Normen
EURallg
UStG 1994 §6 Abs1 Z19
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art13 TeilA Abs1 litc
62001CC0212 Unterpertinger Schlussantrag
62001CJ0045 Dornier VORAB
62001CJ0212 Unterpertinger VORAB
62001CJ0307 d'Ambrumenil und Dispute Resolution Services VORAB
62012CJ0091 PFC Clinic VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2017130015.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung (soweit es die Umsatzsteuer betrifft) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin ist niedergelassene Fachärztin für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie. Sie stellte ihre Leistungen den Patienten ohne Umsatzsteuer in Rechnung.
2 Im Bericht vom 29. Juli 2014 über eine bei der Revisionswerberin durchgeführte Außenprüfung teilte der Prüfer die Leistungen der Revisionswerberin auf der Grundlage von Informationen, die er dem Internet entnahm, in drei Gruppen: Erstens Leistungen, bei denen ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe (Nasenkorrektur nach Verkehrsunfall u.a.), zweitens Leistungen, bei denen dies ausgeschlossen sei (Brustvergrößerung u.a.), und drittens Leistungen, von denen anzunehmen sei, dass es sich in 80 von 100 Fällen um eine Schönheitsoperation handle (Augenlidstraffung u.a.).
3 Nach diesem Schema bearbeitete er die von der Revisionswerberin vorgelegten Belege für das Jahr 2008, woraus sich für dieses Jahr ein Prozentsatz von 67,34% an Umsätzen ergab, die nicht gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 als „Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt durchgeführt werden“, von der Umsatzsteuer befreit seien. Im Zusammenhang mit den Aufklärungs- und Dokumentationspflichten der Revisionswerberin verwies der Prüfer auch auf das „Amtsblatt der Österreichischen Finanzverwaltung Stück 33 vom 2. März 2009“ und auf das „Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 2012, ausgegeben am 14. August 2012“.
4 Statt einer Auseinandersetzung mit den Belegen für die Folgejahre hielt der Prüfer in Tz 25 des Berichtes fest, der für das Jahr 2008 ermittelte Prozentsatz werde „im Schätzungswege für die Veranlagungszeiträume 2009 bis 2012 weitergeführt und auch im Nachschauzeitraum 2013 und 2014 zur Ermittlung der Bemessungsgrundlagen (Normalsteuersatz 20%) zum Ansatz gebracht“.
5 Auf der Grundlage dieses Berichtes erließ das Finanzamt ‑ zum Teil unter Wiederaufnahme der Verfahren ‑ Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2012, Bescheide über die Festsetzung von Umsatzsteuer für bestimmte Monate des Jahres 2013 (sowie in der Folge einen Bescheid über Umsatzsteuer für dieses Jahr) und für die Monate Jänner bis Mai 2014 sowie Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2012, die zugunsten der Revisionswerberin die Mehrbelastung mit Umsatzsteuer berücksichtigten (ein Mehrergebnis bei der Einkommensteuer für das Jahr 2009 resultierte aus einer nicht revisionsgegenständlichen Selbstanzeige).
6 In der Beschwerde gegen diese Bescheide machte die Revisionswerberin geltend, das Finanzamt habe zu Unrecht auch für die Jahre 2008 bis 2012 § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 112, angewendet. In der bis dahin geltenden und für diese Jahre maßgeblichen, mit der zugrundeliegenden Richtlinienbestimmung nicht gleichlautenden Fassung habe die Steuerbefreiung nur eine „Tätigkeit als Arzt“ vorausgesetzt. Ein Spielraum für eine richtlinienkonforme Auslegung im Sinne der Berücksichtigung von Judikatur des EuGH zum Begriff der „Heilbehandlung“ mit dem Ergebnis, dass die Tätigkeit der Revisionswerberin keine „Tätigkeit als Arzt“ sei, bestehe nicht. Für die Jahre 2013 und 2014 werde auf Rz 942 der UStR 2000 verwiesen, wonach die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzung eines im Vordergrund stehenden therapeutischen Zieles dem behandelnden Arzt obliege und diese Beurteilung, die durch die Erklärung als steuerfreie Arztleistung dokumentiert werde, für die Finanzverwaltung bindend sei. Dem Finanzamt stehe es nicht zu, darüber zu urteilen, bei welchen Leistungen die Revisionswerberin ein therapeutisches Ziel verfolgt habe. Beantragt werde daher, die festgesetzte Umsatzsteuer für die Jahre 2008 bis 2014 in der Höhe von mehr als € 200.000,‑ ‑ wieder gutzuschreiben.
