VwGH Ra 2016/13/0015

VwGHRa 2016/13/001527.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der A GmbH in W, vertreten durch Dr. Friedrich Gatscha, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 24, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 21. Dezember 2015, Zl. RV/7102672/2012, betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer für die Jahre 2003 bis 2007, Festsetzung von Umsatzsteuer für Jänner bis August 2008 und Kapitalertragsteuer für die Jahre 2003 bis 2007 sowie für Jänner bis August 2008, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §184;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbende GmbH betreibt ein Taxiunternehmen. Im Bericht vom 15. Dezember 2008 über das Ergebnis einer den Zeitraum 2003 bis August 2008 betreffenden Außenprüfung (2003 bis 2007) und Nachschau (Jänner bis August 2008) wurde - neben anderen, nicht revisionsgegenständlichen Feststellungen - dargelegt, die Aufzeichnungen seien mangelhaft und die Besteuerungsgrundlagen daher zu schätzen. Zu den Aufzeichnungen wurde u.a. festgehalten, es seien zum Teil Listen mit Monatsumsätzen, für die Monate Jänner bis September 2004 (Zeitraum einer vorangegangenen Umsatzsteuernachschau) auch Listen der Tagesumsätze vorgelegt worden. Laut Aussage mehrerer Taxilenker hätten diese Abrechnungszettel erstellt und dem faktischen Geschäftsführer der Revisionswerberin übergeben. Diese Zettel fehlten für den gesamten Prüfungszeitraum. Im gesamten Prüfungszeitraum seien auch die Umsätze für Botendienstfahrten nicht aufgezeichnet, sondern von der Buchhalterin geschätzt worden. Die Kalkulation der Prüferin orientiere sich an Werten der Monate Jänner bis September 2004.

2 In den im Februar 2009 erhobenen Berufungen gegen die auf der Grundlage dieses Berichtes erlassenen Bescheide wandte sich die Revisionswerberin gegen die Anlehnung an den Zeitraum der vorangegangenen Umsatzsteuernachschau. Sie verband dies mit einem Vorbringen u.a. zur Kilometerrentabilität von Taxifahrten, wozu sie auf die der Finanzbehörde im Dezember 2008 übermittelte Diplomarbeit von Stefan Stefanov, "Der Wiener Taximarkt - Kennzahlen im Wiener Taxigewerbe", verwies. Dieser Arbeit sei insbesondere zu entnehmen, dass die Zahl der Leerkilometer ständig zunehme. Sie sei danach deutlich höher als zur Zeit "der letzten Marktuntersuchung vom Jahr 1995".

3 In ihrer Stellungnahme zu den Berufungen legte die Prüferin dar, ihre Kalkulation stütze sich auf den Zeitraum der Umsatzsteuernachschau, weil "nur in diesem Zeitraum Tageslosungen aufgezeichnet wurden". Dem schon im Zuge der Außenprüfung vorgebrachten Argument erhöhter Leerkilometer sei Rechnung getragen worden, indem teils 44% und teils 45% "gegenüber 40% branchenüblichen" Leerkilometern berücksichtigt worden seien.

4 Das Bundesfinanzgericht richtete im März 2015 ein Schreiben an die Revisionswerberin, in dem ihr vor allem vorgehalten wurde, auf Grund der "nicht belegten Behauptungen" der Revisionswerberin habe die Prüferin statt dem "Normaltarif 40% für Leerfahrten" 44% bzw. 45% "für glaubhaft erachtet und in Abzug gebracht". Könne die Revisionswerberin weiterhin keine originalen Grundaufzeichnungen vorlegen, so sei von einer Zuschätzung auszugehen, "jedoch mit einer Berücksichtigung des Km-Ertrages lt. Taxiinnung (Normaltarif) (= Verböserung)". Es bleibe der Revisionswerberin "unbenommen", ihre Rechtsmittel vom Februar 2009 "schriftlich (FAX ausreichend) zurückzunehmen".

