VwGH Ra 2016/18/0235

VwGHRa 2016/18/02352.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag.a Ortner, über die Revision 1. der N F und 2. der M F, beide vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 16. August 2016, Zl. W175 2130705-1/3E (zu 1.) und Zl. W175 2130701-1/3E (zu 2.), betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §5 Abs3;
AsylG 2005 §5;
MRK Art3;
AsylG 2005 §5 Abs3;
AsylG 2005 §5;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die erstrevisionswerbende Partei ist die Mutter der (volljährigen) zweitrevisionswerbenden Partei. Die revisionswerbenden Parteien sind syrische Staatsangehörige und stellten am 18. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Schreiben vom 27. Jänner 2016 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein auf Artikel 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) gestütztes Aufnahmeersuchen an die zuständige kroatische Behörde, welches unbeantwortet blieb.

2 Mit Bescheiden jeweils vom 17. Juni 2016 wies das BFA die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung Kroatien für die Prüfung der Anträge zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien an und stellte fest, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Kroatien zulässig sei.

3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die revisionswerbenden Parteien seien unrechtmäßig über die Türkei nach Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich eingereist. Auch wenn die Revisionswerberinnen in der Beschwerde wiederholt hätten, dass sie nicht wüssten, ob sie in Kroatien gewesen seien, weil sie ihren Fluchtweg nicht kennen würden, handle es sich bei der von den revisionswerbenden Parteien beschriebenen Route um die "Westbalkan-Route", welche über Kroatien geführt habe und zur Zeit der Reisebewegung der revisionswerbenden Parteien von tausenden Flüchtlingen genutzt worden sei, sodass von einem Aufenthalt in Kroatien auszugehen sei; die kroatischen Behörden hätten die Übernahme der Revisionswerberinnen auch nicht abgelehnt.

Im Weiteren legte das BVwG dar, weshalb einer Überstellung der Revisionswerberinnen nach Kroatien Art. 3 und Art. 8 EMRK bzw. Art. 4 und Art. 7 GRC nicht entgegenstünden.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit der vorliegenden außerordentlichen Revision zunächst - zusammengefasst - vor, es stelle sich die Frage, ob das für die Anwendung des in Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung normierten Zuständigkeitstatbestandes erforderliche Kriterium des illegalen Grenzübertritts gegeben sei, wenn den betroffenen Personen - wie im vorliegenden Fall - auf Basis von humanitären Erwägungen die Einreise in bzw. die Durchreise durch diesen Mitgliedstaat auf Grund der an diesen Staat gerichteten Zusicherung der Aufnahme eines Asylsuchenden eines anderen Mitgliedsstaates gestattet werde. Im vorliegenden Fall könne keine Rede von einer illegalen Einreise nach Kroatien sein. Die revisionswerbenden Parteien hätten weder Grenzkontrollen umgangen, noch die Grenze mittels eines ge- oder verfälschten Visums überschritten. In diesem Zusammenhang weist die Revision auch auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofes der Republik Slowenien (Vrhovno sodiš?e Republike Slovenije) vom 14. September 2016, Zl. C-498/16 , hin, in dem dem Europäischen Gerichtshof jene Rechtsfragen vorgelegt worden seien, die es auch im gegenständlichen Verfahren zu lösen gelte.

9 Das Vorbringen, die revisionswerbenden Parteien seien nicht illegal nach Kroatien eingereist, entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt und wurde von den revisionswerbenden Parteien weder im Verfahren vor dem BFA noch in der Beschwerde an das BVwG erstattet. Die Revision macht auch nicht geltend, dass es den revisionswerbenden Parteien - aufgrund eines mangelhaften Verfahrens - nicht möglich gewesen wäre, ein solches Vorbringen schon vor Einbringung der gegenständlichen Revision zu erstatten. Damit verstößt das Revisionsvorbringen gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot und kann daher keine Beachtung finden (vgl. VwGH vom 14. September 2016, Ra 2016/18/0222).

