VwGH Ra 2016/18/0054

VwGHRa 2016/18/005423.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des M A in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2016, Zl. W101 2016842-1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, beantragte am 14. August 2014 internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund brachte er vor, er habe das Portrait des syrischen Präsidenten, welches in seinem Geschäft gehangen habe, abgenommen, um nicht "von der anderen Seite" als regimeloyal betrachtet zu werden. Am nächsten Tag sei er von Seiten des syrischen Regimes wegen des Abhängens des Portraits verhaftet worden. Nach Zahlung von Lösegeld durch seinen Bruder sei er nach einem Monat und 18 Tagen freigelassen worden. Er sei zwar in Haft gewesen, geflüchtet sei er aber wegen des Krieges.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18. November 2014 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aus näher dargestellten Gründen nicht nachvollziehbar und erscheine daher konstruiert. Glaubhaft sei, dass er seinen Herkunftsstaat aufgrund des Krieges und der Sicherheitslage verlassen habe. Wegen des innerstaatlichen Konfliktes in Syrien sei dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

3 Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er vorbrachte, die Einvernahme vor dem BFA sei kurz gewesen, sodass er nicht alles vorbringen habe können. Er sei vor etwa einem Jahr während der Revolution vom Dienst suspendiert worden und habe daraufhin das Portrait des syrischen Präsidenten abgehängt. Zudem sei sein namentlich genannter Cousin für die Opposition aktiv, weswegen er schon aus diesem Grund gefährdet sei.

4 Mit schriftlicher Stellungnahme vom 28. Mai 2015 legte der Revisionswerber Beweismittel vor (Bestätigung der Mitgliedschaft in einem regimekritischen Verein sowie Fotos, die den Revisionswerber bei der Teilnahme an einer Demonstration in Wien zeigen). Hierzu führte der Revisionswerber aus, im Falle seiner Rückkehr nach Syrien drohten ihm aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeit massive Repressalien. Dies stehe in klarem Zusammenhang mit den Feststellungen zur Lage in Syrien. Es sei allgemein bekannt, dass der syrische Geheimdienst exilpolitische Aktivitäten syrischer Staatsbürger im Ausland dokumentiere. Am 4. Februar 2016 brachte der Revisionswerber einen arabischsprachigen Zeitungsartikel vom 20. Februar 2011 (in Kopie) in Vorlage, welchem laut Übersetzung des Revisionswerbers zu entnehmen sei, dass er gemeinsam mit 14 weiteren Mitarbeitern des Stadtrates von Aleppo entlassen worden sei.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6 Das BVwG hielt insbesondere fest, der Revisionswerber sei von 1986 bis 2011 Beamter im Gemeindeamt Aleppo gewesen. Aufgrund des vorgelegten Zeitungsartikels stehe fest, dass er entlassen worden sei, der Grund dafür sei aber nicht eruierbar. Der Revisionswerber sei aus Syrien ausgereist, weil er als Mitglied der Baath-Partei und früherer Beamter Verfolgung von Seiten des IS befürchtet habe. Einer derartigen Verfolgung hätte sich der Revisionswerber aber durch die Inanspruchnahme einer sogenannten "Internen Fluchtalternative", d.h. durch Übersiedelung in ein vom Regime kontrolliertes Gebiet, entziehen können. Dies sei ihm auch zumutbar, weil seine Frau seinen eigenen Angaben zufolge (verwiesen wird auf die Einvernahme vor dem BFA vom 11. November 2014) bei ihrem Bruder in einem vom syrischen Regime kontrollierten Gebiet lebe. Der Revisionswerber habe sein Fluchtvorbringen, soweit dies über die Betroffenheit durch den syrischen Bürgerkrieg sowie den damit zusammenhängenden Einmarsch des IS in sein Wohngebiet hinausgehe, aufgrund von - näher dargestellten - Ungereimtheiten und Unplausibilitäten sowie seines widersprüchlichen Aussageverhaltens nicht glaubhaft machen können. Dem Revisionswerber drohe daher keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und sei Spruchpunkt I. des Bescheides zu bestätigen gewesen.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, das BVwG habe den vom Revisionswerber vorgelegten Zeitungsbericht in Bezug auf seine Entlassung aus dem Staatsdienst nicht gewürdigt, obwohl dieser auf seine regimekritische Einstellung hindeute. Vor diesem Hintergrund erscheine auch das Abhängen des Portraits des syrischen Präsidenten samt nachfolgender Haft glaubhaft und sei vor allem die nachgewiesene Mitgliedschaft im regimekritischen Verein sowie die Teilnahme an nachgewiesenermaßen zumindest einer Demonstration in Wien asylrelevant. Die Annahme des BVwG, der Revisionswerber sei nicht tatsächlich regimekritisch eingestellt und man würde ihn aufgrund seiner langjährigen Parteimitgliedschaft nicht verfolgen, sei somit grob fehlerhaft. Die Revision moniert zudem, das BVwG habe seiner Entscheidung keine eigenen, aktuellen Länderberichte zu Grunde gelegt, sondern auf die vom BFA herangezogenen verwiesen, welche überwiegend aus dem Jahr 2013 stammten. Soweit das BVwG hinsichtlich der Bedrohung durch den IS das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative festgestellt habe, werde auf § 11 AsylG 2005 sowie auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 2015, Ra 2015/20/0048, verwiesen.

8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und begründet.

11 Bereits der Verweis auf die vom BVwG angenommene innerstaatliche Fluchtalternative führt die vorliegende Revision zum Erfolg.

12 Das BVwG hat als tatsächlichen Grund für die Ausreise des Revisionswerbers den Einmarsch des IS in sein Wohngebiet und die damit zusammenhängende befürchtete Verfolgung festgestellt.

13 Soweit das BVwG die Asylrelevanz dieser befürchteten Verfolgung mit dem Hinweis auf das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneint hat, ist zu erwidern, dass dies im Widerspruch zu der erfolgten Gewährung von subsidiärem Schutz steht, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme der innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH vom 15. Oktober 2015, Ra 2015/20/0181, und vom 29. Juni 2015, Ra 2014/18/0070 bis 0074, jeweils mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

15 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. November 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte