VwGH Ro 2015/15/0006

VwGHRo 2015/15/00061.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Mag. Dr. Köller, MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Finanzamts Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 28. Oktober 2014, Zl. RV/6100633/2014, betreffend Einkommensteuer 2012 und 2013 (mitbeteiligte Partei: H L in S, vertreten durch Herbert Bitzner, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 5020 Salzburg, Rupertgasse 26/II/36), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §200;
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 lita idF 2012/I/022;
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 litb idF 2012/I/022;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte war - neben ihrem Ehemann - Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft, die ab ihrer Anschaffung im Jahr 2000 durchgehend als Hauptwohnsitz (Familiensitz) genutzt und mit Kaufvertrag vom 4. Juli 2012 veräußert wurde. Der Kaufpreis war mit einem Teilbetrag von 200.000 EUR binnen drei Wochen nach Vertragsunterzeichnung fällig, der Restbetrag von 470.000 EUR mit dem Ablauf von zwölf Monaten nach Vertragsunterzeichnung (Punkt II des Kaufvertrages). Die Übergabe der Liegenschaft sollte laut Punkt IV des Kaufvertrages spätestens mit 31. Dezember 2013 erfolgen. An diesem Tag fand laut Übergabeprotokoll auch tatsächlich die Schlüsselübergabe statt.

2 Bereits im Februar 2012 haben die Mitbeteiligte und ihr Ehemann mit der Absicht, darauf ein Gebäude zu errichten, das als zukünftiger Hauptwohnsitz (Familiensitz) dienen sollte, ein Grundstück erworben. Im Juli 2012 wurden die diesbezüglichen Baupläne bei der Baubehörde eingereicht. Die Erteilung der Baugenehmigung verzögerte sich aufgrund von Einsprüchen der Nachbarn bis November 2012. Am 10. Dezember 2012 (Baubeginnanzeige) wurde mit dem Bau des neuen Hauptwohnsitzes begonnen. Die Fertigstellung war nach den Angaben der Mitbeteiligten für Sommer 2013 geplant. Tatsächlich erfolgte sie erst am 23. Dezember 2013 (Bauvollendungsanzeige).

3 Am 11. März 2014 erließ das Finanzamt Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2012 und 2013, in welchen es die auf die Mitbeteiligte entfallenden anteiligen Einkünfte aus der Veräußerung der Liegenschaft - diese wurden mit der Begründung, dass es sich bei dem veräußerten Grundstück um Altvermögen im Sinne des § 30 Abs. 4 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2012 handle, mit 14 % des jeweils zugeflossenen Veräußerungserlöses angesetzt - dem besonderen Steuersatz für Grundstücksveräußerungen von 25 % unterzog.

4 Die Mitbeteiligte erhob gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013 Beschwerde, stellte den Antrag, die Immobilienertragsteuer nicht festzusetzen, und führte begründend hiezu aus, sie sei davon ausgegangen, dass sie durch Aufgabe des Hauptwohnsitzes und Bezug des neuen Hauptwohnsitzes nach dessen Fertigstellung den Zweck der Wohnsitzbefreiung erfüllt habe, wonach der Veräußerungserlös ungeschmälert zur Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes zur Verfügung stehen solle. Laut Literatur stehe die weitere Benützung der Wohnung "als Mieter" der Wohnsitzbefreiung entgegen. Ein solcher Fall liege nicht vor, weil in Punkt IV des Kaufvertrages ausdrücklich vereinbart worden sei, dass die Liegenschaft spätestens am 31. Dezember 2013 übergeben werde. Die Weiterbenützung der Wohnung habe daher kein Mietverhältnis begründet. Wären die Richtlinien (Anm: gemeint wohl die Einkommensteuerrichtlinien in der Fassung des Wartungserlasses des Bundesministers für Finanzen vom 5. Juni 2013, BMF-010203/0252- VI/6/2013, laut denen die Aufgabe des Hauptwohnsitzes bis zu einem Jahr vor oder nach der Veräußerung nicht befreiungsschädlich sei) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits in Kraft gewesen, wäre es ein Leichtes gewesen, ein Kaufanbot von den Käufern einzuholen, dieses anzunehmen aber erst in den ersten Monaten des Jahres 2013 einen Kaufvertrag abzuschließen. Sollte der Beschwerde der Erfolg versagt werden, werde für das Jahr 2012 eine Versteuerung der Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung nach dem Tarif beantragt (Regelbesteuerungsantrag).

