VwGH Ra 2017/12/0068

VwGHRa 2017/12/006813.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Zens und Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision des Mag. H W in S, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Juni 2017, Zl. W213 2161255- 1/2E, betreffend Abweisung einer Säumnisbeschwerde

i. A. Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung gemäß § 113 Abs. 10 GehG (vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte Behörde: Landespolizeidirektion Salzburg), den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
AVG §38;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §8 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist rechtskundiger Beamter des Ruhestandes.

2 Mit Formularantrag vom 13. Mai 2013 beantragte er die Neufestsetzung seines Vorrückungsstichtages, die Neufestsetzung der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung sowie die Nachzahlung sich daraus ergebender Bezüge.

3 Mit Bescheid seiner Aktivdienstbehörde vom 16. Dezember 2013 wurde zwar sein Vorrückungsstichtag neu festgesetzt; ein Abspruch über die dadurch erlangte besoldungsrechtliche Stellung erfolgte nicht, wobei lediglich in der Begründung dieses Bescheides angeführt wurde, dass eine Änderung in der besoldungsrechtlichen Stellung nicht eintrete.

4 Eine gegen dieses Begründungselement erhobene als Beschwerde gewertete Berufung des Revisionswerbers wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Oktober 2014 zurückgewiesen.

5 Nach Urgenzen des Revisionswerbers wies die Dienstbehörde seinen Antrag auf Feststellung der besoldungsrechtlichen Stellung mit Bescheid vom 2. April 2015 im Hinblick auf die zwischenzeitig herausgegebene Bundes-Besoldungsreform 2015, BGBl. I Nr. 32/2015, zurück.

6 Der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. November 2016 Folge gegeben und der Zurückweisungsbeschluss unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 9. September 2016, Ro 2015/12/0025, ersatzlos aufgehoben.

7 Am 6. Dezember 2016 wurde das Besoldungsrechtsanpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 104/2016, herausgegeben.

8 § 175 Abs. 79 Z 3 und Abs. 79a des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. Nr. 54 (im Folgenden: GehG) in der Fassung dieses Bundesgesetzes lauten:

"In der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 32/2015 treten in Kraft:

...

3. die §§ 8 und 12 samt Überschrift mit dem 1. Februar 1956; diese Bestimmungen sind in allen vor 11. Februar 2015 kundgemachten Fassungen in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden,

...

(79a) Verfahren im Sinne von Abs. 79 Z 2 und 3 sind

insbesondere alle Verfahren vor Verwaltungsbehörden, vor dem

Bundesverwaltungsgericht oder einem Landesverwaltungsgericht, dem

Verwaltungsgerichtshof oder vor den ordentlichen Gerichten, welche

1. die Feststellung eines Vorrückungsstichtages,

2. die Feststellung einer besoldungsrechtlichen Stellung

unter Anwendung der Bestimmungen nach § 12 über die Anrechnung von

Vordienstzeiten in einer Fassung, die vor dem 11. Februar 2015

kundgemacht wurde,

3. Leistungen für einen Zeitraum vor Ablauf des

11. Februar 2015 auf Grundlage einer behaupteten rechtlichen

Stellung, wie sie sich aus einer Feststellung nach Z 1 oder 2

ergeben würde, oder

4. Leistungen für einen Zeitraum nach Ablauf des

11. Februar 2015 auf Grundlage einer behaupteten rechtlichen

Stellung, wie sie sich aus einer Feststellung nach Z 1 oder 2

ergeben würde,

zum Gegenstand haben."

9 Gleichzeitig wurde durch dieses Bundesgesetz auch § 100 Abs. 70 Z 3 und Abs. 70a des Vertragsbedienstetengesetzes 1948, BGBl. Nr. 86 (im Folgenden: VBG) wie folgt neu gefasst:

"3. die §§ 19 und 26 samt Überschrift mit dem 1. Juli 1948; diese Bestimmungen sind in allen vor 11. Februar 2015 kundgemachten Fassungen in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden,

...