7 Den Vorlageantrag gegen die abweisende Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes verband die Revisionswerberin mit weiteren Ausführungen zu den Grenzen einer richtlinienkonformen Auslegung. Auch ausgehend von der falschen Rechtsmeinung des Finanzamtes habe sich dieses aber mit den Behandlungsunterlagen und Honorarnoten der Revisionswerberin nicht ausreichend auseinandergesetzt.
8 Das Bundesfinanzgericht richtete am 22. September 2016 ein Schreiben an die Revisionswerberin, in dem es auf die Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der „Heilbehandlung“ sowie darauf verwies, dass zur Auslegung des Begriffs „Tätigkeit als Arzt“ auch schon vor dem Abgabenänderungsgesetz 2012 „auf Unionsrecht, nämlich Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. c der 6. MwSt‑RL abzustellen“ gewesen sei. Im Hinblick auf ihre Verfahrensrüge werde der Revisionswerberin aber Gelegenheit gegeben, „in allen jenen Fällen“, in denen der Prüfer keine medizinische Indikation angenommen habe, diese Indikation „nachzuweisen“, und zwar „für jedes Jahr gesondert“ und „zu jedem vereinnahmten Betrag“.
9 Der Vertreter der Revisionswerberin beantwortete dies mit Schreiben vom 7. November 2016 im Wesentlichen dahingehend, dass am Vorliegen einer „Tätigkeit als Arzt“ überhaupt kein Zweifel bestehen könne und kein Spielraum für eine Orientierung an Judikatur zum Begriff der „Heilbehandlung“ bestehe. Die angeschlossene Stellungnahme der Revisionswerberin zur medizinischen Indikation für die erbrachten Leistungen beziehe sich in „Analogie“ zur Vorgangsweise des Prüfers auf das Jahr 2008.
10 In ihrer mit diesem Schreiben übermittelten Stellungnahme betonte die Revisionswerberin, alle Leistungen seien medizinisch indiziert gewesen und hätten therapeutische Zwecke verfolgt. Näher erläutert wurde dies ‑ unter Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht sowie darauf, dass in den der Behörde vorliegenden Honorarnoten die Namen der Patienten angeführt seien ‑ unter Bezugnahme nicht auf die einzelnen Honorarnoten des Jahres 2008, sondern auf die Ausführungen im Prüfungsbericht zu den einzelnen Leistungsarten. Jede der ausgestellten Honorarnoten, denen in der Dokumentation der Revisionswerberin die einzelnen Krankengeschichten zuordenbar seien, habe einer oder mehreren der dargestellten Indikationen für die jeweilige Leistung entsprochen.
11 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es zitierte die Voraussetzungen der strittigen Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in der Fassung vor dem Abgabenänderungsgesetz 2012 („Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt“) und in der Fassung dieses Gesetzes („Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt [...] durchgeführt werden“) und legte dar, aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des UStG 1994, 1715 BlgNR 18. GP , gehe hervor, dass die Befreiungsbestimmung schon in ihrer ursprünglichen Fassung der Umsetzung von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern gedient habe. Diese Richtlinienbestimmung habe die Befreiung der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden,“ vorgesehen und sei im Wesentlichen gleichlautend in den ab 1. Jänner 2007 an ihre Stelle getretenen Art. 132 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2006/112/EG übernommen worden.
12 Im Erkenntnis vom 19. Juni 2002, 2000/15/0053, habe auch der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 auf der Richtlinienbestimmung beruhe. Auch nach dem Schrifttum und der Rechtsprechung des unabhängigen Finanzsenates sei „bei der Auslegung des Begriffes ‚Arzt‘ im Sinne des § 6 Abs. 1 Zif. 19 UStG jene Definition zugrunde zu legen, wie sie in Art. 13 Teil A lit. c der 6. MwStRL vorgegeben wird“.
