Normen
32013R0604 Dublin-III Art29;
AsylG 2005 §5;
AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §55;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32013R0604 Dublin-III Art29;
AsylG 2005 §5;
AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §55;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln nach § 57 AsylG 2005 richtet, als unzulässig zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet, die anderen vier revisionswerbenden Parteien - geboren zwischen 1997 und 2008 - sind ihre gemeinsamen Kinder (außerdem gibt es noch einen weiteren Sohn, geboren 1995, und eine weitere Tochter, geboren 2006.) Alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an.
2 Die am 3. Jänner 2000 geborene Drittrevisionswerberin und die am 27. Juni 1997 geborene Sechstrevisionswerberin reisten gemeinsam mit dem Erstrevisionswerber und ihrem älteren Bruder am 12. November 2007 aus der Slowakei nach Österreich ein. Die in der Folge gestellten Anträge auf internationalen Schutz wurden jeweils mit im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Februar 2008 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, iVm Ausweisungen in die Slowakei, als unzulässig zurückgewiesen.
3 Der dann in Schubhaft genommene Erstrevisionswerber stellte noch 2008 zwei weitere Anträge auf internationalen Schutz, die letztlich gleichfalls mit Zurückweisung und seiner Ausweisung in die Slowakei endeten. Schließlich reiste er am 26. Jänner 2009 freiwillig in den Herkunftsstaat zurück.
4 Die Drittrevisionswerberin und die Sechstrevisionswerberin verblieben (ebenso wie ihr älterer Bruder) in Österreich. Nachdem über den Erstrevisionswerber (ihren Vater) die Schubhaft verhängt worden war, war ihrer als Asylwerberin aufenthaltsberechtigten Tante (Schwester ihrer Mutter) mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 23. Mai 2008 die Obsorge übertragen worden. Diese stellte am 7. Juli 2009 für die Drittrevisionswerberin und die Sechstrevisionswerberin Anträge auf internationalen Schutz, wozu in der Folge seitens des Bundesasylamtes in einem Aktenvermerk festgehalten wurde, die Verfahren seien zuzulassen, weil eine Überstellung in die Slowakei wegen Ablaufs der Überstellungsfrist nicht mehr möglich sei.
5 Mit - dann in Beschwerde gezogenen - Bescheiden je vom 7. Juni 2010 wies das Bundesasylamt die genannten Anträge der Drittrevisionswerberin und der Sechstrevisionswerberin vollinhaltlich ab; außerdem erging jeweils eine Ausweisung in die Russische Föderation. Mittlerweile, am 20. April 2010, war der Erstrevisionswerber erneut nach Österreich eingereist, diesmal in Begleitung des am 7. Februar 2002 geborenen Viertrevisionswerbers und der 2006 geborenen Tochter. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Pregarten vom 15. Juni 2010 wurde dem Erstrevisionswerber daraufhin die Obsorge für die Drittrevisionswerberin und die Sechstrevisionswerberin rückübertragen.
6 Die nach der (neuerlichen) Einreise des Erstrevisionswerbers von diesem für sich und die beiden mitreisenden Kinder gestellten Anträge auf internationalen Schutz wies das Bundesasylamt mit unbekämpft gebliebenen Bescheiden je vom 27. Oktober 2010 - iVm mit Ausweisungen in die Russische Föderation - zur Gänze ab. Am 16. Juni 2011 stellte der Erstrevisionswerber allerdings für sich und den Viertrevisionswerber abermals einen Antrag auf internationalen Schutz. Diese Anträge wurden jeweils mit - dann in Beschwerde gezogenen - Bescheiden des Bundesasylamtes vom 8. November 2011 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, außerdem wurden der Erstrevisionswerber und der Viertrevisionswerber erneut in die Russische Föderation ausgewiesen.
7 In der Zwischenzeit, zu Beginn des Jahres 2011, war schließlich auch die Zweitrevisionswerberin nach Österreich eingereist, und zwar mit der jüngsten Tochter, der 2008 geborenen Fünftrevisionswerberin. Die von beiden gestellten Anträge auf internationalen Schutz wies das Bundesasylamt mit Bescheiden je vom 16. September 2011 vollinhaltlich ab, womit es jeweils eine Ausweisung in die Russische Föderation verband. Auch dagegen wurde Beschwerde erhoben.
8 Mit Erkenntnissen je vom 12. Jänner 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerden sämtlicher Revisionswerber (Beschwerden der Drittrevisionswerberin und der Sechstrevisionswerberin gegen die Bescheide vom 7. Juni 2010, Beschwerden der Zweitrevisionswerberin und der Fünftrevisionswerberin gegen die Bescheide vom 16. September 2011 sowie Beschwerden des Erstrevisionswerbers und des Viertrevisionswerbers gegen die Bescheide vom 8. November 2011), soweit sie sich gegen die Entscheidungen über die Anträge auf internationalen Schutz richteten, als unbegründet ab. Die unter einem ergangenen Ausweisungen hob es auf und sprach jeweils aus, dass gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das Verfahren hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen werde.
