Normen
MSG NÖ 2010 §11 Abs3;
MSV NÖ 2010 §11 Abs1;
MSV NÖ 2010 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017100170.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1 1. Mit Bescheid vom 20. September 2016 wies die belangte Behörde den Antrag der Mitbeteiligten auf Leistungen nach dem Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) ab.
2 Begründend wurde im Bescheid im Wesentlichen ausgeführt, das Einkommen der Mitbeteiligten und ihres Lebensgefährten übersteige den maßgeblichen Mindeststandard gemäß § 1 Abs. 1 und 2 NÖ Mindestsicherungsverordnung (NÖ MSV), weshalb keine Hilfsbedürftigkeit im Sinne des NÖ MSG vorliege.
3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. August 2017 gab das Verwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und änderte den Bescheid der belangten Behörde dahingehend ab, dass der Mitbeteiligten Geldleistungen nach dem NÖ MSG in bestimmter Höhe zuerkannt wurden.
4 Das Verwaltungsgericht stellte - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - fest, dass die Mitbeteiligte mit ihrem Lebensgefährten, der ein monatliches Einkommen aus Invaliditätspension in Höhe von EUR 837,76 beziehe, in Haushaltsgemeinschaft lebe. Für die gemeinsam bewohnte Wohnung sei keine Miete zu entrichten; es seien lediglich EUR 42,87 an monatlichen Betriebskosten zu bezahlen. Die Mitbeteiligte beziehe Notstandshilfe in Höhe von monatlich EUR 197,10, verfüge über kein Vermögen und sei zum Einsatz ihrer Arbeitskraft bereit (Meldung beim Arbeitsmarktservice).
5 Rechtlich begründete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Einkommen des Lebensgefährten der Mitbeteiligten bei der Bemessung der von der Mitbeteiligten beantragten Mindestsicherungsleistungen gemäß § 8 Abs. 2 NÖ MSG zu berücksichtigen sei. Diese Bestimmung beziehe sich - anders als von der belangten Behörde angenommen - nach ihrem eindeutigen Wortlaut lediglich auf § 11 Abs. 1 NÖ MSG, weshalb im Rahmen der Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten für diesen der jeweilige Mindeststandard als gesamtes, also sowohl der Mindeststandard zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts als auch jener zur Deckung des Wohnbedarfs, heranzuziehen sei.
6 Zudem sei § 8 Abs. 2 NÖ MSG dahingehend zu interpretieren, dass bei der Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten nicht der diesem potentiell zustehende Mindeststandard, sondern "jeweils der abstrakte Mindeststandard des § 11 Abs. 1 NÖ MSG" in Ansatz zu bringen sei.
7 Dies bedeute, dass die belangte Behörde bei der Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten der Mitbeteiligten nicht von den tatsächlichen Wohnkosten ausgehen hätte dürfen. Sie hätte vielmehr den auf den Lebensgefährten "abstrakt entfallenden" Mindeststandard heranziehen müssen. Nur das diesen Betrag übersteigende Einkommen sei bei der Berechnung einer Leistung für die Mitbeteiligte zu berücksichtigen.
8 Die Revision ließ das Verwaltungsgericht mit der wesentlichen Begründung nicht zu, dass aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 8 Abs. 2 NÖ MSG nicht vom Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auszugehen sei.
9 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat. Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 1. Gemäß § 43 Abs. 12 NÖ MSG, LGBl. 9205-0 idF LGBl. Nr. 103/2016, sind auf alle am 1. Jänner 2017 noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren auf Zuerkennung, Weitergewährung, Erhöhung oder Kürzung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfes und Wohnbedarfes die geltenden Bestimmungen des NÖ Mindestsicherungsgesetzes, LGBl. 9205 in der Fassung LGBl. Nr. 24/2016, der NÖ Mindeststandardverordnung, LGBl. 9205/1 in der Fassung LGBl. Nr. 120/2015 und der Verordnung über die Berücksichtigung von Eigenmitteln, LGBl. 9200/2-4, anzuwenden.
11 Die im vorliegenden Fall in den Blick zu nehmenden Bestimmungen des NÖ MSG, LGBl. 9205-0 idF LGBl. Nr. 24/2016, lauten auszugsweise:
"§ 8
Berücksichtigung von Leistungen Dritter
(...)
(2) Das Einkommen eines mit der Hilfe suchenden Person im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten bzw. einer Ehegattin, eines eingetragenen Partners bzw. einer eingetragenen Partnerin oder einer sonst unterhaltsverpflichteten Person sowie eines Lebensgefährten bzw. einer Lebensgefährtin ist bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit zu berücksichtigen, als es den für diese Personen nach § 11 Abs. 1 maßgebenden Mindeststandard übersteigt.
(...)
§ 11
Mindeststandards
(1) Die Landesregierung hat nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 2 und 3 der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung, LGBl. 9204-0, durch Verordnung die Höhe der Mindeststandards zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes insbesondere für folgende hilfsbedürftige Personen zu regeln:
(...)
2. für volljährige Personen, die mit anderen volljährigen
Personen in Haushalts- oder Wohngemeinschaft leben,
(...)