10 Die Revision bringt des Weiteren vor, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das BVwG seine Entscheidung - vor dem Hintergrund der sich im letzten Jahr maßgeblich veränderten Lage in Kroatien - auf von Oktober 2015 stammende Länderfeststellungen stützen hätte dürfen und ob in Kroatien aus aktueller Sicht systemische Mängel im Sinne des Art. 3 EMRK anzunehmen seien. Die erstrevisionswerbende Partei leide an Diabetes, die zweitrevisionswerbende Partei sei schwer psychisch erkrankt und es würde in Kroatien keine adäquate medizinische Versorgung für sie geben.

11 In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wurde bereits geklärt, dass die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 EMRK zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das im Dublin-System vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben haben (vgl. VwGH vom 21. August 2014, Ra 2014/18/0003) sowie, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegbar ist (vgl. VwGH vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0113 bis 0120).

12 Im vorliegenden Fall führte das BVwG unter Bezugnahme auf die den Erkenntnissen zu Grunde gelegten Länderberichte aus, Dublin-Rückkehrer hätten bei Rückkehr Zugang zu Unterbringung, wobei auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht genommen werde, und die festgestellten Krankheiten der revisionswerbenden Parteien würden in Kroatien behandelt werden können. Es gebe im vorliegenden Fall keinen Anlass für die Befürchtung, dass die revisionswerbenden Parteien im Falle ihrer Überstellung in ihren durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte verletzt werden würden.

13 Der Revision gelingt es nicht, die nicht als unvertretbar zu erkennende Beurteilung des BVwG im vorliegenden Fall in Zweifel zu ziehen. Weder vor dem Hintergrund der vorliegenden Berichte zur Lage in Kroatien noch aufgrund der Ausführungen der revisionswerbenden Parteien ergeben sich konkrete Hinweise darauf, dass es nach Rückstellung der revisionswerbenden Parteien zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC kommen werde. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die in § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zum Ausdruck gebrachte Sicherheitsvermutung erschüttert wäre (vgl. auch VwGH vom 23. Juni 2016, Ra 2016/20/0069).

14 Mit dem Vorbringen, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 8 EMRK ausreichend geprüft werde, wenn die faktische Unterhaltsgewährung (von Seiten ihrer in Österreich rechtmäßig aufhältigen Söhnen bzw. Brüdern) zwar vorgebracht, vom BVwG jedoch nicht beachtet werde und ob die Einräumung eines unentgeltlichen Wohnrechts im gemeinsamen Haushalt und die finanzielle Unterstützung als Abhängigkeitsverhältnis zu werten sei, zeigt die Revision das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht auf.

15 Die im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ist nämlich im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH vom 3. Mai 2016, Ra 2016/18/0053, mwN).

16 Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH vom 2. August 2016, Ra 2016/20/0152, sowie VwGH vom 2. Dezember 2014, Ra 2014/18/0100, mwN).

17 Den revisionswerbenden Parteien gelingt es mit ihrem Vorbringen fallbezogen nicht, ein solches Abhängigkeitsverhältnis darzulegen. Die Revision zeigt daher nicht auf, dass die angefochtenen Erkenntnisse von diesen in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien abgewichen seien. Im Übrigen hat das BVwG entgegen dem Revisionsvorbringen die von den revisionswerbenden Parteien vorgebrachte Unterstützung durch ihre in Österreich aufenthaltsberechtigten Angehörigen in die gemäß Art. 8 EMRK - in vertretbarer Weise - vorgenommene Interessenabwägung miteinbezogen.

18 Soweit die Revision letztlich eine Verletzung der Verhandlungspflicht des BVwG moniert und dabei auf das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, verweist, ist ihr zu erwidern, dass die im zitierten Erkenntnis vom 28. Mai 2014 aufgestellten Leitlinien für Beschwerden im Zulassungsverfahren nicht einschlägig sind. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass das BVwG von den im hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/19/0072, in dem sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend mit der Frage auseinandergesetzt hat, unter welchen Voraussetzungen das BVwG im Zulassungsverfahren gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre.

19 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weswegen die Revision zurückzuweisen war.

Wien, am 2. Jänner 2017

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