(70a) Verfahren im Sinne von Abs. 70 Z 2 und 3 sind

insbesondere alle Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde, vor dem

Bundesverwaltungsgericht oder einem Landesverwaltungsgericht, dem

Verwaltungsgerichtshof oder vor den ordentlichen Gerichten, welche

1. die Feststellung eines Vorrückungsstichtages,

2. die Feststellung einer besoldungsrechtlichen Stellung

unter Anwendung der Bestimmungen nach § 26 über die Anrechnung von

Vordienstzeiten in einer Fassung, die vor dem 11. Februar 2015

kundgemacht wurde,

3. Leistungen für einen Zeitraum vor Ablauf des

11. Februar 2015 auf Grundlage einer behaupteten rechtlichen

Stellung, wie sie sich aus einer Feststellung nach Z 1 oder 2

ergeben würde, oder

4. Leistungen für einen Zeitraum nach Ablauf des

11. Februar 2015 auf Grundlage einer behaupteten rechtlichen

Stellung, wie sie sich aus einer Feststellung nach Z 1 oder 2

ergeben würde,

zum Gegenstand haben."

10 Mit Beschluss vom 19. Dezember 2016, 9 ObA 141/15y legte der Oberste Gerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union u. a. folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

"1.1. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm Art 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der ein (in Bezug auf die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr) altersdiskriminierendes Besoldungssystem durch ein neues Besoldungssystem ersetzt wird, die Überleitung der Bestandsbediensteten in das neue Besoldungssystem aber dadurch erfolgt, dass das neue Besoldungssystem rückwirkend auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Stammgesetzes in Kraft gesetzt wird, sich die erstmalige Einstufung in das neue Besoldungssystem aber nach dem gemäß dem alten Besoldungssystem für einen bestimmten Überleitungsmonat (Februar 2015) tatsächlich ausbezahlten Gehalt richtet, sodass die bisherige Altersdiskriminierung in ihren finanziellen Auswirkungen fortwirkt?

1.2. Für den Fall der Bejahung der Frage 1.1.:

Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 17 der Richtlinie 2000/78/EG , dahin auszulegen, dass Bestandsbedienstete, die in Bezug auf die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr im alten Besoldungssystem diskriminiert wurden, einen finanziellen Ausgleich erhalten müssen, wenn diese Altersdiskriminierung auch nach Überleitung in das neue Besoldungssystem in ihren finanziellen Auswirkungen fortwirkt?

1.3. Für den Fall der Verneinung der Frage 1.1.:

Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 47 GRC, dahin auszulegen, dass dem darin verbrieften Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz eine nationale Regelung entgegensteht, nach der das alte diskriminierende Besoldungssystem in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden ist und sich die Überleitung der Besoldung von Bestandsbediensteten in das neue Besoldungsregime allein nach dem für den Überleitungsmonat zu ermittelnden bzw. ausbezahlten Gehalt richtet?"

11 Mit Schreiben vom 13. Februar 2017 teilte die Dienstbehörde dem Revisionswerber mit, dass das Verfahren im Hinblick auf die Anhängigkeit des Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofes vom 19. Dezember 2016 gemäß § 38 AVG ausgesetzt werde.

12 Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2017 erhob der Revisionswerber Säumnisbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welche mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG abgewiesen wurde. Das Bundesverwaltungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

13 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:

"Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde mit (formlosem) Schreiben vom 13.02.2017 das Verfahren über die Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung des Beschwerdeführers im Hinblick auf die mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 19.12.2016, GZ. ObA 141/15y-14, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragestellungen bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß § 38 AVG ausgesetzt hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Aussetzung eines Verfahrens mittels verfahrensrechtlichen Bescheides zwar zulässig, aber nicht geboten. Eine solche ‚faktische' Aussetzung bleibt zwar ohne Auswirkung auf die behördliche Entscheidungsfrist. Allerdings erwächst daraus keine Berechtigung zur Erhebung einer Säumnisbeschwerde, da von einem überwiegenden Verschulden der Behörde nicht gesprochen werden kann, wenn sie berechtigt gewesen wäre das Verfahren zur rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage mittels Bescheid auszusetzen (vgl. Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, zweiter Teilband Seite 323, Rz 54 und 55, Wien 2005 und die dort zitierte Judikatur).

