VwGH Ra 2017/01/0119

VwGHRa 2017/01/011920.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des A K F in H, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2017, Zl. L504 246588-1/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 10. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Im Rahmen seiner Einvernahmen vor dem BFA brachte er zusammengefasst vor, im März 2014 seien drei "IS-Soldaten" in sein Büro gekommen und hätten verlangt, dass er mit ihnen zusammenarbeite. Er habe keinen Ausweg gesehen, entweder er hätte den IS unterstützt oder er wäre beschuldigt worden, ein Anhänger der irakischen Regierung zu sein. Er sei deshalb auch mit dem Tod bedroht worden.

3 Mit Bescheid vom 9. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

4 Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht glaubwürdig sei und keine Umstände hervorgekommen seien, die ihn im Falle seiner Rückkehr in den Irak besonders gefährden würden.

5 Mit Erkenntnis vom 1. März 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass es sich den Ausführungen des BFA vollinhaltlich anschließe, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubwürdig. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) habe von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden können, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verfahrensakten - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

8 In der Revision wird zur Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, da es die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen habe.

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in nunmehr ständiger Rechtsprechung, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

11 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. März 2016, Ra 2014/01/0186, mwN).

12 Im vorliegenden Verfahren ist der Revisionswerber den beweiswürdigenden Erwägungen der Verwaltungsbehörde in seiner Beschwerde nicht bloß unsubstantiiert entgegen getreten. Insbesondere hat er darin vorgebracht, dass auf dem von ihm dem BFA vorgelegten (und bei der Einvernahme abgespielten) Video eindeutig sein Name zu hören und sein zerstörtes Haus zu sehen sei. Den Ausführungen des BFA, dass die Männer, welche ihn aufgesucht hätten, nach seinen eigenen Angaben maskiert gewesen wären und daher nicht eindeutig dem IS zuordenbar seien, hat er nähere Hinweise auf die IS-Zugehörigkeit der Männer (Logo und Flagge des IS) sowie das Vorbringen, dass er Flyer für den IS hätte anfertigen sollen, entgegen gehalten.

13 Das BVwG konnte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, sondern hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

15 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Juni 2017

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