VwGH Ra 2017/01/0433

VwGHRa 2017/01/04333.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 2017, Zl. W170 2153592-1/7E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: S N, pA. Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH - ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, Wattgasse 48), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010433.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 23. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er sei geflüchtet, um einer Zwangsrekrutierung durch den "IS" zu entgehen. Sein Bruder sei bereits einberufen worden.

2 Mit Bescheid vom 17. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

3 Infolge der vom Mitbeteiligten dagegen erhobenen Beschwerde hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.

4 Das BVwG führte begründend aus, das BFA habe nicht ermittelt, wer die Macht im Herkunftsgebiet des Mitbeteiligten in der Hand habe, wie dieser Machthaber mit Mitgliedern der Volksgruppe der Kurden umgehe bzw. ob dieser die Mitglieder dieser Volksgruppe verfolge, ob der Machthaber minderjährige männliche Personen zwangsrekrutiere und der Wehrdienst mit dem Zwang der Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen verbunden sei. Darüber hinaus habe das BFA Ermittlungen unterlassen, ob der Mitbeteiligte im Fall seiner Rückkehr wegen des Fehlens eines Reisepasses Verfolgung erleide und im Zuge der Einreiseformalitäten dem Militärdienst zugeführt werde.

5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, dass das BFA keinerlei relevante Ermittlungen durchgeführt habe, obwohl das BFA auf Grund der Rechtsprechung des BVwG die Asylrelevanz der genannten Verfahrensteile hätte erkennen müssen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt stehe demnach nicht fest. Das BVwG sei im Gegensatz zum bisherigen Asylgerichtshof kein "Spezialgericht", sodass davon auszugehen sei, dass insbesondere länderspezifische Ermittlungen durch die "Spezialbehörde" BFA mit der dieser angegliederten Staatendokumentation jedenfalls unbürokratischer, schneller und billiger durchgeführt werden könnten.

6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die im Wesentlichen vorbringt, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das BFA - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Beschluss - Länderberichte, insbesondere zu den Themengebieten Wehrdienst, Wehrdienstverweigerung, Rekrutierung, Wehrdienstalter und Zwang zur Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen, (Zwangs‑)Rekrutierung (auch von Minderjährigen) durch sonstige Akteure sowie zur Behandlung von illegal Ausgereisten und Wehrpflichtigen bei einer Rückkehr nach Syrien aufgenommen habe. Zur Frage, "wer die Macht im Herkunftsgebiet" habe, enthalte der Bescheid eine Landkarte, aus der hervorgehe, welche Akteure in der Herkunftsregion des Mitbeteiligten die Macht hätten. Durch eine einfache "Google-Suche" hätte das BVwG ermitteln können, dass der Herkunftsort des Mitbeteiligten an der türkischen Grenze liege. Ausgehend davon enthalte der Bescheid auch Länderberichte dazu, "wie die Machthaber in diesem Gebiet mit Mitgliedern der Volksgruppe der Kurden umgehen". Es wären allenfalls nur noch ergänzende Ermittlungen zu tätigen gewesen, die das BVwG selbst durchführen hätte müssen. Auch das Argument, das BFA sei als "Spezialbehörde" eingerichtet und länderspezifische Ermittlungen daher durch die dem BFA angegliederte Staatendokumentation jedenfalls unbürokratischer, schneller und billiger durchzuführen, rechtfertige nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine andere Sichtweise.

 

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 9 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein

prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

10 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0123, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN).

11 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa das zit. Erkenntnis Ra 2017/20/0498, mwN).

12 Fallbezogen können weder krasse bzw. gravierende Ermittlungslücken im Zusammenhang mit dem behördlichen Verfahren erkannt, noch konstatiert werden, dass eine Ergänzung des bereits festgestellten Sachverhalts durch das BFA anstelle des BVwG im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wie das BFA in der Revision zutreffend aufzeigt, sind die vom BVwG aufgetragenen Ermittlungsschritte ohnehin im Wesentlichen bereits gesetzt worden. Ausgehend von den dem angefochtenen Beschluss zugrundeliegenden Ermittlungsergebnissen wäre das BVwG in der Lage und gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG - allenfalls nach von ihm selbst vorzunehmenden ergänzenden Ermittlungen - auch verpflichtet gewesen, eine meritorische Entscheidung zu treffen. Daran vermag auch das Argument, das BFA sei als "asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde" eingerichtet, nichts zu ändern (vgl. auch dazu das zit. Erkenntnis Ra 2017/20/0498, mwN).

13 Der angefochtene Beschluss war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Wien, am 3. April 2018

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