Soweit der Beschwerdeführer einwendet, dass die Aussetzung des Verfahrens unzulässig gewesen wäre, da es bei dem durch den Obersten Gerichtshof initiierten Vorabentscheidungsverfahren ausschließlich um Fragestellungen zum Vertragsbedienstetengesetz, die mit den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des Beamtendienstrechts nichts zu tun hätten, gehe, ist für seinen Standpunkt nichts gewonnen. Die vom Obersten Gerichtshof im Vorabentscheidungsersuchen relevierten gesetzlichen Bestimmungen (§§ 19, 26 und 100 Abs. 70 Z. 3 VBG) sind nahezu wortident mit den entsprechenden Bestimmungen im Gehaltsgesetz (§§ 8, 12 und 175 Z. 79 GehG). Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der zu erwartenden Entscheidung des europäischen Gerichtshofs um eine Vorfrageentscheidung im Sinne des § 38 AVG handelt."

14 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig, da die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweiche, noch es an einer solchen Rechtsprechung fehle. Auch sei die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, welche sich jedoch aus folgenden Gründen als unzulässig erweist:

16 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Hat das Verwaltungsgericht - wie im gegenständlichen Fall - ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

18 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof hingegen nur im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

19 Der Revisionswerber erblickt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zunächst darin, ob ein Vorabentscheidungsersuchen, welches zu formell anderen Gesetzesbestimmungen (hier zu solchen des VBG in der Fassung des Besoldungsrechtsanpassungsgesetzes, BGBl. I Nr. 104/2016) ergangen ist, als die von der Verwaltungsbehörde zu beurteilenden Bestimmungen (hier solchen des GehG in der Fassung des Besoldungsrechtsanpassungsgesetzes) überhaupt zu einer (faktischen) Aussetzung des Verwaltungsverfahrens führen dürfe.

20 Mit diesem Hinweis wird jedoch keine Abweichung von der hg. Rechtsprechung aufgezeigt. Es genügt hiezu, auf das hg. Erkenntnis vom 19. September 2001, 2001/16/0439, hinzuweisen, wonach es für die Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 38 AVG ausreicht, wenn eine (bloß) ähnliche Rechtsfrage anhängig ist. Der Umstand, dass die Unionsrechtskonformität formell unterschiedlicher nationaler Normen zu beurteilen ist, steht nach der vorzitierten Rechtsprechung einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 AVG daher nicht entgegen. Unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung, deren Übertragung auf § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlichen Rechtsfrage hinterfragt wird, gilt dies auch für die hier erfolgte "faktische" Aussetzung.

21 Ob nun aber eine dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegte Rechtsfrage der im anhängigen Verfahren zu beurteilenden Rechtsfrage "ähnlich" im Verständnis des vorzitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes ist, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Jedenfalls in Ansehung der Vorlagefrage 1.1. hat das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick darauf, dass die hier zu beurteilenden Bestimmungen des GehG und des VBG, jeweils in der Fassung des Besoldungsrechtsanpassungsgesetzes, doch eine erhebliche Ähnlichkeit aufweisen und Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG sowohl in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen als auch in Vertragsbedienstetenverhältnissen unmittelbar anwendbar ist, hier in vertretbarer Weise das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach der zitierten Rechtsprechung angenommen.