9 Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurden in der Folge der Erstrevisionswerber, die Zweitrevisionswerberin sowie die mittlerweile volljährige Sechstrevisionswerberin einvernommen. Mit Bescheiden vom 30. März 2016 (in Bezug auf den Erstrevisionswerber, die Zweitrevisionswerberin, den Viertrevisionswerber und die Fünftrevisionswerberin), vom 3. Juni 2016 (in Bezug auf die Drittrevisionswerberin) und vom 9. Juni 2016 (in Bezug auf die Sechstrevisionswerberin) sprach das BFA dann jeweils aus, dass den Revisionswerbern Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt würden; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG werde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde außerdem die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt.
10 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 9. September 2016 gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55 und 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG sowie §§ 52 und 55 FPG als unbegründet ab. Außerdem erklärte es eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
11 In seinem Erkenntnis stellte das BVwG zur Situation der Revisionswerber in Österreich fest, dass sie sich aufgrund einer "vorübergehenden" Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz hier befänden. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin hätten sich Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet, seien strafgerichtlich unbescholten und lebten von staatlichen Sozialleistungen in einer Flüchtlingsunterkunft, weshalb "nicht von einer Selbsterhaltungsfähigkeit der Familie" ausgegangen werden könne. Die Zweitrevisionswerberin habe sich als ehrenamtliche Dolmetscherin bei der Caritas engagiert, die vier Kinder (auch die volljährige Sechstrevisionswerberin) besuchten die Schule, seien "altersgemäß gut in das Schulleben integriert" und wiesen "Kenntnisse der deutschen Sprache" auf. Darüber hinaus verfügten alle revisionswerbenden Parteien über keine nennenswerten sozialen oder wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet; es hätten keine Anhaltspunkte, welche für die Annahme einer hinreichenden Integration der Revisionswerber in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sprächen, festgestellt werden können.
12 Im Rahmen seiner Überlegungen zu § 9 BFA-VG argumentierte das BVwG dann in rechtlicher Hinsicht, dass alle revisionswerbenden Parteien - ebenso wie der 1995 geborene älteste Sohn und die 2006 geborene weitere Tochter des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin - allesamt im gleichen Ausmaß von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedroht seien. Eine Rückkehrentscheidung stelle demnach - für alle Familienmitglieder zeitgleich vollzogen - keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar, zumal ein besonderes Nahe- oder ein persönliches bzw. finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu weiteren in Österreich aufhältigen Angehörigen nicht ersichtlich sei. Ausgehend von einem Eingriff in ihr Privatleben falle die gebotene Abwägung zu Lasten der Revisionswerber aus. Dabei führte das BVwG u.a. aus, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden im Bundesgebiet nach rechtskräftiger Abweisung eines Asylantrages bzw. ein länger dauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens darstellten, was eine Aufenthaltsbeendigung als dringend geboten erscheinen lasse. Zum Zeitpunkt der Stellung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz hätten in Bezug auf den Erstrevisionswerber bereits vier rechtskräftig negativ abgeschlossene Verfahren auf internationalen Schutz vorgelegen, weshalb weder dieser selbst noch die Zweitrevisionswerberin, welche sich inhaltlich auf die Gründe ihres Ehemannes bezogen habe, von einer künftigen Legalisierung des Aufenthalts der Familie im Bundesgebiet hätten ausgehen können und sich der im hohen Maße unsicheren Natur ihres Aufenthaltes besonders bewusst sein hätten müssen. Vor diesem Hintergrund müssten zwischenzeitlich gesetzte Integrationsschritte in ihrem Gewicht als erheblich gemindert angesehen werden. Davon abgesehen könne keine "nachhaltige Integrationsverfestigung" der Revisionswerber - unter Berücksichtigung des teils bereits langjährigen Aufenthalts - im Bundesgebiet erkannt werden. In Bezug auf die dritt- bis sechstrevisionswerbenden Parteien sei zwar zu berücksichtigen, dass sich diese zum Teil bereits langjährig in Österreich aufhielten, hier die Schule besuchten und sich Deutschkenntnisse angeeignet hätten. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sie gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern in die Heimat zurückkehren würden, wo sie noch über weitere weitschichtige Verwandte verfügten und ihnen insofern ein unterstützendes soziales Netz zur Seite stehe. Außerdem sprächen sie nach wie vor die (dortigen) Amtssprachen, sodass auch vor diesem Hintergrund keine unüberwindlichen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit einer Rückkehr erkannt werden könnten. Letztlich sei die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts der revisionswerbenden Parteien in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet sei, zu verneinen, da es grundsätzlich an den Parteien gelegen gewesen wäre, nach Abschluss ihrer Verfahren auf internationalen Schutz den rechtskräftig verfügten Ausweisungen in die Russische Föderation nachzukommen bzw. in Anbetracht des Vorliegens einer solchen Entscheidung in Bezug auf einen Teil der Familienangehörigen in Zusammenschau mit dem Fehlen individueller Fluchtgründe nicht nachträglich in das Bundesgebiet einzureisen.