5 Das Finanzamt gab der Beschwerde insoweit statt als es die Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung des Jahres 2012 nach dem Einkommensteuertarif des § 33 Abs. 1 EStG 1988 versteuerte. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass sich das Erfordernis der Hauptwohnsitzaufgabe zur Anwendbarkeit der Steuerbefreiung aus dem Gesetz ergebe und die tatsächliche Aufgabe in einem angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Kaufvertrages erfolgen müsse. In Anlehnung an die Verwaltungspraxis bezüglich der Frist zwischen Anschaffung und tatsächlichem Bezug des Hauptwohnsitzes sei ursprünglich ein Zeitraum von sechs Monaten angedacht worden. Nach dem Erlass des Bundesministers für Finanzen vom 5. Juni 2013 sei für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes hingegen eine Toleranzfrist von einem Jahr vorgesehen. Die Mitbeteiligte sei erst eineinhalb Jahre nach Abschluss des Kaufvertrages aus der Wohnung ausgezogen, weshalb die Steuerbefreiung nach § 30 Abs. 2 lit. a EStG 1988 nicht zum Tragen komme. Soweit sich die Mitbeteiligte auf die Nichtanwendung des Erlasses vom 5. Juni 2013 berufe, sei für ihren Standpunkt nichts gewonnen, weil sie dieser Erlass nur begünstigt hätte.

6 Die Mitbeteiligte stellte den Antrag, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen, und führte im Vorlageantrag ergänzend aus, dass die vom Finanzamt angezogene Verwaltungspraxis nicht die Immobilienertragsteuer betroffen habe und der neue Hauptwohnsitz so rasch als möglich errichtet worden sei. Das neue Grundstück sei im Februar 2012 gekauft worden. Nach einer intensiven Planungsphase sei im Juli 2012 ein Bauansuchen eingebracht worden, das vom Magistrat nach erfolgten Einsprüchen fünf Monaten später genehmigt worden sei. Nach zwölf Monaten Bauzeit sei das Haus bezogen worden.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die vom Finanzamt vertretene Auffassung, die Steuerbefreiung des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 komme bei Überschreiten einer Zeitgrenze von sechs Monaten bzw. einem Jahr nicht zum Tragen, dem Sinn des Gesetzes widerspreche. Der Gesetzestext stelle zwar nur auf die Veräußerung der Liegenschaft und die Aufgabe des Hauptwohnsitzes ab, bereits die Erläuterungen zur Neuregelung der Immobilienbesteuerung führten aber deutlich an, dass der Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung darin bestehe, dass der Erlös aus der Veräußerung des alten Hauptwohnsitzes ungeschmälert zur Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes zur Verfügung stehen solle. Der Begriff der Schaffung eines neuen Wohnsitzes umfasse neben der Anschaffung eines Wohnsitzes auch die Errichtung eines Gebäudes als neuen Wohnsitz. Dass das Abstellen auf eine bestimmte, nicht verlängerbare Frist zu widersinnigen Ergebnissen führe, werde gerade im Streitfall deutlich, in dem eine Bauführung ohne Verzögerung wohl fristgerecht gewesen wäre und auch nach Ansicht des Finanzamts den Anspruch auf die Hauptwohnsitzbefreiung vermittelt hätte. Die Mitbeteiligte habe die Errichtung eines neuen Hauptwohnsitzes geplant und das dafür erforderliche Grundstück vor der Veräußerung des alten Hauptwohnsitzes angeschafft. Die Errichtung des neuen Hauptwohnsitzes sei - nach Maßgabe der finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten - nachdrücklich betrieben worden. Nur aufgrund von Verzögerungen, die die Mitbeteiligte nicht zu vertreten habe, sei es nicht gelungen, binnen eines Jahres nach Abschluss des Kaufvertrages den neuen Hauptwohnsitz zu errichten, wobei für derartige Verzögerungen bereits im Kaufvertrag Vorsorge getroffen worden sei. Das Bundesfinanzgericht könne keine Handlungen, die der Inanspruchnahme der Hauptwohnsitzbefreiung entgegenstünden, erblicken. Der inhaltliche Zusammenhang zwischen der Veräußerung des alten Wohnsitzes und der Schaffung des neuen Wohnsitzes sei deutlich und die Frist aufgrund der Umstände des Einzelfalles angemessen.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Finanzamt erhobene Revision, zu der die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

 

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 § 30 EStG 1988 in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012 (1. StabG 2012), BGBl. I Nr. 22/2012, lautet auszugsweise:

"§ 30. (1) Private Grundstücksveräußerungen sind Veräußerungsgeschäfte von Grundstücken, soweit sie keinem Betriebsvermögen angehören. Der Begriff des Grundstückes umfasst Grund und Boden, Gebäude und Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (grundstücksgleiche Rechte). (...)

