VwGH Ra 2016/02/0168

VwGHRa 2016/02/016826.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, den Hofrat Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des S in R, vertreten durch die Heinzle Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 15. Juni 2016, Zl. LVwG-S-3034/001-2015, betreffend Übertretung der StVO (Behörde gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Amstetten), den Beschluss gefasst:

Normen

StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs10;
StVO 1960 §5 Abs5;
StVO 1960 §5 Abs9;
StVO 1960 §99 Abs1b;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs10;
StVO 1960 §5 Abs5;
StVO 1960 §5 Abs9;
StVO 1960 §99 Abs1b;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Nach der Aktenlage wurde der Revisionswerber am 31. Mai 2015 von Polizeibeamten angehalten und es wurde seine Fahrtüchtigkeit überprüft, weil er - der Anzeige vom 23. Juni 2015 folgend - Zeichen einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gezeigt habe.

2 Der beigezogene Polizeiamtsarzt unterzog in der Folge die Fahrtüchtigkeit des Revisionswerbers einer ärztlichen Befundung und kreuzte auf einem standardisierten Formular in der Rubrik "Harn/Blutuntersuchung" nach dem Text "Blutabnahme wegen Beeinträchtigung, die auf Suchtgifteinnahme/Alkohol schließen lässt:" die Wortfolge "wurde vorgenommen um" an und fügte handschriftlich "21:20" (Uhr) ein. In der Rubrik "Gutachten" kam der Polizeiamtsarzt zum Schluss, dass der Revisionswerber nach seinen Untersuchungen durch "Übermüdung" in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt sei.

3 Die Untersuchung des Blutes des Revisionswerbers ergab unter anderem einen Wert von 1,9 ng/ml THC (Tetrahydrocannabinol) und 106 ng/ml Amphetamin.

4 Mit Anzeige vom 23. Juni 2015 wurde dem Revisionswerber vorgeworfen, er habe am 31. Mai 2015 ein Fahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt (§ 99 Abs. 1b StVO iVm § 5 Abs. 1 StVO). Nach der in der Anzeige festgehaltenen dienstlichen Wahrnehmung des kontrollierenden Polizeibeamten habe der Revisionswerber unter anderem Merkmale einer Suchtgiftbeeinträchtigung (Schläfrigkeit) aufgewiesen.

5 Der Revisionswerber wurde mit Straferkenntnis der BH Amstetten vom 2. Oktober 2015 schuldig erkannt, er habe am 31. Mai 2015 um 19.55 Uhr im Gemeindegebiet K ein Fahrzeug gelenkt, obwohl er sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befunden habe. Er habe dadurch § 5 Abs. 1 StVO in Verbindung mit § 99 Abs. 1b StVO verletzt. Über den Revisionswerber wurde eine Geldstrafe von EUR 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 283 Stunden) verhängt und es wurde ihm aufgetragen, die Blutuntersuchungskosten von insgesamt EUR 854,-- sowie die Verfahrenskosten zu ersetzen.

6 Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis dem Grunde nach ab und setzte die Geldstrafe auf EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Tage) herab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht als nicht zulässig.

7 In der Begründung gab das Verwaltungsgericht den Verfahrensgang wieder, stellte die Rechtslage dar und als Sachverhalt fest, dass der Revisionswerber im Zuge einer polizeilichen Kontrolle wegen des Verdachtes auf eine mögliche Suchtgiftbeeinträchtigung dem in der öffentlichen Krankenanstalt A diensthabenden Arzt Dr. S vorgeführt worden sei. Der Arzt habe beim Revisionswerber eine klinische Untersuchung durchgeführt und Fahruntüchtigkeit infolge eines Übermüdungszustandes festgestellt. Im Anschluss an die klinische Untersuchung habe der Arzt mit Zustimmung des Revisionswerbers eine Blutabnahme durchgeführt und eine Untersuchung von Blut auf potenziell beeinträchtigend wirkende Substanzen mit Relevanz für den Straßenverkehr veranlasst. In dem Befund/Gutachten des Labors heiße es unter anderem, dass der Nachweis von THC die Aufnahme von THC-haltigen Produkten wie Haschisch oder Marihuana bewiesen habe. Die Konzentration des THC sei im Vergleich zu anderen aufgefallenen Kraftfahrern im mittleren Bereich, der bei 1,6 bis 6,8 mg/ml liege. Die Konzentration des THC sei in einem für die charakteristische Cannabis-Wirkung typischen Bereich gelegen. Aus toxikologischer Sicht sei insgesamt mit Beeinträchtigungen beim Führen eines Kraftfahrzeugs zu rechnen.

8 Das Verwaltungsgericht nahm es als erwiesen an, dass der Revisionswerber zur Tatzeit in einem durch die Einnahme von Amphetamin beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt habe. Die Fahruntüchtigkeit des Revisionswerbers habe sich durch die festgestellte Übermüdung im Zusammenhang mit der Einnahme dieses als Suchtgift einzustufenden Suchtmittels ergeben. Dafür, dass die Blutabnahme ohne Einverständnis des Revisionswerbers erfolgt wäre, gebe es keine Anhaltspunkte.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, das erstinstanzliche Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben bzw. das angefochtene Erkenntnis - erkennbar wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes - aufzuheben.