13 Im Ergebnis hätten die revisionswerbenden Parteien im Laufe ihres langjährigen Aufenthalts zwar teils Bemühungen hinsichtlich einer Integration im Bundesgebiet gezeigt, von einer umfassenden und nachhaltigen Integration könne jedoch im Falle der revisionswerbenden Familie keinesfalls gesprochen werden. Zwar seien, vorwiegend in den Fällen der Drittrevisionswerberin und der Sechstrevisionswerberin, "gewisse Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet" zu erkennen. Dennoch könne eine Interessenabwägung insbesondere aufgrund "der beharrlichen Weigerung des (Erstrevisionswerbers), ihrer Ausreiseverpflichtung Folge zu leisten sowie der zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkennbaren Selbsterhaltungsfähigkeit der Familie" nicht zu Gunsten der revisionswerbenden Parteien ausgehen.
Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:
14 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
15 In Bezug auf die Entscheidungen nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
16 Im Übrigen erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt, weil sich die dargestellten Überlegungen des BVwG zu § 9 BFA-VG in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Weise als verfehlt erweisen.
17 Zutreffend macht die Revision geltend, dass die getroffene Entscheidung im Ergebnis auf eine Pauschalbeurteilung der gesamten Familie hinausläuft und die gebotene individuelle Betrachtung der Situation der einzelnen Familienmitglieder weitgehend vermissen lässt. Das betrifft vor allem die Drittrevisionswerberin und die Sechstrevisionswerberin, in Bezug auf die zunächst der allgemein erhobene Vorwurf, die Revisionswerber wären nach rechtskräftiger Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz beharrlich unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben bzw. im Zeitpunkt der Stellung dieser Anträge hätte es bereits vier rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren des Erstrevisionswerbers gegeben, nicht zutrifft. Auch das dann weiter zu Lasten aller Revisionswerber ins Treffen geführte Argument, es wäre an ihnen gelegen, nach Abschluss ihrer Verfahren auf internationalen Schutz den rechtskräftig verfügten Ausweisungen in die Russische Föderation nachzukommen bzw. in Anbetracht des Vorliegens einer solchen Entscheidung in Bezug auf einen Teil der Familienangehörigen in Zusammenschau mit dem Fehlen individueller Fluchtgründe nicht nachträglich in das Bundesgebiet einzureisen, geht bezüglich der Drittrevisionswerberin und der Sechstrevisionswerberin (beide waren nie rechtskräftig in die Russische Föderation ausgewiesen worden) evident an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei. Beide gelangten bereits 2007 nach Österreich und stellten hier jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Diese Anträge wurden zwar rechtskräftig gemäß § 5 AsylG 2005, iVm mit einer Ausweisung in die Slowakei, zurückgewiesen, doch wären diese Entscheidungen nach fruchtlosem Ablauf der Überstellungsfrist von Amts wegen wieder aufzuheben gewesen (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/21/0509, insbesondere Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe, sowie aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl. 2012/21/0218). Insoweit kann ihnen (der Drittrevisionswerberin und der Sechstrevisionswerberin) das Stellen eines Antrags auf internationalen Schutz im Juli 2009 - selbst unter Außerachtlassung ihrer (damaligen) Minderjährigkeit - keinesfalls zum Vorwurf gemacht werden.