5 Der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin reagierte darauf mit einer Mehrzahl von Eingaben von April bis Juli 2015, wobei er vor allem der Annahme eines Leerkilometeranteils von nur 40% entgegentrat. Einen diesbezüglichen "Normaltarif" gebe es laut Auskunft der Innung nicht. Übermittelt werde "die letzte Studie betreffend das Wiener Taxigewerbe aus dem Jahr 2008 (Diplomarbeit Stefan Stefanov)". Die bislang vorliegenden Entscheidungen gingen "eher auf die Studie aus den 90er-Jahren ein". Seither habe sich die Situation aber verändert, etwa durch die "Urbanisierung" auch von Außenbezirken durch U-Bahn, Nachtbusse usw. Die Revisionswerberin beantrage die Berücksichtigung von 50% Leerfahrten, was "unter der letzten Studie (Diplomarbeit 2008)" liege (Anmerkung: die Diplomarbeit kommt auf der Grundlage von Taxameterdaten zum Ergebnis von 52,05% Leerkilometern im Tagesbetrieb und 57,65% im Nachtbetrieb und verweist auf den Ausbau der Infrastruktur Wiens seit der "letzten Marktuntersuchung im Jahre 1995"). Ein Leerkilometeranteil von nur 40% sei "weder wissenschaftlich noch pragmatisch fundiert" und werde "auch nicht von der Taxiinnung selbst bestätigt".

6 Mit Schreiben vom 30. Mai 2015 übermittelte der steuerliche Vertreter dem Bundesfinanzgericht als Ergebnis einer Rücksprache mit der Taxiinnung auch das Titelblatt und die Zusammenfassung der mit Juli 1995 datierten Diplomarbeit von Christian Breitfuss, "Das Taxi in Wien - Empirische Erfassung der Besetzt- und Leerkilometer", worin mit Hinweis auf eine enorme Streuung der Einzelwerte (28% bis 64%) ein durchschnittlicher Anteil von 46,48% Leerkilometern ("fast schon ein Verhältnis von 1:1") festgestellt und dieses Ergebnis als deutlicher Anstieg gegenüber "jenem der letzten Untersuchung aus dem Jahre 1989" von nur 31% gewertet wurde.

7 In den Eingaben des steuerlichen Vertreters wurde u.a. auch behauptet, bei der Revisionswerberin seien die Tageslosungen nach dem Jahr 2004 "in identischer Form" weiter aufgezeichnet worden und diese Grundaufzeichnungen würden "in den nächsten Tagen" per Post übermittelt werden (Stellungnahme vom 30. April 2015). Übergeben wurden im Juli 2015 aber schließlich nur Aufzeichnungen des Jahres 2008 und eine Diebstahlsanzeige betreffend die Aufzeichnungen des Jahres 2007. Aufzeichnungen der Jahre 2005 und 2006 wurden dabei noch in Aussicht gestellt (Schreiben vom 29. Juli 2015), aber nicht mehr vorgelegt.

8 Das Bundesfinanzgericht wies die von ihm als Beschwerden zu behandelnden Berufungen mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach - unter Abstandnahme von der angekündigten Verböserung - aus, die angefochtenen Bescheide blieben unverändert.

9 In der Darstellung des Vorbringens der Revisionswerberin führte das Bundesfinanzgericht aus, die Revisionswerberin habe sich auf Werte einer "Diplomarbeit von Stefan Stefanov, einer Studie betreffend die 90er Jahre", berufen und vorgebracht, dass diese Studie von Stefanov, "Der Wiener Taximarkt - Kennzahlen im Wiener Taxigewerbe", "aus dem Jahre 1995 stamme" (Seiten 6 und 7 des angefochtenen Erkenntnisses).

10 In den Erwägungen des Bundesfinanzgerichtes wird die Zugrundelegung eines Leerfahrtenanteils von "rd. 45%" gegenüber dem Standpunkt der Revisionswerberin, dieser Anteil sei mit zumindest 50% zu veranschlagen, auf den Seiten 22 bis 24 des angefochtenen Erkenntnisses mit Ausführungen begründet, die fast wörtlich aus der dazu zitierten Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 28. Oktober 2009, RV/1579-W/05, stammen, sich auf die alte Diplomarbeit von Breitfuss beziehen und deren Brauchbarkeit bestreiten. Behauptet wird dazu nun im angefochtenen Erkenntnis, die Revisionswerberin habe sich wie schon frühere Rechtsmittelwerber "auf Ausführungen in der Diplomarbeit von Stefan Stefanov ‚Das Taxi in Wien' aus dem Jahr 1995" berufen.

