VwGH Ro 2016/01/0009

VwGHRo 2016/01/000913.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und den Hofrat Dr. Kleiser sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Berger, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. E GmbH, 2. E-M GmbH, beide in S, beide vertreten durch Dr. Hubert Stanglechner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 17. Mai 2016, Zl. LVwG- 2015/23/0622-17, betreffend Beschwerde wegen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bei einer gerichtlich angeordneten Hausdurchsuchung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), den Beschluss gefasst:

Normen

StPO 1975 §106 Abs1 idF 2013/I/195;
StPO 1975 §71;
VwGG §42 Abs2;
VwGG §63 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RO2016010009.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird gemäß § 43 Abs. 2 iVm Abs. 9 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2016, Ra 2015/01/0133, 0136 (Vorerkenntnis), verwiesen. Im Vorerkenntnis führte der Verwaltungsgerichtshof zusammenfassend aus:

"Im vorliegenden Fall lagen nach den unstrittigen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes keine ‚doppelfunktionalen' Ermittlungshandlungen der einschreitenden Sicherheitsorgane vor, vielmehr war für alle von der Amtshandlung Betroffenen eindeutig erkennbar, dass es sich um ein Einschreiten der Exekutivorgane im Dienste der Strafjustiz handelte und somit seitens der Beamten der Kriminalpolizei strafprozessuale Befugnisse (als Kriminalpolizei im Sinn des § 18 Abs. 1 StPO) ausgeübt wurden.

Dies bedeutet, dass für die Bekämpfung dieser Handlungen nach der oben dargestellten Rechtslage der Rechtsschutz des § 106 Abs. 1 StPO zur Verfügung stand.

Das Verwaltungsgericht war daher zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Handlungen nicht gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 2 B-VG zuständig. Vielmehr hätte es die Maßnahmenbeschwerde zurückzuweisen gehabt."

2 Mit dem im fortgesetzten Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) ergangenen Beschluss wurde die Maßnahmenbeschwerde der Revisionswerber gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen (1.), die Revisionswerber zum Kostenersatz gegenüber der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht verpflichtet (2.) und die ordentliche Revision für zulässig erklärt (3.).

Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammenfassend aus, die Maßnahmenbeschwerde sei unter Zugrundelegung des Vorerkenntnisses wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes zurückzuweisen gewesen.

Die Zulassung der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der Frage, ob ein Einspruch gemäß § 106 StPO nur gegen im Ermittlungsverfahren gesetzte Maßnahmen offen stehe (Verweis auf Ro 2014/04/0063) oder auch - wie im Vorerkenntnis implizit festgestellt worden sei - für im Hauptverfahren gesetzte Maßnahmen herangezogen werden könne, uneinheitlich sei. In der Begründung erwähnt das Verwaltungsgericht, das Oberlandesgericht Innsbruck (OLG) habe in seiner Entscheidung vom 22. Mai 2015, 6 Bs 46/15p, ausgeführt, dass § 106 StPO lediglich für das Ermittlungsverfahren, jedoch nicht für das Hauptverfahren zur Verfügung stehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, in der ausgeführt wird, die Revision sei auch deshalb zulässig, weil zur Rechtsfrage der Abgrenzung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes zur Entscheidung über Maßnahmenbeschwerden (nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) und dem Rechtschutz nach § 106 Abs. 1 StPO in der Fassung BGBl. I Nr. 195/2013, betreffend kriminalpolizeiliches Verhalten in einem strafgerichtlichen Hauptverfahren aufgrund einer Privatanklage keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes vorliege. Nach Auffassung der Revisionswerber stehe in diesem Fall gemäß § 71 Abs. 1 StPO der Rechtschutz nach § 106 StPO nicht zur Verfügung.

3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtzustand herzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 2016, Ro 2016/11/0007, mit Verweis auf die zu der im Wesentlichen vergleichbaren Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 ergangene hg. Rechtsprechung).

Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung sind die Verwaltungsbehörden bzw. Verwaltungsgerichte somit an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Ro 2016/11/0007).

Im fortgesetzten Verfahren ist auch der Verwaltungsgerichtshof selbst gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerten Rechtsansichten gebunden (vgl. den hg. Beschluss vom 17. März 2016, Ra 2015/11/0127, mwN).

7 Weder vom Verwaltungsgericht noch von den Revisionswerbern wird vorgebracht, dass eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten wäre. Insbesondere war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses weiterhin § 106 StPO in der Fassung BGBl. I Nr. 195/2013, maßgeblich (die mit BGBl. I Nr. 85/2015 kundgemachte Aufhebung der Wortfolge "Kriminalpolizei" durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 30. Juni 2015, G 233/2014, G 5/2015, trat erst mit Ablauf des 31. Juli 2016 in Kraft).

Daher kann angesichts der Bindungswirkung nach § 63 VwGG keine Rede davon sein, dass für die vorliegenden Rechtssache Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle oder uneinheitlich sei.

8 Im Übrigen richtet sich der Rechtsschutz gegen sicherheitsbehördliche Maßnahmen nach der (im Vorerkenntnis wiedergegebenen) Rechtsprechung des VfGH vom 30. Juni 2015, G 233/2014, G 5/2015, für den Zeitraum bis zum Ablauf des 31. Juli 2016 nach der Rechtsgrundlage, auf Grund derer die Sicherheitsbehörde bzw. die Organe der öffentlichen Sicherheit eingeschritten sind. Dabei ist entscheidend, ob die Sicherheitsbehörden bzw. deren Exekutivorgane strafprozessuale oder sicherheits- bzw. verwaltungspolizeiliche Befugnisse ausüben. Auch wenn die Sicherheitsbehörden in einem Privatanklageverfahren nach § 71 StPO, in dem ein Ermittlungsverfahren nach dem 2. Teil der StPO nicht stattfindet (vgl. § 71 Abs. 1 letzter Halbsatz leg. cit.), eingeschritten sind, üben sie dennoch unzweifelhaft strafprozessuale Befugnisse aus.

9 Ziel des § 106 StPO in der Fassung BGBl. I Nr. 195/2013 war es nach dem allgemeinen Teil der Erläuterungen, die

"Rechtslage über den Einspruch gegen Handlungen der Kriminalpolizei wieder herzustellen und auszubauen. Dies ist im Übrigen auch für die Gewährung eines von den oben bezeichneten Richtlinien geforderten Rechtsschutzes unumgänglich, weil nach diesen vorgesehen ist, dass dem Beschuldigten gegen die Verweigerung von Dolmetschleistungen und schriftlicher Übersetzung durch die Kriminalpolizei ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss. Die vorgeschlagenen Änderungen zielen darauf ab, sämtliche Eingriffe der Kriminalpolizei in subjektive Rechte, sei es durch Zwangsmaßnahmen, sei es durch die Verweigerung von Verfahrensrechten nach der StPO im Sinne eines einheitlichen Rechtsschutzes einer Kontrolle der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu unterziehen ..." (vgl. RV 2402 BlgNR 24. GP , 2).

Auch wenn der Gesetzgeber dabei das Ermittlungsverfahren nach dem 2. Teil der StPO vor Augen hatte, kann es ihm nach diesem Ziel der Regelung nicht unterstellt werden, er habe von diesem Rechtsschutz das strafprozessuale Einschreiten der Sicherheitsbehörden in Privatanklageverfahren (nach § 71 StPO) ohne erkennbare sachliche Rechtfertigung ausnehmen wollen (vgl. zur Ermächtigung des Gerichtes, im Privatanklageverfahren auch ohne Antrag der Beteiligten ganz allgemein die Aufnahme von Beweisen anzuordnen, auch wenn dies mit Grundrechtseingriffen verbunden ist, den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 18. Dezember 2014, 12 Os 111/14m, mwN).

10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. September 2016

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