VwGH Ra 2017/18/0117

VwGHRa 2017/18/011720.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Jänner 2017, Zl. W151 2123654- 1/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (Mitbeteiligter: M D A, vertreten durch Dr. Lennart Binder LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, seit seinem vierten Lebensjahr mit seiner gesamten Familie in Pakistan zu leben. Vor seiner Ausreise nach Pakistan habe er in Kabul gelebt. Ein Feind seines Großvaters habe diesen aufgrund seines Reichtums ermordet. Dies sei auch der Grund für seine Flucht aus Afghanistan gewesen. Er sei in Afghanistan immer noch gefährdet, weil der Feind seines Großvaters im Parlament sitze.

2 Mit Bescheid vom 26. Februar 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag sowohl hinsichtlich der Gewährung von Asyl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als auch hinsichtlich der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig sei.

3 Das Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten erachtete das BFA als nicht glaubhaft. Aufgrund seines Alters und seiner Lebenserfahrung, die er durch seine Erwerbstätigkeit erlangt habe, sei ihm der Aufbau einer Zukunft in Kabul zumutbar und es sei davon auszugehen, dass er sich dort auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte zumindest ein notdürftiges Überleben sichern könne.

4 Nach fristgerechter Beschwerdeerhebung durch den Mitbeteiligten hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den bekämpften Bescheid mit Beschluss vom 18. Jänner 2017 auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führte das BVwG aus, dass das Vorbringen des Mitbeteiligten hinsichtlich der Ermordung seines Großvaters vom BFA gänzlich ungeprüft geblieben sei. Insbesondere sei nicht ermittelt worden, an welchem Ort in Afghanistan sich diese Geschehnisse ereignet haben sollen. Es wäre Aufgabe des BFA gewesen, das Vorbringen individuell zu prüfen, zu hinterfragen, allenfalls Erhebungen durchzuführen - zumal der Mitbeteiligte dazu seine Zustimmung erteilt habe - und dies einer ganzheitlichen Würdigung zu unterziehen. Hinsichtlich der Nichterteilung von subsidiärem Schutz habe das BFA nicht geklärt, ob der Mitbeteiligte ursprünglich aus Daikundi oder Kabul stamme, wobei das BFA zu Daikundi keine Feststellungen getroffen habe. Es würden auch Feststellungen über die Sicherheits- und Wirtschaftslage in diesen Regionen fehlen und es sei nicht geklärt, ob der Mitbeteiligte in seinem Herkunftsland über ein soziales Netzwerk verfüge. Aus den Länderfeststellungen sei auch nicht ersichtlich, inwieweit es für alleinstehende Rückkehrer in Kabul möglich sei, sich eine ausreichende Lebensgrundlage zu verschaffen.

5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der das revisionswerbende BFA im Wesentlichen vorbringt, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Insbesondere würden allfällige Begründungsmängel bzw. Mängel der Beweiswürdigung keine Zurückverweisung rechtfertigen. Abgesehen von vermeintlich notwendigen Ermittlungen im Herkunftsstaat - die jedoch nicht näher konkretisiert worden seien - führe das BVwG keine bestimmten Ermittlungslücken an. Ermittlungen im Herkunftsstaat seien im Asylverfahren grundsätzlich weder notwendig noch zielführend. Daher liege keine Ermittlungslücke iSd § 28 Abs. 3 VwGVG vor.

6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, der Revision nicht Folge zu geben. Insbesondere würde keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestehen, wonach Ermittlungen im Herkunftsland von Asylwerbern untersagt wären.

 

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. 9 § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lauten:

"(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

    Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

10 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt seit seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zu § 28 VwGVG die Auffassung, dass in dieser Bestimmung ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert ist, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist.

11 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH vom 6. Juli 2016, Ra 2015/01/0123, und vom 14. Dezember 2016, Ro 2016/19/0005, je mwN).

12 Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa VwGH vom 27. Jänner 2016, Ra 2015/08/0178).

13 Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens führte das BFA am 25. Juni 2015 eine Erstbefragung und am 18. November 2015 eine Einvernahme des Mitbeteiligten durch. Hierbei wurde der Mitbeteiligte zu seinem Aufenthaltsort, zu seinem Fluchtgrund und zu den Gründen für eine allenfalls weiterhin bestehende Gefährdung in Afghanistan befragt. Des Weiteren wurden die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung aktuellen Länderfeststellungen ermittelt. Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass das BFA im Sinne der genannten Judikatur jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, nur völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder nur ansatzweise ermittelt habe. Darüber hinaus ist nicht zu erkennen, dass das BFA schwierige Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das BVwG vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang ist den Ausführungen in der Revision zuzustimmen, dass sich der Begründung des BVwG nicht entnehmen lässt, ob bzw. welche Erhebungen im Herkunftsstaat vom BFA durchzuführen gewesen wären.

14 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH vom 22. Juni 2016, Ra 2016/03/0027, und vom 26. April 2016, Ro 2015/03/0038).

15 Im Lichte dieser Rechtsprechung wäre das BVwG daher verpflichtet gewesen, auf die bisherigen Ermittlungsergebnisse des BFA aufzubauen und allenfalls notwendige, ergänzende Ermittlungen - etwa eine weitere Einvernahme des Asylwerbers oder eine Ergänzung der Länderfeststellungen - selbst durchzuführen. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass für die Verwaltungsgerichte auf dem Boden des § 28 VwGVG nicht bloß eine ergänzende Sachverhaltsermittlungskompetenz besteht (vgl. VwGH vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, und vom 22. Juni 2016, Ra 2016/03/0027) und auch die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung für sich genommen keinen Grund für eine Aufhebung und Zurückverweisung darstellt (vgl. VwGH vom 26. April 2016, Ro 2015/03/0038). Dasselbe gilt für das Erfordernis ergänzender Einvernahmen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung (vgl. VwGH vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, mwN).

16 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Vor diesem Hintergrund war auf das übrige Vorbringen in der Revision nicht weiter einzugehen.

Wien, am 20. Juni 2017

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