VwGH Ra 2017/20/0061

VwGHRa 2017/20/006123.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Christl, in den Rechtssachen der Revisionen von 1. A S R,

2. S K R, 3. J K R, 4. G S R, 5. C S R, 6. U S R, 7. A K R, alle in B, alle vertreten durch Mag.rer.soc.oec.Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 16. Jänner 2017, 1. Zl. W105 2137119-1/4Z, 2. Zl. W105 2137120- 1/4Z, 3. Zl. W105 2137121-1/4Z, 4. Zl. W105 2137122-1/4Z,

  1. 5. Zl. W105 2137123-1/4Z, 6. Zl. W105 2137124-1/4Z und
  2. 7. Zl. W105 2137125-1/4Z, jeweils betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung der Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §5 Abs1;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige von Afghanistan. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet. Die Drittrevisionswerberin ist die Mutter des Erstrevisionswerbers. Die übrigen revisionswerbenden Parteien sind die gemeinsamen Kinder des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin, wobei der Sechstrevisionswerber und die Siebtrevisionswerberin minderjährig sind.

2 Alle revisionswerbenden Parteien stellten am 19. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge - nachdem zuvor die Asylverfahren wegen des Überschreitens der in § 28 Abs. 2 AsylG 2005 festgelegten 20-Tages-Frist zugelassen worden waren - mit Bescheiden je vom 23. September 2016 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung der Anträge gemäß dem Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) Italien zuständig sei. Unter einem ordnete die Behörde gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien an und stellte fest, dass "demzufolge" gemäß § 61 Abs. 2 FPG deren Abschiebung nach Italien zulässig sei.

3 Gegen diese Bescheide erhoben die revisionswerbenden Parteien gleichlautende Beschwerden, in denen sie im Wesentlichen auf den Gesundheitszustand der Drittrevisionswerberin verwiesen und vorbrachten, es liege keine Einzelfallzusicherung Italiens, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschrechte (EGMR) im "Tarakhel Urteil" verlangt habe, vor.

4 Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerden mit den angefochtenen Erkenntnissen (hinsichtlich des Erstrevisionswebers unter Korrektur des behördlichen Spruches) als unbegründet ab und erklärte jeweils die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Begründend führte (soweit für das Revisionsverfahren wesentlich) das Bundesverwaltungsgericht - unter Hinweis auf die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen behördlichen Feststellungen zur Situation in Italien, die das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich auch zu seinen eigenen Feststellungen erhob - aus, Italien habe eine mit 8. Juni 2015 datierte "Darstellung betreffend Versorgung und Unterbringung von Familien mit Kindern und vulnerablen Personen in einem sog. ‚SPRAR-Projekt'" übermittelt. "Im Speziellen" gebe "Italien laut Zusicherung, wonach bei Überstellung von Familien mit minderjährigen Kindern die Wahrung der Familieneinheit sowie die Unterbringung einer familiengerechten Einrichtung sichergestellt werde, die konkret vorgesehene Unterkunft für die betreffende Familie bekannt, sofern zumindest fünfzehn Tage die Überstellung vorangekündigt" werde. Vor diesem Hintergrund könne dem Einwand der revisionswerbenden Parteien - so das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung - nicht gefolgt werden. Die gemeinsame Unterbringung aller Familienmitglieder sei von den italienischen Behörden mit der "Darstellung" vom 8. Juni 2015 garantiert worden, "weshalb eine etwaige Gefahr von Obdachlosigkeit nach erfolgter Überstellung ausgeschlossen" werden könne. Eine "solche Einzelfallzusicherung" entspreche den Vorgaben des "Urteils Tarakhel/Schweiz". Aus den Berichten zur Lage in Italien ergebe sich, dass "in einem ‚SPRAR-Projekt' neben Unterkunft auch Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen sowie Jobtrainings und -praktika zur Verfügung gestellt" würden. Auch würden die - in den angefochtenen Erkenntnissen näher festgestellten - Krankheiten der revisionswerbenden Parteien nicht "jene besondere Schwere" aufweisen, "welche (...) eine Abschiebung nach Italien als eine unmenschliche Behandlung erscheinen lassen würde". Es sei nach den Feststellungen zur Situation in Italien davon auszugehen, dass für die revisionswerbenden Parteien - insbesondere auch für die Drittrevisionswerberin - der Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleistet sei.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach Abs. 3 leg. cit. in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen vor, es gebe noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein allgemeines Rundschreiben des italienischen Innenministeriums, wonach die Unterbringung von Familien und vulnerablen Personen im Rahmen des "SPRAR-Projektes" möglich sei, den Erfordernissen der Rechtsprechung des EGMR genüge.