(2) Von der Besteuerung ausgenommen sind die Einkünfte:

1. Aus der Veräußerung von Eigenheimen oder

Eigentumswohnungen samt Grund und Boden (§ 18 Abs. 1 Z 3 lit. b),

wenn sie dem Veräußerer

a) ab der Anschaffung bis zur Veräußerung für mindestens

zwei Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird oder

b) innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird.

(...)"

11 Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Hauptwohnsitzbefreiung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a und lit. b EStG 1988 ist die Aufgabe des Hauptwohnsitzes. Der Wortlaut der Vorgängerbestimmung, § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 idF vor dem

1. StabG 2012, enthielt die Voraussetzung der Aufgabe des Hauptwohnsitzes nicht ausdrücklich (siehe allerdings VwGH vom 24. Jänner 2007, 2003/13/0118). Die ErlRV zum 1. StabG 2012 (1680 BlgNR 24. GP , 8) führen hiezu aus: "Entsprechend dem Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung, der darin besteht, dass der Veräußerungserlös ungeschmälert zur Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes zur Verfügung steht, soll klargestellt werden, dass die Steuerbefreiung nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn der Hauptwohnsitz in diesem Eigenheim oder dieser Eigentumswohnung auch tatsächlich aufgegeben wird." Als Beispiel wird in den Erläuterungen angeführt, dass die Hauptwohnsitzbefreiung nicht anwendbar sei, wenn ein Steuerpflichtiger sein Eigenheim in zwei Wohneinheiten teile, eine davon veräußere und in der anderen seinen Hauptwohnsitz behalte.

12 Zumindest in Bezug auf die Befreiungsbestimmung des § 30 Abs. 2 Z 1 lit. b EStG 1988, laut der das Eigenheim oder die Eigentumswohnung dem Veräußerer innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben muss, ist es nicht schädlich, wenn der Hauptwohnsitz deutlich vor der Veräußerung aufgegeben worden ist (vgl. 1680 der Beilagen XXIV. GP, 8). Dennoch liegt der Befreiungsbestimmung die Überlegung zugrunde, dass der Veräußerungserlös typischerweise der Finanzierung eines neuen Hauptwohnsitzes dient.

13 Der gegenständliche Fall betrifft die Aufgabe des Hauptwohnsitzes nach der Veräußerung. Die Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes kann durch Anmietung (und Ausstattung) einer Wohnung, durch Erwerb eines bezugsfertigen Eigenheims bzw. einer Eigentumswohnung, eines für Zwecke des Steuerpflichtigen zu adaptierenden Eigenheimes bzw. einer Eigentumswohnung oder wie im Streitfall durch den Erwerb einer Liegenschaft, mit der Absicht, darauf ein Eigenheim zu errichten, erfolgen. Um dem erklärten Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung gerecht zu werden, wird dem Veräußerer für die Adaptierung bzw. Errichtung des neuen Hauptwohnsitzes eine angemessene Frist einzuräumen sein. Steht bei der Veräußerung die Absicht, den Hauptwohnsitz zu wechseln, bereits fest, kommt dem Veräußerer für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes eine den Umständen des Einzelfalls nach angemessene Frist zu. Diese kann, wenn die Beschaffung des neuen Hauptwohnsitzes eine längere Zeit in Anspruch nimmt, durchaus über ein Jahr hinausgehen. Gegebenenfalls kann bei der bescheidmäßigen Steuerfestsetzung mit Bescheiden nach § 200 BAO vorgegangen werden.

14 Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass die Mitbeteiligte die Errichtung eines neuen Hauptwohnsitzes geplant und das dafür erforderliche Grundstück vor der Veräußerung des alten Hauptwohnsitzes angeschafft habe. Die Errichtung des neuen Hauptwohnsitzes sei - nach Maßgabe der finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten - nachdrücklich betrieben worden. Nur aufgrund von Verzögerungen, die die Mitbeteiligte nicht zu vertreten habe, sei es nicht gelungen, binnen eines Jahres nach Abschluss des Kaufvertrages den neuen Hauptwohnsitz zu errichten, wobei für derartige Verzögerungen bereits im Kaufvertrag Vorsorge getroffen worden sei. Vor diesem Hintergrund stößt es auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken, wenn das Bundesfinanzgericht einen Zusammenhang zwischen der Veräußerung des alten Wohnsitzes und der Schaffung des neuen Wohnsitzes als gegeben und die Frist zwischen der Veräußerung und der Aufgabe des alten Hauptwohnsitzes aufgrund der Umstände des Einzelfalles für angemessen erachtet hat.

15 Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

16 Ein Aufwandersatz wurde in der Revisionsbeantwortung nicht beantragt.

Wien, am 1. Juni 2017

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