VwGH Ra 2017/21/0033

VwGHRa 2017/21/00335.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision des J M (alias C E, und alias B A) in W, vertreten durch Dr. Thomas Boller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Straße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Dezember 2016, I405 1230905-3/5E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
MRK Art3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber stellte nach seiner Einreise am 28. April 2000 einen ersten Asylantrag und nach dessen Zurückziehung am 2. Mai 2000 einen zweiten Asylantrag, wobei er jeweils die Personaldaten J. M., geboren am 25. Dezember 1982, und Staatsangehöriger von Sierra Leone verwendete. Dieser Asylantrag wurde rechtskräftig als offensichtlich unbegründet abgewiesen, wobei sowohl das Bundesasylamt als auch der unabhängige Bundesasylsenat nach mündlicher Verhandlung davon ausgingen, der Revisionswerber stamme insbesondere wegen mangelnder Kenntnisse über seinen behaupteten Herkunftsstaat und wegen der durch einen Sachverständigen widerlegten Behauptung, er spreche die dort allgemein gebräuchliche Sprache Krio, evident nicht aus Sierra Leone.

2 In der Folge stellte der Revisionswerber am 14. Juli 2002 und am 28. November 2005 unter Verwendung von Aliasidentitäten jeweils mit dem Vorbringen, nigerianischer Staatsangehöriger zu sein, zwei weitere - erfolglos gebliebene - Asylanträge.

3 Nachdem bereits im Jahr 2001 ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot über den Revisionswerber rechtskräftig verhängt worden war, wurde gegen ihn mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien neuerlich ein nunmehr bis 2018 gültiges Aufenthaltsverbot erlassen. Der Revisionswerber war nämlich mittlerweile viermal wegen Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz, zuletzt mit Urteil vom 7. Juni 2006 wegen gewerbsmäßigen Handels mit Suchtgift in einer großen Menge zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren, strafgerichtlich verurteilt worden.

4 Am 6. April 2009 beantragte der Revisionswerber - nunmehr zum fünften Mal - die Gewährung von internationalem Schutz, wobei er wiederum unter den schon anfangs behaupteten Personalien J. M., geboren am 25. Dezember 1982, Staatsangehöriger von Sierra Leone, auftrat. Zum Beweis für seine Identität legte er einen Führerschein vor, der sich in der Folge als Fälschung herausstellte und weswegen der Revisionswerber dann auch rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt wurde. Der genannte Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. November 2009 sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde der Revisionswerber aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Sierra Leone ausgewiesen. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof.

5 Während des anhängigen Beschwerdeverfahrens wurde der Revisionswerber neuerlich wegen gewerbsmäßig begangener Suchtmitteldelikte rechtskräftig zu unbedingten Freiheitsstrafen strafgerichtlich verurteilt, und zwar mit Urteil vom 8. Oktober 2010 zu zwölf Monaten und mit Urteil vom 18. September 2013 zu fünfzehn Monaten.

6 Schließlich entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 4. November 2009 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 12. September 2016 dahin, dass sie in Bezug auf Asyl und in Bezug auf subsidiären Schutz mit der Maßgabe, dass als Herkunftsstaat Nigeria angenommen wurde, abgewiesen werde. Im Übrigen wurde das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

7 Mit Bescheid vom 10. Oktober 2016 sprach das BFA dann zunächst aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot verbunden. Zugleich wurde noch gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei.

8 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 28. Dezember 2016 als unbegründet ab und es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 8. Juni 2017, E 469/2017-15, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 10. Juli 2017 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

10 In der Folge brachte der Revisionswerber beim BVwG fristgerecht die vorliegende (außerordentliche) Revision ein, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof nach der gemäß § 30a Abs. 7 VwGG erfolgten Aktenvorlage erwogen hat:

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13 Diesbezüglich rekurriert der Revisionswerber auf seinen Gesundheitszustand - nach den Feststellungen des BVwG liegt beim Revisionswerber seit dem Jahr 2003 eine HIV-Infektion vor, daraus resultierend bestehen auch eine Niereninsuffizienz und Bluthochdruck sowie chronische Hepatitis - und er macht zusammengefasst geltend, mangels ausreichender medizinischer Versorgung verstoße seine Abschiebung gegen Art. 3 EMRK. Diesbezüglich habe das BVwG keine ausreichenden Feststellungen getroffen und diese auch nur für Nigeria vorgenommen, obwohl der Revisionswerber aus Sierra Leone stamme. Für die gegenteilige Annahme der Staatsangehörigkeit von Nigeria fehle im angefochtenen Erkenntnis jegliche Begründung. Das BVwG sei somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen.