18 Im Rahmen der Überlegungen des BVwG zur Integration der Revisionswerber werden, soweit es die Drittrevisionswerberin und die Sechstrevisionswerberin betrifft, spezifisch nur (freilich auch pauschal für alle Geschwister) der Schulbesuch, eine altersgemäß gute Integration in das Schulleben und "Kenntnisse der deutschen Sprache" erwähnt. Auch bezüglich der Drittrevisionswerberin und der Sechstrevisionswerberin ging das BVwG ohne weitere Individualisierung aber davon aus, dass keine "nachhaltige Integrationsverfestigung" im Bundesgebiet vorliege. Das berücksichtigt schon nicht, dass diese beiden Revisionswerberinnen offenkundig jedenfalls seit 2008 durchgehend in Österreich die Schule besuchen, uzw. gemäß den vorgelegten Unterlagen mittlerweile (Schuljahr 2015/2016) weiterführende Schulen, nämlich die Bundeshandelsschule in J (Drittrevisionswerberin) bzw. die Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe in F (Sechstrevisionswerberin). In einer die Drittrevisionswerberin betreffenden Schulbesuchsbestätigung findet sich u.a. noch ein Hinweis auf ihre perfekten Deutschkenntnisse, in Bezug auf die Sechstrevisionswerberin wurden gute Deutschkenntnisse im Übrigens schon - vom Verhandlungsleiter -
in der den Erkenntnissen vom 12. Jänner 2016 vorangehenden Beschwerdeverhandlung vom Juli 2015 konstatiert; der bloße Hinweis auf "Kenntnisse der deutschen Sprache" wird dem nicht gerecht. Der Drittrevisionswerberin wird dann noch in einem aus Anlass von "Praxistagen" an die Schule erstellten "Feedbackbogen" seitens des Landeskrankenhauses J-K eine durchgehend sehr gute Leistung attestiert, wobei das Vorliegen von Schwächen verneint wird und als Stärken "Freundlichkeit, Interesse, Umgang mit unseren Patienten, pünktlich, Erscheinungsbild" angeführt werden, mit dem besonderen Hinweis darauf, die Drittrevisionswerberin sei "sehr einfühlsam, bewahrt Ruhe, stets freundlich".
19 Jedenfalls all das hätte in eine individuelle Integrationsbeurteilung der Drittrevisionswerberin einerseits bzw. der Sechstrevisionswerberin andererseits miteinzufließen gehabt, wobei es als Grundlage im Hinblick auf die Erzielung eines persönlichen Eindrucks auch der Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung bedurft hätte (vgl. zur dahingehenden Verpflichtung des BVwG in nicht eindeutigen Fällen - von einem eindeutigen Fall zu Lasten der Revisionswerberinnen kann hier keine Rede sein - zuletzt das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289, Rz 15 f.). Letztes gilt hinsichtlich der Drittrevisionswerberin umso mehr, als sie nach der Aktenlage bislang überhaupt nur ein einziges Mal - aus Anlass ihres Asylverfahrens bereits 2009 - persönlich einvernommen worden war.
20 Das BVwG hätte darüber hinaus beachten müssen, dass sich die Drittrevisionswerberin und die Sechstrevisionswerberin nicht mehr in einem Alter befinden, in dem für den Fall einer Rückkehr ins Heimatland von einer grundsätzlichen Anpassungsfähigkeit ausgegangen werden könnte (vgl. nur das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2014, U 2459/2012 ua., Punkt III. 3. der Entscheidungsgründe). Auch das entzieht der im vorliegenden Fall gepflogenen familiären "Pauschalbeurteilung" die Basis.
21 Bezüglich der Drittrevisionswerberin kommt erschwerend hinzu, dass sie bei Verlassen ihrer Heimat erst sieben Jahre alt war. Im Übrigen hätte auch ihr behaupteter Suizidversuch - dazu erliegt in den Akten ein Kurzarztbrief betreffend einen stationären Krankenhausaufenthalt vom 23. April bis zum 27. April 2016 mit der Diagnose "hochgradige psychosoziale
Belastung ... Medikamentenintoxikation ... suizidale Krise" -
einer eingehenderen Behandlung bedurft.
22 Zusammenfassend erweist sich damit die vom BVwG vorgenommene Abwägung nach § 9 BFA-VG zunächst jedenfalls in Bezug auf die Drittrevisionswerberin sowie die Sechstrevisionswerberin als mangelhaft, weshalb die insoweit erlassenen Rückkehrentscheidungen keine tragfähige Grundlage haben. Das schlägt auch auf die anderen Revisionswerber durch, weil die dem angefochtenen Erkenntnis zugrundeliegende Prämisse, gegenüber allen Familienmitgliedern würden Rückkehrentscheidungen erlassen, weshalb kein Eingriff in das Familienleben der Revisionswerber vorliege, nicht mehr zutrifft (vgl. auch dazu das zuvor genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, Punkt III.4 der Entscheidungsgründe; siehe in diesem Sinn auch das hg. Erkenntnis vom 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032, Rz 15).
23 Im Ergebnis ist das angefochtene Erkenntnis daher betreffend alle Revisionswerber, soweit es die vom BFA erlassenen Rückkehrentscheidungen bestätigt (und damit auch hinsichtlich der Nichterteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG 2005) mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Es war somit in diesem Umfang samt den auf die Erlassung der Rückkehrentscheidungen aufbauenden Absprüchen nach § 52 Abs. 9 und § 55 FPG gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
24 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1, 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
25 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere die §§ 50 und 53 Abs. 1 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Da in den dort angeführten Pauschalbeträgen die Umsatzsteuer bereits enthalten ist, war das insoweit erhobene Mehrbegehren abzuweisen.
Wien, am 26. Jänner 2017
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)