22 Insofern der Revisionswerber die Auffassung vertritt, die Rechtslage sei im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 11. November 2014 in der Rechtssache C- 530/13 , Schmitzer, ECLI:EU:C:2014:2359, bereits klargestellt, weil dort die Verlängerung des für die erste Vorrückung erforderlichen Zeitraumes von zwei auf fünf Jahren als unionsrechtswidrig qualifiziert worden sei, genügt es, darauf hinzuweisen, dass die von ihm ins Treffen geführte Rechtslage durch die Bundes-Besoldungsreform 2015 in der hier maßgeblichen Fassung des Besoldungsrechtsanpassungsgesetzes 2016, BGBl. I Nr. 104, rückwirkend beseitigt wurde, wobei das hier gegenständliche Verwaltungsverfahren ebenso wie das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofes die Frage der Unionsrechtskonformität eben dieser Beseitigung bzw. Ersetzung der Altrechtslage (und nicht deren Unionsrechtskonformität selbst) zum Gegenstand hat.

23 Weiters wirft der Revisionswerber die als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage auf, ob die Anwendung der Rechtsprechung zur faktischen Aussetzung des Verfahrens zur "Hemmung bestehenden Unionsrechtes" herangezogen werden dürfe.

24 Dem ist Folgendes zu erwidern:

25 Wie der Revisionswerber selbst erkennt, entspricht Art. 47 Abs. 2 GRC im hier vorliegenden Überschneidungsbereich dem Art. 6 Abs. 1 EMRK.

26 Zu der zuletzt zitierten Konventionsbestimmung vertritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Judikatur, dass es angemessen sein kann, im Interesse der Prozessökonomie den Ausgang von Parallelverfahren abzuwarten. Das muss nach den Umständen gerechtfertigt sein und darf nicht unangemessen lange dauern (vgl. hiezu etwa die bei Meyer-Ladewig, EMRK3 Rz 203 zu Art. 6 wiedergegebene Rechtsprechung). Vor diesem Hintergrund kann der Umstand, dass der Revisionswerber mit seinem Antrag Ansprüche geltend gemacht hat, für deren Durchsetzung die Rechtsschutzgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK und des Art. 47 Abs. 2 GRC gelten, per se einer Aussetzung des Verfahrens nicht entgegenstehen.

27 Ob allerdings bei Beachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalles unter Bedachtnahme auf Art. 47 Abs. 2 GRC bzw. auf Art. 6 Abs. 1 EMRK hier von einer sonst zulässigen Aussetzung Abstand zu nehmen gewesen wäre, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage, sondern eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die jedenfalls dann, wenn sie nicht offenkundig unzutreffend ist, nicht revisibel ist.

28 Wie die wiedergegebene Rechtsprechung zeigt, stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für die Zulässigkeit einer Aussetzung aus dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 EMRK insbesondere das Kriterium auf, dass diese nicht zu lange dauern dürfe. Vorliegendenfalls hat die durch die Anhängigkeit des Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofes bedingte Aussetzung im Zeitpunkt der Einbringung der Säumnisbeschwerde des Revisionswerbers nur einige Monate gedauert. Im Hinblick darauf erscheint die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichtes, eine faktische Aussetzung in dieser Dauer sei zulässig gewesen, jedenfalls vertretbar, auch wenn der Dienstbehörde im ersten Rechtsgang des Verwaltungsverfahrens eine unangemessene Verzögerung des Verwaltungsverfahrens vorzuwerfen sein mag. Die prozessökonomische Sinnhaftigkeit einer Aussetzung im Hinblick auf die zwischenzeitig eingetretene rückwirkende Gesetzesänderung und das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofes hängt nämlich nicht davon ab, ob die Dienstbehörde ihrer Entscheidungspflicht bis dahin, hier also insbesondere im ersten Rechtsgang, korrekt nachgekommen ist oder nicht (die innerstaatliche Bestimmung des § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG nimmt mit dem Begriff "Verschulden" jedenfalls nur auf die im Säumnisbeschwerdeverfahren zu beurteilende Verletzung der Entscheidungspflicht, hier also erst auf den Zeitraum nach Zustellung des im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes, mit welchem der Zurückweisungsbescheid aufgehoben wurde, Bezug).

29 Aus diesen Erwägungen war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 13. September 2017

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