10 Die BH Amstetten hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Als Gründe für die Zulässigkeit der Revision führt der Revisionswerber die Fragen an, ob eine Blutabnahme zulässig sei, nachdem die klinische Untersuchung keinen Hinweis auf eine Suchtgiftbeeinträchtigung ergeben habe; in welchem Verhältnis die Beweisergebnisse der Beobachtungen des einschreitenden Polizeibeamten, der klinischen Untersuchung gemäß § 5 Abs. 9 StVO und der verfassungsgesetzlich angeordneten Blutabnahme gemäß § 5 Abs. 10 StVO zu werten seien; ob eine schlüssige (konkludente) Zustimmung zur Blutabnahme möglich sei, obwohl die Blutabnahme gemäß § 5 Abs. 10 StVO verpflichtend sei, daher kein Raum für Freiwilligkeit bestehe und der zu Untersuchende davon ausgehe, dass die Aufforderung zur Blutabnahme rechtmäßig erfolge, er die Blutabnahme daher zu dulden habe; ob von einer Suchtgiftbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO auszugehen sei, wenn keine Suchtgiftbeeinträchtigung, sondern lediglich eine Übermüdung auf Grund von Schlafmangel festgestellt werde, der Schlafmangel aber durch eine vergangene Suchtgifteinnahme verursacht worden sein könnte.

13 Nach § 99 Abs. 1b StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von EUR 800,-- bis EUR 3.700,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von einer bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt.

14 Die hier maßgebenden Absätze von § 5 StVO lauten:

"(1) Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt...

(5) Die Organe der Straßenaufsicht sind weiters berechtigt, Personen, von denen vermutet werden kann, dass sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Landespolizeidirektion tätigen, bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden oder im Sinne des § 5a Abs. 4 ausgebildeten und von der Landesregierung hierzu ermächtigten Arzt zu bringen, sofern eine Untersuchung gemäß Abs. 2

1. keinen den gesetzlichen Grenzwert gemäß Abs. 1 erreichenden Alkoholgehalt ergeben hat oder

2. aus in der Person des Probanden gelegenen Gründen nicht

möglich war.

Wer zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem Arzt gebracht wird, hat sich einer Untersuchung durch diesen zu unterziehen; die genannten Ärzte sind verpflichtet, die Untersuchung durchzuführen...

(9) Die Bestimmungen des Abs. 5 gelten auch für Personen, von denen vermutet werden kann, daß sie sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befinden; wer zum Arzt gebracht wird, hat sich der Untersuchung zu unterziehen. Die in Abs. 5 genannten Ärzte sind verpflichtet, die Untersuchung durchzuführen...

(10) (Verfassungsbestimmung) An Personen, die gemäß Abs. 9 zu einem Arzt gebracht werden, ist nach Feststellung einer Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, eine Blutabnahme vorzunehmen. Die Betroffenen haben die Blutabnahme vornehmen zu lassen."

15 Sieht der Revisionswerber vorliegend die Frage als erheblich an, ob eine Blutabnahme zulässig sei, nachdem die klinische Untersuchung keinen Hinweis auf eine Suchtgiftbeeinträchtigung ergeben habe, ist er darauf zu verweisen, dass der Polizeiamtsarzt in dem von ihm ausgefüllten Formular eine Blutabnahme "wegen Beeinträchtigung, die auf Suchtgifteinnahme/Alkohol schließen lässt" durchführte. Von einer rechtswidrigen Blutabnahme kann demnach keine Rede sein (vgl. auch VwGH vom 16. April 1997, 96/03/0355, wonach ein negatives klinisches Gutachten nicht im Widerspruch zu einem ermittelten Blutalkoholwert stehen muss, weil trotz erheblicher Alkoholisierung klinische Symptome fehlen können).

16 Die Blutabnahme erfolgte nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen auch mit Zustimmung des Revisionswerbers. Für die Annahme einer Zustimmung ist es auch nicht erforderlich, die Person, von der Blut abgenommen werden soll, über die "Verweigerungsmöglichkeit" aufzuklären (vgl. VwGH vom 14. Dezember 2007, 2007/02/0098, mwN).

17 Schließlich ist der Revisionswerber zu der von ihm ebenfalls als wesentlich erachteten Rechtsfrage, "ob von einer Suchtgiftbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO auszugehen sei, wenn keine Suchtgiftbeeinträchtigung, sondern lediglich eine Übermüdung auf Grund von Schlafmangel festgestellt werde, der Schlafmangel aber durch eine vergangene Suchtgifteinnahme verursacht worden sein könnte", auf Folgendes zu verweisen:

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 24. Oktober 2016, Ra 2016/02/0133, im Falle eines Lenkers, bei dem 1,2 ng/ml THC im Blut festgestellt worden ist, ausgeführt, dass es für die Annahme des Tatbildes des § 5 Abs. 1 StVO genügt, dass die Fahruntüchtigkeit nicht allein auf die Beeinträchtigung durch Suchtgift, sondern noch auf weitere Ursachen (wie etwa Ermüdung, Krankheit, Medikamenteneinnahme) zurückzuführen ist. Die Strafbarkeit ist also auch dann gegeben, wenn die konsumierte Suchtgiftmenge für sich alleine noch keine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätte.

19 Im vorliegenden Revisionsfall wurde im Blut des Revisionswerbers eine Konzentration von 1,9 ng/ml THC festgestellt. Das bedeutet, dass das Verwaltungsgericht der zitierten Rechtsprechung folgend angesichts des festgestellten Suchtgiftgehaltes im Blut des Revisionswerbers in Verbindung mit einer Übermüdung zutreffend vom Lenken des Revisionswerbers in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand, das im Tatbild des § 5 Abs. 1 StVO seine Entsprechung findet, ausgegangen ist.

20 In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 26. Jänner 2017

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