VwGH Ro 2016/20/0004

VwGHRo 2016/20/000410.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision der P K in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. April 2016, Zl. W151 2115110-1/11E, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §3;
AVG §73 Abs1;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §8 Abs1;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §3;
AVG §73 Abs1;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §8 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin stellte am 21. Juli 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, über den das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - BFA) mit Bescheid vom 11. April 2013, berichtigt durch Bescheid vom 16. April 2013, entschied. Es wies den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab, erkannte der Revisionswerberin subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

2 Mit Schreiben vom 26. März 2014, eingelangt beim BFA am 28. März 2014, brachte die Revisionswerberin einen Antrag auf Erlassung eines Asylbescheides, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und unter einem Beschwerde gegen den Bescheid vom 11. April 2013 ein.

3 Am 24. Juni 2015 brachte die Revisionswerberin eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) beim BFA betreffend die Anträge vom 26. März 2014 ein, weil seit Antrags- und Beschwerdeeinbringung mehr als ein Jahr vergangen, eine Erledigung aber nicht ergangen sei. Sie beantragte, das BFA möge binnen drei Monaten selbst entscheiden, in eventu möge das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Stattgebung der Beschwerde über die Anträge entscheiden.

4 Mit Schreiben vom 29. September 2015 legte das BFA dem BVwG die Säumnisbeschwerde samt Verwaltungsakt vor.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Säumnisbeschwerde ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Begründend führte es im Wesentlichen aus, die Behörde treffe an der Verfahrensverzögerung kein überwiegendes Verschulden, weil der etwa seit 2014 im Wesentlichen andauernde, erhebliche Zustrom von Asylwerbern ein unbeeinflussbares und unüberwindliches Hindernis darstelle, das die Sachverhaltsfeststellungen in einer Vielzahl von Verfahren verhindert habe. Zur Zulässigkeit der Revision führte es aus, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 22. Jänner 2015, Ra 2014/06/0057, zwar ausgesprochen, dass die Frage, ob die Behörde in einem konkreten Fall ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Verfahrenserledigung im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG treffe, keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG betreffe, jedoch scheine die Frage, ob eine Massenfluchtbewegung für das BFA eine Grundlage darstelle davon auszugehen, dass dieses kein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Verfahrenserledigung treffe, eine größere Anzahl von Verfahren zu betreffen. Hiezu fehle Rechtsprechung.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die zur Zulässigkeit zunächst ausführt, im Entscheidungszeitpunkt des BVwG habe Rechtsprechung zur Frage, ob eine Massenfluchtbewegung eine Grundlage für die Verneinung eines überwiegenden Verschuldens an einer Säumnis durch das BFA darstellen könne, gefehlt. Es sei allerdings zu klären, ob "das Argument Massenfluchtbewegung" überhaupt herangezogen werden könne, wenn es an einem Antrag der Bundesregierung auf Feststellung einer solchen Massenfluchtbewegung im Sinne der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001, betreffend "Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms", fehle.

Darüber hinaus mangle es an Rechtsprechung zur Frage, ob eine Verlängerung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist im Sinne von Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie), ohne Umsetzung dieser Richtlinienbestimmung überhaupt zulässig sei.

Im zwischenzeitlich ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, sei nicht geklärt worden, ob das BFA sich auf unvorhersehbare und unabwendbare Ereignisse stützen könne, obwohl es "von Beginn an (also ab 01.01.2014) nicht über das aus damaliger Sicht notwendige Personal verfügte und aufgrund eines Aufnahmestopps in der Verwaltung keine rechtzeitige Aufstockung erfolgte und darüber hinaus die zuständige Bundesministerin für Inneres bewusst Maßnahmen setzte, um die Verfahrensdauer zu verlängern". Das BVwG weiche im Übrigen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, nach der der allgemeine Hinweis auf Überbelastung einer Behörde die Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht vereiteln könne.

7 Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet. 8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor, ist die Revision somit - ungeachtet der Zulassung durch das Verwaltungsgericht - gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

11 Ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage daher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auch nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtes oder selbst nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, ist eine Revision wegen fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht (mehr) zulässig (vgl. etwa VwGH vom 29. Juli 2016, Ro 2016/18/0004, mwN).

12 Mittlerweile hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, erkannt, dass die durch den massiven Zustrom von Schutzsuchenden in der jüngeren Vergangenheit bewirkte Ausnahmesituation, die auch für das BFA eine extreme Belastung darstellt, sich in ihrer Exzeptionalität von sonst allenfalls bei (anderen) Behörden auftretenden, herkömmlichen Überlastungszuständen ihrem Wesen nach, und sohin grundlegend, unterscheide. Die Verpflichtung der Behörde, dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist, müsse in einer solchen Ausnahmesituation zwangsläufig an Grenzen stoßen. Eine Säumnis des BFA, die alleine auf eine derartige Belastungssituation zurückzuführen sei, könne eine Abweisung der Säumnisbeschwerde mangels überwiegenden Verschuldens der Behörde an der Säumnis nach § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG begründen.

13 Es liegt somit bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Rechtsfrage vor, die zum Zulässigkeitsausspruch des BVwG geführt hat und anhand derer im Einzelfall zu beurteilen ist, ob die Verzögerung in der Erledigung der Sache im Sinne des § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht revisibel (vgl. wiederum VwGH vom 29. Juli 2016, Ro 2016/18/0004).

14 Soweit auch die gegenständliche Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung auf fehlende Rechtsprechung zur Frage der Überlastung des BFA aufgrund der Massenfluchtbewegung verweist, ist festzuhalten, dass diese Rechtsfrage mit dem zitierten hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, geklärt wurde. Die Revision macht weder geltend, dass sich der gegenständliche Fall in seiner Ausgangslage von jener, die diesem Erkenntnis zugrunde lag, unterscheide noch dass die vom BVwG vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung im Einzelfall vorgenommene Beurteilung unvertretbar wäre. Daran ändert auch das behauptete Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu herkömmlichen Überlastungszuständen nichts, weil die Revisionswerberin nicht konkret auf den Fall bezogen ausführt, inwiefern im gegenständlich relevanten Zeitraum von einer herkömmlichen Überlastungssituation gesprochen werden kann und dass nicht auch fallbezogen eine außergewöhnliche Belastungssituation, wie sie dem bereits mehrmals zitierten hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2016 zugrunde lag, vorgelegen wäre.

15 Mit den nicht näher ausgeführten Hinweisen auf die "Massenzustrom-Richtlinie" und Art. 31 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie wird nicht dargetan, inwiefern diese Rechtsgrundlagen für die hier vorzunehmende Beurteilung, ob eine eingetretene Säumnis einer nationalen Behörde verschuldet war oder nicht, von Bedeutung sein könnte.

16 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang - ohne Bestreitung des gegenteilig festgestellten Sachverhalts - behauptet, das BFA wäre bereits seit dem Beginn seiner Tätigkeit personell unterbesetzt gewesen, worin allein schon ein Verschulden der Behörde zu erblicken sei, entfernt sie sich von dem vom BVwG festgestellten Sachverhalt. Dieses ging nämlich davon aus, dass die Organisation des BFA "nachvollziehbar und an die bisherige Situation hinreichend angepasst" gewesen sei. Ausgehend davon gelingt es der Revisionswerberin nicht darzutun, dass die im Einzelfall vorgenommene Beurteilung des Verschuldens unvertretbar wäre.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 10. November 2016

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