VwGH Ra 2017/09/0047

VwGHRa 2017/09/004724.1.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr und die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer und Mag. Feiel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentliche Revision der Disziplinarkommission für Soldaten beim Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport in 1090 Wien, Roßauer Lände 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. September 2017, Zl. W136 2162087-1/3E, betreffend Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach dem HDG 2014 (mitbeteiligte Partei: Dr. X Y in Z, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Mag. Daniel Kornfeind und Mag. Alexander Lubich, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 27/28; weitere Partei: Bundesminister für Landesverteidigung), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art20 Abs1;
HDG 2014 §62 Abs3;
HDG 2014 §72 Abs2 Z1;
HDG 2014 §72 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Spruchpunkte 3.), 4.) und 8.) des Einleitungsbeschlusses der Disziplinarkommission für Soldaten vom 19. April 2017 aufgehoben werden und das Verfahren eingestellt wird, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Die im Jahr 1963 geborene Mitbeteiligte steht als Militärärztin beim österreichischen Bundesheer in einem Dienstverhältnis zum Bund.

2 Mit Beschluss der Disziplinarkommission für Soldaten beim Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (in der Folge: DK) vom 19. April 2017 wurde gegen die Mitbeteiligte ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts von acht näher beschriebenen Dienstpflichtverletzungen eingeleitet, darunter in den nachgenannten Spruchpunkten zu den Vorwürfen, sie habe (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof, Schreibweise wie im Original)

"3.) am 17. August 2016 ab ca. 1500 Uhr zwei betagte, bis dato unbekannte Personen, welche ‚Nicht Berechtigte' und ihre Privatpatienten sind, während der Normdienstzeit ärztlich betreut, sowie

4.) am 17. August 2016 die ‚Nicht Berechtigten' Personen (W) und (X) zwischen 1700 und 1724 Uhr, somit während ihres Journaldienstes, ärztlich betreut", (...)

"6.) in ein Ermittlungsverfahren eingegriffen indem sie am 23. November 2016 von (Y) und (Z) ein Gedächtnisprotokoll - bezüglich der ihr mit Spruchpunkt 2.) vorgeworfen Angelegenheit (Anmerkung: Operation eines Grundwehrdieners ohne Einholung der notwendigen Genehmigung durch ein näher bezeichnetes Kommando) - gefordert hat" (...)

sowie

"8. einer Weisung ihres vorgesetzten Kommandant zur niederschriftlichen Einvernahme am 24. Jänner 2017 zu erscheinen, nicht Folge geleistet".

3 Die Mitbeteiligte habe dadurch gegen die Bestimmungen des § 5 VBG iVm § 43 Abs. 1 BDG 1979 sowie in Spruchpunkt 8.) gegen § 5a Abs. 1 VBG verstoßen und schuldhaft Pflichtverletzungen gemäß § 2 Abs. 1 Heeresdisziplinargesetz 2014 (HDG 2014) begangen, weshalb die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gemäß § 72 Abs. 2 Z 1 HDG 2014 verfügt worden sei.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der von der Mitbeteiligten gegen diesen Einleitungsbeschluss erhobenen Beschwerde insoweit statt, als es diesen hinsichtlich der Spruchpunkte 3.), 4.), 6.) und 8.) gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG aufhob und das Verfahren gemäß § 72 Abs. 2 Z 2 iVm § 62 Abs. 3 HDG 2014 einstellte (Spruchpunkt A erster Satz). Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und bestätigte den bekämpften Bescheid. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen - soweit für den Revisionsfall von Bedeutung - aus, die Mitbeteiligte habe bereits im Beschwerdeverfahren betreffend die Dienstenthebung ausgeführt, sie habe jene Personen, die sie an ihrer Dienststelle aufgesucht hätten, freundschaftlich unterstützt bzw. ihnen lediglich Befunde ausgehändigt. Ohne weitere Hinweise könne nicht erkannt werden, dass der Verdacht bestünde, die Mitbeteiligte habe diese Personen entgegen der Erlasslage unberechtigterweise in einer militärmedizinischen Einrichtung ärztlich behandelt. Mangels hinreichender Begründung der Verdachtslage sei der Bescheid daher in seinen Spruchpunkten 3.) und 4.) zu beheben gewesen. Das gelte auch für die Anlastung zu Spruchpunkt 6.), weil diesbezüglich völlig offen bleibe, warum bzw. worin der Verdacht einer Pflichtverletzung gesehen werde. Zu Spruchpunkt 8.) führte das Verwaltungsgericht aus, im Nichterscheinen zu einem einvernehmlich abgesagten bzw. verschobenen Termin sei kein Weisungsverstoß zu erblicken. Die Spruchpunkte 6.) und 8.) seien daher wegen fehlender Begründung zu beheben gewesen und stellten keine Pflichtverletzungen dar.

6 Gegen Spruchpunkt A erster Satz dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Mitbeteiligte erwogen hat:

7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision ist zulässig, wenn darin vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht weiche mit seiner Beurteilung, ob die in Frage stehenden Verhaltensweisen Dienstpflichtverletzungen darstellen (können), von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab. Soweit sich die Revision gegen die Aufhebung der Spruchpunkte 3.),

4.) und 8.) des Einleitungsbeschlusses und die Einstellung des Verfahrens zu diesen Spruchpunkten wendet, kommt ihr auch Berechtigung zu:

10 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass die dem Einleitungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren zukommende rechtliche Bedeutung in erster Linie darin gelegen ist, dem wegen einer Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten innerhalb der Verjährungsfrist gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde. Dieser Bescheid dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen hat und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluss begrenzt regelmäßig den Umfang des vor der DK stattfindenden Verfahrens: Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluss in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens ist.