14 Im Zusammenhang mit diesem Vorbringen ist dem Revisionswerber zunächst entgegen zu halten, dass der Gegenstand des angefochtenen Erkenntnisses, über den damit (noch) abgesprochen wurde, in der Revision verkannt wird. In der Revision wird nämlich einleitend vorgebracht, mit dem angefochtenen Erkenntnis sei der "Antrag auf Asyl" abgewiesen worden. Als Revisionspunkt wird dann geltend gemacht, im "Recht auf Zuerkennung von Asyl gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005" verletzt zu sein und abschließend wird beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst dahin entscheiden, dass dem Antrag des Revisionswerbers "auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten stattgegeben wird". Abgesehen davon, dass der behauptete Verstoß einer Abschiebung gegen Art. 3 EMRK nicht Asyl, sondern gegebenenfalls die Gewährung von subsidiärem Schutz hätte rechtfertigen können, wird dabei vor allem außer Acht gelassen, dass die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigen oder eines subsidiär Schutzberechtigten mit Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 12. September 2016 bereits rechtskräftig versagt wurde. Mangels diesbezüglicher Änderung der Verhältnisse kam eine davon abweichende Beurteilung im vorliegenden Verfahren nicht mehr in Betracht (vgl. unter Bezugnahme auf Vorjudikatur das hg. Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234, Rz 16 und Rz 17 am Anfang). Soweit sich die Revision daher der Sache nach gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG richtet, geht das diesbezügliche Vorbringen ins Leere. In diesem Zusammenhang ist auch aus der Bezugnahme in der Revision auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 22. Juni 2009, U 469/09, nichts zu gewinnen, weil es dabei erst um die (hier schon rechtskräftig abgeschlossene) "Refoulement-Prüfung" ging und im Übrigen der dort beschwerdeführende nigerianische Staatsangehörige (anders als der Revisionswerber) bereits seit mehreren Jahren eine "chronische Hämodialyse" benötigte.

15 Das BVwG kam im Erkenntnis vom 12. September 2016 nach mündlicher Verhandlung - entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers und anders als noch das Bundesasylamt in seinem Bescheid vom 4. November 2009 - zu dem Ergebnis, der Revisionswerber sei nicht Staatsangehöriger von Sierra Leone, sondern von Nigeria. Das gründete es auf näher dargestellte beweiswürdigende Überlegungen, bei denen insbesondere die mangelnden Kenntnisse des Revisionswerbers zu Sierra Leone, die Vorlage eines gefälschten Dokuments zum Nachweis seiner Herkunft aus Sierra Leone sowie der Umstand, dass er sich in anderen Verfahren selbst als nigerianischer Staatsangehöriger bezeichnet hatte, und noch weitere für Nigeria als Herkunftsstaat sprechende Anhaltspunkte verwertet wurden. Diese nicht unschlüssigen Erwägungen legte erkennbar auch das BFA durch Bezugnahme auf das genannte Erkenntnis im Bescheid vom 10. Oktober 2016 zugrunde und ging ebenfalls von der nigerianischen Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers aus. Diese Annahme wurde sodann in der Beschwerde nicht konkret bestritten, sondern es wurde dort vielmehr ausdrücklich eingeräumt, der Revisionswerber sei "aller Wahrscheinlichkeit nach" nigerianischer Staatsangehöriger. Vor diesem Hintergrund stellt es - entgegen dem Standpunkt in der Revision - fallbezogen keinen wesentlichen Begründungsmangel dar, dass das BVwG eine neuerliche eingehende Auseinandersetzung mit der Frage der Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers für entbehrlich erachtete und nur mit dem Verweis auf die Begründung in den genannten Vorentscheidungen wie dort vom Herkunftsstaat Nigeria ausging.

16 Soweit das Vorbringen in der Revision der Sache nach auch noch auf eine Kritik an der nach § 9 BFA-VG in Bezug auf die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot vorgenommenen Interessenabwägung hinausläuft, vermag sie auch damit ihre Zulässigkeit nicht darzutun. Einerseits ist dem Revisionswerber nämlich ein massives fremdenrechtliches Fehlverhalten anzulasten, weil er seinen Aufenthalt in Österreich nur durch die wiederholte Stellung unbegründeter Asylanträge zu verlängern suchte und damit auch den Vollzug der gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbote umging. Andererseits liegt dem Revisionswerber eine gravierende und von evidenter Unbelehrbarkeit gekennzeichnete Suchtmitteldelinquenz, die zur Verhängung von Freiheitsstrafen in einer Gesamtdauer von mehr als 7 Jahren führte, zur Last. Angesichts dessen besteht in diesem Fall ein besonders großes Interesse an dessen Aufenthaltsbeendigung. Der Revisionswerber hat daher die damit verbundenen Folgen im öffentlichen Interesse (v.a.) an der Verhinderung von Delikten der in Rede stehenden Art (gewerbsmäßiger Suchtgifthandel) in Kauf zu nehmen. Das gilt insbesondere nach dem langjährigen Inlandsaufenthalt in Bezug auf den Abbruch der Bindungen zu Österreich und Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat sowie in Bezug auf allenfalls eingeschränkte Möglichkeiten zur Erlangung der notwendigen medizinischen Behandlung in Nigeria, deren Auswirkungen aber - wie rechtskräftig feststeht (siehe oben Rz 14) - jedenfalls die Schwelle des Art. 3 EMRK nicht erreichen. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass das Vorbringen des Revisionswerbers, in (naher) Zukunft werde er eine Dialysebehandlung benötigen, nicht näher belegt wurde, sondern vielmehr im Widerspruch zu einem von ihm vorgelegten Spitalsbefund vom 4. Oktober 2016 steht, wonach die Niereninsuffizienz "stabil" sei. Zusammenfassend erweist sich daher unter Bedachtnahme auf die angeführten Umstände das Ergebnis der vom BVwG vorgenommenen Abwägung der wechselseitigen Interessen zumindest als vertretbar, was nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insoweit der Zulässigkeit einer Revision entgegensteht (vgl. den Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033, und zahlreiche daran anschließende Entscheidungen, aus der letzten Zeit etwa den Beschluss vom 29. Juni 2017, Ra 2017/21/0075, Rz 11, mwN).

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 5. Oktober 2017

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