben und unabhängig von einem entsprechenden Parteienantrag einen Wechsel der Zuständigkeit von der Verwaltungsbehörde zum Verwaltungsgericht verbunden mit dem Verlust einer Instanz herbeizuführen. Eine derartige Absicht ist dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen.

17 Dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall rechtsirrtümlich die Rechtfertigung der Revisionswerberin dem Verwaltungsgericht als Beschwerde vorlegte, vermag keinesfalls zu bewirken, dass bereits eine Beschwerdevorlage an das Verwaltungsgericht erfolgt wäre.

18 Im Revisionsfall hat die Revisionswerberin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden mit der Beschwerde, datiert mit 3. März 2016, an die belangte Behörde übermittelt, wo dieser am 7. März 2016 einlangte. Daher ist im gegenständlichen Fall die belangte Behörde und nicht das Verwaltungsgericht zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuständig (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 28. September 2016). Dass sich der Verwaltungsakt wegen irrtümlicher Vorlage durch die belangte Behörde allenfalls zu diesem Zeitpunkt ohne Beschwerde (noch) beim Verwaltungsgericht befunden haben mag, würde an der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung nichts ändern.

19 Auch die mit Schreiben des rechtsfreundlichen Vertreters vom 3. März 2016 erfolgte Übermittlung der Kopie der mit 29. Oktober 2015 datierten, handgeschriebenen Beschwerde vermag daran nichts zu ändern. Die Übermittlung derselben an das Verwaltungsgericht erfolgte - wie sich aus dem Schreiben des rechtsfreundlichen Vertreters ergibt - lediglich zum Beweis dafür, dass bereits eine Beschwerde an die BH abgesendet worden sei, welchem Umstand im vorliegenden Verfahren, in dem diese Beschwerde niemals bei der BH eingelangt ist, lediglich Bedeutung für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zukommt. Deshalb hat der rechtsfreundliche Vertreter im Schreiben vom 3. März 2016 angekündigt, dass für den Fall des Nichteinlangens der handgeschriebenen Beschwerde mit Schriftsatz vom selben Tag ein Wiedereinsetzungsantrag bei der BH eingebracht werde. Dass durch Übermittlung einer Kopie dieser Beschwerde für die hier vorliegende Sachverhaltskonstellation, in der diese Beschwerde nicht bei der BH eingelangt ist, nicht eine Beschwerdeerhebung erfolgen sollte, ergibt sich auch daraus, dass der rechtsfreundliche Vertreter mit ebenfalls mit 3. März 2016 datiertem Schriftsatz einen Wiedereinsetzungsantrag samt ausgeführter - anderslautender - Beschwerde bei der BH einbrachte.

20 Im Übrigen bewirkt eine von einer Partei unrichtigerweise beim Verwaltungsgericht eingebrachte Bescheidbeschwerde (s. § 20 VwGVG) nicht die Vorlage der Beschwerde im Sinne des § 33 Abs. 3 VwGVG. Vielmehr wäre die Beschwerde vom Verwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG unter subsidiärer - sinngemäßer - Anwendung von § 6 AVG an die erstinstanzliche Behörde zu übermitteln, weil diese das Vorverfahren zu führen (§§ 11 bis 16 VwGVG) und die Möglichkeit, eine Beschwerdevorentscheidung zu treffen (§ 14 VwGVG) hat. Der Begriff der Vorlage der Beschwerde in § 33 Abs. 3 VwGVG stellt auf die Vorlage durch die Behörde ab. Da hier durch Übermittlung der handgeschriebenen Beschwerde durch den Vertreter der Revisionswerberin im Sinne obiger Ausführungen ohnehin keine Beschwerdeerhebung erfolgte, konnte eine Übermittlung an die Behörde unterbleiben. Außerdem hat das Verwaltungsgericht diese Beschwerde - soweit ersichtlich unangefochten - als verspätet zurückgewiesen.

21 Die belangte Behörde (BH) hat daher im Revisionsfall zu Recht über den Wiedereinsetzungsantrag der Revisionswerberin entschieden. Das Verwaltungsgericht hat somit durch die Aufhebung dieses Bescheides wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde (Spruchpunkt I.) die angefochtene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, sodass sie insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war (vgl. VwGH 28.7.2017, Ra 2017/02/0093).

22 Indem das Landesverwaltungsgericht über den Wiedereinsetzungsantrag entschied (Spruchpunkt II.), hat es folglich eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm nicht zukam, sodass insofern mit Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit vorzugehen war.

23 Im Übrigen bewirkt die Zustellung einer Mahnung zur Bezahlung einer Geldstrafe unter Hinweis auf ein erlassenes Straferkenntnis (oder eine erlassene Strafverfügung) nicht den Wegfall des Hindernisses, das der Einbringung eines Rechtsmittels gegen dieses Straferkenntnis (oder die Strafverfügung) entgegensteht, weil dadurch nicht die für eine Wiedereinsetzung maßgebenden Umstände bekannt wurden (vgl. VwGH 13.9.1999, 97/09/0134; 17.5.1991, 90/06/0148; 22.10.1990, 90/19/0314; jeweils mwN).

24 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. September 2018

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