11 Das "Bundesfinanzgericht" sehe "keine Veranlassung, von dem angesetzten Erfahrungssatz von 40% an Leerkilometern abzuweichen" (Anmerkung: auch dieser Satz stammt aus der Entscheidung von 2009, wo er sich auf den "Berufungssenat" bezieht). Die Schätzung gründe sich "somit auf Erfahrungswerte".

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesfinanzgericht für gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig erklärte Revision, zu deren Zulässigkeit die Revisionswerberin u. a. darlegt, das Bundesfinanzgericht habe sich zu Unrecht über die ins Treffen geführte Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 hinweggesetzt.

13 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

 

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Die Revision richtet sich vorrangig gegen die Annahme einer Schätzungsbefugnis und die Anlehnung der Schätzung an Werte der Umsatzsteuernachschau von 2004, wobei unter Rückgriff auf das ursprüngliche Vorbringen davon ausgegangen wird, es lägen über den gesamten Prüfungszeitraum "gleichförmige Aufzeichnungen" über Tagesumsätze vor, die aufbewahrt, der Prüferin vorgelegt und von dieser kopiert worden seien. Die Prüferin habe "willkürlich die Aufzeichnungen als nicht anerkennungsfähig gewertet und lediglich die gleichartigen (!) Aufzeichnungen der Umsatzsteuersonderprüfung 01-09/2004 als Basis für den gesamten Prüfungszeitraum herangezogen".

16 Wie sich dies zum oben dargestellten Inhalt der Schreiben an das Bundesfinanzgericht im Besonderen vom 30. April 2015 und vom 29. Juli 2015 verhält, wird in der Revision nicht erörtert.

17 Die Revisionswerberin rügt aber auch die Verwechslung der Diplomarbeiten von 1995 und 2008 durch das Bundesfinanzgericht. Das Finanzamt bezeichnet diesen Fehler in der Revisionsbeantwortung als unwesentlich und verweist dazu erstens auf Entscheidungen des unabhängigen Finanzsenates, die nur Ausführungen zu der Arbeit von 1995 enthalten und ein Übergehen der Untersuchung von 2008 daher nicht rechtfertigen können. Entgegen den Behauptungen sowohl im angefochtenen Erkenntnis als auch in der Revisionsbeantwortung hat weiters der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 20. Februar 1991, 90/13/0214, betreffend die Jahre 1981 bis 1984, und vom 31. Mai 2006, 2002/13/0072, betreffend die Jahre 1992 bis 1994, jeweils nicht die Frage behandelt, wie hoch damals der Leerkilometeranteil im Wiener Taxigewerbe gewesen sei. Gegen die in der Revisionsbeantwortung vertretene Ansicht, mit Rücksicht auf diese Entscheidungen sei die "Heranziehung" der von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Arbeit von 2008 "nicht mehr notwendig" gewesen, spricht daher nicht nur der Zeitabstand. Dass schließlich drittens im angefochtenen Erkenntnis entgegen der mit der Anregung einer Zurücknahme der Rechtsmittel verbundenen Ankündigung und entgegen dem laut Erwägungen "angesetzten Erfahrungssatz von 40%" die etwas höheren Werte der Prüferin bestätigt wurden, wie das Finanzamt auch noch geltend macht, stellt die Relevanz einer für einen noch höheren Erfahrungswert ins Treffen geführten Studie ebenfalls nicht in Frage.

18 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, wobei für das fortgesetzte Verfahren auch darauf hinzuweisen ist, dass das Bundesfinanzgericht die Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen vor allem im Fehlen der "Abrechnungszettel" der Fahrer für den gesamten Prüfungszeitraum gesehen und zugleich behauptet hat, für den Teilzeitraum der Umsatzsteuernachschau hätten die "vorgelegten Grundaufzeichnungen vollständig überprüft werden" können.

19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Juni 2017

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