11 Um dieser Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, muss das dem Disziplinarbeschuldigten als Dienstpflichtverletzung vorgeworfene Verhalten im Einleitungsbeschluss derart beschrieben werden, dass unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildet. Die angelastete Tat muss daher nach Ort, Zeit und Tatumständen so gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welches dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegte Verhalten auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses als Prozessgegenstand im anschließenden Disziplinarverfahren behandelt werden darf. Solcherart muss sich daher der Tatvorwurf von anderen gleichartigen Handlungen oder Unterlassungen, die dem Disziplinarbeschuldigten angelastet werden können, genügend unterscheiden lassen.

12 Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn im Umfang der Disziplinaranzeige und auf deren Grundlage genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer konkreten Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Es muss die Disziplinarbehörde bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob der Beamte eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist erst in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. Ebenso wenig muss im Einleitungsbeschluss das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden (vgl. zu alldem VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0007; 25.6.2013, 2012/09/0126; 18.12.2012, 2011/09/0124; 16.9.1998, 96/09/0320; 9.9.1997, 95/09/0243; 25.6.1992, 92/09/0056).

13 Diese Kriterien erfüllt der gegenständliche Einleitungsbeschluss der DK in seinen Spruchpunkten 3.) und 4.), zumal in seinem Spruch die Tatumstände hinreichend umschrieben sind und unverwechselbar feststeht, welches Verhalten der Mitbeteiligten konkret zur Last gelegt wird (ärztliche Betreuung von Privatpatienten während der Normdienstzeit bzw. während des Journaldienstes an einem konkret bezeichneten Tag). Vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung und der - von der Mitbeteiligten nicht bestrittenen - Anwesenheit der in den Spruchpunkten 3.) und 4.) des Einleitungsbeschlusses genannten Personen an diesem Tag in der Dienststelle der Mitbeteiligten, ist nicht nachvollziehbar, wieso das Verwaltungsgericht die Ansicht vertritt, es würden nicht genügend Verdachtsgründe vorliegen, zumal das Verwaltungsgericht diesbezüglich keine weiteren Ermittlungen getätigt hat. Die Behandlung von Privatpatienten in der Arbeitszeit kann grundsätzlich eine Dienstpflichtverletzung darstellen, völlige Klarheit darüber, ob die Mitbeteiligte (die sich zu diesem Vorwurf bislang mit einer "freundschaftlichen Hilfeleistung" gegenüber diesen Personen verantwortete) durch ihr Verhalten eine Dienstpflichtverletzung begangen hat, ist aber, wie bereits ausgeführt, erst in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren zu erlangen.

14 Dasselbe gilt für die in Spruchpunkt 8.) des Einleitungsbeschlusses vorgeworfene Verhaltensweise. Der Spruch des Einleitungsbeschlusses genügt den von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen und es steht wiederum fest, welches Verhalten der Mitbeteiligten konkret zur Last gelegt wird (Nichtbefolgung einer Weisung des der Mitbeteiligten vorgesetzten Kommandanten). Vor dem Hintergrund, dass dienstliche Weisungen grundsätzlich bindend sind und nicht aus eigener Beurteilung des Beamten als ungerechtfertigt oder unzumutbar zurückgewiesen werden können, kann der Verstoß gegen eine bestehende Weisungspflicht grundsätzlich eine Dienstpflichtverletzung darstellen (vgl. VwGH 6.3.2008, 2006/09/0049). Die Frage, ob es sich konkret um eine Weisung gehandelt und die Mitbeteiligte in weiterer Folge gegen diese Weisung verstoßen hat, ist jedoch wiederum in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. Da auch die Umstände und der Zeitpunkt der Terminverschiebung ungeklärt sind, konnte nicht ohne Weiteres gesagt werden, dass ein Einstellungsgrund gemäß § 62 Abs. 3 HDG 2014 vorlag.

15 Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit die Spruchpunkte 3.), 4.) und 8.) des Einleitungsbeschlusses der DK aufgehoben wurden und das Verfahren eingestellt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16 Anders verhält es sich mit dem Vorwurf zu Spruchpunkt 6.) des Einleitungsbeschlusses. Die DK führte dazu im Wesentlichen lediglich aus, die Mitbeteiligte habe durch "ihr Auftreten" gegenüber Y und Z die "nötige Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit vermissen lassen, die zu einer treuen und gewissenhaften Dienstverrichtung notwendig und vom Gesetz gefordert werden und somit die geforderte Treuepflicht bzw. Gewissenhaftigkeit verletzt". Da die DK keine weitere Begründung zur Konkretisierung des Verhaltens der Mitbeteiligten bei der angestrebten Erstellung eines Gedächtnisprotokolles vorgenommen hat, kann dem Verwaltungsgericht nicht entgegen getreten werden, wenn es angesichts der bisherigen Ermittlungsergebnisse (wonach die beiden betroffenen Personen angegeben hatten, die Mitbeteiligte habe sie gefragt, ob sie ein Gedächtnisprotokoll anfertigen könnten, sie habe dies von ihnen aber nicht verlangt und sie hätten auch den Eindruck gehabt, dies verneinen zu können) in diesem Spruchpunkt den Einleitungsbeschluss mangels hinreichender Begründung der Verdachtslage aufgehoben und das bezügliche Verfahren eingestellt hat.

17 Die Revision war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

18 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 24. Jänner 2018

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