13 In der Berufungsentscheidung vom 8. Jänner 2010, RV/0506‑L/07 u.a., habe der unabhängige Finanzsenat (im Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Beurteilung von Schwangerschaftsabbrüchen) dargelegt, die Befreiung sei (in ihrer damaligen Form) „sehr weit gefasst“ und „somit im Wege einer teleologischen Reduktion richtlinienkonform“ dahingehend zu „interpretieren“, dass nur „Heilbehandlungen“ erfasst seien. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil Dornier, C‑45/01, EU:C:2003:595) sei die Richtlinienbestimmung unmittelbar anzuwenden. Der Begriff der „Heilbehandlung“ sei ein Begriff des Gemeinschaftsrechtes und unterliege dem Auslegungsmonopol des EuGH. Nicht sämtliche Leistungen seien von der Mehrwertsteuer befreit, sondern nur die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin.
14 Der EuGH, so das Bundesfinanzgericht weiter, sei im Zusammenhang mit anthropologisch‑erbbiologischen Untersuchungen (Urteil D, C‑384/98, EU:C:2000:444) und Gutachtenserstellungen (Urteil Unterpertinger, C‑212/01, EU:C:2003:625) schon zweimal mit der österreichischen Bestimmung „befasst“ gewesen, habe die Subsumierbarkeit unter den Begriff der „Heilbehandlung“ jeweils verneint und „keinerlei Bedenken dagegen“ gezeigt, „für die Auslegung der österreichischen Norm des § 6 Abs. 1 Zif. 19 UStG bzw. des dort verwendeten Begriffes ‚Arzt‘ Art. 13 Teil A lit. c heranzuziehen“. Auch im Urteil D’Ambrumenil und Dispute Resolution Services, C‑307/01, EU:C:2003:627, habe sich der EuGH mit derselben Frage befasst und verneint, dass es sich bei der Tätigkeit als Gerichtssachverständiger um Heilbehandlung handle. Aus diesen Urteilen gehe „eindeutig hervor, dass nicht jede ärztliche Tätigkeit befreit ist“. Auch bei den Leistungen der Revisionswerberin komme es daher (schon für die Jahre 2008 bis 2012) darauf an, ob ihnen eine medizinische Indikation zugrunde liege.
15 Da die Revisionswerberin „keine entsprechende Trennung der Honorare“ vorgenommen habe und eine medizinische Indikation aller Behandlungen dem Prüfer „nicht denkmöglich“ erschienen sei, habe er die Aufteilung „an Hand der Honorarnoten für das Jahr 2008 im Schätzungsweg“ vorgenommen und diese „Schätzungsmethode [...] auch für die Folgejahre beibehalten“ (richtig: den resultierenden Prozentsatz auf die Folgejahre übertragen).
16 Der Versuch der Revisionswerberin, die medizinische Notwendigkeit aller Behandlungen nachzuweisen, schlage fehl. Die Revisionswerberin habe „dem Schätzungsergebnis nichts anderes entgegenzusetzen“ als eine „völlig unglaubwürdige und unrealistische Behauptung“.
17 Zum einen hätte die Revisionswerberin „sehr wohl, wollte sie dem Schätzungsergebnis wirksam entgegentreten, diesen Nachweis im Rahmen ihrer Offenlegungs- und Mitwirkungspflicht für jedes Jahr der Schätzung erbringen müssen“. Die im Schreiben vom 7. November 2016 erwähnte „Analogie“ würde voraussetzen, „dass in jedem Jahr die gleiche Anzahl von Behandlungen durchgeführt worden wären, Patienten mit den gleichen Anamnesen und Symptomen behandelt worden wären und alle Behandlungsmethoden in gleichem Umfang angewendet worden wären und daher auch die vereinnahmten Honorare in jedem Jahr völlig gleich gewesen wären. Dies erscheint jedoch nach den Erfahrungen des täglichen Lebens völlig unrealistisch“.
