Normen
32013L0032 IntSchutz-RL Art15 Abs3 litb;
32013L0032 IntSchutz-RL Art2 litf;
AsylG 2005 §19 Abs1;
AsylG 2005 §19 Abs2;
AsylG 2005 §19;
AsylG 2005 §20 Abs1;
AsylG 2005 §20 Abs2;
AsylG 2005 §20;
EURallg;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010363.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
Angefochtenes Erkenntnis
1 Mit Erkenntnis vom 18. September 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Sache den Antrag der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen Kenias, auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status sowohl der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung der Revisionswerberin nach Kenia fest und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise. Weiters sprach das BVwG aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2 Das BVwG hielt zum Fluchtvorbringen, die Revisionswerberin werde in Kenia wegen ihrer Homosexualität von Polizisten verfolgt, im Wesentlichen fest, dieses sei nicht glaubwürdig. Die Revisionswerberin habe sich erst nach dem Auslaufen anderer Aufenthaltstitel in Deutschland und Österreich (nach mehr als dreieinhalb Jahren) entschlossen, eine asylrechtliche Unterschutzstellung in Österreich zu beantragen. Auch habe sie in der Erstbefragung - im Gegensatz zum weiteren Verfahren - vorgebracht, erst in Österreich ihre homosexuelle Orientierung entdeckt zu haben. Hinsichtlich ihrer Homosexualität sei zunächst festzuhalten, dass weibliche Homosexualität in Kenia nicht strafbar sei. Im Übrigen lasse sich auf Basis der aktuellen Länderinformationen eine konkrete und individuelle Verfolgungsgefahr der Revisionswerberin aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht mit der asylrechtlich notwendigen Wahrscheinlichkeit feststellen.
Verfahren vor dem VfGH
3 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde nach Art. 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 26. Juni 2018, E 2320/2018-5, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 24. Juli 2018, E 2320/2018-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Verfahren vor dem VwGH
4 Gegen das angefochtene Erkenntnis des BVwG richtet sich die
vorliegende außerordentliche Revision.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des
Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Zur Würdigung der Länderberichte
8 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe die herangezogenen Länderberichte zur Situation von Homosexuellen in Kenia nicht nachvollziehbar gewürdigt, ist auf Folgendes hinzuweisen:
9 Der Verwaltungsgerichtshof ist nach ständiger Rechtsprechung als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 10.7.2018, Ra 2018/01/0094, mwN).
10 Im vorliegenden Fall hat das BVwG umfangreiche Länderberichte zur Situation von homosexuellen Personen in Kenia herangezogen und sowohl die, in der Revision dargestellten, negativen als auch die positiven Aspekte in einer nachvollziehbaren Beurteilung derart gewürdigt, dass keine Bedrohung der Revisionswerberin alleine aufgrund ihrer Homosexualität bei einer Rückkehr nach Kenia vorliege. Eine Unvertretbarkeit dieser Beurteilung vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
Zur Erstbefragung
Erstbefragung und § 20 AsylG 2005
11 Die Revision bringt weiter vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob es im Sinne des § 20 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 ausreiche, bei der Erstbefragung in einem Informationskonvolut über das Recht auf Einvernahme durch eine Person desselben Geschlechts bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung informiert zu werden.
12 Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 20 Abs. 2 AsylG 2005 bereits ausgesprochen, dass die Durchführung der mündlichen Verhandlung durch einen Richter desselben Geschlechts den Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung bewirken soll. Dieser Gedanke liegt auch § 20 Abs. 1 AsylG 2005 zugrunde, der die Einvernahme im verwaltungsbehördlichen Verfahren regelt und auf dem § 20 Abs. 2 leg. cit. aufbaut (vgl. VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0119, mwN, ua auf die Gesetzesmaterialien, RV 952 BlgNR 22. GP , 45, die im Hinblick auf den Sinn des Abs. 1 und 2 nicht differenzieren).
14 § 20 Abs. 1 AsylG 2005 erfasst jedoch - entgegen der Auffassung der Revision - nicht die Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005. Dies wird schon aus dem klaren Wortlaut des § 19 AsylG 2005 deutlich, der (sowohl in der Überschrift als auch im Text der Bestimmung) zwischen Befragungen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Abs. 1) und Einvernahmen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - BFA (Abs. 2 ff) unterscheidet. Nur für Einvernahmen nach § 19 Abs. 2 ff AsylG 2005 gilt daher § 20 Abs. 1 AsylG 2005, nicht jedoch für Erstbefragungen nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 (vgl. idS auch VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0119, Rn. 14, wo auf das verwaltungsbehördliche Verfahren vor dem BFA verwiesen wird).
15 Diese Auslegung wird durch die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60 vom 29.6.2013, S. 60-95 (Verfahrensrichtlinie), bestätigt. Die Verfahrensrichtlinie spricht bei den Anforderungen an die persönliche Anhörung in Art. 15 Abs. 3 lit. b (wonach "die Mitgliedstaaten, soweit möglich," vorsehen, "dass die Anhörung des Antragstellers von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt wird, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen") von der "Asylbehörde" (vgl. zu dieser Bestimmung der Verfahrensrichtlinie und § 20 AsylG 2005 VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, Rn. 41). "Asylbehörde" ist nach Art. 2 lit. f der Verfahrensrichtlinie "jede gerichtsähnliche Behörde beziehungsweise jede Verwaltungsstelle eines Mitgliedstaats, die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig und befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen". Nach österreichischem Recht ist dies das BFA (vgl. idS auch VwGH 23.2.2017, Ra 2016/20/0089).
16 Da somit § 20 Abs. 1 AsylG 2005 nicht für Erstbefragungen nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 gilt, stellt sich auch nicht die von der Revision dargelegte Rechtsfrage.
17 Zuletzt bringt die Revision vor, das BVwG habe sich über (näher zitierte) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinweggesetzt, weil es "geradezu zynisch" erscheine, der Revisionswerberin vorzuwerfen, nicht bereits in der Erstbefragung "eine retraumatisierende Aussage über die mehrfachen Vergewaltigungen durch die Polizei in Kenia" gemacht zu haben.
18 Zu diesem Vorbringen wird darauf hingewiesen, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 weder der Behörde noch dem BVwG verwehrt ist, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen; es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 8.9.2015, Ra 2015/01/0076, mwN).
19 Im vorliegenden Fall hat das BVwG diesen Anforderungen entsprochen und ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, weshalb es die vorliegenden Widersprüche und Ungereimtheiten zwischen den Angaben bei der Erstbefragung und den nachfolgenden Angaben beweiswürdigend für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Revisionswerberin wertete.
Zur Abwägung nach Art. 8 EMRK
20 Zur Abwägung nach Art. 8 EMRK bringt die Revision vor, das BVwG habe keine ausreichenden Ermittlungen zum Privatleben der Revisionswerberin getätigt sowie die diesbezügliche Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise durchgeführt.
Dazu ist auszuführen:
21 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel. Unter den genannten Voraussetzungen hängt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ab (vgl. VwGH 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, mwN).
22 Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die im vorliegenden Fall vorgenommene Interessenabwägung diesen Voraussetzungen nicht entspricht.
Ergebnis
23 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
24 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 6. November 2018
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