8 Eine zur Zulässigkeit der Revision führende Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird mit diesem Vorbringen aber nicht aufgezeigt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch die Bestimmungen der EMRK und der GRC, insbesondere Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC, zu berücksichtigen und es ist bei einer drohenden Verletzung derselben das im "Dublin-System" vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben. Weiters wurde in der Judikatur festgehalten, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegbar ist. Dabei ist die Frage, ob ein Staat als "sicher" angesehen werden kann, vorrangig eine Tatsachenfrage, die nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu lösen ist. Die Beurteilung, ob die festgestellten Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist hingegen eine - unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG - revisible Rechtsfrage (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa den Beschluss vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/20/0221, mwN).

9 Der Sache nach werfen die revisionswerbenden Parteien dem Bundesverwaltungsgericht vor, insofern von der bestehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen zu sein, als sich dieses Gericht bei der Beurteilung, ob im Fall der Überstellung der revisionswerbenden Parteien nach Italien die Verletzung ihrer aus Art. 3 EMRK entspringenden Rechte drohe, mit der oben angeführten Zusicherung Italiens begnügt habe.

10 Dieser Ansicht vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen. Das Bundesverwaltungsgericht hat aus der von der italienischen Behörde übermittelten Erklärung abgeleitet, es sei der Schluss gerechtfertigt, dass nicht bloß allgemein, sondern auch konkret in Bezug auf die revisionswerbenden Parteien davon auszugehen sei, ihre adäquate Unterbringung und Versorgung sei gesichert. Auch der EGMR hat sich in seiner (zeitlich nach dem Urteil in der Rechtssache "Tarakhel" ergangenen) Rechtsprechung - gerade auch in Bezug auf das auch hier in Rede stehende italienischen Rundschreiben vom 8. Juni 2015 - im Grundsätzlichen einer solchen Sichtweise angeschlossen (vgl. etwa das Urteil des EGMR vom 4. Oktober 2016, Jihana Ali ua gg. Schweiz und Italien, Appl.Nr. 30474/14 Rz 34: "The Court understands from the circular letters dated 2 February, 15 April and 8 June 2015 from the Italian Ministry of the Interior (...) that the first and fourth applicants would be assigned one of the places in reception facilities in Italy which have been reserved for families with minor children and has no reason to believe that none of these places would be available to them upon their arrival in Italy (...)."). Dem setzt die Revision inhaltlich nichts entgegen. Fallbezogen ist kein Umstand ersichtlich, der die Unrichtigkeit dieser Annahme nahelegen würde (vgl. dazu auch das Urteil des EGMR vom 28. Juni 2016, N.A. ua gg. Dänemark, Appl.Nr. 15636/16 Rz 32:

"The Court has noted the applicants' concern that the number of places earmarked will be insufficient but, in the absence of any concrete indication in the case file, does not find it demonstrated that the applicant and her children will be unable to obtain such a place when they arrive in Italy."; vgl. in diesem Sinn auch den hg. Beschluss vom 23. Juni 2016, Ra 2016/20/0051, 0052).

11 Soweit in den Revisionen auf die Erkrankung der Drittrevisionswerberin hingewiesen wird, ist auf die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes, aus denen sich ergibt, dass die medizinische Versorgung - auch für Asylwerber und im Speziellen für "Dublin-Rückkehrer" - in Italien gewährleistet ist, zu verweisen. Den diesbezüglichen Feststellungen wird in den Revisionen nicht substantiiert entgegengetreten.

12 Soweit die revisionswerbenden Parteien noch geltend machen, das Bundesverwaltungsgericht hätte die von ihnen beantragte mündliche Verhandlung durchführen müssen, ist anzumerken, dass dem Vorbringen nicht zu entnehmen ist, weshalb die Beurteilung, in den gegenständlichen Fällen habe trotz des darauf gerichteten Antrages von der Verhandlung Abstand genommen werden dürfen, vom Verwaltungsgericht in rechtswidriger Weise unter Missachtung der dafür in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien vorgenommen worden wäre.

13 Die Revisionen zeigen somit nicht auf, dass sie im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG von der Lösung einer Rechtsfrage abhängen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Sie waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren - in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

Wien, am 23. März 2017

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