18 Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es Fachärzte mit entsprechender Spezialisierung gebe, die ausschließlich Behandlungen im Sinne einer Heilbehandlung durchführten. Ein „Blick auf die Homepage“ der Revisionswerberin relativiere aber deren Behauptungen. In ihrer Stellungnahme habe sie sich darüber hinaus nicht auf die einzelnen Honorarbeträge bezogen, und zum Teil hätten die Ausführungen auch keine „Krankheit mit entsprechendem Leidensdruck“ erkennen lassen. Durch „eine Anhäufung medizinischer Fachausdrücke“ sei die medizinische Notwendigkeit der Behandlungen noch nicht„erwiesen“.
19 Da nach dem „Gesamtbild der Verhältnisse“ davon auszugehen sei, dass „der Tätigkeitsschwerpunkt der Bf. hauptsächlich im Bereich der ästhetischen Chirurgie“ liege, erscheine „eine Aufteilung der Umsätze mit mehrheitlich steuerpflichtigen Leistungen plausibel“. Die Behauptung der Revisionswerberin sei „nach dem bereits Gesagten vollkommen realitätsfremd“ und eine Überprüfung „mangels Bezug zu konkreten Honorarnoten nicht möglich“, sodass „der Schätzung der Betriebsprüfung ein höherer Grad an Wahrscheinlichkeit“ zukomme. Das Schätzungsergebnis bleibe daher unverändert.
20 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig.
21 Die gegen dieses Erkenntnis eingebrachte Revision richtet sich den geltend gemachten Revisionspunkten und dem gesamten Inhalt nach nur gegen die Bestätigung der die Umsatzsteuer betreffenden Bescheide.
22 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
24 Steuerfrei sind ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in der Fassung vor dem Abgabenänderungsgesetz 2012, BGBl. I Nr. 112 (AbgÄG 2012), „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt“.
25 In der Fassung des insoweit am 15. Dezember 2012 in Kraft getretenen AbgÄG 2012 sind steuerfrei nur „die Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt [...] durchgeführt werden“.
26 Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern befreiten die Mitgliedstaaten von der Steuer „die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden“.
27 Nach Art. 132 Abs. 1 lit. c der am 1. Jänner 2007 in Kraft getretenen Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erfasst diese Steuerbefreiung nunmehr inhaltsgleich „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden“.
28 Die bis zum AbgÄG 2012 maßgebliche Formulierung in § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 ging auf die Stammfassung des Gesetzes zurück und bezweckte im Zuge des insgesamt der Anpassung des österreichischen Umsatzsteuerrechts an jenes der Europäischen Union dienenden Gesetzesvorhabens die Umsetzung von Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. c der Richtlinie von 1977 (1715 BlgNR 18. GP 44 f und 54; vgl. ‑ im anders gelagerten Kontext der Abgrenzung zu Umsätzen einer Krankenanstalt ‑ auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 2002, 2000/15/0053, VwSlg 7726/F, vom 30. Juli 2002, 98/14/0203, und vom 24. September 2008, 2006/15/0283). Statt einer Übernahme der in der Richtlinie formulierten Voraussetzungen der Steuerbefreiung wurde aber an die Voraussetzungen einer Steuerermäßigung angeknüpft, die 1988 abgeschafft worden war (1715 BlgNR 18. GP 54: „Die Berufsgruppen wurden aus der früheren Steuerermäßigung des § 10 Abs. 2 Z 7 UStG 1972 übernommen“; die Abschaffung war mit BGBl. Nr. 410/1988 erfolgt, nicht ohne Hinweis in der Regierungsvorlage, 627 BlgNR 17. GP 8, auf „zahlreiche Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich bei Anwendung der gegenständlichen Begünstigungsvorschrift immer wieder ergeben haben“).
