VwGH Ro 2017/15/0041

VwGHRo 2017/15/004128.2.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Innsbruck in 6021 Innsbruck, Innrain 32, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 19. Juli 2017, Zl. RV/3100290/2011, betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheids 2010 gemäß § 299 BAO (mitbeteiligte Partei: A T in I), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §116;
BAO §92;
BAO §93 Abs2;
BAO §93 Abs3 lita;
EStG 1988 §33 Abs4 Z1;
EStG 1988 §67 Abs1;
EStG 1988 §67 Abs2;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017150041.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei war - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts - mit ihrem Ehemann das ganze revisionsgegenständliche Kalenderjahr 2010 verheiratet und hat für zwei ihrer drei Kinder im Kalenderjahr 2010 mehr als sieben Monate Familienbeihilfe bezogen. Der Ehemann der Mitbeteiligten bezog von 1. Jänner 2010 bis 31. Juli 2010 Notstandshilfe. Nach Bezug eines Pensionsvorschusses vom 1. August 2010 bis 30. November 2010 wurde für den Ehemann rückwirkend ab 1. August 2010 eine monatliche Pension nach dem ASVG festgesetzt. Die Bruttopensionseinkünfte des Ehemannes betrugen im Kalenderjahr 2010 insgesamt 7.444,71 EUR. In diesem Betrag waren steuerfreie Bezüge nach § 67 Abs. 1 und 2 EStG 1988 iHv 545 EUR, insgesamt einbehaltene Sozialversicherungsbeiträge iHv 379,68 EUR und nach Tarif zu versteuernde sonstige Bezüge iHv 681,25 EUR enthalten.

2 Mit Einkommensteuerbescheid 2010 vom 28. Februar 2011 gewährte das Finanzamt der Mitbeteiligten antragskonform den Alleinverdienerabsetzbetrag iHv 669 EUR.

3 Mit Bescheid vom 27. Mai 2011 hob das Finanzamt diesen Einkommensteuerbescheid 2010 gemäß § 299 BAO auf und erließ gleichzeitig einen neuen Einkommensteuerbescheid, in dem der Alleinverdienerabsetzbetrag nicht mehr zuerkannt wurde. Als Begründung für die Aufhebung führte es an, dass der Ehemann der Mitbeteiligten im Kalenderjahr 2010 steuerpflichtige Einkünfte von mehr als 6.000 EUR erzielt habe.

4 Dagegen erhob die Mitbeteiligte Berufung (nunmehr Beschwerde). 5 In seiner abweisenden Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt aus, dass die Einkünfte des Ehemanns die Einkommensgrenze von 6.000 EUR überstiegen, weil der Gesamtbetrag seiner Einkünfte 6.415,83 EUR betrage. Dieser Betrag lasse bereits die lediglich nach § 3 Abs. 2 EStG 1988 anzusetzenden steuerfreien Einkünfte (aus Notstandshilfe) außer Ansatz.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob den Bescheid betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheids 2010 ersatzlos auf. Begründend führte es aus, das Finanzamt habe bei seiner Aufhebung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides gemäß § 299 BAO als Grund für die Aufhebung den Umstand herangezogen, dass der Ehemann der Mitbeteiligten im Kalenderjahr 2010 steuerpflichtige Einkünfte von mehr als 6.000 EUR erzielt habe, weshalb ihr der Alleinverdienerabsetzbetrag nicht zustehe und sich der Spruch des Einkommensteuerbescheides 2010 als nicht richtig erweise. Dieser Sachverhaltskomplex bilde den Rahmen, in dem das Bundesfinanzgericht zu prüfen habe, ob die Aufhebung rechtmäßig erfolgt sei.

7 Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Alleinverdienerabsetzbetrag der Mitbeteiligten entfalte der Einkommensteuerbescheid des Ehemannes der Mitbeteiligten nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts keine Bindungswirkung. Die Ermittlung eines Über- oder Unterschreitens des in § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 genannten Grenzbetrages habe vielmehr allein im (Rechtsmittel‑)Verfahren der Partei, die den Alleinverdienerabsetzbetrag begehre, und somit gesondert von einer allfälligen Veranlagung des jeweiligen Ehepartners zu erfolgen, weil eine rechtliche Grundlage für die Annahme einer Bindungswirkung an andere Festsetzungsbescheide fehle.

8 Der vom Finanzamt zu Grunde gelegte Gesamtbetrag der Einkünfte des Ehemanns der Mitbeteiligten iHv 6.415,83 EUR entspreche rechnerisch den im aktenkundigen Einkommensteuerbescheid des Ehemannes dargestellten steuerpflichtigen Pensionsbezügen iHv 6.547,83 EUR abzüglich dem Werbungskostenpauschbetrag iHv 132 EUR.