(3) Mindeststandards zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes nach Abs. 1 beinhalten grundsätzlich einen Geldbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes im Ausmaß von 25% bzw. bei hilfsbedürftigen Personen, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen, einen Geldbetrag im Ausmaß von 12,5%. Besteht kein oder ein geringerer Aufwand zur Deckung des Wohnbedarfes oder erhält die hilfebedürftige Person bedarfsdeckende Leistungen (z. B. eine Wohnbeihilfe oder einen Wohnzuschuss), sind die jeweiligen Mindeststandards um diese Anteile entsprechend zu reduzieren, höchstens jedoch um 25% bzw. 12,5%.
(...)"
12 2. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Kern vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob der Verweis des § 8 Abs. 2 NÖ MSG auf § 11 Abs. 1 leg. cit. isoliert oder in Verbindung mit § 11 Abs. 3 NÖ MSG zu betrachten sei.
13 3. Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 14 3.1. Dem vorliegenden Fall liegt zugrunde, dass die Mitbeteiligte gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, der monatlich ein Einkommen aus Invaliditätspension bezieht, eine Wohnung bewohnt, für die keine Miete, sondern ausschließlich Betriebskosten in der Höhe von EUR 42,87 zu entrichten sind.
15 Sowohl das Verwaltungsgericht als auch die belangte Behörde gehen - zutreffend - davon aus, dass das Einkommen des Lebensgefährten bei der Bemessung der von der Mitbeteiligten beantragten Mindestsicherungsleistungen nach § 8 Abs. 2 NÖ MSG zu berücksichtigen ist. Sie vertreten allerdings unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, in welcher Höhe das Einkommen des Lebensgefährten anzurechnen sei, weil sie den in § 8 Abs. 2 NÖ MSG angesprochenen, für den Lebensgefährten "nach § 11 Abs. 1 maßgebenden Mindeststandard" unterschiedlich auslegen.
16 Während die belangte Behörde davon ausgeht, dass der für den Lebensgefährten maßgebende Mindeststandard zur Deckung des Wohnbedarfs gemäß § 11 Abs. 3 NÖ MSG auf die tatsächlich zu entrichtenden Betriebskosten für die gemeinsam bewohnte Wohnung zu reduzieren sei, ist das Verwaltungsgericht der Ansicht, dass die Bestimmung des § 11 Abs. 3 NÖ MSG nicht zum Tragen komme, sondern ein "abstrakter", sich aus den vollen (in der NÖ MSV festgelegten) Mindeststandards zur Deckung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs ergebender Mindeststandard hinsichtlich des Lebensgefährten heranzuziehen sei.
17 3.2. Gemäß § 8 Abs. 2 NÖ MSG ist das Einkommen eines mit der Hilfe suchenden Person im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten bzw. einer Ehegattin, eines eingetragenen Partners bzw. einer eingetragenen Partnerin oder einer sonst unterhaltsverpflichteten Person sowie eines Lebensgefährten bzw. einer Lebensgefährtin bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit zu berücksichtigen, als es den für diese Personen nach § 11 Abs. 1 leg. cit. maßgebenden Mindeststandard übersteigt.
18 § 11 Abs. 1 NÖ MSG enthält eine an die Landesregierung gerichtete Verordnungsermächtigung zur Festlegung der Höhe der Mindeststandards "zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfs" für bestimmte nach ihrer jeweiligen Haushaltskonstellation definierte hilfsbedürftige Personengruppen.
19 3.3. Aus § 8 Abs. 2 NÖ MSG iVm § 11 Abs. 1 leg. cit. ergibt sich somit, dass sich der für die in § 8 Abs. 2 NÖ MSG angesprochenen Personen "maßgebende Mindeststandard" - ebenso wie der Mindeststandard für hilfsbedürftige Personen - einerseits aus den Mindeststandards zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes sowie des Wohnbedarfs zusammensetzt und sich andererseits nach der Haushaltskonstellation dieser Personen bemisst. Für die in § 8 Abs. 2 NÖ MSG genannten Personen sind daher unzweifelhaft dieselben Mindeststandards in Ansatz zu bringen wie für hilfsbedürftige Personen.
20 Vor diesem Hintergrund vermag sich der Verwaltungsgerichtshof der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung dieser Bestimmung dahingehend, dass durch den Verweis auf § 11 Abs. 1 NÖ MSG in § 8 Abs. 2 NÖ MSG eine Anwendung des § 11 Abs. 3 NÖ MSG ausgeschlossen werde, nicht anzuschließen. Vielmehr nimmt die zuletzt genannte Bestimmung eine unmissverständliche Präzisierung der in § 11 Abs. 1 NÖ MSG grundsätzlich vorgegebenen (für Hilfe suchende Personen sowie für den in § 8 Abs. 2 NÖ MSG genannten Personenkreis gleichermaßen gültigen) Mindeststandards hinsichtlich der Höhe des Mindeststandards zur Deckung des Wohnbedarfs vor und stellt daher einen untrennbaren Teil der verwiesenen Regelung dar.
21 Nach dem Gesagten sind daher die Vorgaben des § 11 Abs. 3 NÖ MSG auch bei der Ermittlung des "maßgebenden Mindeststandards" für die in § 8 Abs. 2 NÖ MSG angeführten Personen zu berücksichtigen.
22 4. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 24. April 2018
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