29 In einem Verfahren über ein Vorabentscheidungsersuchen aus Österreich vertrat die österreichische Regierung ‑ ähnlich wie auch die niederländische und die Regierung des Vereinigten Königreichs ‑ vor dem EuGH in der Folge den Standpunkt, dem Umstand, dass die im damaligen Verfahren strittige anthropologisch‑erbbiologische Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen „nicht mit einer Heilbehandlung verbunden“ sei, komme auch nach der Richtlinienbestimmung „keine Bedeutung“ zu (vgl. die Wiedergabe in den Schlussanträgen des Generalanwalts, EU:C:2000:55, Rn. 8). Der EuGH trat dem in seiner Entscheidung (Urteil D, C‑384/98, EU:C:2000:444) entgegen und betonte unter Hinweis auf den Wortlaut der Richtlinienbestimmung („Heilbehandlungen“), es komme auf das Ziel der ärztlichen Tätigkeit an (vgl. in diesem Sinn, jeweils die Erstellung von Gutachten betreffend, etwa auch die Urteile Unterpertinger, C‑212/01, EU:C:2003:625, und D’Ambrumenil und Dispute Resolution Services, C‑307/01, EU:C:2003:627). Nicht sämtliche Leistungen, die „im Rahmen der Ausübung ärztlicher und arztähnlicher Berufe erbracht werden können“, sind danach von der Steuer befreit (vgl. die Urteile Unterpertinger, Rn. 35, und D’Ambrumenil und Dispute Resolution Services, Rn. 53).
30 Im Urteil Future Health Technologies, C‑86/09, EU:C:2010:334, übertrug der EuGH diese Rechtsprechung auf die Nachfolgebestimmung in der Richtlinie von 2006. Er hob in diesem Fall hervor, es stehe fest, dass die Tätigkeiten „im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt“ würden. Die Vorlagefrage betreffe die Auslegung des Begriffs „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ (Rn. 34 f).
31 Die bald danach erfolgte Änderung in § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994, mit der zum Erfordernis einer „Tätigkeit als Arzt“ erstmals auch im nationalen Recht die Befreiungsvoraussetzung der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ hinzutrat, wurde in der Regierungsvorlage zum AbgÄG 2012 als „Anpassung der Formulierung des Befreiungstatbestandes an die unionsrechtlichen Vorgaben“ erläutert, mit der „klargestellt“ werde, dass Leistungen „durch einen Angehörigen der im Gesetz genannten Berufsgruppen“ nur dann befreit seien, „wenn sie Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin darstellen“ (1960 BlgNR 24. GP 39).
32 Im Urteil PFC Clinic, C‑91/12, EU:C:2013:198, das vom Bundesfinanzgericht nicht herangezogen wurde, setzte sich der EuGH schließlich ‑ unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens oder Fehlens einer „Heilbehandlung“ ‑ mit Leistungen von der Art der im vorliegenden Fall strittigen auseinander. Er sprach aus, eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ könne vorliegen, wenn die Leistungen „dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist“. Ein Eingriff „zu rein kosmetischen Zwecken“ falle nicht darunter (Rn. 29). Auf den geltend gemachten Gesichtspunkt, diese Unterscheidung könne zu „erheblichen Anwendungs- und Abgrenzungsproblemen“ führen, antwortete der EuGH mit dem Hinweis, es sei in solchen Fällen tatsächlich möglich, dass ein und derselbe Steuerpflichtige sowohl steuerbefreite als auch mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeiten ausübe, doch seien derartige Situationen „in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen“ (Rn. 30 ff). Für die Beurteilung des Zwecks eines bestimmten Eingriffs ergebe sich aus der Rechtsprechung, dass „gesundheitliche Probleme“, die „unter die von der Mehrwertsteuer befreiten Eingriffe fallen, psychologischer Art sein können“. Die „rein subjektive Vorstellung“ einer Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterziehe, von diesem Eingriff sei „als solche“ aber „nicht maßgeblich“ (Rn. 33 f). Da es „hierbei um die Beurteilung einer medizinischen Frage“ gehe, müsse sie „auf medizinischen Feststellungen beruhen, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind“ (Rn. 35).