9 Nach § 33 Abs. 4 Z 1 achter Satz EStG 1988 seien andere als die ausdrücklich im Gesetz aufgezählten steuerfreien Einkünfte bei Ermittlung einer Über- oder Unterschreitung des maßgeblichen Grenzbetrages nicht zu berücksichtigen. Daher seien auch sonstige Bezüge bis zu maximal 2.100 EUR bei den erzielten Einkünften des Ehepartners eines Alleinverdieners nicht zu berücksichtigen, sofern der zugeflossene Betrag das Jahressechstel nicht übersteige.

10 Um das Ausmaß der steuerfreien sonstigen Bezüge ermitteln zu können, sei im Revisionsfall eine Berechnung des Jahressechstels vorzunehmen, wobei nach § 67 Abs. 2 letzter Satz EStG 1988 steuerfreie laufende Bezüge gemäß § 3 EStG 1988 (abgesehen von hier nicht maßgeblichen Bezügen) das Jahressechstel nicht erhöhten und sohin auch die in § 3 Abs. 1 Z 5 lit. a EStG 1988 geregelte Notstandshilfe nicht für die Berechnung des Jahressechstels heranzuziehen sei.

11 Das Jahressechstel des Ehemannes der Mitbeteiligten für

das Kalenderjahr 2010 errechne sich wie folgt:

 

 

EUR

Bruttolohn

7.444,71 EUR

abzüglich sonstiger Bezüge

-1.226,25 EUR

abzüglich Sozialversicherung für lfd. Bezüge

-351,88 EUR

ergibt

5.866,58 EUR

dividiert durch die abgelaufenen Monate (12)

:12

Durchschnittswert

488,88 EUR

multipliziert mit 12

x 12

Jahreseinkommen

5.866,58 EUR

dividiert durch 6

:6

Jahressechstel

977,76 EUR

  

 

12 Die vom Ehemann der Mitbeteiligten im Jahr 2010 insgesamt erhaltenen sonstigen Bezüge iHv 1.226,25 EUR überstiegen daher sein Jahressechstel iHv 977,76 EUR um 248,49 EUR. Dieser Betrag sei nach dem Tarif zu besteuern und daher den steuerpflichtigen Einkünften hinzuzurechnen. Der Betrag von 977,76 EUR bleibe hingegen bei der Berechnung der steuerpflichtigen Einkünfte außer Ansatz.

13 Gemäß § 16 Abs. 3 EStG 1988 sei für Werbungskosten, die bei nichtselbständigen Einkünften erwüchsen, ohne besonderen Nachweis ein Pauschbetrag iHv 132 EUR jährlich abzusetzen. Notstandshilfe und ähnliche Bezüge iSd § 3 Abs. 2 EStG 1988 seien im Fall einer Kontrollrechnung als Aktivbezüge zu werten und ließen - nach der Hochrechnung - den Abzug des Werbungskostenpauschbetrages zu. Dem Ehemann der Mitbeteiligten stehe somit der Werbungskostenpauschbetrag iHv 132 EUR für das Kalenderjahr 2010 - wie auch vom Finanzamt angenommen - zu, weil sein steuerpflichtiges Einkommen für das Jahr 2010 mittels Kontrollrechnung ermittelt worden sei.

14 Der für die Einkunftsgrenze des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 im Jahr 2010 maßgebliche Betrag des Ehemannes der Mitbeteiligten errechne sich daher wie folgt:

 

 

EUR

Bruttobezüge

7.444,71 EUR

abzüglich steuerfreie sonstige Bezüge innerhalb des Jahressechstels

- 977,76 EUR

abzüglich Sozialversicherungsbeiträge für laufende Bezüge

- 351,88 EUR

abzüglich Werbungskostenpauschbetrag

- 132 EUR

maßgebliche Einkünfte iSd § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988

5.983,07 EUR

  

 

15 Der Ehemann der Mitbeteiligten habe somit im Kalenderjahr 2010 entgegen der Annahme des Finanzamts nicht mehr als 6.000 EUR an maßgeblichen Einkünften bezogen und daher den Grenzbetrag des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 nicht überschritten. Der für die Aufhebung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 2010 vom 28. Februar 2011 vom Finanzamt herangezogene Aufhebungsgrund trage sohin die vorgenommene Aufhebung nach § 299 BAO nicht.

16 Die Revision ließ das Bundesfinanzgericht zu, weil es zu der Rechtsfrage, ob der Einkommensteuerbescheid eines Ehepartners keine Bindungswirkung für die Überprüfung des Grenzbetrages nach § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 im Verfahren einer Partei, welche einen Alleinverdienerabsetzbetrag begehrt, entfalte, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gebe.

17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamts.

 

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19 Die ordentliche Revision ist zulässig und begründet. 20 Das Bundesfinanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen,

dass der Einkommensteuerbescheid eines Ehepartners keine Bindungswirkung für die Überprüfung des Grenzbetrages nach § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 im Verfahren einer Partei, welche einen Alleinverdienerabsetzbetrag begehrt, entfaltet.