33 Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Befreiungsbestimmung des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen ist, solange dies nicht zu einer Auslegung contra legem führt (vgl. im Zusammenhang mit der hier auszulegenden Befreiungsbestimmung die bereits zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes; zu den Grenzen einer richtlinienkonformen Auslegung das Erkenntnis vom 22. August 2012, 2010/17/0228, VwSlg 8739/F, m.w.N.). In diesem Sinn kann bis zu einem gewissen Grad auch der bis zum AbgÄG 2012 nicht umgesetzten Voraussetzung der Befreiungsbestimmung ‑ Vorliegen einer „Heilbehandlung“ ‑ durch ein enges Verständnis der Voraussetzung „Tätigkeit als Arzt“ Rechnung getragen werden. Die Ausklammerung etwa der schon erwähnten anthropologisch‑erbbiologischen Untersuchungen und von Gutachtenserstellungen scheint auf diese Weise möglich, auch wenn der Gesetzgeber des UStG 1994 sie noch nicht beabsichtigt haben sollte. In der Tätigkeit einer plastischen Chirurgin wie der Revisionswerberin keine „Tätigkeit als Arzt“ zu sehen, wenn der Leidensdruck des Patienten im Einzelfall nicht den Grad eines „Problems psychologischer Art“ erreicht, würde den Auslegungsspielraum aber überschreiten und im Ergebnis die unmittelbare Anwendung der nicht umgesetzten zusätzlichen Voraussetzung der Richtlinienbestimmung bedeuten (vgl. in diesem Zusammenhang den Hinweis auf die unmittelbare Anwendbarkeit und auf das Urteil Dornier in der vom Bundesfinanzgericht zitierten Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates). Ein solches Vorgehen kommt nur zugunsten des Abgabepflichtigen in Betracht (vgl. zu einem mit dem vorliegenden insoweit vergleichbaren Fall das Erkenntnis vom 5. September 2012, 2009/15/0213, VwSlg 8741/F, m.w.N.).
34 Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass eine Unterscheidung danach, ob eine Tätigkeit mehr oder weniger zentral oder typisch für den Arztberuf sei, vom EuGH in den Urteilen Unterpertinger und D’Ambrumenil und Dispute Resolution Services verworfen wurde (vgl. die gemeinsamen Schlussanträge der Generalanwältin, EU:C:2003:59, Rn. 35 ff, 47 ff und 63 ff, sowie Rn. 23 ff bzw. 28 ff der beiden Urteile). Dies geschah jeweils in Auslegung der im österreichischen Recht bis zum AbgÄG 2012 fehlenden Voraussetzung „Heilbehandlung“, die eine Differenzierung nach dem Ziel der Behandlung nahelegte und nach Ansicht des EuGH erforderte. Dass ärztliche Tätigkeiten vorlagen, war in keinem dieser Fälle strittig.
35 In Bezug auf die Streitjahre 2008 bis 2012 hat das Bundesfinanzgericht daher die Rechtslage verkannt. Diese Rechtswidrigkeit wirkt sich auch auf die Folgejahre aus, weil auch auf sie der vom Prüfer für das Jahr 2008 errechnete Prozentsatz an Behandlungen ohne therapeutische Zielsetzung angewendet wurde. Hinzu kommt freilich in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass die Übertragung dieses Prozentsatzes auf die Jahre 2009 bis 2014 ‑ statt einer Auseinandersetzung mit den Inhalten der Honorarnoten dieser Jahre ‑ aus den Gründen, die das Bundesfinanzgericht gegen die Beschränkung der Revisionswerberin auf eine Erörterung der Honorarnoten des Jahres 2008 ins Treffen führte, nicht in Betracht kommen konnte. Zu verweisen ist schließlich auch darauf, dass Fragen nach der medizinischen Indikation chirurgischer Eingriffe keine solchen sind, bei denen sich Behauptungen des behandelnden Arztes mit dem im Internet erworbenen Wissen eines medizinischen Laien widerlegen lassen (vgl. dazu die letzte der oben wiedergegebenen Aussagen des EuGH im Urteil PFC Clinic; aus der deutschen Entscheidungspraxis die Urteile des BFH vom 4. Dezember 2014, V R 16/12 und V R 33/12).
36 In vorrangiger Wahrnehmung der inhaltlichen Rechtswidrigkeit war das angefochtene Erkenntnis, soweit es die Umsatzsteuer betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
37 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren (Einheitssatz und Umsatzsteuer) findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 13. September 2017
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)