21 Eine Bindungswirkung iSd § 116 BAO kann nur der Spruch eines Bescheides entfalten. Sie ist Ausdruck der Rechtskraft der Entscheidung und erstreckt sich nicht auch auf die Entscheidungsgründe eines Bescheids. Zudem beziehen sich die Bescheidwirkungen grundsätzlich nur auf die Parteien des Verfahrens (VwGH 28.2.2012, 2010/15/0169, mwN).

22 Gegen die Annahme einer solchen Bindungswirkung spricht zudem, dass diesfalls in keiner Weise sichergestellt wäre, dass der von der Bindung Betroffene die Möglichkeit hätte, gegen die in dem Einkommensteuerverfahren des Ehepartners getroffenen Feststellungen Einwendungen zu erheben, weshalb auch Rechtsschutzüberlegungen gegen die Annahme einer Bindung sprechen.

23 Die Revision ist allerdings aus einem anderen von der Revision aufgezeigten Grund begründet.

24 Der Alleinverdienerabsetzbetrag stand nach § 33 Abs. 4 EStG 1988 in der im Revisionsfall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 allen Steuerpflichtigen zu, die mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragene Partner sind und von ihren unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten oder eingetragenen Partnern nicht dauernd getrennt leben. Voraussetzung war, dass der (Ehe‑) Partner (§ 106 Abs. 3 EStG 1988) bei mindestens einem Kind (§ 106 Abs. 1 EStG 1988) Einkünfte von höchstens 6.000 Euro jährlich erzielt. Die nach § 3 Abs. 1 Z 4 lit. a, weiters nach § 3 Abs. 1 Z 10, 11 und § 32 EStG 1988 und auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreien Einkünfte waren in diese Grenzen mit einzubeziehen, andere steuerfreie Einkünfte waren nicht zu berücksichtigen.

25 Daher waren auch sonstige Bezüge des Ehemanns der Mitbeteiligten, deren Besteuerung mit dem festen Steuersatz gemäß § 67 Abs. 1 EStG 1988 unterbleibt, wenn das nach § 67 Abs. 2 EStG 1988 berechnete Jahressechstel höchstens 2.100 EUR beträgt (Freigrenze), für die Berechnung des Grenzbetrags des Alleinverdienerabsetzbetrages nicht zu berücksichtigen.

26 § 67 Abs. 2 EStG 1988 begrenzt die Möglichkeit, sonstige Bezüge mit den festen Steuersätzen des Abs. 1 zu versteuern und somit auch in die Freigrenze aufzunehmen, indem er bestimmt, dass sonstige Bezüge, die ein Sechstel der bereits zugeflossenen auf das Kalenderjahr umgerechneten laufenden Bezüge übersteigen, dem laufenden Bezug des Lohnzahlungszeitraumes, in dem sie ausbezahlt werden, hinzuzurechnen und nach dem Lohnsteuertarif zu versteuern sind.

27 Dieses Sechstel ist somit nach der gesetzlichen Definition immer von den gesamten im Kalenderjahr bereits zugeflossenen laufenden Bezügen zu berechnen; und zwar so, dass die im Kalenderjahr zugeflossenen laufenden Bezüge durch die Anzahl der bereits abgelaufenen Kalendermonate zu teilen sind. Der so ermittelte Durchschnitt ist auf den Jahresbezug umzurechnen, also mit 12 zu vervielfachen, und davon das Sechstel zu berechnen (VwGH 10.4.1997, 94/15/0197).

28 Dies hat das Bundesfinanzgericht verkannt, wenn es ohne nähere Feststellungen zum Auszahlungszeitpunkt der laufenden und der sonstigen Bezüge die gesamten Jahresbruttobezüge des Ehemanns der Mitbeteiligten seiner Berechnung der steuerfreien sonstigen Bezüge zugrunde gelegt und davon ausgehend den Grenzbetrag nach § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 berechnet hat.

29 Das Jahressechstel ist nämlich bei jeder Auszahlung sonstiger Bezüge nach den Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zufließens zu berechnen. Eine spätere allgemeine Neuberechnung des (begünstigt besteuerten bzw. steuerfreien) Jahressechstels unter Einbeziehung der gesamten Jahresbruttobezüge ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. VwGH 17.1.1984, 83/14/0088 und 22.12.1993, 90/13/0152, sowie Hofstätter/Reichel, EStG56 § 67 Rz 27 und Doralt, EStG19 § 67 Rz 26). Im Übrigen ist bei der Berechnung des Jahressechstels - was das Bundesfinanzgericht gleichfalls verkannt hat - von den Bruttobezügen auszugehen (Doralt, EStG19 § 67 Rz 26), weshalb kein Abzug der Sozialversicherung für laufende Bezüge zu erfolgen hat.

30 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 28. Februar 2018

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